Kapitel 1
Der Wind peitscht durch Skylas himmelblaues Haar, während ihre honigbraunen Augen Ausschau nach einer Menschenseele halten. Die Gefahr, entdeckt zu werden, besteht weiterhin. Vorsicht ist geboten. In den vergangenen Monaten hatte sich die auszubildende Köchin genügend Ärger aufgehalst, sodass sie wachsamer wurde. Ein Sprung und Skyla verlässt das Dickicht. Anders als ihre Begleitung, die zögert. Ein tiefer Atemzug und sie packt nach ihrem besten Freund. Ihre Finger schnappen sich Lukas' Jackett. Hochwertig und somit völlig ungeeignet wie der Rest seines Outfits für diese Mission. Aber sein Kleiderschrank ist voll mit den teuren Outfits, sodass für Skyla feststeht, ihn für ihre zukünftigen Abenteuer neu einzukleiden. Verwundern tut sein Stil sie jedoch nicht, denn ihr Freund arbeitet bei der Bank und hasst Sport. Bislang standen keine halsbrecherischen Aktivitäten in seinem Terminplaner.
Ein Ruck und Lukas landet neben ihr auf den stillgelegten Schienen. Hektisch wie ein Reh erkunden seine dunklen Augen die Gegend. Auf der Suche nach möglichen Gefahren. Skyla fängt sein hübsches Gesicht mit seinen markanten Gesichtszügen ein und sorgt für Blickkontakt. Was auch immer er verwendet, um seine Haare nach hinten zu stylen, es hält und ist werbetauglich. Seine Frisur sitzt perfekt in Form, während die wenigen Luftzüge ihre Mähne aussehen lassen, als habe ein Sturm gewütet.
„Ich will dich noch mal daran erinnern, dass du nicht hier sein musst. Das ist deine letzte Chance, umzukehren."
Sie hört die Räder in seinem Kopf rattern. Er ist hin- und hergerissen. So wie sie ihn kennt, wiegt er die Erfolgschancen ihres Plans ab. Skyla nutzt die Zeit, um seine schicke Kleidung von dem hängengebliebenen Gestrüpp zu befreien. Schließlich lässt sie von ihm ab und betrachtet die überwucherten Schienen fasziniert. Die Natur holt sich diesen Ort bereits zurück. An einigen Stellen sind die Pflanzen so hochgewachsen, dass sie sich wie in einem Dschungel vorkommt. An jenen Ort fährt schon lange kein Zug mehr. Durch den Klimawandel erinnert das viele Laub mehr an den Herbst, obwohl das neue Jahr anbrach. Aber vom ersten Frost fehlt jede Spur. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die dichte Wolkendecke bahnen, verraten die vielen Scherben unter und auf dem Blätterteppich.
Skylas Herz macht einen Aussetzer, als ihr bester Freund nach ihr greift und sich ihr aufdrängt. Dabei liegt der Griff um ihr Handgelenk so feste, dass der Druck unangenehm wird. Lukas betrachtet sie voller Entschlossenheit.
„Was auch kommt, wir bleiben zusammen, Skyla. Ich lasse dich nicht allein. Akzeptiere doch bitte, dass deine Tage als Einzelkämpferin gezählt sind."
Dem Medium ist danach, loszulachen. Aber damit würde sie seine Gefühle verletzen und doch lässt sich ihr Grinsen nicht aufhalten. Seine epische Rede würde gut zu den fiktiven Geschichten passen, die die beiden Freunde verschlingen, aber in diesem Moment klingt es ein wenig übertrieben. Dennoch ist es süß von ihm, dass er sie aufbauen möchte. Lukas, ein Junge, der schnell in Panik gerät und sich vor Kleinigkeiten fürchtet.
Lukas' Augen verengen sich bei ihrem kecken Lächeln. „Sag mal, machst du dich über mich lustig?"
„Nein", zieht Skyla das Wort unbewusst in die Länge und klingt damit sarkastischer, als wie wollte. „Es ist irgendwie niedlich in Anbetracht der Konfrontation, die uns erwartet."
„Ich schaffe das!"
Seine Worte mögen an sie gerichtet sein und doch klingt es, als motiviere er sich selbst.
Kumpelhaft klopft sie ihm auf die Schulter und setzt den Weg fort.
Versteckt zwischen all der verwilderten Botanik befindet sich ein stillgelegter Bahnhof mit Zugang im Untergrund. Der Eingang ist von unzähligen Graffitis überzogenen und vermüllt. Ungeachtet der Konsequenzen treiben sich auch andere Leute herum. Unwissend von der Gefahr im Erdreich. Auf der Suche nach einem Durchgang in die Tiefe entdeckt Skyla einen ihrer zwei Dämonen. Noch immer kann sie nicht glauben, dass sie mit einem blauen Plüschbären einen Pakt geschlossen hat. Wenigstens passt er zu ihrer Haarfarbe. Ihr Schutzgeist betrachtet die aufgesprühten Kunstwerke mit großem Interesse.
„Kai! Wo ist der Eingang?"
Der kleine Teddybär dreht sich überrascht zu ihr und es folgt ein mahnender Blick von ihrer Seite aus. Vor der Reise nahm sie ihn zur Brust, denn sie ist sein Gesülze leid. Er muss nur den Mund öffnen und schon schmerzen ihr die Ohren. Ihre Unterhaltung hat der Dämon anscheinend nicht vergessen, schließlich belässt er es dabei, indem er mit seinem Plüscharm in die entsprechende Richtung zeigt.
Noch immer hat Lukas seine Bedenken bei der Sache und muss darüber sprechen.
„Bist du dir sicher, dass du das willst? Wenn wir entdeckt werden, gibt es großen Ärger. Alles nur für einen Geist? Du findest sicherlich auch woanders Geister."
Es folgt ein tiefer Seufzer von ihrer Seite. Die letzten Monate waren anstrengend genug und seit Lukas eingeweiht ist, hinterfrag er jedes kleine Detail. Er mag recht haben, schließlich ist Skyla ein Geistermagnet. Die Schemen aus der anderen Welt ruinieren ihren Alltag. Aber die Bedingungen, unentdeckt zu bleiben und sich frei bewegen zu können, bieten sich an solchen menschenleeren Orten an. Sie ist die Erklärungen jedoch satt und möchte zur Tat schreiten.
„Ich gehe da jetzt rein und schnappe mir das Monster. Mit oder ohne dich!"
Ihre bessere Hälfte atmet aus, als habe er es geahnt. Es folgt ein Nicken – unsicher und voller Sorge.
„Also gut. Du gehst nicht ohne mich."
Ihr bester Freund hat sich vorbereitet und holt aus seinen Rucksack eine Kopfkamera hervor mit Leuchte. Skyla will sich gerade abwenden, da bekommt sie das Objekt wie eine Krone aufgesetzt.
„Dort unten wird es dunkel sein. Mit bis zu viertausend Lumen ist dieses Modell..."
„Lukas", unterbricht sie ihn flehend und setzt ein Lächeln auf. „Das ist lieb, aber ich habe keine Ahnung von solch einem Technikkram."
Er blickt jedoch unbeeindruckt. „Dann wird es Zeit, dass sich dies ändert, Skyla."
„Die Technik der Menschen ist manipulierbar und nutzlos in unseren Territorien", meldet sich Kai zu Wort.
Der Dämonenbär hat sich ihnen genähert und allein Lukas wachsamer Blick zeigt, wie ihm ihr Schutzgeist ungeheuerlich ist.
„Anders als ihr Dämonen können wir im Dunkeln nicht sehen", setzt Lukas zum Protest an.
Kai schüttelt amüsiert den Kopf und blickt, als wüsste er es besser. „Stimmt nicht! Eine Weile in der Dunkelheit und eure Augen gewöhnen sich an die Umstände."
„Ohne Licht gehen wir nicht dort runter!"
Ein Machtwort, das der kleine Bär beschmunzelt.
„Wer sagt, dass ich meine Schönheit ohne Licht herunterschicke?"
„Kai!", ruft Skyla warnend. „Ich habe gesagt, lass es!"
„Entschuldigt, aber ich habe eine Lichtquelle bei mir!"
Skyla weiß zu gut, was er bei sich trägt. Nur befürwortet sie das Ganze nicht. Ungeachtet der Tatsache, was sie für das kleine Volk empfindet.
„Keine Fee!"
Beleidigt dreht sich der Dämon mit verschränkten Armen um.
Das Feenvolk mag frech und nervtötend sein, aber dennoch verhält es sich friedlich gegenüber den Menschen. Anders, als das, was im Untergrund haust. Kai unterstreicht ebenfalls seine Bösartigkeit mit der Gefangennahme von unschuldigen Feen. Der Dämon hat Freude daran gefunden, still und heimlich zu experimentieren, bis er auffliegt und Skyla ihm die Ohren lang zieht. Aber es wird nun höchste Zeit, sich mit ihren beiden Dämonen hinzusetzen und klare Regeln aufzustellen. Das Verbot für die Gefangennahme oder das Verspeisen von Feen steht ganz oben auf ihrer Liste. Da Kai seinen Kopf zu ihr dreht und ihr die Zunge rausstreckt, folgt ein weiterer warnender Blick. Ihre Dämonen verhalten sich wie kleine, bockige Kinder, an denen sie noch verzweifelt.
„Also", spricht Lukas seine Freundin mit einer weiteren Stirnlampe in der Hand an. „Ich lasse die Erkundungstour aufnehmen und werte das Videomaterial später aus."
Der Grund dafür ist das Sammeln von Beweismaterial. Die beiden Freunde haben sich lange über die vergangenen Monate unterhalten und planen, ihre Abenteuer zu dokumentieren. Für Leute wie sie, die ins kalte Wasser geschmissen werden, erhofft sich Skyla, in naher Zukunft überlebenswichtige Ratschläge zu verteilen. Gleichzeitig soll das Videomaterial beweisen, in welcher Lage sie steckt und womit sie sich täglich rumschlägt.
Ausgerüstet mit einigen Taschenlampen, Leuchtstäben, Funkgeräten, Seilen und einem Erste- Hilfe-Koffer geht es die Treppen hinauf zum verlassenen Bahnsteig. Lukas ist jemand, der sich für all die Eindrücke Zeit nimmt, während Skyla sich auf den Kampf gegen das Übernatürliche mental wappnet. In ihrer jetzigen Lage sind solche Ausflüge eigentlich nicht drinnen. Grund dafür ist die rundum Überwachung des Ritterordens, der sie als potenzielle Gefahr eingestuft hat. Untätig die Zeit abzusitzen und sich wie ein Feigling zu verkriechen, ist jedoch nicht ihre Art. Ihre Schutzgeister gehen in ihrer Abwesenheit auf Jagd nach Geister und Dämonen, während sie die Rolle eines gewöhnlichen Mädchens spielt. Aus Jägern wurden Kai und Agnar an diesem Ort zur Beute. Was, auch immer in den Tiefen schlummert, verhält sich extrem aggressiv und überfordert Skylas Partner.
„Agnar wartet bereits unten auf uns", bringt der Dämonenbär Skylas Gedankenblase zum Platzen.
Sie betrachtet Kai nachdenklich und fordert mehr Fakten: „Erzähl mir von dem Wesen."
Ihr Schutzgeist lehnt sich gegen eine der vielen Säulen und blickt auf den zugewucherten Bereich, der sie umgibt. Unvorstellbar, aber auf den Bahnsteigen standen einmal Menschen und haben auf die Zugverbindungen gewartet. Es ist ein seltsames Gefühl an diesen verlassenen Ort zu wandern. Ein Platz, der damals belebt war.
„Ich denke, es ist ein Art Dämon."
„Du denkst?" Skyla belächelt den Gedanken spöttisch. „Kai! Sollte das stimmen, ist das ein Artgenosse von dir. Solltest du deine eigene Art nicht erkennen?"
Der Bär macht ein nachdenkliches Gesicht. „Ich bin mir nicht sicher, meine Schönheit. Ein Geist kann es nicht sein, denn die fressen keine Menschen. Es gibt zwar Geisterparasiten, aber das ist ein ganz anderes Kaliber."
Der Gedanke an einen Geisterparasiten ruft Ekel hervor. Was ihr Dämon zum Glück nicht zur Kenntnis nimmt, schließlich fährt er in aller Ruhe fort. Mit dem Blick stur auf das Gestrüpp gerichtet.
„Es weiß, wie es spielt und bewegt sich durch Schächte. Agnar und ich sind auf eine der Futterstellen gestoßen. Dort lag Fleisch und Knochen in sämtlichen Verwesungsstadien."
„Nichts für Lukas", versichert sie ihm.
Beunruhigend ist die Stille, dabei würde Lukas sich beschweren oder gar widersprechen. Daher dreht sie sich überrascht um. Mit klopfenden Herzen stellt sie fest, dass ihr bester Freund verschwunden ist. In einem gefährlichen Territorium. Panik und Sorge beginnen zu keimen. Auf ihre Rufe reagiert er nicht und so begibt sich Skyla beunruhigt auf die Suche nach dem Verschollenen.
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