41. Kapitel
Die Finsternis wird von einem hellen Lichtstrahl gebrochen. Skylas Vater leuchtet sich den Weg hinunter. Überrascht dreht sich Skyla zur Unordnung und noch bevor der Gedanke zu Ende gedacht ist, kribbeln ihre Finger. Mit nur wenig Konzentration steuert Skyla das Regal aus der Ferne. Sie richtet es auf und schickt es an die gewünschte Stelle. So viele herumliegende Gegenstände wie möglich lässt sie ins Regal schweben, während sie zu den Konserven und Einmachgläsern geht. Omas Ordnung ist ihr bereits bekannt, deshalb ist der Rotkohl auch in Windeseile gefunden. Sie schnappt sich einen Korb, der auf dem Boden liegt und befüllt diesen mit zwei Gläsern Rotkohl. Dabei lauscht Skyla den nähernden Schritten ihres Vaters. Dieser schreitet an ihr vorbei und tritt dabei gegen eine Packung Waschmittel. Skyla hofft, dass sie nicht allzu viel in der Dunkelheit übersehen hat. Fluchend hebt ihr Vater die große Verpackung auf und legt diese ahnungslos ins Regal zurück.
„Vergiss die sauren Gurken nicht, Mary wartet bereits schon ungeduldig. Man sollte eine Schwangere besser nicht warten lassen. Ich sehe mal nach dem Verteiler", spricht er seine Tochter an und lächelt am Ende wissend.
Skyla weiß nicht, ob sie ihn allein lassen sollte, also schlägt sie vor: „Ich kann dir helfen. Ich leuchte auf den Stromkasten, so kannst du dich in aller Ruhe um das Problem kümmern."
„Meinetwegen."
Ihr Vater greift an Skyla vorbei und legt ihr die sauren Gurken in den Korb. Schließlich folgt sie ihrem Vater zum Verteilerkasten, er reicht ihr die Taschenlampe, die sie in Gedanken entgegennimmt. Wachsam gleitet der Blick umher, während sie ihrem Vater Licht spendet. Skyla hält Ausschau nach Bewegungen in der Dunkelheit oder vertrauten Umrissen, die sie dem Geist zuordnen kann. Zum Glück kommt es zu keinen Komplikationen und der Strom ist schnell wieder eingeschaltet. In dem Moment, als das Licht im Keller einschaltet, erfasst sie den schwarzen Geist. Direkt hinter ihrem Vater. Das Wesen blickt sie hasserfüllt hinab. Fast als verfluche das paranormale Wesen den Mann, der es wagt ihren Tanz zu unterbrechen.
Mit angehaltenem Atem wappnet sich Skyla zum Gegenschlag. Zum Schutz ihres Vaters plant sie den ersten Zug. Ihr Vater ist unschuldig. Sorglos und behütet soll er in seiner Blase des Glücks leben. Fern von der Dunkelheit, die immer wieder nach ihr greift. Der kalte Blick fällt von ihrem Vater und analysiert sicherlich ihr Verhalten, denn es bevorzugt den Rückzug. In nur einem Bruchteil einer Sekunde verpufft das Wesen. Aber nun endlich erblickte Skyla den weißen Handabdruck auf der Brust. Eine kleine Motivation für ihre Moral. Das Adrenalin fällt in dem Moment, als sie ausatmet. Ein Blick auf ihren Herrn Vater und die Sorge um sein Wohl steigt. Er muss schnellstens fort. Raus aus der Arena. Bevor er zu ihrer Schwäche wird. Ihr Gegenspieler weist eine hohe Intelligenz auf. Er ist beherrscht und denkt strategisch, daher wird es nur eine Frage der Zeit sein, wann der Geist seinen Vorteil erkennt.
Der Kampf, das abklingende Adrenalin und auch das Wirken ihrer Macht sind Faktoren, die ihre Verfassung beeinflussen. Solch eine Nähe zu einem paranormalen Bewohner mit solch einer erhöhten Aggressivität hinterlässt Spuren, selbst für Skyla. Dem Medium wird bereits schwummrig und ihre Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Es ist ein Wunder, dass Skyla noch steht. Der Schweiß perlt von ihrer Stirn und die Sicht verschwimmt. Wenn auch nur kurz. Ein Zustand, der ihrem Vater nicht verborgen bleibt. Kaum schaltet er die Taschenlampe aus, betrachtet er seine Tochter mit runzelnder Stirn.
„Vielleicht hat deine Oma Recht, du wirkst mitgenommen. Ich beneide dich für deine Berufung nicht, Kind. Den ganzen Tag auf den Beinen stehen und den Kochlöffel zu schwingen. Gönnst du dir genug Ruhe nach der Arbeit?"
„Ich denke schon."
Ihre Stimme hat an Kraft verloren. Ihr fehlt der Atem und die Welt dreht sich noch immer.
„Du solltest heute vielleicht mal früher ins Bett gehen und dich ordentlich ausschlafen."
Lachhaft! Ihre Eltern sind morgens so laut wie eine Horde spielender Kinder.
„Lasst ihr mich auch ausschlafen?"
Ihr Vater lächelt amüsiert. „Ich kann nichts versprechen."
Das ahnte sie bereits. Vielleicht sollte sie Thomas um eine Übernachtung bitten. Er und sein Sohn nehmen wenigstens Rücksicht auf sie und lassen sie selbst bis in den Nachmittag ausschlafen. Das Verwöhnen wie bei einem Sternehotel ist nur der schöne Bonus oben drauf.
Gemeinsam begeben sich Vater und Tochter hinauf. Eine einfache Unterhaltung über ihre Ausbildung lässt Skyla die Gefahr vergessen. Fast sorglos trottet sie hinter ihrem Vater her und berichtet ihm, wann die Prüfungen stattfinden und welche Thematiken sie vermutet.
Aber unterwegs zum Wohnzimmer provoziert der Geist Skyla, indem er einige Bilderrahmen hinunterschmeißt. Dabei gehen zwei zu Bruch. Ihr Vater stoppt und sieht sich den Schaden an.
„Oh, Skyla! Pass doch gefälligst auf! Deine Oma ...", er spricht zwar weiter und doch gehört Skylas Aufmerksamkeit dem Geist, der ein Stück weit neben ihnen auftaucht.
Das Medium folgt dem Blick des Geistes und muss schlucken. Über ihnen befindet sich eine alte Deckenleuchte, diese beginnt gefährlich zu wackeln. Ihr alter Herr hat wahrlich die Ruhe weg, denn er schwelgt in alten Erinnerungen. Zu Skylas Bedauern ein altes Kindheitsfoto von ihr. Eine Version mit langen Haaren, das von Mama Kacie zu niedlichen Zöpfen gebunden ist. Es reicht, um ihren Vater abzulenken. Denn Skyla stemmt ihre Hände bereits in die Höhe, um das Unglück abzufangen. Aber zu ihrer Erleichterung zerspringt nur die Glühbirne. Schnell handelt Skyla und lenkt die Scherben fern von ihnen, sodass die Splitter ein Stück weiter zu Boden fallen. Wäre dieses schwere Teil hinuntergefallen, könnte es als Mordwaffe durchgehen.
Ihr Vater schreckt verspätet auf und blickt zuerst auf die kaputte Lampe, bis er die Scherben neben ihnen entdeckt. Skyla hat ihre Arme zwar wieder gesenkt, aber der Schwindel kickt erneut. Telekinese erfordert unfassbar viel Konzentration und Energie. Ein Schwachpunkt bei ihrem dauerhaft niedrigen Akkustand, den sie nicht mal durch ausreichend Schlaf richtig aufstocken kann.
„Was für ein Tag!", ärgert er sich leise und bringt seine Tochter sogar damit zum Lächeln, denn sie teilt seine Ansicht und verflucht ihr verbissenes Pech. „Fegst du bitte die Scherben auf. Ich hole eine neue Glühbirne und die Leiter."
Während ihr Vater die eine Richtung einschlägt, steuert Skylas erst mal das Wohnzimmer an. Immerhin trägt sie Einmachgläser mit sich und bei solch einem polternden Geist möchte sie die zerbrechliche Ware erst mal loswerden. Skyla kommt jedoch nur wenige Schritte voran, als der nächste Angriff folgt. Von der Seite erfasst sie ein Geschoss und schützt sich mit den Armen. Nichts Scharfkantiges und doch größer als sie annahm. Dank ihrer Arme bleibt der Kopf geschützt und der Aufprall schmerzt weniger als gedacht. Sie schaut wenige Momente später auf einen Besen und ein Kehrblech vor ihren Füßen liegend. Ein Blick hinauf zu dem Geist gut zehn Schritte von ihr entfernt und schon steigt ihr die Zornesröte ins Gesicht, anscheinend amüsiert sich ihr Geist köstlich. Denn er grinst sie so dämlich an, dass bei ihr alle Sicherungen durchbrennen. Dadurch, dass er nicht spricht, geben seine Aktionen viel Spielraum zur Spekulation. Eine nette Geste, ihr die Suche nach dem Putzzeug zu ersparen, ist ausgeschlossen. Wer weiß, wie alt das Wesen ist. Ob die Kreatur aus einer Zeit entspringt, wo Frauen für die Erziehung und dem Haushalt zuständig waren, lässt sich schwer sagen. Aber Skyla sieht reine Provokation in dieser Handlung. Eine Botschaft wie: Putz lieber, denn für die Geisterjagd bist du zu blöd. Oder: Hier fege mir lieber hinterher, damit du denn ganzen Tag nicht doof rumstehst!
Da Skyla über den Besen steigt und erst mal den Korb loswerden will, schiebt der Geist mit einer einfachen Handbewegung eine Kommode vor die Tür zum Wohnzimmer.
„Dein Ernst? Na warte!", platzt der Frust aus dem Medium.
Jetzt reicht es mir!
Skyla legt den Korb nieder und lächelt verräterisch. Das Wesen unterschätzt sie. Justins hartes Training lässt solch ein Hindernis lächerlich aussehen. Wie ein Stier stürmt sie voran zum Geist. Mit einem geschmeidigen Sprung über die Kommode. Kaum landet die sonst so sportfaule Skyla auf ihren Beinen, muss sie sich sofort schützen. Schuld ist ein Spiegel, der neben ihr zerspringt. Dank ihrer Fähigkeit bleiben die messerscharfen Scherben in der Luft schweben. Mit angehaltenem Atem blickt Skyla auf das Geschehen. Wäre sie kein Medium, dann hätte dies sicherlich ihren Tod bedeutet. Die Scherben wollten sie gnadenlos aufspießen. Skylas Konzentration schwindet schlagartig, als sie den Geist lachen hört. Damit endet der Zauber und die Scherben fallen zu Boden, wo sie in noch kleinere Bestandteile zerfallen.
Die Tür des Wohnzimmers stößt nun gegen die Kommode und mit ein wenig Kraftaufwand wird das Möbelstück mit der Tür weggeschoben.
„Was ist denn hier los?"
Daniel betrachtet überrascht das Chaos, während Skyla nach dem verschwundenen Geist Ausschau hält. Doch der ist weg. Fürs Erste. Skyla springt erneut über die Kommode, um sich den Korb zurückzuholen. Gerade, als sie sich hinunterbeugt, bewegt sich dieser ein gutes Stück von ihr fern, als hätte dieser Beine bekommen. Frustriert bläst Skyla ihre Wangen auf und gönnt sich einen kurzen Atemzug. Dieses Spiel wird ihr zu doof, daher holt sie sich die Trage mit ihrer Fähigkeit zurück. Daniel rückt währenddessen die Garderobe an Ort und Stelle.
Skyla sieht Ramonas Schwarm all die Fragen an. Doch dafür gibt sie ihm keine Gelegenheit, denn sie drückt ihm den Korb in die Hand und bittet ihn: „Bringe das bitte in die Küche, ich fege hier mal die Scherben auf."
Daniel nickt zögernd, schließlich kehrt er wie gewünscht ins Wohnzimmer zurück. Damit ist der nächste Störenfried fort. Skyla wischt sich den Schweiß von der Stirn und will sich fokussieren. Aber gerade, als sie sich umdreht, klatscht ihr der Besenstil ins Gesicht und nun hört sie auch noch Kai lachen, der auf den Treppenstufen zur oberen Etage sitzt und sie durch das Gitter beobachtet. Skyla brummt und sieht wieder rot. Sie kann nur hoffen, dass ihre Schutzgeister nicht Freude an ihrem Leid gefunden haben und für die Aktion zuständig sind. Es würde zu ihnen passen. Aber Tessas Stalker legt ebenfalls ein kindisches Verhalten an den Tag. Daher passt die Aktion auch gut zu dem Geist. Schwer zu sagen und doch hat Skyla allmählich die Schnauze voll!
„Kai! Agnar! Killt dieses Vieh! Fresst ihn meinetwegen! Aber kümmert euch um diesen scheiß Geist!", befiehlt sie zähneknirschend. Ungeachtet, ob ihre Familie sie hört oder nicht, denn es ist ihr gerade völlig egal.
Sie beobachtet genervt, wie Kai die Treppen hinunterhüpft und sich kichernd auf die Suche macht. Schließlich fegt sie schnaubend die Scherben auf. Eine Arbeit, die ihre Nerven beruhigt und wofür sich Skyla absichtlich mehr Zeit nimmt.
Als die Bruchstücke der Glühbirne alle im Kehrblech gelandet sind, erblickt Skyla in einem weiteren kleinen Spiegel den schwarzen Geist, der hinter ihr steht. Sein Pech, dass sein nächster Streich auffliegt. Voller Tatendrang dreht sie sich um. Mit dem Ziel, dem Geist noch einmal zu schaden. Doch der Geist ist bereits verschwunden. Die Luft entweicht ihr zischend. Die Zornesader schwillt an. Tessas Stalker macht sie wahnsinnig! All die mit Mühe und Not aufgebaute Beherrschung ist sofort dahin. Brummend blickt sie zurück in den verräterischen Spiegel und es liegen eine Reihe Beschimpfungen auf ihrer Zunge. Doch in dem verfluchten Portal steht er wieder hinter ihr.
Machtvoll und unterschätzt, dabei sind Spiegel Portale in andere Welten. Ein wichtiges Verbindungsstück.
Das Buch der Hexe Pari erwähnte es bereits. Spiegel sind Portale. Portale, die sich Hexen und auch andere Energien zu Nutze machen. So auch der Geist. Teuflisch böse breitet sich Skylas Grinsen aus. Wenn ihr Gegenspieler auf solch fiese Tricks zurückgreift, dann auch sie. Also greift das Medium langsam und unauffällig hinter sich, ohne sich dabei umzudrehen. Ihre Finger legen sich um den knochigen Arm. Eine Berührung mit fatalen Auswirkungen. Zuerst verzieht sich das Gesicht des Geistes vor Entsetzen und schon öffnet sich der Mund zum Schrei. Laut und gequält. Die Macht eines Mediums unterschätzt und vernichtend! In Gefangenschaft und somit wehrlos! Skyla dreht sich ruckartig um. Gefasst, dem Grauen ins Gesicht zu blicken. Ein kurzer Blickkontakt, bevor ihre freie Hand auf seiner Stirn landet, als würde sie seine Temperatur erfühlen wollen. Doch läutern will sie die Boshaftigkeit. Sämtliches Leben aus der Hülle brennen. Gleißenden Licht dringt durch sämtliche Öffnungen. So hell, dass Skyla ihre Augen zukneifen muss. Die Kälte des Toten schwindet und Hitze macht sich um sie herum breit.
Unter der vernarbten Haut beginnt es zu kochen. Blasen dehnen die zähe Lederhaut und drohen zu platzen. Schaum wie bei der Tollwut dringt aus dem Maul ihres Gegenübers. Immer mehr, als würde eine Waschmaschine auslaufen. Teerartige Geisterspeichel trifft Skyla im Gesicht. Kochend heiß. Zischend und angewidert löst sie sich und noch während ihres Vorhabens, ihr Gesicht von der klebrigen Masse zu reinigen, wird sie mit der nächsten Erinnerung konfrontiert.
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