38. Kapitel
Die letzten Sekunden, bis Lukas im Haus verschwindet, ziehen sich wie Kaugummi. Es brennen Skyla so viele Fragen auf der Zunge, sodass die Worte aus ihr heraussprudeln: „Was war das für ein Ding? Und wie lange siehst du es schon? Ist es nur diese eine Kreatur oder sind da noch andere? Was..."
„Wow!", unterbricht Tessa sie überfordert. „Würdest du bitte einfach mal deinen Mund zu machen und dich beruhigen."
Skyla blickt erbost auf, schließlich ist diese Kreatur gefährlich. „Spinnst du! Es ist gewalttätig! Während wir hier quatschen, könnte es unser Familie schaden!"
„Nein! Nein, tut es eigentlich nicht!", widerspricht Tessa erzürnt, während sie Skyla nachdenklich betrachtet. „Bislang hat es so etwas noch nie gemacht. Es macht nur mir Angst."
Skyla seufzt laut, das beweist mal wieder, dass die Anwesenheit eines Mediums ein störender Faktor für die paranormalen Bewohner ist. Sicherlich betrachten sie Skyla deshalb als Bedrohung, weil sie das zu sehen bekommt, was für die Menschen im Verborgenen liegt. Skylas Dasein könnte die Jagd vermasseln, da sie die Beute beeinflussen kann.
„Wie lange verfolgt es dich?", interessiert es Skyla und fühlt sich schon fast wie eine Polizistin für eine nichtexistierende Abteilung der Paranormalen Verbrechen.
Tessa zögert mit ihrer Antwort, stattdessen runzelt sie mit der Stirn.
„Warum sollte das eine Rolle spielen?"
Skyla lächelt verzweifelt und wenn sie nervös wird, dann wedelt sie gerne hektisch mit den Armen. „Naja, du weißt schon. Die ganzen Horrorstreifen lehren uns doch, dass sich Geister von Angst ernähren und die Zeit, seit wann sie einem verfolgen, spielt da eine ganz große Rolle."
Tessas Misstrauen wird größer, das allein erkennt Skyla an ihrem Blick und die Falten.
„Horror hat dich noch nie gefesselt, Skyla. Du bist eher ein Fantasieliebhaber."
Überrascht legt das Medium ihren Kopf schief und blinzelt verwundert.
„Du hast dich nie wirklich mit mir beschäftigt", wirft Skyla nun ein, „und jetzt tust du so, als ob du mich kennen würdest."
Tessa hebt abwehrend die Hände. „Naja, dein Zimmer allein gibt so viel über dich preis und dein öffentliches Profil ebenfalls. Behaupte nicht, dass ich mich nicht für die Familie interessiere, es ist nur, dass ich deinesgleichen meide. Du verhältst dich rebellisch. Ich meine deine blauen Haare sind allein schon punky, hinzukommt deine aggressive Art."
„Aggressiv?", wiederholt Skyla überrascht.
Ausgerechnet in diesem Moment erinnert sich Skyla an den Moment, wo sie nach Milan mit ihrer Tasche ausschlägt oder ihn mit Kai bewirft. Ein glückliches Lächeln huscht ihr über die Lippen, woraufhin Tessa sich auffällig räuspert.
Nun dreht ihre Cousine den Spieß um: „Sag mir, was weißt du über mich, Skyla?"
Skyla muss sich auf die Zunge beißen, um nicht direkt beleidigend zu werden.
„Naja, du legst viel Wert auf das Auftreten, bist sehr sorgfältig, gut erzogen und gebildet."
In Gedanken fügt sie still hinzu: „Und die größte Spaßbremse, der ich je begegnet bin."
Tessa wirkt überrascht. „Oh sieh an, ich hatte geglaubt, dir würde nichts einfallen."
Skyla ist dieses Gespräch leid und bittet: „Also kommen wir doch zurück auf dieses Wesen."
„Wozu?" Tessa lächelt wieder krankhaft. „Du kannst nichts dagegen ausrichten."
Und ob!
Dennoch beginnt Skyla mit einem Denkanstoß: „Tja, Tessa. Anscheinend bist du nicht mehr allein betroffen."
„Ich hoffe, es springt auf dich über!", grummelt Tessa, bis ihr klar wird, was sie da von sich gegeben hat.
Schockiert legt sie ihre Hand auf ihren geöffneten Mund, während Skyla sie böse anblinzelt.
„Danke, ich habe verstanden!"
„Diese Kreatur hat mein Leben zerstört, Skyla! Ich kann mich nicht mal mehr auf meinen Alltag konzentrieren! Ich will nicht mal mehr morgens aus dem Bett aufstehen! Meine Eltern sind ratlos mit mir und verstehen nicht, was mir so eine Heidenangst macht. Es heißt immer, ich sei eifersüchtig auf das Baby! Aber sie irren sich! Ich bin so kurz davor, meine Taschen zu packen und einfach zu verschwinden!", gesteht Tessa ihre Gefühle.
Ihre Maske fällt, aber Tessa handelt schnell und richtet diese. Der verzweifelte Gesichtsausdruck schwindet und die wunderschöne Dame streckt ihren Rücken durch und überspielt ihre wahren Gefühle mit einem hochnäsigen Ausdruck. Denn für gewöhnlich erlaubt sich Miss Perfekt keine Rückschläge. Momente der Schwäche werden überspielt. Schließlich ist Tessa das erfolgreiche Aushängeschild für die Familie.
„Ich verstehe." Skyla nickt verständnisvoll, woraufhin Tessa überrascht den Augenkontakt sucht. „Was hast du dagegen unternommen?"
„Unternommen?", wiederholt ihre Cousine verwundert. „Mehr als die Flucht ergriffen habe ich nicht. Die Polizei hätte mir nicht geglaubt und an wen hätte ich mich wenden sollen?"
„An Geisterjäger", rutscht es Skyla leise über die Lippen.
Laut genug, damit Tessa es mitbekommt. Ihre Cousine betrachtet sie kurz stumm, bevor sie enttäuscht den Kopf schüttelt.
„Natürlich, Skyla! Weil solche Leute ja auch vom Himmel fallen! Bist du bescheuert? Geisterjäger! Das sind nur hobbylose Leute, die behaupten helfen zu können, nur um einen Geist filmen zu können und sich beim Dreh in die Hosen machen!"
„Du irrst dich!", widerspricht Skyla mit einem Funken Zorn.
Tessa schnaubt spöttisch. „Bitte?"
„Spotte nicht über die Geisterjäger! Denn diese Leute setzten ihr Leben aufs Spiel, um anderen zu helfen!"
Wieder folgt diese kaum auszuhaltende Stille zwischen den beiden und Skyla gibt sich wirklich Mühe, ihrer Cousine entschlossen in die Augen zu blicken.
Dann bricht Tessa das Schweigen mit einer kleinen Erzählung: „Tante Kacie hatte vor einigen Wochen angerufen. Sie war ganz außer sich. Sie und meine Mom haben sich schon immer gut verstanden und Tante Kacie war besorgt um dich, Skyla. Deine Mutter behauptete, du wärest an die falschen Leute geraten und in Ärger verwickelt. Der Verdacht, dass du Drogen nimmst lag auf dem Tisch, aber du hast dies abgestritten. Tante Kacie hat einige Tage dein Zimmer immer wieder aufs Neue durchsucht und war erleichtert, keine Drogen gefunden zu haben. Sie glaubt dir und doch sollst du dich seltsam verhalten."
Erschüttert über die Nachricht blickt Skyla zum Fenster. Sie sucht gezielt ihre Mutter, die sich mit Tante Mary unterhält.
Wie konnte Mama mir misstrauen und mein Zimmer nach Drogen absuchen?
Dieser Vertrauensbruch kränkt Skyla mehr als gedacht. Es verschlägt ihr die Sprache und das Herz wird unfassbar schwer.
Tessa seufzt laut. „Sieh an, du wusstest davon nichts."
„Nein, ich war mir so sicher, dass sie mir glauben."
„Meine Mom möchte, dass ich dir unter die Arme greife. Also in der Küche."
Überrascht betrachtet Skyla ihre Cousine. „Geht das für dich in Ordnung?"
Tessa schnaubt verächtlich. „Mir bleibt keine andere Wahl."
„Wie stellst du dir das vor? Hast du viel Erfahrung in der Küche?"
Neugierig wartet Skyla auf Tessas Antwort, die plötzlich etwas eingeschnappt wirkt.
„Stelle dir vor, Skyla, auch ich koche hin und wieder."
Schwer vorstellbar. Als hätte Madame die Zeit dafür.
„Willst du dich um den Salat kümmern?"
„Setze mich so ein, wo du mich brauchst", bleibt Tessa anspruchslos.
Skyla nickt zufrieden und bringt ein aufrichtiges „Danke" über ihre Lippen, woraufhin Tessas Augen sich weiten.
Creepy. Ich weiß. Wann war unsere Unterhaltung jemals so entspannt gewesen?
„Also was ist das zwischen dir und Lukas?"
„Er ist mein bester Freund und irgendwie ist es kompliziert", gesteht Skyla erschöpft.
„Kompliziert?", hakt Tessa interessiert nach.
Skyla legt den Kopf schief und lässt die Schultern hängen. „Naja, anscheinend ist er schon eine ganze Weile in mich verschossen. Aber er ist mir viel zu wichtig. Ich möchte diese wundervolle Freundschaft nicht für eine Beziehung zerstören."
Tessa nickt verständnisvoll, bevor sie sich dazu äußert. „Kannst du dir eine Beziehung nicht mit ihm vorstellen?"
„Ich weiß nicht", bringt Skyla quälend langsam über die Lippen. „Ich habe nie darüber nachgedacht."
Ihre Cousine trifft den Nagel auf dem Kopf: „Liebst du jemand anderen?"
Skyla schweigt, seufzt und kratzt sich nervös am Kopf. Tessa starrt sie überrascht an.
„Also ja? Weiß Lukas von ihm?"
„Lukas ist nicht gut auf die Person zu sprechen."
Tessa lächelt amüsiert. „Wow. Zwei Kerle. Ich beneide dich. Bist du mit dem anderen Kerl zusammen oder ist deine Liebe unerwidert?"
„Es ist kompliziert."
„Noch komplizierter als mit Lukas?"
Skyla nickt müde. „Ja."
„Interessant", grübelt Tessa. „Sollen wir rein, bevor unsere Gäste verhungern?"
„Ja, das wäre wohl besser", stimmt Skyla ihr zu und begibt sich gemeinsam mit Tessa zur Tür.
Im Wohnzimmer werden die beiden Mädels erwartungsvoll angestarrt.
Etwas landet auf ihrer Schulter und dann wird Skyla auch noch gefragt: „Geht es dir gut?"
„Ja", antwortet Skyla geschlaucht. Ihr Kopf arbeitet einige Sekunden zu lange, denn diese Stimme kam nicht von ihrem Onkel, sondern von Agnar.
Das große Geschrei ist vorprogrammiert, denn Agnar sitzt auf ihrer Schulter. Flink springt er hinab, als ihr Onkel Hendrik zum Schlag ausholen will. Nun trifft Hendriks Hand seine Nichte. Im Vergleich zu Justins Kraft ein schwacher Windzug. Lachhaft. Und doch zeigt ihr Onkel im selben Moment Reue. Seine lange Kette an Entschuldigungen ignoriert Skyla gekonnt, schließlich sucht sie nach Agnar. Ihr Spinnendämon ist schlau und verkriecht sich unter der Couch. Ramona und Corinna stehen bereits kreischend auf dieser, während Daniel sich mit seinem Handy auf die Suche macht.
„Hast du die gesehen? Die ist ja mal krass", schwärmt er.
„Töte sie, Daniel!", fordert Ramona schroff.
Als Mama Kacie Omas Staubsauger organisiert, muss Skyla handeln.
„Leute! Das ist nur eine Spinne! Hört doch bitte auf, so laut zu sein!"
Aber Tante Corinna reagiert wie eine Furie auf ihren gescheiterten Versuch, Ruhe und Ordnung ins Chaos zu bringen. „Nur eine Spinne? Du hast das Biest doch gesehen? Es ist verdammt groß und so pelzig!"
Bevor sich Skyla überhaupt dazu äußern kann, packt ihre Oma sie am Ohr und zieht sie hinaus in den Flur. So etwas hat ihre Oma noch nie mit ihr gemacht und das bereitet ihr Sorge. Enkelin und Oma bleiben kurz stehen und nun erntet sie einen finsteren Blick von ihrer Großmutter. Ihre Entführerin öffnet die Schlafzimmertür und winkt sie herein. Skyla folgt ihrer Aufforderung mit Unbehagen.
„Entschuldige wegen dem Tisch."
Oma Ulrike winkt genervt ab. Für sie scheint etwas anders Vorrang zu haben. Hoffentlich hat es nicht mit Tessa zu tun, denn dafür hat Skyla nicht den Kopf frei.
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