35. Kapitel
Das alte Backsteinhaus ihrer geliebten Oma weckt in Skyla viele glückliche Erinnerung. Skyla hatte immer ein gutes Verhältnis zu ihren Großeltern. Von ihnen lernte sie selbständiges Arbeiten, Struktur und Freude am Leben. An jenen Ort wurde gelacht, gealbert, geholfen und viel gespielt. Neben den vielen Gesellschaftsspielen, wurde auf Leinwänden gemalt und der Garten war ein kleiner Erlebnispark. Mit den kleinen Aufgaben bei der Gartenarbeit verbrachte Skyla überwiegend ihre Zeit an der frischen Luft. Im Baumhaus oder auf der Reifenschaukel am großen Apfelbaum. All die vergangenen Fragmente berühren Skylas Herz aufs Neue. Immer dann, wenn sie über Oma Ulrikes Türschwelle tritt, empfängt sie eine warme Herzlichkeit. Eine liebevolle Umarmung, auf physischer sowohl auch auf spiritueller Ebene.
Auf den dunklen Möbeln befinden zu jeder Jahreszeit saisonale Blumen. Auch im Winter. Am heutigen Tag blüht die rote Amaryllis besonders kräftig und erobert im Sturm Skylas Herz. Zwischen Eukalyptus und Currykraut versteckt sich ein Exot. Am Stängel der unbekannten Pflanze springt eine große Blütenpracht den Betrachter ins Auge. Die beharrten, weißen Röhrenblüten wirken unfassbar flauschig. Skyla juckt es in den Fingern, die Flauschigkeit zu überprüfen. Oma Ulrike nähert sich und entdeckt Skylas Fund.
„Deine Tante Mary hat mir Känguruhpfote mitgebracht. Sieht interessant aus oder?"
Skylas Mundwinkel heben sich, denn es klingt so absurd. „Känguruhpfote?"
Ein Nicken seitens der alten Dame und sie streicht über die Blüte. „Sieht doch danach aus oder?"
Ihre Enkelin inspiriert die Pflanze sorgfältig. „Mit ein wenig Fantasie schon."
„Ach, Kind! Gerade dir sollte es an Fantasie nicht mangeln."
Kaum ausgesprochen nutzt ihre Oma den Moment, um Skyla noch mal herzlich zu drücken. Schließlich nimmt sie Skylas Gesicht in ihre Hände und begutachtet sie eingehend.
„Du bist mager, mein Schatz. Isst du denn auch genug?"
„Sei unbesorgt, Oma. Mir geht es gut."
Die Augen ihrer Oma werden schmal. Beleidigt hebt sie ihren knochigen Finger. „Kind! Du sollst mich nicht belügen! Du siehst geschafft aus. Ich sehe doch, etwas nagt an dir."
Skyla lächelt nervös und ärgert sich: „Dir kann man auch nichts vormachen."
„Du weißt doch, dass du deine liebe Oma jederzeit anrufen kannst. Ärgern dich die Jungs?"
Ihre Enkelin gibt einem amüsierten Laut von sich. „Nein, Oma. Die Jungen in meiner Klasse ärgern mich nicht."
„Diese zwei Azubis, was ist mit denen?"
Natürlich weiß Oma Ulrike über Julian und Dominik Bescheid und allein ihre Erwähnung lässt Skylas laut seufzen.
„Oh, Oma. Sie treiben mich in den Wahnsinn."
„Also sind es doch Jungs, die dich ärgern." Ihre Oma übernimmt die Führung zum Wohnzimmer. „Ziehe ihnen die Ohren lang, Skyla. Lass dir nichts bieten."
Skylas Vater schließt sich der Gruppe an und mischt sich sogar ein: „Mutter! Weißt du eigentlich, was du meiner Tochter da rätst?"
„Finn, mein Junge. Deine Tochter darf sich nicht alles gefallen lassen. Siehe dir dein Kind doch mal an, etwas belastet sie."
Skyla betrachtet ihren Vater warnend. „Mir geht es gut!"
„Du hast sie gehört, Mutter."
Oma Ulrike stoppt und äußert sich kopfschüttelnd dazu: „Du bist blind, Finn."
Die Süße der Vanille liegt so stark in der Luft, dass Skyla allein beim Duft die Lieblingskekse ihre Oma erschmecken kann und das Gespräch zwischen Mutter und Sohn ausblendet. Winterliche Aromen an die unverwechselbaren Vanillekipferl, die nur bei Oma Ulrike so gut schmecken, verwöhnen Skylas Sinne. Umso stolzer macht es Skyla, als Empfänger für das Familienrezept auserwählt worden zu seine.
Vanillekipferl
Zutaten
125 g Mehl
50 g blanchierte Mandeln gemahlen
40 g Zucker
1 Päckchen Bourbon-Vanillezucker
100 g Butter
Außerdem
125 g Puderzucker
1 Päckchen Vanillezucker
Das Mark einer Vanilleschote
Zubereitung:
Mehl in eine Schüssel sieben. Mandeln, Zucker und Vanillezucker untermischen. Butter in kleinen Mengen hinzugeben und zu einem kompakten Teig kneten. Geformt zu einer großen Rolle und in Frischhaltefolie gehüllt geht es für 1 Stunde in den Kühlschrank.
Danach dünne Scheiben von der Rolle schneiden und zu kleinen Rollen formen. Die beiden Enden der kleinen Rollen dabei spitz formen, sodass die typische Mondform entsteht.
Mit etwas Abstand zueinander auf ein Blech für 30 Minuten im Kühlschrank kühlen, so wird verhindert, dass Kipferl zerfließen. In den vorgeheizten Backofen auf 180 Grad Ober- und Unterhitze (Umluft 160 Grad) für 10-12 Minuten. Die Spitzen sollten sich leicht bräunlich färben. Nur kurz auskühlen lassen. In einer kleinen Schüssel Puderzucker mit Vanillezucker mischen, eintauchen und servieren.
Ein Rezept, das Lukas und seinem Vater viel Freude bereitet hat. Bislang konnten sich die beiden immer auf ihre selbstgemachten Kekse freuen, bis die Ausbildung anfing und Skyla die Zeit fehlte... Der Gedanke daran nimmt ihr kurz das Lächeln, schließlich verwöhnen die beiden sie bei jeder Möglichkeit. Heute haben sich beide als Helfer angeboten, dabei wäre es die Gelegenheit, die beiden zu verwöhnen. Kaum tritt Skyla ins lichtdurchflutete Wohnzimmer ein, sind ihre Sorgen kurz vergessen. Der riesige Raum mit einer offenen Küche und großen Ölmalereien an den Wänden lässt ihr Herz höher schlagen. Opas Gemälde von friedlichen Landschaften, Blumensträußen und von jüngeren Versionen seiner Ehefrau. Die Liebe und Faszination steht dabei im Vordergrund und zeigt die Leidenschaft zu ihrer gemeinsamen blühenden Oase. Ein Blick zum langen Esstisch und Skyla erinnert sich an die vielen Brettspiele. An das Lächeln ihres Großvaters, wenn er bei seinen Albernheiten strahlte und die Lachfalten ihn umso sympathischer machten. Letztes Jahr saß gemeinsam mit ihrer Oma an jenen Tisch beim Adventskranz und half beim Gestalten. All die positiven Erinnerungen bestärken Skyla. Sie kann nicht anders, als mit den Fingern über die Tischplatte zu streichen und in der Vergangenheit zu schwelgen. Es ist ein schönes Gefühl nach langer Zeit wieder hier zu sein.
„Dein Lächeln ist zuckersüß, Skyla", spricht Lukas sie an.
„Ich bin gern hier."
„Das ist nicht zu übersehen."
Skyla hebt warnend ihre Faust. „Vermiese es mir nicht."
Lukas legt daraufhin mit gekräuselter Stirn den Kopf schief. „Du glaubst, ich mache mich über dich lustig."
„Jaaaa!", zieht sie die Antwort bewusst in die Länge, woraufhin sein Grinsen noch breiter wird. „Hör auf damit, Lukas."
„Ich meine es aber ernst, Skyla. Ich finde dich einfach nur verboten süß."
Bevor Skyla sich dazu äußern kann, ruft ihre Oma sie streng von der Küche aus. Durch ihre schmalen Augen blickt die Ungeduld zu ihnen herüber.
Pünktlichkeit steht an oberster Stelle der Gebotstafel. Verspätungen werden nicht von Oma Ulrike toleriert. Daher nähert Skyla sich mit Lukas im Schlepptau der offenen Küchenoase, die durch Tante Mary vor einigen Jahren ein wenig moderner eingerichtet wurde. Ein selbstreinigender Backofen sollte die größte Entlastung werden und stand mit einem effizienten Stauraum, sowie schneller Griffbarkeit der Küchenutensilien an oberster Stelle. Die Möbel sind pflegeleicht zu halten und vor allem kratzfest.
„Ja, Omi?"
„Kümmerst du dich bitte um den Kaffee? Ich habe Marys Wagen einparken gesehen."
Die alte Dame wippt aufgeregt mit den Fuß. Der Blick klebt am Fenster. Ein Anblick, der Skyla zum Schmunzeln bringt. Eigentlich rechnete sie mit einer kurzen Planung der Küchenarbeit, aber Tante Mary trägt ein Baby unter dem Herzen. Neuer Nachwuchs, den Oma Ulrike nach Herzenslust verwöhnen kann. Die Freude über den Nachwuchs ist groß bei der alten Dame. Ein Nicken seitens ihrer Enkelin und schon düst die alte Dame davon. In einem solchen Tempo, das Lukas respektvoll den Kopf hebt.
Kichernd beugt sich Skyla an das Ohr ihres besten Freundes. „Tante Mary ist schwanger. Ich werde erneut Cousine."
Lukas blinzelt und zeigt sich als Realist: „Wie alt ist deine Tante? Wäre es keine Risikoschwangerschaft?"
Zum Glück ist Oma Ulrike über alle Berge, daher folgt ihre Herzensbitte: „Bitte erwähne von so etwas kein Wort, Lukas. Wir hoffen das Beste."
Ein stummes Nicken und er wechselt tatsächlich das Thema: „Lass mich dir helfen, Skyla. Ich kümmere mich um den Kaffee, wenn es dir lieb ist."
„Bist du dir sicher? Noch hast du die Möglichkeit, das Weite zu suchen. Wenn alle erst mal da sind, gibt es kein Entkommen für dich", erlaubt es sich Skyla, zu scherzen.
„Du wirst mich nicht los."
Skyla zuckt gleichgültig mit den Schultern und reicht ihm das Kaffeepulver. „Wie du willst."
Während sich ihre bessere Hälfte um den Kaffee kümmert, beginnt Skyla mit den Vorbereitungen. In der Küche ihrer Oma kennt sie sich bestens aus und so bereitet sie ihren Arbeitsplatz erst mal vor. Ein wenig Vorarbeit hat ihre Großmutter auch schon geleistet, denn das Fleisch für die Rouladen wurde passend geklopft. Rouladen vom Rind und alternativ von der Pute steht auf der heutigen Speisekarte, dazu ein Feldsalat mit Granatapfelkernen und Fächerkartoffeln. Die Rinderrouladen werden mit geräucherten Speck, geschmorten Zwiebeln und Essiggurken gefüllt, während in der Variante mit der Putenbrust Kräuterfrischkäse steckt.
Skyla beginnt gerade mit Fächerofenkartoffeln, als Lukas um Anweisungen bittet. Ihr böses Lächeln scheint ihm nicht ganz geheuer zu sein und als Skyla dann eine Zwiebel in die Hand nimmt, seufzt ihr bester Freund. Als hätte der arme Kerl auf ihrer Arbeit nicht genug Tränenmacher geschält und geschnitten. Tapfer schnappt er sich das Netz. Im Handumdrehen sind für ihn ein Brett und ein Messer organisiert. Als Lukas jedoch zögert, das Werkzeug entgegenzunehmen, blickt Skyla neugierig auf. Lukas betrachtet sie etwas vorwurfsvoll.
„Du siehst mich gerne weinen oder?"
Sie kichert amüsiert. „Ach komm, du hast dich gut in der Küche geschlagen."
„Hiernach habe ich einen Orden verdient. Ich bevorzuge den Titel Zwiebelkönig."
Seine Scherze bringen Skyla zum Lachen, woraufhin ihre Eltern verdächtig zu ihnen rüber sehen. So wie die Erwachsenen nah beieinanderhocken, verdächtig tuscheln und grinsen, wirft Skyla böse Blicke hinüber. Für ihre Albernheiten hat sie heute wenig Spielraum, schließlich kocht sich das Festessen nicht von allein.
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