34. Kapitel
Schnellen Schrittes begibt sich Skyla in ihr Zimmer und öffnet Milans Schachtel. Den Inhalt drückt sie an ihre Brust. Wie einen Schatz, den sie mit ihrem Leben beschützen möchte. Ein ungutes Gefühl plagt das Medium. Eine böse Vorahnung. Sie erinnert sich an die Worte ihres Beschatters. Hexe nannte er sie. Aber er liegt falsch. Dann erinnert sich Skyla an die Geschichte, die Milan ihr erzählte. An das Mädchen und ihr trauriges Ende. Vor Skylas inneren Augen befindet sie bereits blutend auf der Straße. Im prasselnden Regen. Der Himmel weint, als wüsste er, dass der nächste Schlag das Leben aus ihr quetscht. Die vermummten Gestalten haben sie umkreist. Ein Gesicht erkennt Skyla unter der Kutte wieder, denn Tanjas glühende Augen stechen hervor.
Die Neue holt bereits freudig zum Schlag aus, als plötzlich Lukas Stimme ertönt: „Skyla? Geht es dir gut?"
Mit schockgeweiteten Augen und beschleunigtem Puls dreht sich Skyla um. Die Spuren ihrer Fantasie sind selbst für Lukas sichtbar, denn seine sonst so schlagfertige Freundin verhält sich schüchtern wie ein Reh. Ihr bester Freund nähert sich ihr langsam. Daher handelt sie aus Reflex und kehrt ihm den Rücken. Eilig legt sie die Halskette zurück in die Schachtel. Denn sie möchte ihn nicht erneut anlügen, daher gilt es Beweise verschwinden zu lassen, indem sie die Kette aus dem Sichtfeld legt. Der Fokus liegt auf das Vertuschen von Milans Besuch und daher reagiert sie auf keinen seiner Rufe, woraufhin Lukas handelt und sie von hinten feste in seine Arme schließt. Seinen Kopf liegt am Ende schwer auf ihrer Schulter und sein warmer Atem streift ihren Nacken.
„Rede mit mir, Skyla."
Skylas Augen wandern beunruhigt zum Fenster. Etwas, was ihm nicht entgeht.
„Also ist es wahr, was du angedeutet hast? Du wirst beobachtet?", schlussfolgert ihr bester Freund.
Ein gequältes Lächeln macht sich auf ihren Lippen breit. Lukas ist nicht dumm, er puzzelt sich bereits alles zu Recht. Also nickt sie traurig.
„Ja."
Ihre Antwort klingt verzweifelter, als sie wollte.
„Etwa diese Leute, die mich erwischten?"
„Ich glaube schon."
Sein Griff wird fester.
„Was auch geschieht, ich bin für dich da, Skyla. Und das wird sich nie ändern."
Sein Aufmunterungsversuch gelingt. Ihr Herz beruhigt sich und allein Lukas Anwesenheit gibt ihr ein Gefühl von Sicherheit.
Nach einigen Minuten trennen sich die Freunde und Skyla schickt ihn fort, um die letzten Sachen einzupacken. Darunter Milans Halskette. Während sie noch kurz ihre Handtasche befüllt, klettert Kai durch das Fenster. Er spielt auf Schlüsselanhänger und hängt sich an den Reißverschluss, schließlich steigt sie unten ins Auto ihrer Eltern. Direkt neben Lukas. Die Sorge um die Zukunft verstärkt durch die Reue ihres nicht durchdachten Handelns lässt sie alle Signale seitens ihres Freundes ausblenden. Wie ein Zombie schnallt sie sich an. Der Kopf ist leer. Ihre Energie aufgebraucht.
Mit einem tiefen Seufzer lehnt sich Skyla am Ende gegen die Lehne und beobachtet aus dem Augenwinkel, wie Thomas den freien Platz neben seinem Sohn ergattert. Mit seinem Sonnenscheinlächeln, das ihr sonst immer so viel Krafft spendet. Nur heute nicht. Etwas, das ihrem Patenonkel nicht entgeht.
„Zerbricht dir nicht deinen hübschen Kopf, Skyla. Ich bin mir sicher, dass alles gut wird. Der Kerl hatte nur einen schlechten Tag."
Ein Lächeln zu erzwingen kostet unfassbar viel Mühe und Skyla scheitert. Thomas runzelt die Stirn und blickt zurück.
„Du weißt schon, sollte er Ärger machen, legt er sich mit mir an." Seine Albernheiten schaffen das Unmögliche. Sie lächelt. Angesteckt von seinem Eignen. Ehe sich Skyla versieht, rollt ihr eine Träne hinab und ihre Lippen formen bereits ein Wort des Dankes, als er sich plötzlich rüber beugt und aus seinem Ärmel einen Schokoriegel hervorschüttelt. Um die Geste vor Kacie zu verbergen, legt er den Finger auf seine Lippen und zwinkert frech. Dankbar nimmt Skyla ihn entgegen. „Wie schön du doch lächelst, Skyla."
Wäre Lukas nicht zwischen ihnen, dann wäre Skyla ihrem Paten vor Dankbarkeit um den Hals gefallen. Ein Blick hinauf, um die Lage zu checken, dass Mama Kacie von der Sache nichts mitbekommen hat, zeigt jedoch, dass ihr Vater Zeuge wurde. Finn steigt zuletzt ins Auto, aber wird zum Komplizen. Denn er zwinkert, so wie Thomas es immer tut. Seine gute Laune kommt sicherlich daher, seine Mutter schon bald zu sehen. Denn Vater Finn ist ein Familienmensch und freut sich immer aufs Neue, wenn alle zusammen kommen. Er zeigt besonders viel Interesse an all die Dinge, die er verpasst hat und verwickelt einen jeden gerne ins Gespräch.
„Habt ihr alles?"
Vater Finn summt seine Frage in den Raum, während er sich gerade anschnallt.
„Deine Mutter ist sehr streng." Kacie beobachtet mit Sorge seine Gemütlichkeit. „Da wir noch bei den Vorbereitungen helfen sollen, sollten wir besser losfahren."
Ihm gegenüber wählt Kacie einen ganz anderen Ton. Sie tadelt sanft, aber ihr Mann belächelt ihre Sorge, schließlich befindet er sich seit dem ersten November in Weihnachtsstimmung und so gechillt wie er in dieser besonderen Jahreszeit ist, bekommt ihn nichts so schnell aus seiner Seifenblase geholt.
„Wir sind schon pünktlich."
Kacie zieht scharf die Luft ein, etwas, was ihr Mann gekonnt ausblendet und den Motor startet. Aufs Kommando sind somit alle Anwesenden der kitschigen Weihnachtsmusik ausgesetzt. Thomas kann nicht anders, als leise zu kichern. Sicherlich, weil er es nicht anders von seinem besten Freund kennt. Skyla hingegen sucht Trost und Halt bei Lukas. Sie lehnt sich erschöpft gegen ihn und will gerade ihren Kopf auf seine Schulter ablegen, als sie seinen angespannten Körper wahrnimmt. Ein Blick hinauf zeigt das aschfalle Gesicht und die vor Panik aufgerissenen Augen.
Auch Thomas ist aufmerksam. Er legt seine Hand auf den freien Arm seines Sohnes. „Du bist so blass, Lukas. Ist alles in Ordnung?"
Kacies Alarmglocken springen an. Beunruhigt dreht sie sich um und ihre Augen fixieren das Sorgekind. Selten zeigt sie solch eine Fürsorge, aber nun lächelt sie ihm lieblich zu. „Lukas, was ist denn los?"
Die Mundwinkel fallen im gleichen Moment und ein Ausdruck von Entsetzen macht sich breit, als sie ihre Tochter fixiert. Es wäre schön, wenn der Schokoriegel daran schuld wäre, denn dann müsste Skyla nicht vor Sorge ertrinken. Denn ihre Mama verhält sich bereits länger seltsam. Der Verdacht, dass Kacie in der Vergangenheit mit dem Paranormalen Kontakt hatte, bekommt immer mehr Gewicht. Denn Skylas Mutter blickt, als mache sie ein Monster aus. Lukas' ungesunde Blässe springt auf sie über und der Mund öffnet sich weit. Der Schrei ist schrill und von Ausdauer. Stark genug um die fröhliche Musik zu übertönen und Finns winterliche Blase zum Platzen zu bringen.
Vor Schreck dreht er sich zu seiner Frau. „Was ist denn los, Mary?"
„Argh! Mach, das sie aufhört!", beschwert sich eine vertraute Stimme.
Ganz nah an Skylas Ohr. Ein Blick zur Linken und Skyla macht den Übeltäter aus. Agnar befindet sich mal wieder ungefragt auf ihrer Schulter. Zu nah für Lukas. Zu pelzig für ihre Mutter. Spinnen haben Mama Kacie schon immer zum Kreischen gebracht. Wenn der Mann im Haus nicht anwesend war, wurde Skyla für solch ein Problem geholt. Ängste schmecken süß und verlockend für Dämonen. Kais Augen glühen bedrohlich. Und obwohl sich ihr Schutzgeist bedeckt halten soll, lacht er sich leise ins Fäustchen. Zu seinem Glück übertönt die Geräuschkulisse ihn und doch packt Skyla feste zu, um ihn den Mund zu verbieten. Seine erstickten Laute und das Getrommel seiner Plüschpfoten beeindrucken sie keineswegs.
Der Spinnendämon ergreift freiwillig die Flucht und begibt sich in den Kofferraum. Skyla verfolgt ihn mit seinem Auge. Daher entgeht ihr nicht, wie im Hintergrund ihr Verfolger ebenfalls mit einem Problem zu kämpfen hat. Ihr fieses Grinsen kommt daher, weil der Plan ihrer Dämonen aufging. Der Fremde steht an seinem schwarzen Auto und scheint zu fluchen. Ein Griff in sein Jackett und er zieht sein Handy stampfend hervor. Das stimmt die Dämonenbesitzerin schadenfroh. Ab und zu haben ihre Schutzgeister doch mal brillante Einfälle.
Mit Agnars Verschwinden verläuft die Fahrt schweigsam und doch freut sich Skyla, ihre geliebte Oma wiederzusehen. Das Auto kommt gerade zum Stand, da verlässt ihre Mutter den Wagen fluchtartig als Erste. Auch Lukas sieht man die Erleichterung an. Er und ihre Mutter weigern sich, den Kofferraum zu leeren. Für Skyla kein Problem. Sie nimmt Lukas sogar vor seinem Vater in Schutz, denn Thomas belächelt die Furcht vor der Spinne und blickt weiterhin optimistisch in die Welt.
Ihre Ankunft bleibt nicht unbemerkt, denn Oma Ulrike wartet bereits sehnsüchtig an der Garageneinfahrt auf ihre verlorenen Schafe. Sie hat sich für den heutigen Anlass sogar extra in Schale geworfen. An Tagen wie diesen trägt sie ihr Goldkettchen und ihr Perlenohrringe, die sie von ihrem verstorbenen Mann geschenkt bekommen hat. Eine cremefarbene Bluse auf einen schwarzen Rock runden das Outfit ab. Das silberne Haar ist so hochgesteckt, dass der Dutt einer Rose ähnelt. Oma Ulrike wirkt noch immer fit und voller Leben. Sie lächelt ihre Enkelin erwartungsvoll an und breitet die Arme einladend für eine herzliche Umarmung aus.
„Du siehst hinreißen aus, Skyla."
„Danke, du auch, Oma." Sie greift zur Seite und fängt ihren besten Freund ein. „Wir haben übrigens Lukas und seinen Vater mitgebracht. Lukas hat es tatsächlich geschafft, mein Haar zu bändigen."
„Guten Tag." Lukas lächelt schüchtern bei dem strengen Blick ihrer Oma. „Danke, dass wir dabei sein dürfen und frohe Weihnachten."
Statt auf die Begrüßung einzugehen, dreht Oma Ulrike Skylas Kopf und betrachtet kritisch sein Meisterwerk. „Aha. Das nennst du also bändigen?"
„Hey, er hat seinen Job gut gemacht. Besser als ich."
„Mhm." Nun wird Lukas von oben bis unten gemustert. „Thomas Sohn lässt sich schwer leugnen. Ich hab gehört, dass er in deiner Gegenwart sabbert."
„Oma!", schimpft Skyla mit ihr, während Lukas sich mit knallrotem Kopf wegdreht, „würdest du damit aufhören!"
„Jeder Kerl, der Augen für dich hat, muss erst einmal an mir vorbei, Kind! Zu deinem Besten!"
Skyla verdreht ihre Augen. „Das meint sie nicht so, Lukas."
„Doch das meine ich genauso!" Oma Ulrike entdeckt nun ihre Schwiegertochter Kacie. „Oh, entschuldige mich, Skyla."
„Mein Vater hatte mich gewarnt", spricht Lukas seinen Gedanken laut aus.
„Hat er? Keine Sorge, meine Oma ist harmlos."
„Ist klar. Da habe ich andere Geschichten gehört."
„Komm, lass reingehen", fordert sie ihren besten Freund auf und schnappt sich einige Taschen aus dem Kofferraum.
Kaum begibt sich Skyla über die Türschwelle, duftet es bereits im ganzen Haus nach Plätzchen. Ein Zusammenspiel von Aromen wie Zimt und Vanille. Eine Mischung aus Tradition, Liebe und Vorfreude. Eine Reise in die Vergangenheit. Wie gern sich Skyla an die gemeinsame Zeit beim Plätzchenbacken mit ihrer Oma erinnert. Während es bei Oma Ulrike wie auf dem Fließband gekonnt und in einem zügigen Tempo voran ging, kennt Skyla noch eine andere Seite. Lukas hat eine perfektionistische Ader. Er nimmt sich immer viel Zeit bei allem. Das machte seine Werke umso schöner. Fast schon zu schade, um seine Kekse zu verputzen. Ihr Blick ruht zu lange auf ihn, denn er hebt fragend die Augenbraue. Ihr Lächeln ist nichtssagend und weckt Verdacht. Aber Skyla schweigt und genießt seine Ahnungslosigkeit.
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