21. Kapitel
Noch immer beneidet Skyla das Leben der ahnungslosen Menschen. Vor ihren inneren Augen sieht sie die meisten Leute gemütlich auf der Couch sitzen oder bereits Schlaf tanken. Sicher im Warmen. Allein oder mit den geliebten Mitmenschen. Wie gerne würde sie lieber in ihrem Bett schlummern und sorglos in ihrer Traumwelt versinken.
Ein Leben, wonach sich Skyla zurücksehnt. Alles war einfacher. Harmonischer. Wer garantiert ihr, heil aus diesem fremden Keller rauszukommen? Ist es dieser Spinnendämon wert, einen Fuß hineinzusetzen.
„Eure Furcht ist zuckersüß." Kais Augen glühen bedrohlich wie eine rote Ampel. Sein Grinsen wird breiter, und seine Klauen wachsen. „Stillstand wird Euch aber das Leben kosten. Ihr dürft nicht anhalten, ansonsten verliert Ihr alles auf einen Schlag. Wen oder was fürchtet Ihr mit einem Dämon wie mir als Verbündeten?"
„Das ist das Problem. Ich gebe mich mit Dämonen ab."
Eine halbe Wahrheit. Aber eine geeignete Ausrede, um sich Zeit zu verschaffen, ihre Angst im Griff zu kriegen.
Kai lacht lauthals, als kenne er die Wahrheit. Sein Spott treibt ihr die Zornesröte ins Gesicht.
„Mutig, Kai! Ich kann dich auch zerquetschen, wenn dir das lieber ist!"
Aber der Bär schüttelt furchtlos seinen Kopf.
„Unser Vertrag ist für mich eine kleine Lebensversicherung. Sofern kein Vertragsbruch vorliegt, könnt Ihr mich nicht vertreiben! Bedenkt man Eure Lage, habt Ihr noch weniger Grund dazu. Ihr seid auf mich angewiesen!" Siegessicher reckt er sein Kinn. „Aber Eure herrische Seite macht Euch umso unwiderstehlicher. Ihr legt allein heute viele Facetten an den Tag, die ich genießen lerne. Also ein Hoch auf unsere Partnerschaft."
Skyla schüttelt sich mit Gänsehaut am ganzen Körper und fragt sich erneut, was sie sich angelacht hat.
Ihre Unterhaltung wird in dem Moment unterbrochen, als sich die Taschenlampe ganz von allein einschaltet. Ein Blick zum Bären und ein lässiges Schulterzucken soll Skyla davon überzeugen, dass er nichts damit am Hut hat. Ihr Schnaufen sollte den Standpunkt klarstellen. Streitlustig reckt er sein Kinn.
„Vielleicht Agnar. Oder aber auch unser Feind."
Unser Feind? Als könne ich Kai vertrauen! Mein Schutzgeist hintergeht mich doch, sobald sich die Chance dazu bietet!
Schnaufend angelt Skyla die Taschenlampe aus der Luft und nähert sich dem Gebäude.
Ein genauer Blick durch die Türöffnung zeigt ein trostloses Treppenhaus. Ein dunkler Ort aus Beton. Farblos und kahl. Wie bei einem Parkhaus. Skyla schüttelt sich bei dem Gedanken, denn ruckartig konfrontiert ihr Kopf sie mit der Begegnung des Alptraums. Das Wesen, das sie zum ersten Mal absorbierte. Das Medium zögert. Aus gutem Grund. Schließlich ist sie gerade dumm genug, zwei Dämonen zu vertrauen. Ihre Augen erfassen im Lichtkegel der Lampe ein Schatten einer Spinne. Aus dem Hintergrund melden sich Schritte, daher dreht sich Skyla überrascht um und sucht nach dem Übeltäter. Der verlassene Parkplatz ist bei Nacht genauso unheimlich wie die Treppe hinab. Es ist still – zu still. Als dann eine Straßenlaterne zu flackern beginnt, brummt sie misslaunig. In der Hoffnung, damit Einfluss auf die Lichtquelle zu haben. Ein bescheuerter Gedanke. Als würden die Gegenstände auf ihre Launen reagieren. Für einen Moment wünscht sich Skyla, dass Milan nach ihr sucht und dass es seine Schritte sind, die sie aus der Ferne gehört hat. Vielleicht hat der Geisterjäger von dieser dummen Aktion erfahren und möchte sie einfach nur aufhalten. Doch niemanden ist weit und breit zu sehen. Als dann auch noch ein Fahrrad umkippt, schreckt Skyla auf.
Statt in den Keller zu laufen, begibt sie sich zu dem Drahtesel. Auf der Suche nach Spuren von paranormaler Aktivität. Zu sehen ist jedoch nichts. Und doch zögert sie beabsichtigt den Moment der Wahrheit in die Länge. Alles in Skylas streut sich davor, das Schlachtfeld zu betreten. Sie fühlt sich einfach nicht bereit. Nicht erfahren genug. Zu schwach. Zu unerfahren. Die Chancen für einen Sieg stehen alles andere als gut. Niemand steht ihr zur Seite. Diese Schlacht hat sie allein zu führen. Denn Kai ist ein Dämon, der nach Lücken ihres Vertrages sucht, um sich seinen Pflichten zu entziehen. Er ist niemand, dem sie ihr Leben anvertrauen würde und doch alles, was sie aktuell hat. Nur, weil Dalika sich Zeit lässt. Dabei wäre jetzt der passende Moment, um aufzutauchen. Die Bedingungen für einen dramatischen und eindrucksvollen Auftritt sind gegeben. Der Star betritt die Bühne und wendet das Blatt mit einem Schlag. Bislang trödelt Dalika, als habe sie es nicht nötig, zu strahlen. Aber wer weiß, was den Nang Tani aufhält. Es ist zu früh, um ein Urteil über den Geist zu fällen.
Skyla steht bedauerlicherweise zu ihrem Wort. Ungeachtet ihrer Lage und der Gefühle. Mit einem kurzen Ruck ist das Fahrrad schnell aufgehoben und an die Wand gelehnt. In dem Moment, als sie die Furcht hinunterschluckt und in die Rolle der mutigen Detektivin schlüpfen will, huscht ein Schatten an ihr vorbei. Eine verzerrte Gestalt, die in Lichtgeschwindigkeit die Treppen überwindet und im Keller verschwindet. Auch wenn das Schattenbild menschlich aussah, beschleunigt sich der Puls vor Schreck. Alles in ihr schreit, Agnars Behausung fern zu bleiben und am besten heimzukehren. Wäre sie nur nicht auf einen zweiten Schutzgeist angewiesen.
Es mag Wunschdenken sein und doch redet sich Skyla sich ein, dass der Schatten nur einem Angestellten gehöre. Vielleicht dem Hausmeister oder einem Polizisten, der nach dem Rechten sieht. Jemand mit einer Fähigkeit, schneller als ein Blitz zu reagieren. Eine Person, die über sie wacht oder ihr nichts Böses will.
Kleinlaut spricht sie in den Keller: „Hallo, ist hier jemand?"
Skyla macht große Augen, als auf den Treppen vier kleine Feuervögel landen. Die aus Feuer geformten Wesen zwitschern fröhlich und springen die Stufen auf und ab. Kai gähnt im Hintergrund. Entweder nimmt er die Vögel nicht wahr oder sie interessieren den Dämon nicht. Mit einem tiefen Atemzug begibt sich Skyla zu den gefiederten Freunden hinunter, die aufschrecken und an ihr vorbeifliegen, dabei hinterlassen sie eine fürchterliche Hitze.
Das Medium beobachtet, wie der letzte Vogel hinaus in den freien Himmel fliegt und somit die Tür hinter ihr laut zuschlägt. Kaum verschließt sich der Eingang, sind Kais und ihre Taschenlampe die einzigen Lichtquellen weit und breit. Die Tür ist sicherlich fest verschlossen und geht so schnell nicht auf. Denn so läuft das für gewöhnlich in Horrorfilmen. So schön die Tiere auch anzusehen waren, bestehen sie aus einem gefährlichen Element. Das Feuer hätte das Festmahl nicht ignorieren dürfen. Genügend Futter für einen Großbrand ist vorhanden. Wie eine ausgehungerte Kreatur müssten die Flammen über diesen Ort herfallen. Aber die Gesetze der Natur sucht Skyla hier vergebens. Anscheinend hat der Dämon seine Magie gut im Griff.
Mit Unbehagen steigt Skyla hinab und leuchtet sich den Weg durch dichte Finsternis. Wachsam und mit angehaltenem Atem. Begleitet von auffälligen Atemgeräuschen. Wie das nervige Pfeifen von einem Asthmatiker, der sich überanstrengte. Dabei ist niemand weit und breit zu sehen. Daher beschleunigen sich ihre Schritte. Das Unwohlsein wächst stetig wie ein kleines Magengeschwür, das immer heftigere Auswirkungen auf ihre Gesundheit haben wird. Kaum ist die letzte Treppenstufe überwunden, folgt ein tiefer Atemzug. Die Beine sind weich wie Pudding und die Nerven flackern schlimmer als die hinterste Laterne auf dem Parkplatz vom Kräutergarten, wo Skyla sich noch immer fragt, wie lange es dauert, bis sie ihren Dienst quittiert.
Überall, wohin das Auge sieht, hängen gewaltige Spinnennetze. Dann huscht ein weiterer Schatten durch den Lichtkegel. Zu schnell, um die Silhouette um die Gestalt zu identifizieren. Nacheinander setzen sich die Kellertüren in Bewegung und springen knarrend auf. Beunruhigt halten die Augen Ausschau nach einer möglichen Bedrohung. Allein im Dunkeln. Abgeschottet vom Rest der Welt.
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