Kapitel 3 - Teil 2
Es folgt ein kurzer Zwischenstopp unter einer Zugbrücke und ein flüchtiger Blick auf die Uhr verrät Skyla, dass ihre Klassenkameradin Emilie gleich ankommen könnte. Vorausgezeigt ihre Klassenkameradin verspätet sich nicht, was leider häufig der Fall ist. Emilie ist von chaotischer Natur und verquatscht sich gerne. Ein Telefonat mit ihr nimmt viel Zeit in Anspruch, wenn nicht konsequent gehandelt wird. Zum Glück hat Skyla keine Scheu, einfach aufzulegen. Natürlich nur mit einer ausgesprochenen Vorwarnung, falls sie zu Wort kommen kann. Emilie kann viel reden, wenn der Tag lang ist. Dennoch hat Skyla das Mädchen unfassbar gern. Eine so ehrliche und fröhliche Seele ist unter all den Menschen eine wahre Rarität und gerade Ehrlichkeit hat einen hohen Stellenwert für Skyla.
Die Chancen stehen hoch, dass ihre Freundin pünktlich eintrifft. Schließlich hat Emilie momentan ihre Differenzen mit ihren Brüdern und bevorzugt die Flucht. Emilie aktuelle Pünktlichkeit schlägt in der Klasse Wellen. Die Frage ist nur die: Wie lange hält dieser Zustand an? Irgendwann klärt sich die Sache mit den Brüdern und Emilie verfällt sicherlich alten Gewohnheiten.
Der Wunsch auf ein wenig vertraute Gesellschaft wächst zunehmend. Ihre Freundin hat eine beruhigende Art auf Skyla, was sich besonders heute als nützlich erweisen kann. Ein Blick zu den Treppen, die zum Bahnsteig führen, reicht aus, um ihre Atmung ins Stocken zu bringen. Skylas Verfolger bewegt sich lautlos und unauffällig. Damit fällt es Skyla schwer, ihn einzuschätzen. Eines ist klar: Er hat sich an ihr festgebissen und noch immer ist ihr der Grund dafür unbekannt. Skyla kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum er seine Zeit damit verschwendet, ihr zu folgen. Zu seinem Pech hat Skyla genug von der Flucht. Dieses Katz und Maus Spiel muss ein Ende nehmen. So kann sie niemals mit dem vergangenen Ereignis abschließen.
Gezielt stampft Skyla auf den hübschen Kerl zu, was ihm nicht geheuer scheint. Er schreckt zurück und sein Blick schweift umher, als liege es nun an ihm, das Weite zu suchen.
Skyla gibt ihm keine Chance dazu und geht zähnefletschend ins Gefecht. „Sag mal, warum verfolgst du mich?"
Ihr Beschatter zeigt verwundert auf sich. „Du meinst doch nicht etwa mich oder?"
Offenbar meint er, ihr etwas vorspielen zu können.
Skyla lächelt zuerst milde, bevor sie sich zornig aufdrängt. „Stelle dich nicht so dumm an! Sag schon, warum verfolgst du mich?"
„Du täuschst dich. Ich verfolge dich nicht. Wirklich."
Aber Skyla lässt nicht locker. „Ach ja, was ist dann dein Ziel? Warum irrst du hier in der Gegend herum?"
Ihr Gegenüber sieht sich verzweifelt um und sie erkennt, dass er nach einer Ausrede sucht. Je mehr Sekunden verstreichen, desto ungeduldiger wird Skyla - und gleichzeitig macht er sich damit verdächtiger.
Der Teufel steckt im Detail. Die Lüge ist nicht richtig durchdacht und es wird verzweifelt nach Strohhalmen gegriffen. So haftet sein Blick am Ende auf der Schultasche.
„Es geht dich zwar nichts an, aber ich bin auf den Weg zur Schule."
Diese Unterhaltung erinnert an die vielen Gespräche mit Dominik und Julian, sodass Skylas Geduld erneut auf die Probe gestellt wird.
Mit hochgezogener Augenbraue fragt sie ihn: „Ach ja? Wo ist dann deine Schultasche?"
Er kratzt sich nachdenklich am Hinterkopf, bevor er weiter schauspielert: „Oh verdammt! Ich habe meine Tasche vergessen. Das gibt sicherlich Ärger."
Mit seinem Charme gibt sich ihr Verfolger sämtliche Mühe, die Situation zu retten. Sein Lächeln ist zuckersüß und erinnert Skyla an ihren Kollegen Julian. Diese Masche zieht bei ihr nicht und so ärgert sie ihn mit einem falschen Lächeln, das ihm Hoffnung macht und glauben lässt, all der Ärger wäre dahin.
„Oh nein, du hast deine Tasche vergessen", zieht Skyla die Worte betont in die Länge und täuscht Mitgefühl vor.
Seine Lüge gewinnt an Selbstvertrauen und wird immer wilder und kreativer. „Eine solche Schönheit wie du muss mich abgelenkt haben. Ich glaube, meine Tasche liegt in der anderen U-Bahnstation."
Skylas Spiel endet und ihre Züge versteifen sich. Eisig bohrt sich ihr Blick in seinen. „Dann rate ich dir, umzukehren."
Ihr Wort der Warnung lässt ihn schlucken, und doch bleibt der Fremde standhaft. Er zuckt mit den Schultern. „Mal ehrlich, die wird schon längst entwendet sein."
„Das kannst du nicht wissen, außerdem ..."
„Ist doch nur Schulmaterial", unterbricht er sie lässig.
Skyla gibt sich Mühe, all die Details in ihrem Kopf aufzurufen. „Ich bin mir sicher, keine Tasche bei dir gesehen zu haben."
„Deine Erinnerungen scheinen dir ein Streich zu spielen oder vielleicht warst du abgelenkt? Dein Blick ist mir nicht entgangen und ich wäre auch nicht abgeneigt, dir näher zu kommen."
Skyla nimmt angewidert einen Schritt Abstand. „Ich gebe zu, dein Stil gefällt mir, aber deine Arroganz stinkt bestialisch. Zumal du mir bislang nicht das Gefühl vermittelt hast, mir freundlich gesinnt zu sein."
Es folgt ein erschöpftes Seufzen von seiner Seite. „Ein Irrtum."
„Ist klar! Sei nur dieses eine Mal ehrlich zu mir. Bist du mir böse? Kanntest du das Opfer? Denn ich habe das Gefühl, dass du mir nicht ohne Grund auflauerst."
Gebannt geduldet sich Skyla, als er den Mund öffnet und zu Antwort ansetzt. Endlich bietet sich die Chance auf Klarheit.
Der Moment wir augenblicklich zunichtegemacht, als Emilies Ruf aus der Ferne dringt. Da Skylas Augen noch immer ihr Gegenüber fixieren, wird ihr Name aufs Neue in den Mund genommen.
Nicht jetzt, Emilie!
Ihre Augen werden schmal, denn ihre Klassenkameradin hat zusätzlich ein Talent, ihr auf die Nerven gehen zu können. Geduld ist nicht Emilies Stärke und die sonst so zarte Stimme schmerzt mit jedem weiteren Ruf in den Ohren.
„Ich glaube, da möchte jemand etwas von dir", spricht ihr Verfolger das Offensichtliche an.
„Ich höre es!", brummt Skyla genervt, bis ihr etwas bewusst wird.
Der Fremde legt den Kopf schief und lächelt falsch.
„Entschuldigung! Aber das da vorne ist meine beste Freundin, das verstehen Sie doch oder?" Emilies Stimme klingt verdächtig nahe und so dreht sich Skyla um, woraufhin ihre Klassenkameradin ihr Tempo erhöht und wie eine siegessichere Wettläuferin die letzten Meter hinter sich bringt.
„SKYLA! Du hast auf mich gewartet oder? Das ist so SÜSS!"
Ein Fehler, wie Skyla feststellen muss. Mit Emilie fällt man definitiv auf. Neben dem aufgedrehten und anhänglichen Verhalten, wäre da ihre märchenhafte Schönheit, die alle in den Bann zieht. Emilies teerschwarze Engelslocken flattern im Wind, während strahlende Smaragde Skyla anvisieren. Die Panik bricht aus, als ihre Freundin zum Freudensprung ansetzt und sich auf sie stürzt. Skyla taumelt mit ihrer albernen Klassenkameradin zuerst nach links, dann nach rechts. Am Ende findet sie die Balance und kann aufatmen. Ihre Freundin hatte von Beginn an vollstes Vertrauen in sie und drückt sich fest an sie. Eine Szene, die nicht unbemerkt bleibt. Von überall starren die Leute. Die Palette an Reaktionen ist bunt. Von Verständnislosigkeit und Staunen ist fast alles dabei. Zum Glück traut sich keiner an das Geschehen heran, schließlich kommt es öfter vor, dass Skyla all die oberflächlichen Verehrer vertreibt, die es nicht ernst mit ihrer Freundin meinen.
„Du machst mich fertig, Emilie."
Am Ende seufzt Skyla erschöpft und ignoriert das Kichern ihrer Freundin, die sich ruckartig löst und die Arme in den Himmel streckt, als wolle sie die Sonne umarmen und dann eine eindrucksvolle Pirouette hinlegt. Damit reibt sie der Verfolgten unbewusst ihre perfekte Figur mit den traumhaften Kurven unter die Nase.
Und das für jemanden, der sündhaft rund um die Uhr schlemmt. Emilie muss einen verdammt guten Stoffwechsel haben. Beneidenswert.
„Nice, Skyla." Ein Griff in die Tasche und Emilie zieht eine vom Bäcker eingewickelte Zuckerbombe hervor. „Du musst das hier mal probieren. Du musst! Es ist so fluffig wie eine Wolke und saftig..."
„Und voller Zucker", unterbricht Skyla ihre Freundin mit verschränkten Armen. „Emilie, wie kannst du schon in aller Frühe naschen?"
Augenrollend dreht sich Skyla um, als ihre Freundin einen ordentlichen Bissen von dem sündhaften Frühstück nimmt und dann auch noch unschuldig aufblickt.
„Es ist lecker", bringt Emilie mit halbvollem Mund hervor und hält das Milchbrötchen mit der dicken Zuckerglasur und der großzügigen Puddingschicht als Erstes zu Skyla, die kopfschüttelnd abwinkt, und dann zu dem Beschatter, der noch immer an Ort und Stelle steht. Die Versuchung ist groß und Skyla blinzelt perplex, als er tatsächlich ins Gebäck beißt und Emilies Begeisterung teilt.
„Hi, ich bin Emilie, wie du sicherlich schon weißt. Cooler Ohrring."
„Danke."
Mit seinem charmanten Lächeln punktet er mit großer Sicherheit bei Skylas Freundin.
Am Ende zwinkert er verschwörerisch in Skylas Richtung, die bereits im Falle eines Ekelanfalls nach einem Mülleimer Ausschau hält. Emilie hingegen klimpert verdächtig mit ihren langen Wimpern und spielt verlegen mit einer ihrer beneidenswerten Locken.
„Gehst du auch auf die Berufsschule?", hinterfragt Emilie.
Ihre Augen glitzern vor Hoffnung.
Ein Nicken seinerseits, bevor seine Frage gezielt ihr gilt und Skyla keines Blickes gewürdigt wird: „Hättest du etwas dagegen, wenn ich euch beiden Hübschen begleite?"
Mit hochrotem Kopf mischt sich Skyla ein: „Nein, stopp! Hier liegt ein Missverständnis vor!"
Mit einem verführerischen Winken mit dem Zeigefinger setzt Emilie den Weg fort. „Hat unser hübscher Begleiter auch einen Namen?"
„Milan."
Somit kennt Skyla nun den Namen ihres Verfolgers. Vielleicht. Ihre männliche Begleitung hat Geheimnisse und lässt sich nicht gern in die Karten schauen. Es könnte sich ebenso um einen Decknamen handeln.
„Wirklich?"
Ihr misstrauischer Ton weckt seine Neugier.
„Du glaubst mir nicht?"
„Ich weiß nicht, was ich über dich denken soll", rückt Skyla mit der Wahrheit heraus. „Ehrlichkeit liegt dir nicht, wie ich bereits feststellen musste."
Mit einem warnenden Blick geht es zwei Schritte rückwärts, als er seine Flossen hebt und nach ihr greifen möchte.
„Du bist misstrauisch", erkennt ihr Gegenüber.
Emilie nickt zustimmend. „Oh ja, das ist sie."
„Emilie!"
Skyla klingt mit Absicht eisern.
Ihre Klassenkameradin stoppt verwundert und macht große Augen. „Bist du sauer? Willst du lieber mit Milan allein sein?"
Sie legt ihren Kopf schief und für einen Moment muss sich Skyla zusammenreißen, um nicht schwach zu werden. Emilie weiß einfach zu gut, dass ihr Unschuldsblick sie fast immer aus jedem Schlamassel herausholt. Aber diesmal ist die Lage ernst und Skyla will von ihrer Freundin verstanden und unterstützt werden.
„Dieser Kerl verfolgt mich und ich habe keine Ahnung, warum! Er ist kein Freund!"
In Gedanken ermahnt sich die Verfolgte, nicht vom Tatort zu sprechen, denn damit würde das Thema noch weiter aufgewühlt werden und ihre Nerven liegen bereits jetzt blank. Vor Verzweiflung. In Skyla keimt Hoffnung auf, da Emilie Milan verwundert betrachtet, als suche sie die Bestätigung bei ihm. Aber der Kerl übt sich im Schweigen und blickt, als überlegt er sich bereits die nächste bunte Ausrede.
„Wie süß! Bist du etwa in Skyla verliebt?"
Eine perfekte Ausrede, die sich Milan zunutze macht. Er lächelt frech in die Richtung seines Ziels, woraufhin Skylas Augen schmal werden.
Improvisieren kann er. Das beweist Milan erneut, als er zu Emilie spricht: „Wie peinlich, du liegst richtig. Sie mag zwar eine große Zicke sein, aber sie hat auch die eine oder andere süße Seite an sich."
„Vorsicht, Freund-chen!", presst Skyla erzürnt zwischen ihren Zähnen hervor.
Emilie hingegen ist hin und weg. „Oh, Skyla. Warum hast du mir nicht schon vorher von ihm berichtet? Das ist ja so aufregend! Erzählt mir alles."
Hoffnungslos und deprimierend – das sind die Wörter, mit den Skyla die Situation beschreiben würde. Emilie sollte ihr Rettungsanker sein. Ihr Schild. Ihre Verstärkung. Aber ihre Freundin ist geblendet und erkennt die vielen Lügen selbst dann nicht, wenn ihr diese auf dem Präsentierteller serviert werden. Noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass Emilie eine Plaudertasche ist, und all seine Fragen beantwortet und ihm somit Skylas Leben preisgibt. All die Einwände und verzweifelten Rufe prallen gegen eine unsichtbare Wand. Emilie ist in ihrem vollen Element und wirft mit den Informationen um sich. Der Weg zu Berufsschule zieht sich in eine beachtliche Länge und Skyla hat nicht einmal die Chance, unterzutauchen, um dieser peinlichen Situation zu entkommen. Denn von überall kesseln sie die Schüler ein und reißen sie mit sich in Richtung Schulgebäude wie eine Strömung im Fluss.
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