Kapitel 21
Bereits im November kündigt sich die Adventszeit an. Die Reservierungsliste Zum Kräuterladen ist gefühlt so lang wie die Chinesische Mauer. In Skylas Branche bedeutet Weihnachten und Silvester einen vollen Laden, Stress und viel Arbeit. Hinzu kommt das Training der Geisterjäger, das sie auslaugt und Besserung scheint nicht in Sicht zu sein. Das Medium schreit nach Erholungsphasen. Oft passiert es, dass Skyla während ihrer Verabredungen mit Milan angekuschelt auf seinen Schoss einschläft, während er sich mit seiner Fee über die aktuellen Fälle berät. Der Geisterjäger bezeichnet ihr Powernapping immer wieder als zuckersüß. Laut ihm soll sie wie ein Engel dreinblicken, wenn sie dem Tagesschlaf verfällt.
Ihr erschöpfter Zustand entgeht ihrem Umfeld nicht. Ihr Ausbilder David rät ihr dringend zu mehr Ruhe. Aber wie soll sie ihm erklären, dass sie neben ihrer Kochkarriere den wohl mies gelauntesten und militärischen Ausbilder auf der ganzen weiten Welt im Rücken hat, der darauf pocht, aus ihr eine Nahkampfmaschine zu machen. Ziemlich sinnlos in Bezug auf die Tatsache, dass all die Techniken keine Wirkung auf Geister haben. Hinzu kommt die Hetzjagd durch leerstehende Fabriken, indem sie lernen soll, sich lautlos zu bewegen. Sie soll schleichen und hoffen, damit Justin sie nicht findet. Gar nicht so leicht, wenn sie ständig das Gefühl hat, alles gibt unter ihren Füßen jeden Moment nach oder fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Bewege dich wie eine Katze! – bekommt sie von Justin ständig zu hören.
Tja entschuldige, dass ich als Mensch geboren wurde und nicht als Fellknäuel!
Eine Konfrontation mit Justin führt oft zum Trainingsabbruch, einem halben Herzinfarkt und einer Sammlung blauer Flecken. Immer wenn sie sein Training hinterfragt, bekommt Skyla von ihm zu hören, dass der erste Schritt darin besteht, ihren Körper zu stählern. Wenn er damit meint, ihren Hautton ähnlich wie Stahl anzupassen, sind sie mit den vielen dunklen Blutergüssen auf dem besten Weg dahin. All die Informationen über Geister und Dämonen, die ihr während der Hetzjagd zugerufen werden, kann sie sich unmöglich merken. Aber selbst das Privileg, sich eine beachtliche Sammlung von Tagebüchern einiger Geisterjäger anzusehen hilft daher nicht, weil ihr die Konzentration für all die Informationsflut fehlt. Besonders dann, wenn Texte übersetzt werden müssen.
Justin jammert über ihre Ungeduld und dem fehlenden Vertrauen in seine Ausbildung. Milan hingegen windet sich immer wieder aufs Neue aus den Diskussionen. Skyla sieht Furcht und Respekt in seinen Augen, wenn Justin anwesend ist. Erst wenn sein ungenießbarer Mitbewohner nicht bei ihnen ist, unterstützt und hilft er ihr, wo er kann. Das sorgt oft für ordentlichen Frust. Eine Diskussion ist nur verschwendete Zeit und Kraft mit Milan, denn wenn es um Justin und sein Training geht, dann bevorzugt er das Schweigen und wird ganz nervös. Dennoch zeigt sich der Geisterjäger sehr fürsorglich und setzt alles daran, dass Skyla zur Ruhe kommen kann. Seine Finger sind magisch. Er hat ein wahres Talent, ihre verkrampften Muskeln zu lockern. Außerdem zaubert er ihr mit seinem Charme und seinem Humor immer wieder aufs Neue ein Lächeln auf die Lippen. Ohne Milan würde sie diese schwierige Zeit nicht durchstehen. Auch wenn sie sich mehr wünschen würde, dass er sich gegen Justin behauptet.
Weihnachten rückt mit jedem Tag näher heran. Etwas, das Skyla bewusst verdrängen möchte. Zum Glück gehen ihre Eltern meist an den Feiertagen aus. Zwischen Weihnachten und Silvester sei ihrer Tochter frei gegönnt. Leider findet dann die gesamte Familie zusammen. Und selbst dann steht Skyla den halben Tag am Herd, weil das Festessen sonst eine Katastrophe wird. Denn statt mal außerhalb essen zu gehen und Skyla ein wenig Ruhe von ihrer Arbeit zu gönnen, kümmert sie sich mit ihrer Oma am Ende doch um alles. Die Familie wird sich einfach nie einig. Sobald die Frage in den Raum geworfen wird, welches Lokal in Betracht gezogen werden kann, beginnt die große Diskussionsrunde, wo am Ende niemand bereit ist, Kompromisse einzugehen.
Bis nach Silvester werden täglich Kreuze im Kalender gesetzt.
Diesmal hingegen wird mit Justins nervige Art und seinem stressigen Gehetze eine ordentliche Schüppe draufgelegt. Als wäre dies nicht genug, hat Skyla den wohl ekelhaftesten Dämon an ihrer Backe, den es nur gibt. Seine widerwärtigen Flirtversuche und sein ständiges Geschnatter bringen sie immer wieder auf die Palme. Ständig muss sich das Medium fragen, womit sie diesen Faustschlag des Schicksals verdient hat.
Und nun herzlich willkommen zum Survival Extrem.
Mögliche Folgen: Gereiztheit, Nervenzusammenbruch, Schlafmangel, Vergesslichkeit und Burnout.
Die Schockbotschaft folgt dann in der Schule, wo an nur einen Tag all die vielen Klausuren kurz vor den Weihnachtsferien angekündigt werden. Die giftige Botschaft kriecht wie eine Schlange in ihren Eingeweiden herum. Übelkeit steigt auf und der innige Wunsch nach einem langen Winterschlaf meldet sich immer öfter in ihrem Kopf. Eigentlich würde das Medium jetzt nach der Schule einfach nur ihr Bett aufsuchen und schmollen. Aber Schlaf und Ruhe sind Luxusgüter. Nichts, was Skyla gegönnt wird. Ihr bester Freund nimmt ihre Zeit in Beschlag. Seine Stärken schüchtern Skyla in dunklen Zeiten wie diesen ein, denn sie fürchtet sich davor, sich zu verplappern. Lukas darf einfach keinen Verdacht schöpfen. Ihm aufgrund ihres ermatteten Zustandes einfach abzusagen, würde einen unangekündigten Besuch bei ihr Zuhause heraufbeschwören.
Mit der U-Bahn geht es schließlich zum Bahnhof, der von Lukas gewünschte Treffpunkt. Er hat anscheinend etwas geplant und möchte seine Kindheitsfreundin überraschen. Gerade, als sie mühsam die Stufen aus der U-Bahnstation nach oben steigt, fällt ihr über den Anzeigetafeln ein böser Geist auf. Dabei wollte Skyla doch nur auf dem Display checken, ob Lukas Bahn bereits angekommen ist. Stattdessen blickt sie auf einen schwarzen Kopf mit rotglühenden Augen, der mitten in der Wand steckt. Sein restlicher Körper verbirgt sich hoffentlich dahinter, denn der Gedanke an einen schwebenden Kopf würde den Anblick nicht besser machen. Skyla betet, dass das Ding dort oben im Mauerwerk feststeckt und nicht hinaus kommen kann.
Aber wann hat sie schon mal solch ein Glück?
Der Störenfried blickt sabbernd und voller Gier auf die Leute herab. Ein matter Panzer schützt das Wesen und die Kopfform verläuft zum Ende hin spitz. Diese paranormale Begegnung sieht gefährlicher aus, als all das, was ihr bereits über dem Weg gelaufen ist.
Wonach es wohl sucht? Sicherlich seine nächste Mahlzeit.
„Kai", murmelt Skyla besorgt, als die roten Augen auf ihr ruhen.
„Bleib doch nicht einfach stehen!", wird sie nun blöd von hinten angemacht.
„Entschuldigung."
Um nicht aufzufallen, läuft Skyla eilig die Treppen weiter hinauf.
Dabei lauscht sie Kais Stimme: „Hier sind zu viele Leute. Du solltest Milan besser Bescheid geben."
Ihr Dämon hat gar nicht so Unrecht, also holt Skyla ihr Handy hervor.
Bevor jedoch Milan angerufen werden kann, schreckt Skyla zurück und fällt dabei fast die Treppen hinunter. Ein junger Mann handelt und fängt sie auf, er lächelt ihr charmant zu. Doch nur kurz blickt das Medium ihm ins Gesicht, denn ihr schockierter Blick ruht eher auf das schwarze Wesen, das sich vor ihr aufbaut und eine beachtliche Größe erreicht. Es läuft auf großen Spinnenbeinen und hat einen glatten Panzer wie bei einer Krabbe. Eine Reihe rotleuchtender Zähne werden entblößt und der faulige Atem steigt Skyla in die Nase, sodass sie sich kaum entscheiden kann, ob sie schreien oder würgen soll. Ganz langsam in der Hoffnung, die Kreatur reagiert nur auf hastige Bewegungen, richtet sich Skyla auf. Der junge Mann vor ihr starrt sie verwundert an, daher lächelt sie ihm liebevoll zu. Nur ungern möchte das Medium, dass ein Passant aufgrund ihrer Fehlentscheidung ums Leben kommt. Also reißt ihn zur Seite, während Skyla ihm ein etwas verzweifeltes „Danke" zuflüstert.
Zu Skylas Bedauern wittert das paranormale Wesen ihre Angst und grinst bösartig, als hätte es endlich eine würdevolle Beute gefunden. Ihr ganzer Körper zittert, als das Monster zuschnappt. Es verfehlt die beiden, wofür sie ihren imaginären Schutzengel so sehr dankt. Während Skyla verzweifelt ihr Herz beruhigen möchte, rattern die Räder in ihrem Kopf. Unter Panik lässt es sich schwer zu denken, also muss sie ihrem Gefühl vertrauen. Denn ihr Hirn lässt sie gerade jetzt im Stich, also tänzelt sie an dem verzauberten Kerl vorbei, der anscheinend viel zu viel Interesse an ihr zeigt.
Sie würde ihm ja gerne so etwas sagen wie: „Keine Chance, Schätzchen."
Aber Skyla ist gerade zu sehr mit dieser Bestie beschäftigt. Also schlägt die Köchin wie ein aufgescheuchtes Huhn die andere Richtung ein. Eilig begibt sie sich hinunter zur U-Bahnhaltestelle. Ein Blick zurück reicht aus, um zu wissen, dass das Wesen die Verfolgung aufgenommen hat.
Auf der Flucht wird Skyla klar, dass ihr der Geist gerade eben so nah war, dass sie ihn berühren konnte. Das Medium hätte den Störenfried absorbieren können.
Wie ärgerlich!
Skyla bezweifelt zwar, dass die Kreatur damit sofort verschwindet, nur hofft sie, dass eine Berührung mit ihren Superkräften nicht spurlos an ihm vorbei gehen wird.
„Dein Honig", bringt Skyla hervor.
Es klang hysterischer, als es sollte. Sie bemerkt die misstrauischen Blicke von den Leuten.
Also gut, dann anders.
Das Medium holt ihr Handy hervor und hält es sich ans Ohr. Ein trügerisches Schauspiel, damit der Rest der Welt sie nicht direkt für verrückt erklärt.
Kai erinnert sie: „Den habe ich nicht herstellen können, dafür hatte ich bisher keine Zeit."
„Dann kümmere dich um das Ungeziefer!"
„Wenn ein Teddybär nun gegen dieses Ding kämpft, wie würden dann die Leute hier reagieren? Locke das Vieh an einen anderen Ort und dann sehen wir weiter!"
„Du bist so nutzlos!", flucht Skyla leise über ihn, bevor sie angestoßen wird.
Jemand eilt an ihr vorbei, um noch die U-Bahn zu bekommen. Er ruft ihr zwar ein Einfaches „Entschuldige" zu und doch hat sie ihr Handy verloren. Etwas panisch begibt sich Skyla auf die Suche, dabei hängt ihr die Zeit im Nacken. Aber irgendwie muss sie Milan kontaktieren können.
Erneut ruft Skylas Kopf eine verpasste Gelegenheit auf. Denn in dem Moment, als Skyla ihr Handy in die Hand genommen hatte, um nicht verrückt klingen zu wollen, hätte sie ja auch gleich den Profi anrufen können. Ihr weicht sämtliche Farbe aus dem Gesicht, als sie ihr Handy unter dem Spinnenvieh entdeckt.
„Echt jetzt?" Ein Klagelaut dringt aus ihrer Kehle, als das fremde Wesen dieses mit den Zähnen aufhebt und hinunterschlingt. „Mein Handy!"
„Haben Sie es verloren?", wird sie von einer alten Dame angesprochen.
„Ja, das habe ich. Aber ich glaube, ich weiß, ungefähr wo."
Skyla lächelt ihr kurz zu, bevor sie sich verzweifelt umdreht und ihren Weg fortsetzt.
Es mag einfach nicht in Skylas Kopf hinein.
Dieses Ding hat mein Handy gefressen! Ein Geist? Geht das überhaupt? Oder handelt es sich bereits um einen Dämon?
Kai hat zum Glück eine Idee: „Du kannst doch Dinge rufen oder? Wünsche dir doch einfach dein Handy. Vielleicht wird es dem Dämon aus dem Magen gerissen."
Überrascht hält das Medium inne. Doch nur kurz, denn der Störenfried hat sie fast erreicht. Unterwegs fällt es ihr jedoch schwer, sich etwas zu wünschen. Es sind hier zu viele Leute unterwegs, sodass sie sich besser aufs Ausweichen konzentriert, bevor es noch zu einem Unfall kommt.
Auf den Treppen fordert Skyla ihr Glück erneut heraus. Das Kribbeln ihrer Finger ist ein gutes Zeichen und schenkt ihr Hoffnung. Der Dämon ist ebenfalls stehen geblieben, als genieße er die Jagd. Mit einem Schlag bricht ihr Besitz durch den Panzer und kommt Skyla entgegengeflogen. Sie fängt dieses glücklich und voller Dankbarkeit. Das Lächeln vergeht ihr jedoch schnell. Schließlich befindet sich ein ekliger, grüner Schleim um ihr Handy. Es erinnert sie an den Spielschleim aus ihrer Kindheit, nur mit dem Unterschied, dass der Geisterschleim warm ist und übel riecht.
„Wow, wie hast du das gemacht?", wird sie von einem Jungen in ihrem Alter angesprochen.
Ein Blick hinauf, zeigt, dass viele Leute Zeugen von dem Geschehen wurden. Das Medium lächelt nur verzweifelt und ergreift lieber die Flucht. Unterwegs reibt Skyla ihr Handy an ihrer Jacke ab und befreit es so gut es geht von dem Schleim. Statt Zeit zu vergeuden, wird Milans Nummer gewählt. So glaubt Skyla, denn sie hat sich verwählt und ruft Lukas an. Gerade, als Skyla ihr Handy ans Ohr halten will, bemerkt sie den Namen auf dem Display. Schockiert legt das Medium auf und doch hört sie kurz Lukas Stimme.
Wie bitte soll ich mich hier rausreden können?
„Pass auf!", warnt Kai sie.
Das Monster verlässt die Wand neben ihr und kommt ihr mit gesenktem Kopf entgegen gestürmt, als wolle es sie wie ein Ziegenbock rammen. Skyla weicht einen Schritt zurück und nun nimmt sie ihre Chance wahr. Sofort streckt das Medium ihre Hand aus, die an dem glatten Panzer entlang gezogen wird und eine weiße, leuchtende Spur zurücklässt. Die Kreatur fängt fürchterlich schrill an zu schreien und bricht noch während des Laufens zusammen. Für einen kurzen Moment ruht ihr ungläubiger Blick jedoch auf ihrer Hand. Das fremde Wesen fühlt sich eisig an, als hätte sie ihre Hand über eine glatte Schicht gefrorenes Wasser gezogen.
Da Skyla kurz auf ihr Handy blickt, das vibriert, wäscht Kai ihr den Kopf: „Na los, deine Chance! Absorbiere es, bevor es sich erholt!"
Er hat ja Recht!
Also drückt Skyla Lukas Rückruf weg. Schließlich schlängelt sie sich an den Leuten vorbei zu der am Boden liegenden Kreatur. Zögernd legt sie ihre Hand auf den Panzer, woraufhin das Wesen hell leuchtet. Gleißendes Licht, das sie zwingt, die Augen zu schließen, um nicht zu erblinden. Kaum kommt Skyla mit der paranormalen Gestalt in Kontakt, beschwört dies einen Schwächeanfall herauf. Als würde das fremdartige Geschöpf ihr sämtliche Energie entziehen. Taumelnd entfernt sich Skyla von dem hellen Licht. Mit ihrem Rücken stößt sie gegen die hintere Wand. Ein müder Blick hinauf, bevor sie plötzlich wegtritt.
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