Kapitel 17
Die Frist ist abgelaufen und wie vereinbart hat Milan Skyla im Schlepptau. Wie gerne würde sie jetzt kehrtmachen. Dieser Besuch kostet ihr unglaublich viel Überwindungskraft. Denn heute ist ihr freier Tag und dann darf sie sich mit Milans idiotischem Mitbewohner treffen. Jede Faser in ihr schreit danach, umzudrehen. Allein an Justin zu denken, bringt ihr Blut zum Kochen. Von allen Leuten, die Skyla bisher getroffen hat, ist er der wohl unverschämteste Kerl auf der ganzen Welt.
Das meterhohe Unkraut verrät ihr, dass sie sich bei der Adresse nicht geirrt haben. Skyla kann es noch immer nicht glauben, Milan besitzt eine Fee und doch ist hier alles verwildert. Viel fehlt nicht mehr, dann braucht die Azubiene eine Machete, um diesen Dschungel überhaupt passieren zu können. Ein Geistesblitz überwältigt Skyla.
Was wenn es einen Grund gibt, dass ihr das Unkraut fast bis zur Hüfte geht?
Vielleicht verstecken sich dort die Drachen. Es heißt ja nicht, dass es sich um große, feuerspeiende Echsen handeln muss. Sie können ebenso klein und niedlich sein. Mit Unbehagen tritt Skyla durch das hohe Gras. Sie scannt ihre Umgebung und ist auf der Lauer. Ein Rascheln macht sie ganz nervös und bringt ihre Nerven zum Flattern. Wie eine erschrockene Katze springt sie zurück, als ein Hase ein Stück weit vor ihren Füßen vorbeihuscht, um schnell wieder zu verschwinden.
Ihr Begleiter nähert sich ihr mit einem fragenden Ausdruck. Damit Skyla nicht mal einen Hauch einer Chance hat, davonzulaufen, ist Milan persönlich vorbeigekommen, um sie abzuholen und zu diesem Schreckenshaus zu eskortieren.
„Darf ich fragen, was du da machst?"
„Gebe mir einen Rasenmäher und Gartenwerkzeug, dann bringe ich euren Vorgarten auf Vordermann. Oder ich hole meine Oma hier her, die wird sich dieses Trauerstück nicht lange ansehen und diesen Ort in ein Paradies verwandeln!"
„Nett gemeint. Aber nicht nötig. Wir bleiben nicht lange."
„Dieses Haus hat etwas von einem Spukhaus! Die Fassade bröckelt sogar schon!"
„Es ist kein Spukhaus", möchte der Geisterjäger klarstellen, „hier kann gar nichts Übernatürliches rein."
„Hier will auch nichts Übernatürliches rein! Denn selbst Dämonen oder Geister würden sich vor diesen Ort fürchten!"
Milan blinzelt sie an und macht kehrt, um neben ihr zu stoppen. Schließlich betrachtet er das Haus mit einem schiefen Kopf und schweigt sie einige Minuten an.
„Naja", beginnt der Kerl. „Ein Haus muss ja nicht unbedingt von außen beurteilt werden. Innen ist es doch gemütlich."
In was für einen Film lebt er? Von wegen! Die Inneneinrichtung ist überhaupt nicht gemütlich. Sondern trostlos, leer und lieblos.
Skyla beobachtet mit aufgeblasenen Wangen, wie Milan zur Tür schreitet. Er schließt den Eingang auf und lauscht der biestigen Fee, die dem süßen Geisterjäger ins Ohr flüstert. Kurz darauf blickt Milan erschöpft zurück und hält Skyla zuerst die Tür auf. Da sie nicht reagiert, winkt er sie mit dem Zeigefinger zu sich. Unbewusst schüttelt Skyla ihren Kopf, schließlich verschränkt sie die Arme protestartig vor ihrer Brust. Ihre Augen werden schmal, als Justin im Türrahmen stehen bleibt.
Die Bohnenstange trägt tatsächlich Hemd und Krawatte und provoziert sie mit diesem langgezogen Grinsen, sodass ihre Beine von allein reagieren und sie zum Gehweg tragen. Mit einem athletischen Sprung über den Gartenzaun versperrt Milan ihr den Weg. Da Skyla die andere Richtung für ihre Flucht in Anspruch nehmen möchte, muss er schnell reagieren. Er fängt sie auch noch zu ihrem Pech im nächsten Augenblick ein. Seine Arme legen sich von hinten um sie, greifen zu und halten Skyla gefangen, als wolle er sie nie mehr freigeben. Dreist legt Milan seinen Kopf auf ihre Schulter.
„Ich bitte dich, rede mit ihm, Süße."
„Dann soll er nicht so grinsen!"
Milan wirft einen verzweifelten Blick zu Justin, der ihn erwartungsvoll beobachtet.
Also versucht Mias Partner es anders: „Ich bin bei dir und ich werde nicht von deiner Seite weichen. Wenn es dir hilft, dann halte ich deine Hand."
„Ich bin doch kein kleines Kind mehr!", reagiert Skyla empfindlich darauf.
„Okay, verzeih mir. Aber ich wollte eigentlich nur helfen."
Skyla atmet kurz tief durch, bevor sie doch auf sein Angebot zurückkommen möchte: „Aber wenn du so sehr darauf bestehst, dann werde ich deine Hand halten."
Sie dreht sich um und er lächelt sie verzaubert an, woraufhin der Geisterjäger einen zornigen Blick von ihr ernten muss. Milan nimmt sich die Freiheit und ergreift ihre Hand, schließlich führt er sie ins Jägerhaus.
Justin geduldet sich, bis die beiden eingetreten sind und schließt hinter sich die Tür. Milan führt sie in ein erstaunlich leeres Wohnzimmer. Ein kleiner Aktenschrank befindet sich in einer Ecke und mittig des Raumes steht ein seltsamer Tisch. Zwischen dem Tischgestell und der Tischplatte blickt von allen vier Seiten eine Decke mit niedlichem Katzendruck heraus. Auf der Oberfläche bekommt der Laptop Gesellschaft von einer dampfenden Tasse Tee.
Milan erklärt ihr amüsiert: „Das ist ein Kotatsu. Unter dem Tisch befindet sich eine elektrische Heizung. Ziemlich praktisch für kalte Tage."
Sie lächelt ihm verzweifelt zu, auch wenn sie dieses Möbelstück interessant findet, schockiert sie dennoch diese leere Einrichtung. Der Aufenthalt mag nicht lange geplant sein und doch könnte ein wenig mehr Komfort nicht schaden. Dieser Tisch ist die einzige Sitzmöglichkeit weit und breit. Anders als die Esstische,die Skyla kennt, ist dieses Exemplar so niedrig, dass Stühle nicht gebrauchtwerden. Das erklärt wahrscheinlich auf die Sitzkissen dort.Es gibt keine Couch und auch keine Essecke, woraufhin Skyla sich sicher ist, dass dieser beheizte Tisch zum Zentrum der beiden Mitbewohner wird. Hier wird gegessen und gearbeitet.
„Mädchen, Zeit, dass du dich an den Herd stellst", findet Justin und nähert sich ihr.
„Darf ich ihn hauen, Milan?", fragt Skyla den süßen Geisterjäger und lässt ihre Fingerknochen knacken.
„Bitte gebe dir Mühe, Justin", bittet Milan seinen Mitbewohner.
„Wozu? Die Tür ist wie die Fenster abgesperrt. Sie kommt hier nicht ohne uns raus." Justins Augen werden schlagartig dunkler und sein düsterer Blick klebt nun auf Skyla, die unbewusst mit den Zähnen fletscht. „Sollte die Göre uns auf die Nerven gehen, fesseln wir sie."
Skylas Augen weiten sich vor Entsetzen. Schockiert läuft sie drei Schritte rückwärts. Dieser Justin scheint wirklich gefährlich zu sein. Nun versteht Skyla Milans Sorge, denn sein Mitbewohner wirkt unberechenbar auf sie.
„Das meint er nicht ernst", will Milan seine Freundin beruhigen.
Justin fällt ihm jedoch in den Rücken: „Doch, ich meine es ernst."
„Nein, das meint er nicht!", knurrt Milan und wirft seinem Mitbewohner einen zornigen Blick zu.
Justin bleckt die Zähne. „Du bist viel zu weich, Milan! Hey Göre, ich meine das voll und ganz ernst!"
„Hör auf, Justin! Ich habe sie wirklich gern! Also verbaue mir das nicht!"
Die Bohnenstange zuckt gleichgültig mit seinen Schultern. „Gut, sie ist hübsch. Meinetwegen habe deinen Spaß mit ihr. Aber als ob sie dir etwas bedeuten würde. Bei all den Weibern, die du bereits hattest, mag ich das zu bezweifeln."
Skyla hat genug gehört. Erzürnt reißt sie sich von Milan los und bereut es sofort, sich auf ihn eingelassen zu haben.
„Ich hasse dich, Justin!", regt sich Milan laut auf.
„Wohin willst du, Göre?", möchte sein Mitbewohner in Erfahrung bringen und stellt sich Skyla in den Weg.
„Fort! Weit weg von euch beiden!"
„Bist du so dumm? Ich habe gerade gesagt, dass die Türen und Fenster verschlossen sind."
„Ich bitte dich nur einmal, mache mir die Tür auf!", fordert sie ihn gehobenen Finger auf.
„Nö."
Also will Skyla ihn überwältigen. Sie versucht es mit einem Tritt. Gekonnt weicht Justin ihr aus, sie bekommt gar nicht mit, wie er es schafft, so plötzlich hinter ihr zu stehen. Milan rettet Skyla, indem er Justins Bein abfängt.
Mias Partner sieht zwar Justin erzürnt an und doch spricht er zu ihr: „Ich wiederhole mich gerne noch einmal für dich, Skyla. Ich meine es verdammt ernst mit dir. Alles, was ich dir sagte, war nicht einfach daher geredet."
Allein die Vorstellung, wie schnell Skyla gegen eine andere ausgetauscht wird, bricht ihr das Herz.
Wie konnte ich nur so blind sein? Dabei hat Lukas mich gewarnt und er hatte anscheinend Recht!
„War ja klar, dass du ein Frauenheld bist!", ärgert sie sich laut.
Milan lässt Justin los und rät seinem Freund: „Behandle sie nicht so respektlos, Justin."
Sein Mitbewohner lächelt amüsiert und schlägt im nächsten Moment zu, als Milan sich zu ihr umdrehen wollte. Skyla beobachtet schockiert, wie Mias Partner zu Boden geschlagen wird.
Justins Blick wird nun eisig. Er richtet seine Brille gerade und berichtet ihr: „Ich werde dir den Nahkampf beibringen und schon bald der Umgang mit einer Pistole. Du musst lernen, kreativ zu denken."
Zwar spricht er zu ihr und doch gilt Skylas Aufmerksamkeit Milan, der sich fluchend erhebt.
„Alles okay?", fragt sie ihn besorgt.
„Der, wird schon wieder. Besser du hörst mir zu, Göre. Ich wiederhole mich nämlich nicht nochmal. Meist sind die Geister uns überlegen und das trotz unserer langen Erfahrung in der Branche. Einfach stehen zu bleiben und auf den Tod zu warten ist keine Option! Suche nach anderen Blickwinkeln und arbeite mit deinem Umfeld. Du wirst lernen, dich wie eine Katze zu bewegen und Hindernisse problemlos zu überwinden. Das Beschatten gehört, wie du bereits weißt, dazu. Unser Job bietet viel Abwechslung..."
Das klingt ja schon fast wie ein Bewerbungsgespräch.
Einen kurzen Moment versucht sich Skyla Justin als Mitarbeiter der Personalabteilung vorzustellen. Ihr albernes Lächeln entgeht dem Miesepeter nicht, woraufhin sie kurz böse angefunkelt wird.
„...Ich bitte um Konzentration! Denn oft treffen wir auf bekannte Namen und bei den höheren Dämonen musst du ordentlich was drauf haben! All deine Begegnungen mit paranormalen Wesen oder seltsame Ereignisse schreibst du in deinem Tagebuch nieder. Ich habe dir eins organisiert, daran klebt die Rechnung."
Er hat was? Und schön, dass Justin mir bereits etwas in Rechnung stellt, wovon ich noch nichts weiß!
Unter dem Laptop hat der Kerl ein knallpinkes Tagebuch versteckt, das mit ganz viel Glitzer, Einhörner und anderen niedlichen Mädchenzeugs verziert ist. Allein beim Anblick ist Skyla zum Kotzen zu Mute. Justin wirft ihr das Buch zu, das sie auf gar keinen Fall fangen will. Also landet das Grauen vor ihren Füßen. Skyla wünscht sich gerade nichts anders, wie einen schwarzen Filzstift, womit sie die dämlich grinsenden Einhörner verunstalten kann.
Ihre Finger fangen erneut an zu kribbeln. Überrascht beobachtet Skyla, wie das hässliche Buch zu ihr hinaufschwebt. Ein schwarzer Filzstift bricht plötzlich durch ein Fenster hindurch und bleibt neben dem Buch schweben. Die Scherben fallen klirrend zu Boden und der kalte Wind bahnt sich einen Weg hinein. Genervt deutet Justin auf den Schaden, doch das ist gerade ihre geringste Sorge. Mit weit aufgerissenen Augen blickt Skyla auf die fliegenden Objekte vor ihrer Nase. Sie blinzelt diese ungläubig an. Mit ihren Händen wedelt sie durch die Luft, um irgendwelche Fäden ausfindig zu machen. Irgendwann muss Skyla der Wahrheit ins Gesicht blicken, denn das Buch und der Stift schweben in der Luft als liegen diese auf eine günstige Luftströmung. Unglaublich.
„Das stelle ich dir auch noch in Rechnung, Göre!", versichert Justin ihr.
Skyla ist sich so sicher, dass die Brillenschlange das Fenster meint. Sie fletscht erzürnt die Zähne, daraufhin macht sich der Filzstift neben ihr selbständig. Er schwebt zu einer Wand und kritzelt diese mit nur einem Satz voll: Ich hasse dich!
Endlich tritt die kleine Fee in Aktion, denn Mia versucht, den Stift zu stoppen. Mit hochrotem Kopf kämpft sie damit, diesen von der Wand zu ziehen. Justin eilt ihr zur Hilfe, doch das Werkzeug rührt sich selbst bei ihm nicht. Nun überwältigt Milan Skyla, indem er ihr seine Hände auf die Wangen legt und ihr tief in die Augen blickt.
„Beruhige dich bitte, Skyla."
Der Stift und das Buch fallen daraufhin zu Boden. Justin hingegen dreht sich verärgert um, er funkelt Skyla zornig an und schnauft.
„Sieh an, wir haben nun ihre Kräfte zu Gesicht bekommen. Wie nervig! Sie muss lernen, ihre Gefühle im Griff zu kriegen."
Kaum spricht er zu Ende, lässt sich Skyla auf ein Blickduell ein. Denn sie kann genauso wütend hinein blicken wie er.
Milan sieht zu seiner Fee und bittet sie: „Mia, repariere bitte das Fenster."
Das kleine Insekt gehorcht und jede einzelne Glasscherbe erhebt sich auf ihren Willen hin und schwebt zum Fensterrahmen. Wie ein Puzzle setzt sich dieses zusammen. Die Risse verblassen zuerst, bevor sie ganz verschwinden. Denn die Scherben verschmelzen miteinander. Das Ergebnis ist eine funkelnde, nagelneue Fensterscheibe. Skyla betrachtet diese baff. Wie praktisch solch eine Magie doch sein kann. Genervt dreht sich Mia zu der bekritzelten Tapete. Mühselig befreit sich Buchstabe für Buchstabe von der Wand und klatschen auf den Boden auf, um kurz darauf zu Justin zu laufen, der mit einem großen, leeren Gurkenglas zurückkommt. Nach und nach verschwinden die Buchstaben in dem Einmachglas, bis keiner mehr von ihnen übrig bleibt. Skyla glaubt, sie träumt.
Ist das gerade eben wirklich passiert?
Justin schraubt den Deckel drauf und es folgt ein Ratschlag an seinen Mitbewohner: „Jeder rät dir davon ab, einer Hexe das Herz zu brechen. Ich rate dir, breche der Göre nicht das Herz."
„Das habe ich nicht vor!", bringt Milan zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Mia hat den Filzstift aufgehoben und den Deckel draufgesetzt, schließlich fliegt sie mit diesem zu Skyla, die den Stift verwundert entgegennimmt.
„Danke", gibt sie überwältig von sich.
„Du solltest dich vielleicht setzen", findet Milan.
Er führt Skyla zu dem Kotatsu, wo die beiden sich auf eins der vier Kissen vor dem Tisch hinsetzen. Justin räumt den Laptop weg und knallt ihr das Tagebuch vor die Nase.
„Statt mich so doof anzustarren, könntest du so etwas wie gerade eben in das Buch kritzeln!"
„Hat dir jemand schon gesagt, wie nervtötend du bist?", fragt Skyla ihn erzürnt.
„Freu dich, Göre, wir sehen uns jetzt jeden Donnerstag. Dafür, dass ich dich ausbilde, wirst du uns bekochen", fordert dieser unverschämte Kerl.
„Das sollte doch wohl eher anders herum sein! Schließlich bin ich nicht freiwillig hier! Du solltest eher dankbar sein, dass ich dir nicht an die Gurgel springe!"
Skyla erhebt sich erzürnt, denn sie möchte mit diesem Kerl auf Augenhöhe sein.
Justin belächelt dies. „Du hast ein freches Mundwerk."
„Gewöhne dich daran! Du darfst mein freches Mundwerk jetzt jeden Donnerstag ertragen!"
„Du bist mutig. Gut. Mal sehen, wie du die Ausbildung überstehst. Erst mal brauchst du einen Schutzgeist", erinnert Justin sie streng, „der Bär will dich übrigens sprechen."
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