Erklärungen
Nachdem ich alles erledigt habe, machen Nay und ich es uns wieder auf dem Sofa bequem.
Mein Kopf liegt auf seiner Brust während er mich mehr oder weniger konzentriert Spanischvokabeln abfragt.
Ich bin froh, dass dies mein letztes Schuljahr ist.
Danach möchte ich Biologie studieren, Biologin werden.
Ich interessiere mich sehr für diesen Fachbereich.
Bisher war es auch, weil ich das Verhalten von Wölfen erforschen wollte - ich wollte wissen, wieso dieser eine Wolf sich so gut mit mir verstand, warum und wie es möglich ist, solch eine starke Bindung zwischen Mensch und Tier aufzubauen.
Jetzt, da ich die Wahrheit über meinen Wolf kenne, interessiert mich alles noch mehr - jetzt will ich wissen, wie es sein kann, dass Nay existiert.
Dass ein Mensch ein Kind mit einem Tier haben kann.
Ich würde so gerne erforschen, was alles dahinter steckt, herausfinden, ob es noch andere wie Nay gibt.
Halb Mensch, halb Tier.
Außerdem habe ich dabei den Hintergedanken, dass ich Nay das alles werde erzählen können - und dass er dadurch endlich von seinem Selbsthass abkommt.
"Deine Eltern kommen gleich."
Nays Stimme lässt mich aufschrecken.
"Was? Woher willst du das wissen?"
"Das Auto fährt gerade in die Garage."
Angestrengt lausche ich, doch ich kann nichts hören, außer meinem und Nays Atem.
"Ich hör nix."
Nay schmunzelt.
"Ich hab eben ein besseres Gehör als du."
"Angeber."
Er beugt sich zu mir und gibt mir einen versöhnlichen Kuss.
Da könnte ich mich doch glatt dran gewöhnen.
Zu schnell löst er sich wieder von mir und setzt sich auf.
"Willst du, dass ich gehe?"
Unwillkürlich schüttle ich den Kopf und setze mich ebenfalls hoch.
Doch selbst wenn ich es gewollt hätte, wäre es jetzt zu spät gewesen - soeben wird die Klinke der Wohnzimmertür nach unten gedrückt und meine Mutter kommt, gefolgt von meinem Vater, ins Zimmer herein.
Als sie mich schon wieder mit Nay vorfinden, stutzen sie.
Mein Vater hebt beide Augenbrauen und mustert Nay von oben bis unten, während sich dieser zögernd erhebt.
Auch ich stehe auf und ergreife das Wort, ehe mein Vater irgendeinen Kommentar abgeben kann.
"Ma, Dad - das ist Nayjuan.
Er hat mir das Schulzeug, dass ich heute versäumt habe, vorbeigebracht."
Innerlich fluche ich.
Meine Eltern wissen genau, dass Mila das sonst immer macht.
Deshalb rede ich schnell weiter.
"Nay, meine Eltern."
Er grinst mich an und wendet sich dann zuerst meiner Mutter zu - ganz der Gentleman -, um ihr die Hand zu reichen, dann schüttelt er auch die Hand meines Vaters.
Anschließend breitet sich unangenehmes Schweigen zwischen uns aus.
Schließlich meint mein Vater:
"Sie sind aber ganz schön lange hier geblieben, dafür, dass Sie meiner Tochter nur das Schulzeug vorbeigebracht haben - gestern haben Sie sich noch dafür entschuldigt, Jara geküsst zu haben und heute...
Was sagen Sie heute dazu?"
Ich beiße mir auf die Wange und sehe meinen Vater grimmig an, der meinen Blick erwidert, während ein heimliches Lächeln um seine Mundwinkel huscht.
Ich weiß, dass er Nay auf die Probe stellen will und spüre, wie sich Letzterer neben mir anspannt.
"Ich bitte Sie, mich zu duzen.
Was die Schule angeht... es stehen mehrere Klausuren an, auf die wir uns zusammen vorbereitet haben. Das Missverständnis von gestern ist längst geklärt, stimmt's?", antwortet er meinem Vater und sieht mich dann warm an.
Ich könnte unter seinem Blick dahin schmelzen.
"Nun, in Ordnung... Darf ich fragen, wie es jetzt zwischen euch aussieht?"
"Papa!"
Auch meine Mutter schaltet sich ein.
"Lass gut sein Schatz, lass den armen Kerl doch mal vom Haken."
Doch Nay erwidert ungerührt:
"Ich bin ihr Freund."
Baff sehe ich ihn an.
Auf seinem Gesicht liegt immer noch dieses sanfte Lächeln, doch in seinen Augen sehe ich die Frage, ob es okay ist.
Ob ich finde, dass er zu weit gegangen ist.
Ob ich mit ihm zusammen sein möchte.
Ich hoffe, dass ihm das Lächeln auf meinem Gesicht Antwort genug ist.
Dann drehe ich mich wieder zu meinem Vater um, um dessen Reaktion zu sehen.
Auf seinem Gesicht hat sich endlich das Lächeln ausgebreitet, das ich von ihm gewohnt bin.
Ich liebe meinen Vater - er ist so gut wie immer gut gelaunt und immer für mich da, egal, um was es geht.
Mich wundert es ohnehin, dass er es so lange durchgezogen hat, Nay zu löchern, ohne ihm einfach freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen oder ähnlichem.
Das holt er jetzt nach.
Als ich Nays erstaunte Miene sehe, während mein Vater ihn einfach an der Schulter packt und ihn kurz in seine Arme zieht, muss ich grinsend den Kopf schütteln.
Wenn man meinem Vater über den Weg läuft, ohne ihn zu kennen, würde man nicht erraten, dass er ein mega emotionaler, total gutherziger und liebenswürdiger Mann ist, der bei Liebesschnulzen im Fernsehen am Ende immer anfängt vor Rührung zu heulen.
Er ist groß, hat eine bullige Statur und schiebt einen kleinen Bauch vor sich her.
Seine Haare trägt er kurzgeschoren - das liegt wahrscheinlich daran, dass seine Frisur sonst aussähe wie ein Schweizer Käse.
Anstelle von einer langsamen Glatze, die sich mit den Jahren immer weiter ausbreitet, hat er seine Haare stellenweise einbüßen müssen und ist schließlich lieber dazu übergegangen, sie fast komplett abzurasieren.
Ich kann bezeugen, dass er so besser aussieht.
Auch Nay hat sich scheinbar vom Äußeren meines Vaters täuschen lassen und nicht mit dessen Gefühlsausbruch gerechnet.
Meiner Mutter ist das wohl auch aufgefallen, sie grinst mich an und sieht dann liebevoll zu ihrem Mann.
Meine Mutter hat eine sehr ausgeglichene Persönlichkeit und ist diejenige, die mich auch mal zur Schnecke macht, wenn ich Mist gebaut habe oder die mich bei allzu schlechten Noten bemängelt.
Mein Vater bringt das einfach nicht übers Herz.
Des Weiteren ist sie überaus witzig, wenn man es nur länger mit ihr zu tun hat - sie ist etwas schüchtern - , und wenn man sie einmal selbst mit nur ein wenig Alkohol erlebt hat, weiß man, wie lustig sie wirklich drauf sein kann.
Alles in allem sind sowohl Mama als auch Papa ganz coole Eltern - ich würde mir keine anderen wünschen.
Mein Vater hat Nay wieder losgelassen und dieser hat sich in Rekordtempo zurück zu mir geflüchtet.
Er scheint sich zwar darüber zu freuen, dass meine Eltern ihn akzeptieren, dennoch war ihm die Reaktion meines Vaters wohl ein wenig unheimlich.
"Tja... ähm.... Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich von jetzt an öfter hier herumhängen", meint Nay mit einem schiefen Grinsen im Gesicht.
Er sieht aus, als wolle er noch etwas sagen, doch mein Vater fällt ihm ins Wort.
"Nein. Solange du Jara glücklich machst hast du hier freien Eingang. Und bitte, hör auf, uns zu siezen!
Ich komme mir ja vor wie ein alter Mann!"
"Okay", sagt er lächelnd.
"Ich werde mich jetzt dann auch mal auf den Heimweg machen."
"Ja, deine Eltern warten bestimmt schon mit dem Abendessen auf dich, oder?", erwidert meine Mutter.
Mein Blick fällt auf die Uhr, dann auf Nay.
Ich bemerke, wie er sich kurz versteift, dann nickt er etwas abgehakt.
"Ich bringe dich noch zur Tür", sage ich schnell, um von seinen Eltern abzulenken, woraufhin Nay mir einen dankbaren Blick schenkt, bevor er nach meiner Hand greift und mich aus dem Wohnzimmer zieht.
Vor der Haustür bleibt er stehen.
"Kommst du morgen wieder?", frage ich Nay.
"Wenn du nichts dagegen hast", antwortet er augenzwinkernd.
Ich lache nur und strecke mich, um ihn zu küssen, er kommt mir freudig entgegen.
Da mir klar ist, dass meine Eltern uns beobachten, löse ich mich ziemlich schnell wieder von ihm.
"Hier."
Nay hat einen zusammengefalteten Zettel aus der Hosentasche gezogen, den er mir nun reicht.
Auf meinen fragenden Blick hin meint er, dass seine Handynummer draufstehe.
"Du hast im Wald Netz?"
"Ja, und in einem davon hingst du vor Jahren im Baum", grinst er.
Ich kann nicht verhindern, dass ich kurz lospruste.
"Ja hab ich, bisher eigentlich unnötig, aber um jetzt mit dir jederzeit in Kontakt zu treten, sicher extrem praktisch."
Er beugt sich noch einmal zu mir und haucht mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
"Bis morgen, Jara."
~ ❤️ ~
Nach dem Abendessen bin ich sofort zu Mila gelaufen.
Jetzt stehe ich vor der Haustür und warte darauf, dass sie mich reinlässt.
Als die Tür mit Schwung geöffnet wird, komme ich noch nicht mal zum Reden.
"Jara!"
Mila zieht mich hinter sich her ins Haus.
Als wir in ihrem Zimmer stehen, das mir fast so vertraut ist wie mein eigenes, mache ich es mir erst mal auf ihrem Bett gemütlich, ehe ich zu Mila hochsehe.
Sie steht mit in die Seite gestemmten Händen vor mir und ich muss kichern.
Als sie mich immer noch abwartend ansieht, seufze ich und beginne zu erklären.
"Ich weiß, dass du denkst, ich hätte dir Nayjuan verheimlicht, dass ich was mit ihm hab und so."
Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe.
"Ich weiß, dass es sich unglaubwürdig anhört, aber so richtig kennen... so Kontakt in dem Sinne, in dem du es gesehen hast, haben wir erst seit gestern Nachmittag.
Ich hatte noch keine Gelegenheit dir von ihm zu erzählen."
Mila sieht mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.
"Aber du kanntest ihn schon vorher?"
"Nein. Ja. Eigentlich nicht. Verdammt, ich kann das nicht erklären.
So... richtig habe ich ihn erst gestern kennengelernt."
Mila zieht eine Augenbraue hoch.
"Du weißt schon, wie dämlich sich das anhört?"
Ich seufze.
"Ja. Aber ich will dich nicht anlügen."
Auch Mila seufzt, sieht mich aber mit einem kleine Lächeln an.
"Okay... Ich werde es vermutlich nicht verstehen. Aber ich weiß, dass du mir nichts ohne wirklichen Grund verheimlichen würdest."
Erleichtert sehe ich sie an.
"Ich hoffe, dass du's mir einfach erzählst, wenn du's für richtig hältst. Aber... Also vor gestern Nachmittag hattet ihr noch nichts miteinander?"
Ich nicke.
Diese Frage ist wenigstens mal einfach.
"Und jetzt? Du hast wegen ihm die Schule geschwänzt, oder?"
Wieder nicke ich.
Doch bevor sie danach fragen kann, sage ich schnell
"Ich kann dir aber nicht genau erklären, warum. Sorry."
Mila seufzt, akzeptiert aber, dass ich nicht bereit bin, dazu noch mehr zu sagen.
"Okay... und was ist seid gestern zwischen euch passiert?"
Ich bin mir nicht sicher ob sie meint, warum wir so schnell schon so vertraut miteinander sind, wie das plötzlich zwischen uns entstanden ist oder einfach, was alles schon zwischen uns gelaufen ist seit gestern.
Ich beschließe, einfach letzteres anzunehmen - auf die anderen beiden Fragen hätte ich nämlich wieder keine richtige Antwort parat.
"Wir haben uns geküsst", ich zucke mit den Schultern.
"Und wir sind seit heute zusammen." Ich kann nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet.
Mila scheint meine Gefühlsregungen zu analysieren.
"Okay. Wow.... Du siehst glücklich aus."
"Das bin ich."
Meine Freundin grinst.
"Also gut. Dann soll's mir recht sein, dass du mir das ein oder andere zu deinem Freund gerade nicht erzählen willst."
Freudig falle ich ihr um den Hals.
Ich wusste ja schon, dass ich die beste Freundin der Welt habe... Aber diese Reaktion beweist das noch einmal mehr.
"Danke Mila. Du bist die Beste."
"Weiß ich doch", gibt sie selbstgefällig zurück und macht sich wieder los von mir.
"Falls du's mir irgendwann doch erzählen willst, bin ich nicht abgeneigt", sie zwinkert mir zu.
"Und halt mich über euch beide auf jeden Fall auf dem Laufenden!"
"Ich versprech's", erwidere ich lächelnd.
Hier noch einmal das Bild von Nay von oben - erstellt von der lieben _Seelenspiegel_😘❤
Es ist ultra schön geworden😍😍😍 Nochmal vielen vielen Dank!!!❤❤❤
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