Die Schwangerschaft II
"Nay?"
Meine Stimme klingt erschöpft und ziemlich fertig.
Trotz dass mich meine Mutter seit fast zwei Wochen täglich von der Schule abholt, weil mir der Weg mittlerweile einfach zu beschwerlich geworden ist, strengt mich die ganze Sache mit der Schule einfach zu sehr an.
"Ja, Jara?"
Mein Freund kommt besorgt um die Ecke und eilt zu mir ins Wohnzimmer.
Vorsichtig lasse ich mich derweil aufs Sofa fallen.
"Ich kann das nicht mehr", bringe ich hervor und breche in Tränen aus.
Nay sieht mich erschrocken an, überbrückt schnell die letzten Meter zu mir und nimmt mich in den Arm.
"Schschschh."
Ich kuschle mich enger in Nays Arme und schließe zur Beruhigung meine Augen.
Während ich Nays Hände meinen Bauch streicheln spüre, driften meine Gedanken immer weiter weg.
Ich bin so erschöpft.
Das letzte Mal durchgeschlafen habe ich vielleicht vor einem Monat.
Aber Nay geht es durch mich auch nicht besser.
Würde ich jetzt meine Augen öffnen, würde ich auch bei ihm dicke Augenringe erkennen können.
Oft kann auch er nicht einschlafen, wenn ich mich mal wieder unruhig im Bett herumwälze.
Oder er kann vor Sorge um mich und die Babys nicht einschlafen.
Weil er Angst hat, dass uns durch einen Moment der Unaufmerksamkeit seinerseits irgendetwas passieren könnte.
Durch meine Schlafprobleme bin ich in der Schule nicht wirklich aufmerksamer geworden.
Fast jeden Tag bemüht sich einer meiner Freunde darum, mir den Stoff des Vormittags am Nachmittag doch noch irgendwie näher zu bringen, damit ich die Klausuren, die zurzeit wie Hagelkörner auf uns einprasseln, nicht komplett verhaue.
Mittlerweile erscheint mir der Gedanke, die Klasse zu wiederholen, gar nicht mehr so schlimm wie zu Beginn.
Es wäre wahrscheinlich einfach das Sinnvollste.
So, wie es aktuell läuft, kann es jedenfalls nicht weitergehen.
Und wenn dann die Geburt stattfindet, werde ich auch erst einmal über längere Zeit in der Schule fehlen.
Das werde ich nicht so leicht von selbst nachholen können.
Meine Eltern, Nay und auch meine Freunde sehen das ähnlich. Und letztere sind wohl auch erleichtert, dass sie ihre kompletten Nachmittage nun nicht mehr damit verbringen müssen, mir emotionalem Walross irgendwie Mathe, Chemie und Co. einzutrichtern.
~ ❤️ ~
Mit jedem Tag, der vergeht, mit jeder Woche, in der mein Bauch noch weiter anschwillt, obwohl ich das in der Woche vorher noch für unmöglich gehalten hatte, werde ich nervöser.
Ich bin jetzt nach vier Monaten Schwangerschaft mit den Nerven dermaßen am Ende, dass es außer Nay niemand mehr lange in meiner Nähe aushält.
Er umsorgt mich dafür wo es nur geht. Mehrmals am Tag reibt er mir sanft meinen Bauch mit einer wohltuenden Lotion ein, die mir ein wenig hilft, die enorme Spannung meiner Bauchdecke zu ertragen.
Vor ungefähr fünf Wochen hatte ich zum ersten Mal Wehen.
Meine Mutter hatte mich gerade von der Schule abgeholt und wir waren erst ein paar Minuten daheim, als es los ging.
Es war eine Katastrophe.
Ich hatte im Internet gelesen, dass man im letzten Schwangerschaftsdrittel durchaus schon Wehen bekommt.
Allerdings war ich zu der Zeit gerade mal um die drei Monate schwanger.
Ich war so panisch, dass meine Mutter gar nicht mehr wusste, wie sie mich beruhigen sollte.
Als Nay schließlich auch nicht wirklich zu mir durchdringen konnte, hat sie Mila angerufen.
Mila.
Ich übertreibe keineswegs, wenn ich sage, dass es wohl keine bessere Freundin auf dieser Welt gibt.
Sie macht ein vierteljähriges Praktikum bei einer Hebamme.
Für mich.
Um bei der Geburt meiner Babys dann hoffentlich so viel zu wissen, dass es nicht nötig sein wird, noch eine weitere Hebamme oder gar einen Arzt hinzuziehen zu müssen.
Außer Dienstags, an dem sie auch am Nachmittag Unterricht hat, und Donnerstags, der quasi ihr freier Tag ist, verbringt sie täglich ihre Nachmittage nach der Schule bei dieser Hebamme, hilft ihr und lernt.
Ich werde ihr zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sein.
Jedes Mal, wenn sie durch mich, weil ihr Leben durch mich so anstrengend geworden ist, wieder eine schlechte Note bekommt, fühle ich mich schlecht.
Noch schlechter fühle ich mich jedoch, wenn ich ihre tiefen Augenringe sehe, die jederzeit mit meinen und Nays Konkurrenz aufnehmen können.
Es nagt an mir, dass Mila das alles für mich auf sich nimmt und dass ich nicht weiß, wie ich ihr das zurückgeben kann.
Überraschenderweise macht ihr das alles überhaupt nichts aus.
Wenn ich mal wieder mit meinen Gewissensbissen ankomme, winkt sie nur lachend ab.
Sie hat mittlerweile, nach einigen Gesprächen mit Raven, beschlossen, die Schule abzubrechen.
Ihr gefällt das Praktikum, der Beruf der Hebamme so gut, dass sie das wirklich als Beruf machen möchte. Mila hat ihre mittlere Reife, und das Abitur braucht sie für eine Ausbildung zur Hebamme nicht.
Sie hat also beschlossen, das Schuljahr noch zu Ende zu machen, und dann ihre Ausbildung zu starten.
Ab damals, bei meinen ersten Wehen, bis jetzt hat sie mir jedes einzelne Mal beigestanden.
~ ❤ ~
Ich liege mal wieder neben Nay auf dem Sofa und schaue fern. Irgendwie mache ich zurzeit nichts mehr anderes.
Liegen. Mein neues Hobby.
Oft begleitet von Schlafen.
Ich bin unsagbar erleichtert, dass mir gerade mal fast nichts weh tut.
Ich werde heute schon den ganzen Tag von heftigen Wehen geplagt. Jedes einzelne Mal könnte ich durchdrehen vor Schmerz.
Nays Körper hüllt mich in eine behagliche Wärme und begleitet von seinem ruhigen Atem und dem sanften Streicheln über meinen Bauch fallen mir in seinen Armen schnell die Augen zu.
Durch unglaubliche Schmerzen werde ich nur Minuten später wieder unsanft geweckt.
Es fühlt sich an, als würde ein Messerwerfer meinen Bauch als Zielscheibe benutzen und tausende von Messern hineinschleudern.
Mir entweicht ein schmerzerfülltes Stöhnen und ich drehe meinen Kopf langsam zu Nay.
Er liegt hinter mir.
Seine Arme sind immernoch um mich geschlungen, aber er schläft jetzt.
Er sieht so süß aus, wenn er schläft.
Als meine Bauchkrämpfe wieder zunehmen und eine weitere Welle des Schmerzes über mich hinwegrollt, versuche ich, mit meinen zitternden Beinen aufzustehen.
Ich will Nay nicht schon wieder wecken.
Ein Wunder, dass er es überhaupt mal geschafft hat, einzuschlafen.
Gerade als ich endlich stehe und einen vorsichtigen Schritt vom Sofa weg mache, spüre ich es.
Ich spüre eine warme Flüssigkeit an meinen Beinen.
Ich sehe nach unten und mir entweicht ein leiser Schrei.
"Jara?!?"
Nays vom Schlaf ganz tiefe Stimme klingt sofort alarmiert.
Sein Blick ist schlagartig hellwach, als er mich im Schein des Fernsehers vor sich stehen sieht.
Mitten in einer kleinen Pfütze.
"Ruf Mila an. Schnell", sind die einzigen Worte, die ich noch über die Lippen bekomme.
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