Zeus entpuppt sich göttlich
Die nächsten zehn Minuten waren der absolute Tatarus. Die Decke brach an einigen Stellen größenteilig ab und die Wände zitterten und bröckelten. Natalie hastete die Treppe zur Galerie hoch und schlug die Käfigtür auf.
"Natalie!", rief Will und klang dabei ziemlich erstaunt, als ob er sie nicht gerade schon gesehen hatte. "Wie-"
"Klappe, Will, du musst, mir mit Jack und Sherman helfen", keuchte Natalie und presste sich die Hände an die Rippen. "Los!"
Sie, Will und die beiden Mädchen, die bei Bewusstsein waren, zogen Jack, Sherman und das andere, kleinere Mädchen aus dem Käfig. Der Boden der Galerie bebte und große Stücke des Geländers fielen in den Raum. Das stämmige Mädchen sah sehr geschwächt aus, doch im Angesicht eines einstürzendes Raums, in dem die Leiche von Apollo rumwaberte, hievte sie sich den rechten Arm von Sherman über die Schulter und stützte sein ganzes Gewicht auf ihre Seite. "Wo geht es lang?", fragte sie mit gepresster Stimme. Schweiß rann ihr über die Stirn.
"Es geht-", wollte Natalie antworten, doch in dem Moment, brach das Stück, auf dem sie standen, unter ihnen zusammen und sie stürzten mit dem Käfig und Galerie-Stücken in Richtung Erde. Reflexartig packte Natalie Jacks Handgelenk, damit er nicht auf sein Bein fiel und tat eine Verzweiflungstat: "Zeus!", schrie sie. "Hilf uns. Bitte?" Dann schloss sie die Augen, um keinen Staub reinzubekommen und betete, dass Zeus sie gehört hatte. Nein, sie betete, dass er ihrem Gebet nachging. Gehört hatte er es hundertprozentig, ob er auch danach handeln würde, stand auf einem ganz anderen Blatt.
Sie spürte sie einen Luftzug an den Beinen und ein Stein fiel ihr vom Herzen. Er hatte ihr Gebet erhört.
Starker Wind wehte sie durch den langen Flur, durch den sie gekommen war und dann steil nach oben. Natalie wusste, dass sie jetzt durch Nichts flogen und öffnete die Augen. Weit über ihr konnte sie die Wolkendecke erkennen. Unter ihr flogen die fünf anderen Halbgötter und Halbgöttinnen. An ihrer linken Hand baumelte noch immer Jack, der sie aus weit aufgerissenenn Augen anstarrte. "Ist gleich vorbei!", rief sie, doch der Wind verwehte die Worte augenblicklich.
Nach gefühlten Stunden erreichten sie die Wolken und flogen geradewegs durch sie hindurch.
Vielleicht täuschte sich Natalie, doch sie hatte den Eindruck, dass der Bogen, der zum Schlachtfeld führte, kleiner wurde. "Dorthin", befahl sie den Winden, die auf den Bogen zuschossen. Tatsächlich, der Bogen wurde beunruhigend schnell kleiner und war jetzt kaum zwei Meter breit. "Schneller!", schrie Natalie und packte Jack fester.
Die Winde warfen sie durch die Öffnung und die sieben knallten auf den staubigen Boden. Der Bogen schloss sich und der Nebel verhinderte ihnen die Sicht.
Sherman drehte sich stöhnend auf den Rücken. Das Mädchen, das ihn gestützt hatte, richtete sich auf und sah sich um. "Wie zum Tatarus hast du es bis zu uns geschafft?", fragte es Natalie fassungslos.
"Ähm..." Natalie wusste nicht, wie sie antworten sollte. "Es gibt da so eine Weissagung..." Sie erzählte ihnen von dem Zettel, den Rachel gefunden hatte, wie sie hierher gelangt war und was ihr alles begegnet war. "Aber was ist mit euch?", fragte sie und sah nacheinander in die zerschundenen Gesichter. "Was ist passiert?"
Will sah sie nicht minder fassungslos an wie das stämmige Mädchen, doch er antwortete: "Ich weiß es nicht mehr so genau. Es ist alles ein bisschen verschwommen. Aber ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mit Nico versucht habe, das Feuer zu löschen. Das war unglaublich anstrengend. Dann kam plötzlich diese Musik und ich bin irgendwie bewusstlos geworden. Das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, dass ich in einem Käfig in diesem Raum saß und von Apollo mit Schlagern vollgesungen wurde. Er hat mich als Metronom benutzt." Will deutete auf seine Schrammen. "Dann ist Jack gekommen." Er fuhr sich durch die Haare und sah Jack an.
Der hob müde den Kopf. "Ich bin früher zu mir gekommen", sagte er mit heiserer Stimme. "Ich bin in meinem Bett eingeschlafen und als ich aufgewacht bin, war ich in einem Wald. Aus einem Rohr hinter mir kamen Schlangen gekrochen und ich habe versucht, sie zu töten. " Er grinste schwach. "Das hat auch funktioniert, aber irgendwann hat mich dann doch eine erwischt." Er zeigte auf sein Bein. "Ich habe Dryaden gerufen, damit sie mir helfen und sie haben mich bis zu diesem Musikball gebracht." Fragend sah er sie an und sie nickte, um ihm zu bedeuten, dass sie wusste, wovon er sprach. "Wegen der Musik bin ich dann wieder ohnmächtig geworden und neben Will im Käfig aufgewacht."
Die drei Mädchen nickten, als wäre es bei ihnen ähnlich gewesen. "Aber ich glaube nicht, dass das Apollo war", meinte das Mädchen mit den blutenden Handgelenken. "Dad würde so etwas niemals tun."
"Das war auch nicht Apollo." Natalie erklärte ihnen, was es mit Apollo gerade auf sich hatte und was unten passiert war.
"Das ist ja-", begann Will, doch von weit hinten drang eine Stimme durch den Nebel.
"IHR HABT KEINE ZEIT MEHR, NATALIE BRIGHT. IHR MÜSST ZURÜCK ODER DAS FEUER WIRD EUCH SPEISEN, SODASS DER TOD GEWISS IST."
Perplex starrten sie alle durch den Nebel. Dann richtete Natalie sich auf. Schmerz jagte durch ihren Arm und ihre Wange. Schwankend sah sie die anderen an. "Wer fühlt sich gut genug, um zu laufen?", fragte sie.
Das stämmige Mädchen hob die Hand, sowie Will und das Mädchen mit den blutenden Handgelenken. "Okay", sagte Natalie. "Wie heißt ihr?" Das war eine irgendwie alberne Frage, doch sie wurde sofort beantwortet.
"Ich bin Nyssa", stellte das stämmige Mädchen sich vor. "Tochter des Hephaistos."
"Kayla", sagte das andere Mädchen. "Apollo. Das hier ist Tamaia." Kayla deutete auf das kleine Mädchen. Es war höchstens zehn Jahre alt und ihre dunkle Haut zierten mehrere blutende Schnitte. "Sie ist auch von Apollo. Die anderen-"
"Kenne ich", sagte Natalie schnell. "Danke, Kayla. Okay, Nyssa, du nimmst Sherman. Ist das okay?"
Nyssa nickte und half Sherman hoch.
"Kayla, du hilfst Tamaia. Will, du musst mir mit Jack helfen."
Will beugte sich, um Jack aufzuhelfen, doch wieder schall die Stimme durch den Nebel: "DES APOLLOS ÄLTESTER MUSS GEHEN ALLEIN ODER IHM WIRD WIDERFAHREN DER MUSIKANTENRAUSCH."
Genervt richtete sich Will wieder auf.
"Ähm...", sagte Natalie. "Was war das jetzt?"
"Das war schon vorhin so", erklärte er. "Ich kann keine Waffe anrühren oder irgendwem zu Hilfe kommen, denn dann geht die Musik los und ich verliere das Bewusstsein."
"Oh, okay." Das war mehr als unpraktisch. Es war unglaublicher Mist. "Gut, dann gehst du vor uns und sagst, falls etwas kommt, Bescheid." Sie nahm Jacks Hand und zog ihn hoch. Dann legte sie sich seinen rechten Arm um ihre Schulter.
Will nickte. "Nimm am besten deinen Dolch raus", meinte er. "Den wirst du brauchen."
Natalie wollte ihm gerade erklären, dass erstens ihr Schwertarm verletzt war, weswegen sie zweitens Jack mit ihrem linken Arm stützen musste und sie deshalb drittens keine Hand für ihren Dolch freihatte, als plötzlich an Donnerschlag an ihre Ohren drang, so laut, dass es in ihrem Kopf wiederzuhallen schien. Kurz darauf hörte sie einen langgezogenen Schrei. Die Richtung, aus der er kam, war die, die sie einschlagen mussten, um zurück zu kommen.
Die anderen sahen sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sie seufzte und zog ihren Dolch aus der Tasche und gab Jack vorsichtig an Kayla weiter. "Ihr dachtet doch nicht im Ernst, dass der Spaß jetzt vorbei ist, oder?", sagte sie und Will grinste.
"Genau die Einstellung, die wir brauchen, Bright", sagte er. "Los geht's!"
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro