Wills Wahn
Nicht nur Percy und Annabeth gingen. Auch Piper McLean, und ihr Freund Jason Grace, ein Sohn des Jupiter, kündigten am nächsten Morgen an, dass sie ausprobieren wollten, ein normales Leben als gewöhnliche Teenager zu führen. Und, zu Natalies Glück, sagte auch Clarisse LaRue, dass sie und ihr Freund Chris am nächsten Morgen abfahren würden.
Der Morgen war frisch und hell. Das Meer glitzerte in der Ferne und mit den angenehmen fünfundzwanzig Grad hatten sich alle auf dem Hügel versammelt, um Percy, Annabeth, Piper und Jason zu verabschieden.
"Kommt uns bald noch mal besuchen!", sagte eine Schwester von Annabeth aus der Athenehütte und umarmte Annabeth. "Am besten nächste Woche wieder!"
Annabeth lachte. Sie und Percy wirkten beide so glücklich und zuversichtlich, dass es Natalie ein wenig traurig machte. Niemand würde sich so freuen, mit ihr zusammenzuleben, nicht Percy und noch nicht mal ihre Großmutter, sollte sie sie jemals wiedersehen.
Doch diese Gedanken verflogen, als sie Annabeth und Percy verabschiedete.
"Tschau, Muschelkopf", sagte Percy und wuschelte ihr durch die Locken. "Wir sehen uns und pass auf dich auf!" Ihren Streit erwähnte er nicht, obwohl er ihr gegenüber anders begegnete als gestern.
"Pass auch auf dich auf", antwortete sie.
"Und kämm dich mal!" Er grinste und sie boxte ihm gegen den Arm.
"Bis bald, Natalie", verabschiedete sich auch Annabeth. "Und probier einfach mal das Leben als mächtige Halbgöttin aus und versuch dich zu entspannen. " Sie zwinkerte Natalie zu.
Wenn du wüsstest, dachte Natalie.
Die vier Halbgötter und Halbgöttinnen machten sich auf den Weg.
"Bis bald!", "Viel Spaß!", wurden sie von den anderen verabschiedet.
Und dann waren die vier hinter dem Hügel verschwunden.
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Den restlichen Tag verbrachte Natalie in ziemlicher Langeweile. Zuerst übte sie wieder mit Schwertkämpfen mit Will in der Arena, doch sie spürte, dass er eigentlich keine Lust dazu hatte. Deswegen teilte sie ihm nach zwanzig Minuten mit, dass sie an der Lavawand klettern üben wollte. Will protestierte, doch er sah genauso erleichtert aus wie Nico, der ihnen gelangweilt von einer Bank in der Nähe aus zugesehen hatte.
Also ging Natalie zur Lavawand, doch sie fand nach fünf Minuten keinen Gefallen mehr daran, fast verbrannt zu werden.
Sie stromerte im Camp herum und fand sich am Ende am Steg zum Meer hin wieder, da dies war der einzige Ort, an dem sie nicht angestarrt wurde. Sie verstand nicht ganz, was das Problem der Leute war. Halbgötter und Halbgöttinnen hatten fast immer eine dunkle Vorgeschichte, sie waren von den Leuten in der sterblichen Welt gehasst worden, von Schulen geflogen oder mussten sich mit einer komplizierten Gottheit als Elternteil herumschlagen, womöglich auch noch mit ihren sterblichen Eltern. Sie konnten ja auch nichts für die Gräultaten, die ihre göttlichen Eltern vollbracht hatten, wieso sollte dann Natalie etwas für die Morde von ihrer Mutter etwas können?
Nach gefühlten hundert Stunden war die Dunkelheit eingebrochen und Natalie kehrte in die Poseidonhütte zurück. Als sie schließlich im Bett lag, überkam sie eine fürchterliche Angst. Das war schon so, seit ihre Mutter gestorben war: Sie konnte nicht alleine in einem Zimmer schlafen, ohne Angst zu bekommen. Es war ihr peinlich, weil sie sich dabei fühlte wie eine Vierjährige, aber sie konnte nichts daran ändern. Außerdem hatte sie ein dunkles Gefühl, eine Vorahnung, das bald etwas passieren würde und dass half ihr überhaupt nicht beim Einschlafen. Ihr kam der Gedanke, dass sie Chiron von ihrem Traum und Poseidon hätte erzählen sollen. Das hatte sie ja eigentlich schon gestern Abend vorgehabt, doch die Weissagung hatte alles aus ihrem Kopf verjagt.
Morgen, sagte sich Natalie. Morgen sage ich ihm Bescheid. Und mit diesen Gedanken fiel sie in einen beuruhigenderweise traumlosen Schlaf.
Ein Dröhnen ließ Natalie aufschrecken. Es war fürchterlich laut und die ganze Hütte war damit erfüllt und zerrte an ihren Ohren. Sofort war sie hellwach und vollkommen ruhelos. Sie stand auf und blickte aus dem Fenster.
Ihre Augen wollten ihr aus dem Kopf springen! Mitten im Camp, umringt von zahlreichen Halbgöttern, stand etwas, etwas, das verdächtig wie eine Leier aussah- eine brennende Leier. Intuitiv sprang Natalie zum Waschbecken und ließ Wasser über ihre Handgelenke laufen. Sofort wurde das Dröhnen leiser und auch Natalie selbst wurde ruhiger. Ohne weiter darüber nachzudenken stolperte sie zur Tür und aus der Hütte.
Draußen war der Tatarus los. Die Leier stand im Zentrum der Menschen und brannte lichterloh. Ihre Saiten wurden wahllos von einer unsichtbaren Macht gezupft und das verursachte den dröhnenden Klang. Viele Camper und Camperinnen hielten sich die Ohren zu oder versuchten, das Feuer zu löschen. Die Athenekinder rannten hin und her und schrien Leuten Befehle zu, wie und an welchen Stellen sie Wasser hingießen sollten, um das Feuer am besten zu löschen, doch sie konnten es nur daran hindern, sich weiter auszubreiten. Anscheinend gab es einen Bereich, in den das Feuer ungehindert vordringen konnte, ohne gelöscht werden zu können.
Natalie näherte sich der Leier vorsichtig und reckte dabei immer wieder den Hals, um Nico und Will zu erspähen. Endlich entdeckte sie sie und rannte auf die beiden zu. Beide waren vollkommen rußgeschwärzt und hielten Wassereimer in den Händen.
"Natalie!", keuchte Will. "Wir brauchen deine Hilfe. Hol Wasser her." Er hustete und sank zu Boden. Nico ging in die Hocke, um nach ihm zu sehen.
Natalie hob die Hand. Sie rief mit aller Macht, die sie aufbringen konnte, das Wasser zu sich, alles, was sie im Umkreis spürte.
Wamm! Die Toiletten und Duschen explodierten und zusätzliches Meerwasser kam in einer Blase angeschwebt und löste sich direkt über der Harfe zu einem feinen Rinnsaal auf. Die Flammen loderten auf und das Feuer schien sich bis auf drei Meter um die Leier herum zurückzuziehen.
Einen Moment lang schienen sie die Kontrolle über die Situation zu haben, neue Wassereimer wurden geholt und die Erschöpften aus der Gefahrenzone gebracht. Natalie fiel auf, dass die meisten von ihnen aus der Apollohütte waren. Apollo!
"Will", sagte sie und beugte sich zu ihrem Freund hinunter, der die Augen geschlossen hatte. "Wann genau ist Apollo- ?"
Doch weiter kam sie nicht, denn die Leier stimmte eine schaurige Melodie an, die alles übertönte. Die Musik drang in Natalies Körper und riss an ihren Sehnen, erfüllte sie mit einer Furcht und Trauer, dass sie am liebsten schreien wollte.
"Will!", keuchte Nico plötzlich auf. Natalie drehte den Kopf. Will hatte sich aufgerichtet und die Augen geöffnet, nein, aufgerissen. Er stöhnte laut auf.
"Will!" Nico packte seine Schulter und schüttelte ihn, doch Will schien nichts mitzubekommen. Er streckte die Arme nach vorne aus und Natalie sah mit Entsetzen, wie sich Harfensaiten um seine Handgelenke wickelten. Will stieß ein schrilles Lachen aus und wurde von den Saiten in Richtung Harfe gezogen.
Nico wollte seinen Freund von den Saiten befreien, doch Natalie hielt ihn zurück. "Das bringt dich um, Nico!", rief sie, ohne zu wissen, woher sie diese Gewissheit nahm.
Er wollte sich losreißen, doch sie packte sein Handgelenk und drehte seinen Arm auf seinen Rücken.
"Lass mich los!", schrie er, seine Augen gefüllt mit Verzweiflung, als er mit ansehen musste, wie Will durch die Menge und in das Feuer gezogen wurde. Seine Haaren standen zu allen Seiten ab und in seinem gestreiften Schlafanzug sah er aus wie ein Gespenst.
"Will!", brüllte er und kratzte an ihrer Hand, sodass sie anfing zu bluten. "Will! Lass mich, Natalie, ich schwöre dir- " Doch er verstummte und sein Körper erschlaffte, als Will mit wahnwitzigem Gesichtsausdruck in den Flammen verschwand.
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