Vegane Missgeburten
Der Klang eines Muschelhorns hallte über das Campgelände. Von allen Richtungen strömten Kinder und Jugendliche auf den Speisepavillon zu.
"Wir sollten los. Bist du zufrieden?", fragte Will Natalie.
Diese nickte glücklich. Will und Nico hatten sie in einen alten Schuppen mitgenommen, in dem alle möglichen griecheschen Waffen gelagert waren. Sie hatte zehn Minuten gebraucht, um sich endlich einen aus Himmlischer Bronze gefertigten Dolch auszusuchen, dessen Scheide sie sich an den Gürtel ihrer Hose geschnallt hatte. Zwei Mädchen kamen vom See zu ihnen herüber. Sie stupsten sich an, deuteten auf Natalie und kicherten.
"Was ist denn mit denen?", fragte Natalie unbehaglich.
Nico seufzte leicht, hob die und Hand und sogleich fuhr eine Welle von Kälte und Unbehagen über sie herüber wie ein Windstoß. Natalie schauderte, doch die Mädchen bekamen es anscheinend mit der Angst zu tun. Eilig liefen sie zum Pavillon.
"Das war jetzt so eine "Ich-verbreite-Schrecken-und-Angst"-Aktion von Hades, was?", fragte Natalie.
"Korrekt." Gelassen fuhr Nico sich durch das schwarze Haar. "Oberflächliche Zicken."
"Ach, es ging um mein Aussehen, nicht um meine Mom?"
"Das hat sich ganz sicher noch nicht rumgesprochen. Aber Cordhosen sind bestimmt schon seit Jahren out."
Die drei Halbgötter betraten den Pavillon. Will führte Natalie zum Tisch des Apollo und erklärte ihr die Funktion der Opferschale für Götter.
Natalie setzte sich neben Nico und dachte, eine Gemüsebowl mit Erdnusssoße und Tofu, wie sie sie mit ihrer Mutter an besonders seltenen Anlässen beim Vietnamesen bestellt hatte, wäre jetzt nicht schlecht, da erschien das Essen auch schon auf ihrem Teller. Eilig stand sie auf und ging zur Opferschale, wo sich schon einige Halbgötter versammelt hatten. Natalie vertrieb sich die Zeit, in dem sie versuchte, das göttliche Elternteil der Jugendlichen zu erraten. Vor ihr standen zwei Jungs, die sich darüber unterhielten, welchen Streich sie am besten der Athenehütte spielen sollten ("Auf keinen Fall Spinnen! Das ist sowas von out, wir müssen uns was Besseres einfallen lassen!"), deswegen tippte Natalie auf Hermes. Viel mehr Zeit zum Raten blieb ihr allerdings nicht, denn sie war an der Reihe, ihrem göttlichen Elternteil etwas zu opfern. Da Natalie natürlich nicht keine Ahnung hatte, wer das sein könnte und sie es wahrscheinlich erst am Lagerfeuer davon erfahren würde (Nico hatte ihr erzählt, dass dort die meisten anerkannt wurden), schob sie etwas für alle Götter und Göttinnen ins Feuer.
Jemand stieß sie von hinten an und die Hälfte des Essens fiel in die Glut. Wütend drehte sie sich um und blickte direkt ins Gesicht von Clarisseue.
"Hey, Missgeburt. Was machst du denn hier? Gibt es kein Camp für Titanenanhänger?", sagte Clarisse laut, sodass sich alle im Umkreis umdrehten.
"Und was ist für Leute mit Vorurteilen?", schoss Natalie zurück, obwohl sich Unbehagen in ihr ausbreitete: Sie stritt sich gerade mit der Mörderin ihrer Mutter.
"Du meinst, es ist ein Vorurteil, dass deine Mutter mindestens fünf unserer Leute umgebracht hat?", sagte Clarisse, nun noch lauter, sodass der ganze Speisepavillon verstummte und sich Clarisse und Natalie zuwandte. Letztere entdeckte einen Zentauren neben Mr. D sitzen. Chiron. Er runzelte die Stirn. Mr. D flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin Chiron so aussah, als ob man ihn geschlagen hätte.
"Ja, ich glaube, wir haben hier alle nur Vorurteile. Das ist der Grund dafür, dass wir gegen die Titanen gekäpft haben. Wegen unserer vielen Vorurteilen. Du hast ja so Recht, Missgeburt. Aber soll ich dir sagen, was kein Vorurteil ist, Missgeburt? Deine Mutter war eine kleine Hure. Das ist der Grund, weshalb sie jetzt tot ist."
Im Speisepavillon herrschte Totenstille und es war, als hätte Nico wieder seinen "Ich-verbreite-Schrecken-und-Angst"-Move angewandt.
Natalie starrte in Clarisse' hämisches Gesicht und überlegte fieberhaft, was sie darauf antworten könnte. Doch dann kam ihr der Gedanke, dass alle hier diesem Raum Clarisse' in ihrer Meinung in Bezug auf die Titanen unterstützten. Dieser Kampf war aussichtslos.
Natalie stellte ihren Teller auf einem Tisch in der Nähe ab und rannte aus dem Gebäude zum See. Hinter ihr konnte sie die spottende Stimme von Clarisse hören und das Geschnatter aller, die wissen wollten, was Clarisse gemeint hatte.
Natalie ließ sich auf dem Steg nieder uns starrte in das dunkle, vom Mond beschienene Wasser. Für einen Moment hatte sie gedacht, in diesem Camp ein Zuhause finden zu können. Wie sehr sie sich getäuscht hatte. Die Leute im Camp würden sie nach dieser Auseinanderstzung mit Clarisse hassen, bis auf Will und Nico vielleicht.
Wenn man vom Teufel sprach. Besagte Jungs tauchten an ihrer Seite auf und setzten sich neben sie.
"Ignorier sie", sagte Will. "Sie ist eine Tochter des Ares. Die sind alle so. Eigentlich ist sie ganz in Ordnung."
Natalie ließ ihren Kopf auf ihre Knie sinken, damit die beiden anderern ihre Tränen nicht sehen konnten, was mittelmäßig daneben ging.
Ausgerechnet Nico legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Das wird schon wieder", sagte er leise.
"Außerdem hast uns auf deiner Seite", warf Will ein. "Wir sind außerordentlich beliebt."
Schniefend lachte Natalie.
"Eine Frage", sagte Nico, um sie abzulenken. "Was hattest du da für ein Gemüsezeugs?"
"Das war eine vegane Gemüsebowl", sagte Natalie grinsend und wischte sich über die Augen.
"Ich glaub's nicht", sagte Nico trocken. "Eine vegane Missgeburt, was?"
Natalie musste nun entgültig lachen.
"Sehr charmant, Neeks", grinste Will. "Wir sollten uns auf den Weg zum Lagerfeuer machen."
Natalie bekam ein klammes Gefühl. Womöglich würde sie jetzt annerkannt werden. Sie ließ sich von Nico hochziehen und die drei machten sich auf den Weg.
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