Gods/Gentlemen/16/20
24.12.2015
20:36
New York, Bronx
Dunkel und still lag die Bronx da, wie ein in Nebel gehüllter Berg. Die Straßen wurden von schwach leuchtenden Laternen erleuchtet, was der Kulisse einen grauen, zwielichtigen Blick verlieh. Die gelben Tupfer hinter den Fenstern der hohen Häuser waren das einzige, was daran erinnerte, dass es Menschen in der Gegend gab.
Percy Jackson ging mit strammen Schritten durch die kalte Winterluft, die aufgrund des Nebels noch beißender wirkte. Sein Herz hämmerte in der Brust und der Kloß in seinem Hals drückte ihm auf den Gaumen.
Eigentlich hatte er geplant, den Abend mit putzen, aufräumen und Plätzchen backen zu verbringen, denn morgen, am Weihnachtstag, würden seine Freunde ihn besuchen kommen. Doch gerade, als er ein Blech mit dunklen Schokoladenkeksen in den Backofen hatte schieben wollen, durchfuhr es ihn plötzlich heiß, als ob er einen brennenden Raum betreten hätte. Seine Hände hatten so sehr gezittert, dass die Hälfte der Cookies vom Blech gerutscht und vebrannt waren.
Gods/Gentlemen 16/20. Diese Wörter hatten in seinem Kopf widergehallt, während er sich keuchend über den Küchentisch zusammenkrümmte. Heute. Der Fluch war aufgehoben.
Doch wieso es Gods/Gentlemen 16/20 hieß und was es mit dem heutigen Tag zutun hatte, konnte Percy sich nicht erschließen, auch nach dem fast drei Jahre langen Grübeln nicht.
Drei Jahre. Drei Jahre lang hatte er seine Schwester nicht sehen können, er hatte nicht mit ihr sprechen können, keinen Kontakt, nichts. Dabei war er sogar manchmal hier in New York gewesen. Einmal, als er mit seiner Mutter und seiner anderen Schwester, Estelle, in der Bronx spazieren gegangen war, hatte er, in einem Anfall von Trotz, die Straße, in der Natalie Bright mit ihrer Großmutter lebte, gesucht, doch nachdem er zwei Stunden lang herumgeirrt war und sie nicht gefunden hatte, war er nach Hause gefahren.
Doch heute, mithilfe von seiner Mutter, die, im Gegensatz zum ihm, Google Maps benutzen konnte, fand er den Weg ohne Probleme. Obgleich es merkwürdig ausgestorben war, fühlte sich die Athmosphäre friedlich an, als ob alle wüssten, dass er heute Abend endlich seine Schwester sehen würde.
Er bog um eine Ecke und plötzlich war alles vertraut, das hier war die Straße, in der Argus sie damals abgesetzt hatte. Die kleine, schmutzige Bäckerei sowie die mit Wolle umwickelte Straßenlaterne waren ihm in Erinnerung geblieben. Inzwischen hatte jemand an den Metallstab noch einen Gryffindorschal und ein mehrfach gedrehtes Stück rot-weißen Straßenabsperrungsbands rangebunden, das eigentlich ein kleines Beet vor Randalieren schützen sollte, es war von ebendiesen abgerissen worden.
Mit klopfendem Herzen ging er abermals um eine Wegbiegung. Das war sie. Ihre Straße. Doch in welcher Hausnummer wohnte sie? Er war nicht dabei gewesen, als sie in ihr altes Zuhause zurückgekehrt war. Also besah er sich die Klingelschilder, die in den hohen Blocks besonders lang waren.
Zum Glück wurde er bereits beim dritten Haus fündig. In der sechsten Spalte klemmte ein schmuddeliges Namensschild mit der krakeligen Aufschrift Bright. Mit dem Finger fuhr er über den Namen und in diesem Augenblick fing das Papier unter der Plastikabdeckung an zu leuchten.
Schnell riss er die Hand weg. Das Schild wurde immer heller, bis sich das Licht zu einer Form zusammenschloss und eine kleine Sonne über die große Tafel mit den Namen schwebte.
Percy begriff.
Apollo, der nur einen Tag nach Natalies Abreise die Erde als Sterblicher betreten hatte, suchte sechs Monate später, nun wieder als Gott, mit Percy das Gespräch.
Natalie, seine Enkelin oder Cousine, wie man es sehen wollte, hatte es ihm ermöglicht, ein besserer Gott zu werden, sagte er ihm. Deshalb wolle er, wie auch immer, seine Dankbarkeit ausdrücken. Doch da Zeus einen Fluch ausgesprochen hatte, der es Natalie verbot, weder zu Percy noch zum Rest ihrer halbgöttlichen Familie Kontakt aufzunehmen, war es Apollo schier unmöglich, an Natalie heranzugelangen.
Am Ende war es Poseidon, der ihm geholfen hatte, einen Schutz vor Monstern über Natalies Haus zu legen.
Die Sonne blinkte einmal kurz, als wolle sie Percy zuzwinkern, dann verschwand sie und hinterließ ihre Kontur eingebrannt in Percys Augen.
Mit zitternden Fingern legte Percy seinen Finger auf die Klingel und drückte. Der Summer ertönte und hallte durch das ganze Haus, auch, als er es schon betreten und die ersten Stufen erklommen hatte.
Das Treppenhaus war spärlich beleuchtet und in den Ecken sammelte sich der Schmutz. An den Türen hing teilweise billiger Weihnachtsschmuck, an einer prangte ein großes Schild mit der Aufschrift "Achtung, hungriger Hund. Die Ladys mögen reinkommen." Jemand hatte mit roter Farbe eine Hand, die den Mittelfinger zeigte, erstaunlich naturgetreu daneben gemalt. "FCK U. NB" lautete die Unterschrift und Percy musste unwillkürlich grinsen.
Noch ein Stockwerk. Von hier aus konnte er die offene Wohnungstür sehen, aus der warmes Licht in den Flur fiel, sehen. Seine Hände fingen an zu schwitzen.
Er betrat den Treppenabsatz und sah eine kleine Frau im Türeingang stehen.
Sie war klein und ihre dunkle Haut war so runzelig, dass auch der Mund wie eine einzige schmale Falte in ihrem Gesicht wirkte. Ihr Gesichtsausdruck war taxierend und ihre stechenden Augen huschten über Percys ganzen Körper, als würde sie alles missbilligen, was sie sah, seine Augen, seine Kleidung und - ihr Blick dort hängen - seine zerzausten Haare.
"Ähm", räusperte sich Percy und die Augenbrauen der Frau schnellten in die Höhe. Das half nicht.
"Was willst du?", fragte sie und Percy erschrak, dass ihre Stimme - klar, nur ein wenig rau - ihn traf wie ein scharfes Messer.
Er richtete sich ein wenig mehr auf, er überragte Ms. Bright um einiges. "Ich... Ich möchte..."
"Was?", fuhr sie ihn an. "Sieh mich an, wenn du mit mir sprichst."
Percy schauderte. Das war die Frau, mit der seine Schwester fünf Jahre lang in einer winzigen Wohnung hatte festsetzen müssen?
Die alte Frau funkelte ihn wütend an und ihm wurde unangenehm heiß. Einatmen, ausatmen. Er hatte nichts falsch gemacht.
"Ich möchte meine Schwester besuchen", sagte er mit fester Stimme und sah Natalies Großmutter in die Augen, was ihn einiges an Überwindung kostete.
Ms. Bright schnaubte. "Und warum sollte ich dich lassen?", fragte sie.
"Hören Sie, ich bin Natalies Bruder", sagte Percy und wurde lauter.
"Nicht so laut, Pumpkin", sagte sie und ihre Mundwinkel zuckten angesichts des unpassenden Spitznamen. "Sonst werde ich aus dieser Wohnung entlassen, ehe du auch nur ein Wort mit deiner Schwester gewechselt hast."
"Das heißt, ich darf reinkommen?" Percy verschränkte die Arme.
Ms. Bright presste die Lippen aufeinander, dann trat sie beiseite, um ihn in den engen Flur eintreten zu lassen.
Dieser war zu eng für sie beide, Ms. Bright drückte ihn an die Wand, als sie sich an ihm vorbei schob. "Du wartest da", befahl sie ihm und öffnete eine der vier Türen, aus der der Duft gebackener Kekse schwappte.
Percy sah sich im spärlich beleuchteten Flur um. Zu seiner Linken ging eine Tür in ein winziges Badezimmer ab, in dem gerade so eine Dusche, eine Toilette und eine kleine Kommode Platz gefunden hatten. Rechts von ihm befand sich ebenfalls ein schmaler Raum, dessen Tür nur halb geöffnet war und da kein Licht darin brannte, konnte man nichts erkennen.
Ebenso wie das Badezimmer war der Flur vollgestellt. An der rechten Wand hingen Jacken an zwei Kleiderhaken, außerdem war eine große Pinnwand über einem Schuhregal angebracht worden.
Asthmaanfälle Monsterangriffe Putzen/Kochen/Aufräumen
zeigte eine Tabelle. Unter Asthmaanfälle waren in den letzten drei Monate fast jeden Tag ein Kreuz dazu gekommen, bei Monsterangriffe genauso. Percys Magen brodelte vor schlechtem Gewissen, auch wenn es nicht seine Schuld war. Aber hätte er nicht wenigstens wissen müssen, dass sie Asthma hatte? Wie war ihm das entgangen?
"Ach, das", knurrte Ms. Bright, die plötzlich wieder im Flur stand - Percy zuckte zusammen. "Dem Arzt hat sie eine runtergehauen, nachdem er sie angegrapscht hatte, dann konnten wir nicht mehr hingehen." Ein Hauch Stolz schwang in ihrer Stimme mit. "Dann hat sie das gemacht."
Sie zeigte ihm ein kleines Bild, das neben der Tabelle hing. Natalie Bright stand in kleinen Blockbuchstaben jeweils ein wenig versetzt unter einem Gesicht, das die Zunge herausstreckte. Die As sowie die Ls waren in Regenbogenfarben gehalten, der Rest der Buchstaben war schwarz.
Ein kleines Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.
"Jetzt geh rüber", sagte Ms. Bright.
"Aber nur damit du's weißt", fügte sie noch hinzu, "wenn du sie nicht mitnehmen kannst, sie hat hier ein Zuhause. Auch wenn's ihr nicht gefällt, sie kann immer kommen."
Er sah sich in der engen Wohung um. Drei Jahre zuvor noch war ihm dieser Ort wie ein Gefängnis für seine Schwester vorgekommen, von Gleichaltrigen und Familie getrennt, eingesperrt mit einer unwilligen verbitterten, alten Frau.
Doch nun sah er Geborgenheit, Schutz und sogar Liebe in dieser Wohung im sechsten Stock eines schmuddeligen Wohnhauses. Fast sah er sich in Unsicherheit in seinem Vorhaben, doch dann fiel sein Blick auf die Tabelle und das Bild.
Ms. Bright nickte und lächelte traurig. Dann verschwand sie im Raum rechts neben der Tür, er hörte, wie sie Dinge aus den Regalen zog und ein Klimpern, als trüge jemand einen Rucksack, an dem zahlreiche Anhänger gegeneinander stießen.
Percy drehte sich um und klopfte an die Küchentür.
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Der Ofen qualmte ein wenig, als sie die Klappe öffnete, um neue Kekse reinzuschieben. Schon lange hatte sie nicht mehr gebacken, nicht zuletzt, weil sie nie das Bedürfnis dazu gehabt hatte, überzuckerte Klumpen Teig zu produzieren, die die Zuckerkrankheit ihrer Großmutter nur noch vorantrieben.
Doch inzwischen war sie immerhin imstande, normale Plätzchen zu backen - sogar vegan, auch, wenn ihre Großmutter das nicht guthieß, doch sie merkte den Geschmacksunterschied sowieso nicht.
An der Tür klopfte es zweimal. Natalie legte das Blech auf das Gitter und richtete sich langsam auf.
Wer war das? Ihre Großmutter würde niemals im Leben klopfen und sie hatte gerade eben gesagt, dass nur ein Nachbar geklingelt habe, dessen Paket sie angenommen hatten.
"Herein", sagte Natalie und legte die Hand an die Küchenwand, dahinter war ihr Langschwert versteckt, verteidigen würde sie sich also können.
Die Tür quietschte leise, als jemand sie aufschob.
Er stand im Türrahmen, die Haare nass vom Nebel draußen und leicht nervös dreinblickend. Wahrscheinlich war er schon zur Schnecke gemacht worden von ihrer Großmutter.
Und plötzlich weigerten sich Natalie Lungen, Luft durch ihren Körper fließen zu lassen. Die Welt stand still, nicht mal den Qualm, der aus dem Ofen drang, konnte sie riechen.
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Seine Schwester stand wie erstarrt an der hinteren Küchenwand. Sie war nur wenig größer geworden seit dem letzten Mal und Hazel Levesque würde sie nun locker überragen können. In der viel zu großen leinenfarbenen Schlafhose und einem alten abgeschnittenen Camp Jupiter-Pullover sah sie gleich noch kleiner aus, vor allem, wenn man das türkise T-Shirt, das ihm einmal gehört hatte, darunter hervorragen sah.
Ihre Haare waren länger geworden und provisorisch an einigen Stellen gekürzt worden, doch die dunklen Afrolocken hingen ihr trotzdem bis über die Brust. Und sie trug eine Brille.
Eine Brille. Wie Jason. Jason... Eine kurzer scharfer Schmerz durchfuhr Percy und er zuckte zusammen.
Das brachte Leben in seine kleine Schwester. Sie kam ein paar Schritte näher, bis sie direkt vor ihm stand und in sein Gesicht hoch blickte. Mit dem Zeigefinger wischte ist ihm eine Träne aus dem linken Auge. "Du bist eindeutig sentimentaler geworden, seit du mich kennst", sagte sie und ein schwaches Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. Das kleine Doppelkinn, die acht Sommersprossen und die schwarze Narbe auf ihrer Stirn, die man trotz der dunklen Haut erkennen konnte, wenn man ganz genau hinsah - das alles hatte er so vermisst.
Natalie lächelte und ihre meergrünen Augen, die sonst immer ein wenig beängstigend wirkten, glitzerten in Tränen. "Wer hätte gedacht", sagte sie, "dass wir uns als griechische Helden ausgerechnet an Weihnachten wiedersehen, Percy. Happy Christmas!"
THE FINAL END
Erklärung: Gods/Gentlemen 16/20 setzt sich aus dem Lied "God rest ye merry Gentlemen" (ein altes englisches Weihnachtslied) und dem Alter von Natalie (16) und Percy (20) zusammen.
Es ist zwar kein Weihnachten, Leute, aber weil ich diese Geschichte für die Wattys einreiche dieses Jahr, möchte ich das Buch fertig geschrieben haben. Eigentlich hatte ich geplant, das Kapitel erst am 24. Dezember zu veröffentlichen, aber das war mir dann erstens doch zu brutal und zweitens kann ich das Buch nach der Einreichung für ein Jahr lang nicht mehr verändern. Bis zum 30. September werde ich das Buch noch weiter überarbeiten, Sachen rausstreichen und hinzufügen, wundert euch nicht, wenn eure Kommentare zu einzelnen Absätzen nicht mehr dazupassen, ich habe sie wahrscheinlich abgeändert.
Ich reiche die Geschichte übrigens nicht ein, weil ich denke, ich hätte eine Chance (die Wattys werden doch immer von Studis gewonnen lol), sondern weil ich glaube, das wäre eine gute Gelegenheit, das Projekt abzuschließen.
Ich hoffe, euch geht es gut, man liest sich! :)
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