Eine letzte Weissagung. Mit Bananen.
So langsam fragte Natalie sich wirklich, womit sie das verdient hatte.
Sie war die so ziemlich unheldenhafteste Heldin ever, musste auf einen beknackten Einsatz gehen mit Schlangen, Feuer, miesen Geistern und blöden Fake-Göttern, drei schmerzenden Verletzungen und dann, kurz vor dem Ausgang, als sie endlich mal nicht gehen musste, musste sie einen überraschend schweren Jungen davon abhalten, von einem Riesenlaubhaufen zu fallen. Nicht fair.
Jack schien in einer Art Halbschlaf zu sein. Seine Augenlider waren halb geschlossen und er hing schlaff über der linken Schulter des Folium. Natalie musste um den Nacken des Wesens herum greifen, um ihren Freund halten zu können, da der Folium keine Anstalten machte, ihr zu helfen.
Hinter ihnen hörte man noch immer den Bach fröhlich plätschern ("Hello Goodbye" von den Beatles, Natalie verfluchte dieses Gewässer).
Doch da war noch etwas anderes, etwas lautes, unaufhaltsames: Ein Knistern, ein Knacken und ein lautes Tosen und es kam immer näher.
Immerhin kamen sie ziemlich schnell voran. Die Folia rannten durch den Wald mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und Leichtigkeit, wie Blätter im Wind (wie praktisch, dass diese Vergleiche immer wortwörtlich passen). Nach etwa einer Stunde, nach der Natalies linker Arm gerne abgefallen wäre, erreichten sie endlich das Rohr, das zum Ausgang führte. Die Folia setzten die Halbgötter und Halbgöttinnen sanft ab, nickten Jack zu und wurden daraufhin vom Wind verweht (Wieso muss ich jetzt an "Vom Winde verweht" denken!?).
"Aah!", stöhnte Jack und kippte gegen ihre Schulter.
"Sollen wir tauschen?", bot Nyssa ganz praktisch an, als ob sie Rucksäcke trugen und keine Menschen.
"Ja, danke", keuchte Natalie.
"Ich will nicht zur-", setzte Sherman an, doch Nyssa unterbrach ihn: "Schnauze, Yang, dieses Mädchen hat dir dein Scheiß-Leben gerettet! Lass den Mist und lass dir von ihr helfen, wir haben keine Zeit mehr."
Sherman starrte sie perplex an. Nyssa ignorierte ihn und übergab ihn vorsichtig an Natalie.
Will blickte beunruhigt nach hinten. "Lasst uns weitergehen, das Feuer kommt näher, glaube ich."
Natalie nickte. "Wir müssen durch das Rohr. Ähm...Sherman, halt dich mal da fest..." Unter lautem Stöhnen und offenem Missfallen von Shermans Seite aus hievte sie ihn in das Rohr und kletterte selbst hinterher. Dabei hing ihr rechter Arm schlaff zur Seite und Natalie fragte sich, ob sie, wenn sie das Ambrosia und den Nektar nicht verloren hätte, mit der Hilfe von Lorbeer nun wieder gesund wäre. Dieser Gedanke war nicht besonders hilfreich.
Da es im Rohr zu eng war, um nebeneinander zu gehen, gingen sie im Entenmarsch hintereinander her , Natalie mit Sherman vorneweg, dann Kayla mit Tamaia, Nyssa mit Jack und als Schlusslicht Will, dem das überhaupt nicht gefallen zu schien, aber er sagte kein Wort. Doch sein Blick richtete sich immer wieder nach hinten, als erwartete er einen Überfall. Was im übertragenen Sinne ja auch passieren konnte, ein Überfall von Mörderflammen mit einem Flaire von Fake-Apollo mit drin. Wer will da mehr.
"Hast du eine Idee, wie wir wieder nach oben kommen?", fragte Kayla nach einer Stunde stummen Gehens.
"Nee, keine Ahnung", antwortete Natalie. "Aber ich glaube, das ergibt sich dann", fügte sie schnell hinzu, denn Kaylas Schweigen war ein bisschen zu enttäuscht. "Das hat es bis jetzt immer." Und es war immer echt mies, dachte sie.
"Wie lange brauchen wir noch?", fragte Sherman und blieb stehen, weil er außer Atem gekommen war.
"Nicht mehr lange." Das Rohr wand sich und dass hieß, dass es wirklich nicht mehr weit war. Merkwürdigerweise waren sie noch keinen Schlangen begegnet und das beunruhigte sie.
Das Rohr bog sich ein letztes Mal und dann standen sie an der Öffnung. Sie stiegen in den Raum hinab.
Dieser war unverändert, noch immer lagen schwere, staubige Teppiche auf dem Boden und dicke Heizungsrohre zogen sich an den Wänden entlang. Doch sie waren nicht mehr heiß oder jedenfalls strahlten sie keine Hitze aus. Es war, als ob sie ausgeschaltet worden wäre. Natalie wurde klar, dass sie keine Schlangen mehr "produzierten", weswegen sie auch keinen mehr begegnet waren. Durch Fake-Apollos Zerstörung kam alles, was ihn ausmachte, einem Ende entgegen.
"Da steht was", sagte Tamaia und deutete nach oben an die Decke. Sie kniff die kleinen Augen zusammen. "Ich kann es aber nicht lesen."
Die anderen folgten mit dem Blick ihrem Finger. Verschnörkelte Buchstaben woben sich durch kleinen Flammen, die die Decke zierten, und bildeten Wörter, die sich zu einem Gedicht zusammenschlossen. Eine Weissagung.
Die Folgen dieses Heldentums
sie werden bestimmen den Lauf des Schicksals
für den lesterrigen Gott.
Die Moiren haben entschieden und das Seil ist bereit
für Tod und Geburt, für Leben und Trauer.
Der Bach wird zum Fluss und mündet erst dann,
wenn der Vater den Fluch hat aufgehoben.
Erst dann werden Bruder und Schwester sich wiedersehen.
Kapp das Seil und er ist frei, seine Schwester ist bereit,
zu werfen mit Bananen.
Natalie starrte auf die Buchstaben. Zu werfen mit Bananen... Wieder so ein Apollo-Mist. Wenn es nach ihr ging, könnte Apollo gerne mal eine Weissagungspause einlegen.
"Natalie!", riss Will sie aus ihren Gedanken. "Was steht da?"
"Oh...ähm..." Sie wollte ihnen nichts von Tod und Trauer und Bananen erzählen, doch möglicherweise würden sie diese Informationen brauchen.
"Bananen?", sagte Kayla ungläubig. "Lesterriger Gott? Was soll das heißen?"
"Ich weiß nicht-"
Plötzlich knallte etwas über ihnen und beißender Rauch erfüllte den Raum.
"Runter!", rief Natalie und sie gingen in Deckung. Der Rauch lichtete sich und gab den Blick frei auf ein explodiertes Rohr. Grünlicher Rauch quoll daraus hervor und machte es ihnen schwer zu atmen.
"Wir müssen hier weg!", rief Nyssa und wie zur Bestätigung platzte ein weiteres Rohr.
In Natalies Tasche begann etwas zu vibrieren und mit zitternden Händen zog sie die Glasschachtel von Poseidon heraus.
Sie schob den Deckel zurück und eine Wasserfontäne schoss gen Himmel. Sie war so breit und so mächtig wie nur Poseidon sie erschaffen konnte. Das Wasser bahnte sich einen Weg durch die Flammen und ließ einen senkrecht nach oben gehenden Tunnel entstehen. Ganz oben erkannte man einen dunkelblau leuchtenden Schimmer.
Die Schachtel vibrierte noch einmal und spuckte ein Seil aus, das sofort nach oben flog. Nur noch das Ende baumelte einen Meter über dem Boden.
Natalie packte das Seil. Kraft zuckte durch das Seil, ebenso wie ein Gedanke durch ihr Gehirn.
"Hört mal", sagte sie. "Ich habe eine Idee."
"Yay", murmelte Sherman ohne Begeisterung.
"An diesem Seil können wir nach oben kommen", sagte Natalie. "Ich glaube, wenn ich es anfasse, dann bekommt das Seil Kraft und überträgt die auf uns, sodass wir uns daran hochhangeln können."
"Aber das sind mindestens zweihundert Meter", sagte Will. "Das können wir unmöglich schaffen."
"Ich hab da so ein Gefühl, dass das funktionieren könnte", entgegnete Natalie. "Ich kann es nicht erklären, aber... ich weiß, was ich dafür tun muss."
Zu ihrer Überraschung nickten alle, sogar Sherman. Wahrscheinlich waren sie so erschöpft, dass sie alles, was einer Lösung, hier raus zu kommen, gleich kam, akzeptierten.
Natalie hielt sich mit der linken Hand am Seil fest und sprang hoch. Das Seil zuckte und durchfuhr sie mit Kraft. Nach zwei Sekunden befand sie sich zwei Meter über dem Boden.
"Versucht es auch mal", rief sie den anderen zu.
Will machte den Anfang. Er sprang hoch, doch das Seil wurde schlaff und er ließ sich wieder runter fallen.
"Vielleicht hast nur du Kontrolle über das Seil", meinte Nyssa und musterte das Seil fachmännisch (Gibt es auch fachfrauisch? Bestimmt nicht...). "Es funktioniert durch Schwingungen des relativen Umbruchseils in der Mitte der konstruktiven Verbindung und der Magie eines Gottes. Du trägst ein Teil von Poseidons Magie in dir, also müsstest du sie auch kontrollieren können. Konzentrier dich mal auf Will und wir gucken, ob es funktioniert."
Natalie hatte zwar keine Ahnung, was die Schwingungen eines relativen Umbruchseils in der Mitte der konstruktiven Verbindung sein sollten, doch der Rest klang eigentlich logisch.
Will nahm das Seil. Ihre Augen wurden schmal vor Konzentration und in ihrem Kopf dröhnte es.
Das Seil zuckte und Will schoss nach oben.
"Perfekt", sagte Nyssa nicht ganz unzufrieden mit sich selbst. "Wenn du so weiter machst, dann könnten wir, sollten das Seil zweihundert Meter lang sein, die ganze Strecke in anderthalb Stunden schaffen. Ist das gut?"
"Überhaupt nicht", antwortete Natalie. In ihrem Kopf surrte es und ihre Lunge fühlte sich an wie mit Watte gefüllt. "Aber bleibt uns was anderes übrig?"
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