Die Weissagung
Gerade als sie die Tür zum Hauptgebäude aufstoßen wollte, öffnete sie jemand von innen und knallte sie frontal gegen Natalies Stirn.
"Autsch!" Sich den Kopf haltend wich Natalie zurück. Aus der Tür spazierte der, den sie gerade am wenigsten sehen wollte: Percy.
"Hey", sagte er und sah sie betreten an.
Zehn Sekunden peinliche Stille. Dann sagte Natalie: "Ich muss zu Chiron."
"Ja." Percy trat beiseite, um sie durchzulassen, doch als sie an ihm vorbei gehen wollte, hielt er sie zurück.
"Hör mal, Natalie, es tut mir leid, okay?"
Sie riss sich los. "Was willst du?"
Er hob beide Hände. "Ich wollte einfach nur gewinnen, verstehst du? Das war so ein Reflex, den ich halt immer im Kampf hab-"
"Darum geht es doch überhaupt nicht!", fiel Natalie ihm ins Wort. "Du hast verdammt noch mal keinen Plan, okay?"
"Dann erklär's mir doch", sagte Percy und sah aus, als ob er das wirklich ernst meinen würde, doch Natalie wollte nicht, dass er sie bemitleidete- vor allem nicht, weil er sie nicht verstehen würde. Percy war immer der Held gewesen, der Sohn des Poseidon, der Kronos und zusammen mit den Besten aller Halbgötter und Halbgöttinnen Gaia besiegt hatte. Percy Jackson, der alle mühelos mit dem Schwert besiegen konnte und von seinem göttlichen Vater mehr geliebt wurde, als sich ein Gott erlauben durfte.
Er würde nie nachvollziehen können, wie sie sich fühlte.
"Vergiss es. Du würdest es sowieso nicht verstehen." Sie trat über die Türschwelle.
"Na gut, dann halt nicht", sagte Percy ärgerlich. "Ich hab dich gesucht, falls dich das interessiert. Annabeth und ich fahren morgen hier weg."
Erstaunt drehte sie sich um. "Wohin?"
"Wir waren nur für diese Woche hier. Wir wollen in Neu-Rom studieren und bis ich den Stoff der letzten Jahre nachgeholt habe, geht Annabeth zu ihrer Familie und ich zu meiner Mom. So. Das war's. Wir sehen uns später."
Und dann ging er, ohne sich umzusehen. Doch auch so konnte Natalie erkennen, dass er wütend war, aber was wusste er denn schon. Er hatte keine Ahnung von ihrer Wut.
Sie betrat das Hauptgebäude und ging in den Raum neben dem Zimmer, in dem sie das letzte Mal gewesen war, als Chiron sie mitgenommen hatte.
In diesem Zimmer befanden sich wieder Sofas, außerdem ein Pingpongtisch und ein weiterer Spielautomat (das Fetisch wurde bestätigt). In seinen Rollstuhl gezwängt saß Chiron, neben ihm ein Mädchen mit roten Locken und einem Malerhemd, das mit bunten Farbtupfern verziehrt war,.
Das Mädchen stand auf, als Natalie eintrat. Es hielt ihr eine Hand hin. "Ich bin Rachel Dare, das Orakel von Delphi ", sagte sie und so wie sie es sagte, klang es wie das Normalste der Welt.
Natalie nahm ihre Hand. "Du weißt wahrscheinlich, wer ich bin", sagte sie.
Rachel grinste. "Jap, das stimmt. Wir haben gerade über dich gesprochen. Chiron, sagen Sie es ihr?"
Chrion räusperte sich und richtete sich ein wenig auf. "Nimm Platz", sagte zu Natalie und deutete auf ein Sofa gegenüber von ihm. Sie setzte sich und Rachel tat es ihr gleich.
Bevor er weitersprach, musterte Chiron den Tisch und atmete schwer ein und aus. Nach einer ganzen Minute sagte er: "Du musst wissen, Natalie, dass ich nicht so schockiert von dir wäre, wärst du nur die Tochter Josephine Brights."
"A...ha", sagte Natalie. Was zum Tatarus meinte er damit?
"Ja." Chiron machte eine kurze Pause. "Nach dem Ende des Krieges gegen Gaia ging Rachel mit unseren römischen Freunden nach Neu-Rom, um von Ella, einer Harpyie, mehr über bestimmte Weissagungen zu erfahren. In einem Buch, das Ella gebunkert hatte, fand sie wenige Tage später einen Zettel, der anscheinend kurz zuvor geschrieben worden war." Er machte Rachel ein Handzeichen. Diese wühlte in den vollgestopften Hosentaschen ihrer Jeans und zog einen zusammengefalteten Zettel heraus, der mit grüner Tinte beschrieben war.
Sie gab ihn Natalie, die ihn auseinander faltete und las:
Durch die Flammen geht die Tochter des Meeres in freiem Fall
hindurch einer Schlangenkammer,
hinein in das Reich dessen, der sich die Sonne nennt
und weiter über die endlosen Felder der trüben Gestalten,
die ihre Klingen auszufahren gesuchen,
und trifft innen auf das, was gebrochen wurde durch den Freund,
um zu finden sie, die der Versuchung nicht widerstehen konnten.
Ohn' das kehrt sie zurück,
deren Andenken gereinigt wurde.
Durch ihr Blut sie ist gewappnet,
gegen den Schrei der Sonne.
Natalie starrte auf die Worte, die sich in ihre Augen einzubrennen schienen. Der Schrei der Sonne. Was konnte damit gemeint sein? Oder wie wär's damit? Das, was gebrochen wurde durch den Feind.
"Nun." Chiron faltete die Hände vor seinem Bauch. "Dies war die Weissagung, die Rachel zu lesen bekam. Sie kehrte sofort zurück, um sie mir zu zeigen. "
"Wir haben schon ein wenig intepretiert, bevor du gekommen bist", übernahm Rachel das Wort. "Weissagungen können über Jahre später informieren und weil es bisher keine "Tochter des Meeres" gab, die uns bekannt war, haben wir das erstmal fallengelassen. "
"Bis du aufgetaucht bist", sagte Chiron. "Die Weissagung betrifft dich."
"Es war ziemlich beunruhigend, dass ich eine Weissagung gefunden habe, nachdem Apollo nach dem Krieg verschwunden war ", meinte Rachel. "Er hat eine Strafe von Zeus erhalten ", fügte sie auf Natalies fragenden Blick hinzu. "Ist jetzt ein bisschen kompliziert, aber darum geht es auch gar nicht. Vielleicht können wir die Weissagung zusammen besser deuten. "
Natalie las noch einmal die erste Zeile vor: "Durch die Flammen geht die Tochter des Meeres in freiem Fall. Soll das heißen, ich fall irgendwo runter? "
"Höchstwahrscheinlich." Rachel setzte sich neben Natalie und las mit. "Hindurch einer Schlangenkammer, hinein in das Reich dessen, der sich die Sonne nennt. Ich habe keine Ahnung, was die Schlangenkammer sein könnte. Apollo hat einen Sohn, den Heilgott und sein Tier ist die Schlange. Könnte das was sein? "
"Ich denke eher nicht", sagte Chiron. Er sah müde aus. "Asklepios' Schlange ist ihm zwar sehr wichtig, aber er ist für andere Dinge bekannt."
"Na gut, da kommen wir nicht weiter", sagte Rachel. "Das Reich dessen, der sich die Sonne nennt. Apollo. Oder Helios, aber Apollo hat die Sonne ja übernommen, deswegen wahrscheinlich Apollo. "
"Aber Apollo hat viele Bereiche, oder?", fragte Natalie. "Medizin, Dichtkunst, Weissagung, die Sonne, Bogenschießen... Ganz eindeutig wird das nicht. "
"Ja, stimmt. Aber ich könnte mir denken, dass die Sonne nicht erwähnt werden würde, wenn sie auf das Reich bezogen ist. "
"Ja, macht Sinn. Also entweder Dichtkunst, Weissagung, Bogenschießen oder Medizin. Was ist mit den trüben Gestalten, die ihre Klingen auszufahren gesuchen?"
"Götter, Weissagungen sind immer so verdreht", murmelte Rachel. "Vielleicht der Asphodielengrund? Aber der ist ja in der Unterwelt. Trotzdem, ich habe das Gefühl, dass damit Tote gemeint sind. "
Natalie fragte nicht weiter nach. Wenn ein Orakel "ein Gefühl" hatte, was in der Zukunft passieren sollte, erwies sich das wahrscheinlich als richtig.
"Tote, die die Klingen ausfahren wollen", sagte Rachel. "Klingt ja lustig."
"Trifft innen auf das, was gebrochen wurde durch den Freund, um zu finden sie, die der Versuchung nicht widerstehen konnten. Es gibt also etwas, dass gegen jemanden verloren hat, der auf unserer Seite steht", vermutete Natalie.
"Könnte sein. Du suchst die, die der Versuchung nicht widerstehen konnten", sagte Rachel nachdenklich. "Also muss vorher etwas passieren, dass eine Versuchung auslöst. Aber die nächste Zeile ohn' das kehrt sie zurück... Das bedeutet also, du findest es nicht. Okay, das ist... unpraktisch. "
Sie schwiegen eine Weile, bis Natalie, die nicht weiter darüber nachdenken wolte, sagte: "Also, deren Andenken gereinigt wurde. Wobei ich keine Ahnung habe, was das heißen sollte. Aber mit durch ihr Blut sie ist gewappnet gegen den Schrei der Sonne könnte Apollo gemeint sein, oder? Er ist sozusagen die Sonne und der Vater meiner Mom."
"Wir können uns dessen nicht sicher sein", wandte Chiron ein.
"Aber es ist wahrscheinlich", erwiderte Natalie ungeduldig. "Meine sonstige Abstammung ist nicht besonders oder hat irgendwas mit der Sonne zu tun."
Rachel nickte langsam. Dann nahm sie den Zettel in die Hand, las ihn noch einmal durch und drückte ihn dann Natalie in die Hand. "Behalte du den ", sagte sie. "Falls du ihn auf deinem Einsatz brauchst."
Natalie nahm ihn entgegen. "Wollen Sie dem Camp davon erzählen?", fragte sie Chiron.
Dieser schüttelte den Kopf. "Es ist besser, wenn sie es nicht wissen", meinte er und erklärte das nicht weiter. "Geh jetzt ins Bett. Es ist schon spät."
Als Natalie sich gerade erhob, um zu gehen, sagte er: "Pack am besten eine Tasche, Natalie. Nur für den Fall, dass du bald auf den Einsatz musst. Lass dir von Will Nektar und Ambrosia geben und leih' dir am besten Bogen und Köcher aus."
Sie nickte und verlies das Gebäude. Draußen war es schon dunkel. Den Zettel in der Hosentasche machte sie sich auf den Weg zur Apollohütte, wo Will ihr alle Gegenstände gab, ohne sie nach dem Grund zu fragen, worüber Natalie froh war. Sie hätte ihn nicht gerne angelogen.
Percy schlief schon, als sie die Poseidonhütte betrat oder wenigstens tat er so, denn er trug noch seine Klamotten und das Licht im Waschraum brannte.
Als auch Natalie im Bett war, die Tasche gepackt, fiel ihr etwas ein. Sie griff ans Bettende und zog aus ihrer Hosentasche die Schachtel, die Poseidon ihr gegeben hatte, hervor.
Im Mondlicht schimmerte sie und Natalie hatte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Sie stand auf und legte die Schachtel in die Tasche für ihren Einsatz. Dann ging sie wieder ins Bett, doch sie konnte noch lange nicht einschlafen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro