Kapitel 31
Fred ist entschlossen, einen neuen Anlauf, zu wagen. So wie damals, als er Naomi nach dem Gespräch mit Daniel, auf ein Date einladen wollte. Er wird sich entschuldigen und ihr dann seine Gefühle gestehen! Fred hat sich seiner Angst, er könnte wieder gemobbt werden, gestellt und Severin erfolgreich verteidigt. Nun wird er das auch schaffen.
Fred klingelt bei den Sommers, an einem Samstagmorgen ist sie vermutlich Zuhause. „Endlich bist du wieder da-" Casper reisst freudestrahlend die Tür auf, sein Gesicht fällt aber, als er Fred sieht. „Ich dachte Mimi ist zurück! Wegen dir ist sie ganz traurig!", ruft er vorwurfsvoll und knallt ihm die dunkle Holztür vor dem Gesicht zu.
Verdutzt starrt Fred die Tür an, dann wird sie erneut geöffnet. „Tut mir leid, wegen meinem Bruder eben, er ist besorgt um Naomi", meint Jan. „Warum bist du gekommen?"
So langsam macht Fred sich Sorgen. Ist etwas passiert? Und was hat er mit der Sache zutun? Sonst versteht er sich gut mit Casper und Jan. „Schon okay. Ich wollte nur kurz mit Naomi reden, aber was ist denn los? Ist was mit ihr?"
„Ihr geht es gut, sie ist nur etwas genervt und gerade nicht da. Über was willst du denn mit ihr reden?" Jan zieht misstrauisch die Augenbrauen zusammen und dem Braunhaarigen wird klar, dass er nicht verraten wird, wo seine Schwester ist, wenn Fred sich nicht erklärt.
„Wir hatten vor einer Weile einen... ähm Streit, den wir nie richtig geklärt haben. Ausserdem sehen wir uns kaum noch und jaa..." Er kratzt sich verlegen am Kopf.
„Also dann: Naomi ist in den Bergen am slacklinen und so schnell wird sie nicht wieder runterkommen. Mit dem Bus 54 zur zweitletzten Haltestelle und dann den Wanderweg hoch. Wenn ich du wäre, würde ich aufpassen. Sie wird nicht gerne gestört."
Fred nickt dankbar. „Ich werde versuchen sie zu finden. Schönen Samstag noch."
Er wendet sich zum Gehen, da steht auf einmal wieder Casper vor ihm. „Erschreck Mimi nicht, dann wird sie böse. Und sag ihr, sie soll nach Hause kommen!"
„Das mach ich", erwidert Fred lächelnd und wuschelt durch seine hellbraunen Haare.
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Fred lehnt seinen Kopf an die kühle Fensterscheibe des Busses. Der Wald und seine Gedanken rauschen an ihm vorbei. Warum ist Naomi genervt? Da fällt ihm ein, Casper sagte, dass sie wegen ihm traurig wäre. Stimmt das? Belastet Nao: nein - Fred seufzt bedrückt - Naomi ihre momentane Situation ebenso wie ihn? Das wird er wohl erst erfahren, wenn er sie fragt.
Wie kann er Naomi erzählen, dass er sich verknallt hat, ohne lächerlich rüber zu kommen? Ohne sich zu blamieren, wenn sie wirklich nichts von ihm will?
Aber was ist mit diesem seltsamen Gefühl? Schon seit sie ihn im Krankenhaus so angesehen hatte, war etwas anders. Obwohl, eigentlich fing es vorher an. Der Grund, dass Fred jetzt diese Blamage riskiert, ist einerseits, dass er Naomi bereits als gute Freundin verloren hat. Andererseits aber, wegen... es ist schwer zu beschreiben. Nicht selten hatte er den Eindruck, es knistere zwischen ihnen. Manchmal hatten sie sich so intensiv angesehen... Fred fragt sich, ob er sich das wirklich nur eingebildet haben kann.
„Felsbirchen": Der Bus hält mitten im Nirgendwo, es gibt nicht mal einen Unterstand. Fred steigt aus und sucht nach einem Wanderweg. Ein Schild, das unter einem Haselbusch vergraben ist, zeigt auf einen Pfad den Hügel hinauf. Dann mal los.
Hoffentlich hat Jan recht damit, dass Naomi hier ist, denkt sich Fred. Ein Trampelpfad, der nicht aussieht, als bekomme er häufig Besuch, wechselt sich mit steinigen Kletterpassagen ab. Ob es gefährlich ist, was Naomi da macht? Fred weiss, dass sie in einem Slackline-Club ist und sich sichert, wenn es gefährlich ist, mehr nicht. Das Balancieren ist ihr eigenes Ding, genau wie die Geige seins ist. Darüber sprechen sie nie, auch früher nicht, als die beiden noch beste Freunde waren. Es fühlt sich an, als wäre das ewig her.
Dem Pfad folgend, kommt Fred auf einer Art Plateau an. Es wachsen nur wenige Bäume, da die Humusschicht über dem Gestein dünn ist. So gebeugt und kompakt wie die Pflanzen hier sind, muss es auf diesem Felsen sehr windig sein. Es ist kühl, aber für den Moment zum Glück windstill, sonst würde er hier oben noch erfrieren.
Fred sieht sich um und entdeckt am Felsrand eine eiserne Befestigung im Berggrund, mit einem leuchtend orangenen Band dran. Er geht mit bedächtigen Schritten darauf zu. Hier und dort schaut die Sonne scheu zwischen den grauen Wolken hervor.
„Naomi?"
Die Slackline erzittert und Fred folgt ihr mit dem Blick zur Mitte, wo eine schmale Figur sich einzig mit den Händen am Band festklammert. Es ist am anderem Ende, an einer Klippe befestigt, zu der Naomi gerade unterwegs war. Anscheinend ist sie erschrocken und ist deshalb von der Slackline gefallen. Was wenn sie runterfällt?! Freds Herz rast. Wie soll sie wieder auf die Slackline raufkommen?
Naomi dreht sich um und stöhnt genervt, als sie Fred sieht. Sie lässt ihre Hände fallen. Fred erleidet einen halben Herzinfarkt, bevor er sieht, dass sie einen Klettergurt trägt, der mit einer Sicherungsleine oberhalb der Slackline verbunden ist. Unter ihr erstreckt sich eine tiefe Schlucht mit einem plätschernden Bach.
„Was machst du hier?"
„Äm tut mir leid... also, wenn ich dich irgendwie unterbrochen habe."
„Unterbrochen?! Fred, wegen dir bin ich fast abgestürzt! Falls dich meine Brüder hergeschickt haben, müssen sie auch gesagt haben, mich auf der Slackline nicht zu erschrecken!", ruft Naomi wütend.
Stimmt, Casper sagte so etwas. Fred hat sich allerdings auch erschrocken, bei ihrem Fast-Absturz. Das war gefährlich! Naomi zieht sich an der Sicherungsleine hoch, um sich im Schneidersitz auf das Neonband zu setzen. Wie macht sie das bitte, ohne die Balance zu verlieren? Sie sieht genervt, aber unfassbar entspannt aus dafür, dass sie eben noch am seidenen Faden über der Schlucht gebaumelt hat.
„Sorry, wirklich! Ich war in Gedanken, weil naja... ich wollte dich da was fragen, oder nein, dir was sagen", stammelt Fred. Diese ganze Situation stresst ihn, er hätte es viel lieber, wenn Naomi auf festem Boden stünde.
„Und das konnte nicht warten, bis ich zurück in der Stadt bin?"
„Nein, Jan meinte, du bleibst noch eine Weile hier."
„Und es ist so dringend?"
„Es ist wichtig! Wir müssen darüber reden, was alles passiert ist." Naomi seufzt nur. „Könntest du hier hin zum Fels kommen? So ist es doch sicher unangenehm," murmelt Fred.
„Für dich oder mich?", erwidert Naomi belustigt. Sie steht langsam auf und balanciert auf der Slackline. Beleidigt sagt Fred nichts dazu.
Kurz darauf steigt die Braunhaarige vom Neonband herunter und Fred kann nicht anders, als sie zu umarmen. Unsicher steht Naomi einige Momente da, bis sie ihn von sich schiebt, um den Klettergurt auszuziehen. Fred fährt sich verlegen durch die Locken. „Wir haben uns in letzter Zeit kaum noch gesehen, Naomi. Ich vermisse dich."
Erstaunt dreht sie sich um. Ein Fichtenzweig sticht Fred in die Seite, er tritt näher zu Naomi. Diese Situation könnte ihm nicht peinlicher sein. „Es tut mir wirklich leid, was ich da in der Bibliothek gesagt habe. Nichts habe ich so gemeint, ich war nur aufgebracht."
„Warum?", fragt Naomi, was Freds Erklärungs-Plan zerreisst.
„Tja, hm das ist eine gute Frage. Aber die Antwort ist kompliziert, diffus äh..." Von wegen, es kann nicht peinlicher werden. Doch, das hat er sich selbst eingebrockt. „Und eigentlich auch unwichtig! Ja genau, also vergessen wir es einfach. Was ich dir sage-"
„Fred, sag den Grund einfach. Es wäre für mich dann leichter, dich zu verstehen."
„Vor einer Weile habe ich etwas entdeckt und eigentlich wollte ich das irgendwie schöner sagen aber... ich habe Gefühlefürdich Naomi." Fred kratzt sich am Nacken und sieht dem Bach beim Fliessen zu. „Ähm ja."
Sie hält überrascht die Luft an. Sobald er sich traut wieder aufzuschauen, begegnet er Naomis verwundertem Blick. Sie setzt sich an den Rand der Klippe, sagt aufgeregt: „Du hast recht, wir müssen uns über uns unterhalten" und klopft einladend neben sich.
Freds Magen zieht sich zusambmen. Was soll das denn jetzt bedeuten? Er lässt sich neben ihr nieder und bemüht sich um einen normalen Abstand zwischen ihnen, um nicht aufdringlich zu sein.
„Ich bin froh, dass wir endlich über alles sprechen können, immer diese ungesagten Worte und Gefühle, waren ja nicht mehr auszuhalten." Naomi streicht sich die kastanienbraunen Haare hinter die Ohren, auf einmal wirkt sie ebenfalls verlegen. „Weil, also irgendwie geht es mir wie dir." Jetzt macht Freds Bauch Luftsprünge. „Ich bin auch verliebt in dich."
Ein Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus. „Warum warst du dann so... keine Ahnung zurückweisend, Nao? Sonst bist du doch immer direkt mit deinen Gefühlen und allem." Im Nachhinein bemerkt Fred, was er gesagt hat, doch Nao scheint die Erwähnung ihres Spitznamens nicht zu kümmern, was ihn ungemein erleichtert.
„Nicht immer. Solche Sachen behalt ich lieber für mich, vor allem weil du halt mit Bianca zusammen warst."
„Ach stimmt ja, die. Tut mir leid, ich hätte bereits früher meinen Mut zusammennehmen sollen." Fred legt einen Arm um Naomi und geniesst die Aussicht auf den Laubwald. Die Wolken machen der Frühlingssonne Platz. Sie kitzelt ihn an der Nase.
Eine Weile ist es still, dann dreht sie sich aber zu Fred. „Du hast meine Frage vorhin gar nicht beantwortet: Was war das vor ein paar Wochen in der Bibliothek?"
Oh nein, jetzt muss er diese Frage doch beantworten! Am liebsten würde er sie für immer aus dem Gedächtnis aller verbannen. „Ich war dort eben sauer, aber das ist nicht relev-"
„Fredrik", sagt Nao genervt.
„Na gut. An dem Tag dachte ich, wir würden allein in der Bibliothek lernen und da wollte ich dich auf ein Date einladen. Weil ich vorher halt gemerkt habe, dass ich in dich verliebt bin. Aber..."
„Aber Patrik und ich, haben da für das Theaterstück geübt", vervollständigt Nao grinsend den Satz.
Beide brechen in Gelächter aus. „Rückblickend war das alles schon ziemlich dumm."
Naomi schaut Fred in die Augen und er spürt, dass das Knistern keine Einbildung war.
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