Kapitel 18
Fred schlingt seine Arme fester um Nao und wieder kommen die Gedanken in ihm hoch. Was fühlt er für Nao? Sind es wirklich nur lächerliche Schwärmereien, die gleich wieder weg gehen? Fred hat sich das eingeredet, er wollte, dass es so ist. Denn Nao und er hätten keine Chance, sie sind nur Freunde.
Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt über solche Sachen nachzudenken, aber er kann es nicht verhindern. Die Gedanken, Gefühle schleichen sich in seinen Kopf und lassen sich nicht abschütteln. Obwohl der Regen laut auf das Dach trommelt und der Wind an allem rüttelt, versinkt Fred tief in seiner Gedankenwelt.
Vor einer Woche ist Naomi wegen dem Schulprojekt zu ihm nach Hause gekommen. Er erinnert sich noch genau, wie Nao mit überraschtem, verletztem und wütendem Gesichtsausdruck im Türrahmen gestanden hat. Wie sauer sie war und dass er Angst hatte, sie wären keine Freunde mehr. Er hat sich, dank Daniel, dazu überwunden es ihr zu erzählen, was ihm wirklich schwergefallen ist. Fred hatte Angst, sie würde ihn verurteilen, weil er Geige spielt und gemobbt worden war. Dies war allerdings ein Irrtum.
Im Nachhinein, könnte er sich dafür schlagen. Naomi ist niemand die Leute wegen so etwas verurteilt. Sie liebt ihre Slackline, Wölfe und Salzstangen, egal was andere darüber denken. In der Schule verteidigt sie Schüler, die gemobbt werden, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie deswegen selbst gemobbt werden könnte.
Am letzten Mittwoch in der Bar hat Fred, nachdem sie eine Geschichte erzählt hat, eine sehr dumme Frage gestellt. Er wusste ja eigentlich, dass sie nicht aromantisch ist, aber er hat es verdrängt, um eine Ausrede zu haben. Eine Ausrede, es nicht mit ihr zu versuchen. Fred hatte, hat Angst davor, weil es die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, wieder gemobbt zu werden.
Ihm wird jetzt klar, auf dem feuchten Boden von einem Reptilienhaus, dass er es mit Nao versuchen will. Ernsthaft versuchen. Fred hat sich in sie verliebt, dies kann und will er nicht mehr leugnen.
Er entscheidet sich dazu, sie nach einem Date zu fragen, wenn das alles vorbei ist und alle in Sicherheit sind. Wenn er nichts riskiert, wird auch nie etwas passieren.
«Wo sind sie nur?!», schreit Naomi auf einmal wütend, löst sich aus Fred's Umklammerung, springt auf und wirft ihr Handy quer über den Boden. Damit holt sie Fred wieder ins hier und jetzt.
«Was wollten die Jungs denn alles sehen?», fragt der Braunhaarige und steht ebenfalls auf.
«Die Affen, Schlangen, Wölfe und... TIGER!» Ohne eine Sekunde zu verschwenden sprintet Naomi Richtung Tigergehege, ihr Telefon völlig vergessend. Fred steckt es ein und rennt ihr nach.
Der Wind zerrt an ihnen und scheint ihre Suche verhindern zu wollen. Haufenweise abgebrochene Äste und Zweige versperren ihnen den Weg. Hart trommelt der Regen auf sie herab, innerhalb einiger Sekunden sind sie vollkommen durchnässt. Durch den Regen können sie gerade so einen Wegweiser sehen, der in Richtung der stolzen schwarz-orangenen Tiere zeigt.
«Jan! Klaus! Casper!», schreien Naomi und Fred, um gegen den Wind anzukommen, als sie das Aussengehege vom Tiger sehen. Ein riesiger, alter Baum der umgefallen ist, versperrt den Weg zum Tigerhaus. Dort hofft Fred, dass die Jungs Schutz vor dem Sturm gesucht haben.
Naomi und Fred klettern über den Baumstamm, was die vielen Äste und die eingeschränkte Sicht erschweren.
„MIMI!" Aus dem Nichts kommt Klaus angerannt und fällt Naomi in die Arme.
„Was ist passiert, wo sind Jan und Casper?", fragt Nao sofort drauf los und drückt ihren Bruder fest an sich. Ich sehe mich um, entdecke aber nichts ausser haufenweise Regen, Blätter und Äste.
„Casper... sie-", Klaus bricht ab und zieht Nao einfach den Baumstamm hoch, wo noch mehr Blätter sind. Ich folge ihnen und sehe dann einen aufgelösten Jan. Was ist nur passiert?!
Mit einem erleichterten „Endlich!" fällt auch Jan Nao um den Hals, löst sich aber schnell wieder. Er kniet sich neben den Baumstamm und jetzt erst sehe ich einen kleinen, braunen Haarschopf darunter hervorlugen. Casper!
„Wie sollen wir ihn da nur rausholen?", fragt Naomi, während sie Casper sanft über die Locken streichelt. Er schluchzt und wimmert, und scheint grosse Schmerzen zu haben.
„Sein Bein ist unter dem Baum eingeklemmt. Ich habe versucht ihn da rauszuholen, wirklich! Aber ich bin zu schwach", erklärt Jan verzweifelt.
„Dann versuchen wir es jetzt zusammen. Klaus ziehe du deinen Bruder raus, sobald wie möglich." Fred und Naomi stellen sich gegenüber von Jan an den Baumstamm. Sie zählen bis drei und heben ihn, vor Anstrengung stöhnend einige Zentimeter hoch.
Klaus zieht seinen Zwilling raus, aber er ist schwer für ihn und es geht zu langsam.
„I-ich kann nicht mehr", bringt Jan mit zitternder Stimme hervor. Kurz darauf lässt er den Baumstamm los und sackt zusammen. Nao und Fred können ihn nun auch nicht mehr halten und mit einem ohrenbetäubenden Knall fällt er zu Boden.
Kurz steht Freds Herz still, bis er Caspers Fuss sieht, der knapp vom Baumstamm verpasst wurde. Eine unglaubliche Erleichterung macht sich in ihm breit, die er auch bei Nao sehen kann.
Schnell klettert Naomi zu Casper. „Wie lange war er da drunter?"
„Fünf oder zehn Minuten, weiss nicht", erwidert Jan erschöpft.
„Okay. Gut gemacht, jetzt müssen wir sofort einen Arzt finden. Casper, wo hast du weh?" Naomi bückt sich zu ihm, um seinen Körper nach Verletzungen abzusuchen.
„M-mein rechtes B-bein", sagt er zitternd. Auch wenn es ein warmer Tag war, mit diesem Regen und Wind wird es so langsam wirklich kalt. "Und mein K-kopf." Jetzt erst sieht Fred die Platzwunde an seinem Ko pf. Als der Baum auf ihn drauf gefallen ist, muss er sich wohl den Kopf angeschlagen haben.
„Wir gehen zum Zooausgang, dort gibt es sicher einen Arzt." Naomi schiebt vorsichtig einen Arm unter Caspers Rücken, den anderen unter seine Kniekehle, dann steht sie mit ihm auf. Er wimmert vor Schmerz, aber schlingt die Arme um Naomis Hals.
Sie gehen los, einen grossen Weg entlang, wo weniger Bäume sind. Jetzt, als sie aus dem Schutz vom umgefallenen Baum getreten sind, zerrt der Wind wieder mit voller Wucht an ihnen. Nao hat sichtlich Schwierigkeiten mit Casper auf dem Arm ihr Gleichgewicht zu behalten.
„Geht's?", fragt Fred besorgt.
„Ja, kein Problem", erwidert Nao. „Kannst du bitte auf Klaus schauen und sicherstellen, dass wir den richtigen Weg nehmen?"
„Mach ich." Fred nimmt Klaus' kleine Hand und stumm gehen sie weiter. Durch den heftigen Wind und Regen kommen sie nur langsam voran.
„Was ist überhaupt passiert?", will Naomi wissen. „Wir haben euch gesucht, aber ihr wart wie vom Erdboden verschluckt."
„Wir waren bei den Schlangen, aber Casper hatte Angst. Ich dachte mir, wir können schon mal zu den Tigern gehen. Im Tigerhaus habe ich dich dann angerufen, aber plötzlich gab es kein Signal mehr. Wir haben Angst bekommen, es war niemand Anderes mehr dort", erzählt Jan, während er wie sie alle gegen den Wind ankämpft, um vorwärts zu kommen. „Ich habe entschieden, dass wir erstmal im Haus bleiben, wegen dem Sturm. Aber dann haben wir draussen auf dem Weg einen Marder gesehen. Casper ist losgerannt, um ihn mit reinzubringen, weil es draussen zu gefährlich ist. Er hat sich langsam angeschlichen, damit der Marder keine Angst hat und dann plötzlich ist dieser riesen Baum auf ihn drauf gekracht."
„Der Marder!", schreit Casper und versucht sich von Nao zu lösen, was sie aber nicht zu lässt. „Ihm geht es gut. Casper, Marder sind wilde Tiere, die sehr gut für sich selbst sorgen können. Er liegt wahrscheinlich gerade mit seiner Familie in einer warmen Höhle."
Casper gibt sich geschlagen, scheint allerdings sehr unzufrieden damit. Fred sieht das Café vom Zoo und ist unglaublich erleichtert. „Wir sind bald da", teilt er den anderen mit.
„9 mal 9?", fragt Naomi woraufhin Fred sie verwirrt anseht.
„81. Wirklich Mimi? Das ist viel zu einfach!", meint Casper beleidigt. Jetzt ist Fred nur noch verwirrter. Er wusste, dass Casper gut in Matte ist, aber in der ersten Klasse findet doch niemand das Einmaleins einfach? Das lernt man erst in der Dritten! Ausserdem ist es ein seltsamer Zeitpunkt für Matte.
Naomi muss wohl Freds verwirrten Blick gesehen haben, denn sie erklärt: „Casper beruhigt es zu rechnen und dann denkt er an etwas anderes als die Schmerzen. 143 plus 254?"
Der Kleine legt seine Stirn in Falten und überlegt eine Weile. „397"
«Klaus was gibt 19 plus 12?», fragt Naomi dann, was Erstklässler normalerweise können.
«Ich habe keine Lust auf Matte», mault der Junge an meiner Hand.
«Komm schon!», motiviert ihn Jan.
«31», grummelt Klaus beleidigt.
Endlich! Sie sind beim Zooausgang angekommen. Um Schutz vor Wind und Regen zu suchen, gehen sie in das Geschäft vom Zoo, was von oben bis unten mit Kuscheltieren gefüllt ist. Keine Menschenseele ist zu sehen, anscheinend sind sogar die meisten Angestellten nach Hause gegangen.
«Ich suche einen Arzt», sagt Fred und geht raus zur Kassiererin des Zoo-Restaurants, die alle Hände voll zu tun hat, weil alle Menschen die noch hier sind, so schnell wie möglich verschwinden wollen. Er drängt sich durch die Leute nach vorne, ohne Rücksicht auf ihre Proteste zu nehmen.
«Hey was machen Sie da?!», schnauzt die Kassiererin Fred an.
«Ein kleiner Junge wurde unter einem Baum eingequetscht, jetzt ist er im Laden dort drüben mit verletztem Bein und Platzwunde. Rufen Sie einen Arzt!»
Zuerst sieht die Frau ihn geschockt an, dann ruft sie per Festnetz jemanden an. Sie nickt Fred zu, woraufhin er zurück in den Laden geht.
Klaus schleppt gerade einen riesigen Plüschhund zu seinem Zwilling, damit dieser seinen Kopf darauflegen kann. Casper strahlt und kuschelt sich sofort an den Hund.
«Aber der gehört doch diesem Laden», protestiert Jan.
«Das ist egal, wir können den Hund auch kaufen», meint Naomi und stellt Casper zur Ablenkung seiner Schmerzen weitere Matte Aufgaben.
Ein älterer Mann mit Arztkoffer kommt in den Laden und steuert direkt auf die kleine Gruppe zu. «Hallo. Ich bin Doktor Alvar. Was ist denn passiert?»
«Mein Bruder wurde unter einem Baum begraben, sein Bein eingequetscht, dabei hat er sich seinen Kopf angeschlagen», fasst Nao zusammen.
Der Arzt untersucht Casper und stellt ihm einige Fragen. «Warum fragen Sie so viel?», stellt Klaus seine Handlung in Frage.
«Ich musste herausfinden ob er eine Gehirnerschütterung hat. Seine Platzwunde ist nicht tragisch, aber als er seinen Kopf angeschlagen hat, kann es sein, dass etwas darin verletzt wurde. Dies kann ich allerdings nicht hier, ohne Geräte feststellen. Könnte einer von euch bitte dafür sorgen, dass ein Krankenwagen herkommt?»
«So schlimm?», fragt Jan erschrocken. «Und was ist mit Caspers Bein?»
«Das Bein wird wieder. Ich habe einfach nicht die nötigen Materialien da, um ihn zu behandeln. Habt keine Angst. Ein Teil von euch wird ihm Krankenwagen mitfahren und weil nicht alle Platz haben, müssen eure Eltern mit den Anderen ins Krankenhaus fahren.»
Fred geht wieder zur Kassiererin, wobei er sich dieses Mal nur an ein paar Leuten vorbei drängen muss. «Ich muss zwei Anrufe tätigen, kann ich mir dafür kurz das Telefon ausleihen?» Die Frau sieht ihn irritiert an. «Den Krankenwagen und die Eltern des Jungen», ergänzt er und macht sich an die Arbeit.
Zehn Minuten später sehen Fred und Jan dem Krankenwagen beim Wegfahren zu. Bald werden die Eltern Sommer kommen, um auch sie zwei zum Krankenhaus zu fahren.
Fred hofft, dass Casper wieder gesund wird, der Kleine hat noch sein ganzes Leben zu leben
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