7.Philipp
Erschöpft sitze ich auf meiner Bettkante und denke an die letzten 2 Tage. Alles hat sich verändert, alles ist im Wandel und vergänglich. Müde streiche ich mir durch die Haare und springe aus dem Bett, nur in meinem vergilbten Unterhemd stehe ich vor dem Spiegel. Ich beginne mich an der Waschschale zu reinigen, aber entdecke nichts, was man anstelle meines Nachtgewandtes anziehen könnte
Als ich mir nun die roten Haare kämme, baut sich Wut in meinem Magen auf, der Fürst ist einfach nur grausam. Er nutzt die Not der Armen aus, um Geld zu sparen. Bis gestern wusste ich gar nicht, dass die Haupteingänge des Krankenhauses unzugänglich sind und man nur durch dieses Tunnelsystem in es hinein gelangen kann. Gleichzeitig ist mein Menschenbild vom Fürst zerschlagen, vor ein paar Tagen noch habe ich diesen Mann verehrt. Gewiss wusste ich, dass er gefährlich ist, aber das er zu solchen unmenschlichen Akten fähig ist hätte ich nie erwartet. In den Büchern, die ich über ihn las, klang sein Handeln immer so feierlich und groß, doch das alles war eine Lüge, um die Bevölkerung von den eigentlichen Gründe der Attentate abzulenken. Das Spiel, das er spielt ist falsch und muss gestoppt werden.
Entschlossener denn je blicke ich durch den Spiegel in meine wild entschlossenen Augen, an der Stirn rollen mir 3 Wassertropfen herab und fallen hinab in die Waschschüssel, wo sie Kreise ziehend in der Masse entschwinden. Die Entscheidung ist gefallen, ich werde den Fürsten finden und ihn töten, auch wenn es das letzte ist, was ich tue, er wird für seine Grauen büßen und auf ewig nach seinem Tod im Feuer der Sonne schmoren, ich schwöre es, ich schwöre es bei meinem eigenen Leben und meiner Seele.
Meine Zimmertür wird aufgerissen, erschrocken drehe ich mich um und reiße die Waschschüssel mit meinem Handrücken in die Tiefe. Das Wasser spritzt in alle Richtungen und eine Scherbe fliegt gegen mein Bein. Eine etwa 10 Jahre alter Junge stürmt herein, ohne mir auch nur einen Blick zu würdigen. Er sieht blass aus, diese Blässe wird durch seine schwarzen, hüftlangen Haare noch unterstützt. Vor dem Bett bleibt er stehen und lässt sich mit Schwung auf den Boden fallen, er dreht sich auf den Rücken und robbt sich unter das Bett. Als er dies tut, rutscht sein weißes Nachtgewand ein Stück nach oben, so das ich einen Blick auf seine Beine erhaschen kann. Zuerst erschrecke ich, seine Oberschenkel waren so dünn wie meine Unterarme und an den Knien bildet sich jeder Knochen genau ab. Ich höre ihn etwas murmeln unter meinem Bett, ich traue mich nicht mich auch nur einen Zentimeter zu rühren. Meine Augen hatten sich mit einem seltsamen Gefühl an ihm festgenagelt. Ich verliere mich in seinen Bewegungen und versuche seinen Worten zu lauschen, doch ich kann ihn einfach nicht verstehen.
Dass die Zimmertür noch offen steht, habe ich voll und ganz vergessen, so zucke ich heftig zusammen, als ich die kräftige Stimme einer Nonne vernehme. „Entschuldige mein Kind, hast du einen Jungen mit langen Haaren gesehen." Die Frau ist ganz außer sich und ringt schwer nach Luft. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung so das mein Mund nur halb zu sehen ist und deute unter mein Bett. „Philipp! Da bist du ja!" Immer noch schwer atmend wischt sich die gewichtige Frau den Schweiß von der Stirn und läuft flink Richtung Bett. Sie umfasst gleich darauf Philipp seine Fußgelenke, da er ihren Ausruf ignoriert hatte und zieht ihn an den Knöchel vor, wobei sein Nachtgewand noch weiter nach oben bis zu Hals rutscht. Nun liegt er splitterfasernackt auf den kalten weißen Fliesen und starrt verwirrt an die Zimmerdecke. Beschämt drehe ich mich in die eine Zimmerecke und lausche der Nonne beim Fluchen. „Bei Handaa, Philipp warst du wieder die ganze Nacht wach?" Keine Antwort. „Hallo Philipp!" Ich höre schnelles Klatschen von Haut auf Haut. „Philipp." „Ich kann Sie sehr gut verstehen Schwester Ires." Dieser Philipp sagt das mit einer solchen Emotionslosigkeit, dass ich mich frage, ob er wirklich ein 10-Jähriger Junge ist oder ein Stein.
Vorsichtig drehe ich mich wieder um und schaue ihm ins Gesicht. Ich erröte aufs neue, als ich sehe das er noch immer, mit nach oben geraffter Kleidung, auf dem Boden liegt. Als er mich das erste Mal wahr nimmt, springt er auf, ohne sich für seine Nacktheit zu schämen, rafft er schnell sein Nachtgewand nach unten und schreitet auf mich zu. Seine langen dünnen Finger greifen nach meinem Kinn und bohren sich in dieses. Erst jetzt verstehe ich, dass er meine Zahl akribisch betrachten. Er streicht mit seinem Daumen über meine Lippe und kratzt mich dabei an der Nasenspitze leicht auf. Der Schmerz löst mich aus meiner starre, mit einem Schnauben schiebe ich seine Hand aus meinem Gesicht. Philipps Gesichtsausdruck verändert sich von 'du bist nichts' zu 'interessantes Tier'.
„Schwester Ires, wer ist sie?" Sein Blick liegt noch immer fest auf meinen Lippen und so langsam wird es unangenehm, ich drehen meinen Kopf zur Seite, um die Blicke zu unterbinden. „Die ist gestern Abend mit den Verwandten von Schwester Tera hier eingetroffen und darf deshalb zwei Tage hier bleiben, da es dem Großvater nicht gut geht. Aber wenn du mich fragst Philipp, bevorzugt Tera sie nur schon wieder, weil es ihr Blut ist." „Aha, aber jetzt weiß ich noch immer nicht wer bei Handaa sie ist." „Frage sie doch einfach selber, wenn du es unbedingt wissen musst." Philipp zieht eine Augenbraue hoch und innerlich bereite ich mich schon darauf vor mit Händen und Füßen zu erklären, dass ich nicht sprechen kann. „Sehr witzig Schwester, wie soll mir jemand antworten, der nicht sprechen kann." Diese Aussage trifft mich wie ein Schlag, woher weiß er von meinem Problem.
„Nemi ...", auf einmal kommt Eden ins Zimmer gehopst. „Nemi, Nemi? Guten Morgen! Hast du gut geschlafen? Die Betten hier sind so weich wie eine Wolke." Erst jetzt bemerkt Eden das wir nicht alleine sind und schaut sich kurz verlegen um, als er Philipp entdeckt streckt er allerdings sein Kreuz, so das er größer wird und sagt mit etwas zu tiefer Stimme: „Guten Morgen ... Philipp." „Guten Morgen Eden. Wusste ich es doch das, dass diese Nemi ist von der du mir gestern Abend noch stundenlang erzählt hast! So hübsch wie du sie beschrieben hast, ist sie doch gar nicht." Eden errötet und meidet meinen Blick. Mich lässt die Beleidigung dieser Göre allerdings kalt. „Also dein Name soll Nemi sein. Das kaufe ich dir irgendwie nicht ab. Hey Nemi wo ist eigentlich dein Zaubermantel den Eden so stark gelobt hat."
Erschrocken schaue ich mich um, meinen Mantel habe ich total vergessen. Ich darf ihn einfach nicht verloren haben, dass darf nicht sein. Philipp lacht und ich werfe ihm einen bösen Blick zu, worauf er einfach noch mehr in Gelächter ausbricht. In diesem Moment wünsche ich mir einfach diesen bescheuerten Wanst eine zu knallen, aber ich fuhr mich wieder runter, grinse und reiße ihm ein Blatt Papier aus der Hand, steck meinen Finger in die Asche des Kamins und schreibe in meiner größten und unordentlichsten Schrift, die ich besitze über seine gesamten Notizen.
Ach ja, weißt du vielleicht, wo der abgeblieben ist?
Nun bin ich es, die grinst, während Philipp rot anläuft, die Nonne hingegen steht mit einem Blick völliger Entrüstung einfach nur in der Ecke und schaut mich geschockt an. Philipp hat sich wieder gefangen und schaut durch mich hindurch. „Im Wäscheraum", sagt er einfach nur leblos und verschwindet durch die Tür, während er fassungslos einen Blick auf seinen Zettel wirft, die Nonne folgt ihm immer noch perplex und wirft mir einen bösen Blick zu. Durch das Licht, das durch das Fenster fällt, sehe ich etwas auf dem Boden vor der Tür glitzern. Ich gehe hin und berühre den Glanz der Trauer, eine Träne von Philipp und schon viel es mir wie Schuppen von den Augen, er ist wie ich. Weiterhin betrachte ich die Träne auf den Fliesen und frage mich, wie so etwas Schönes ein Zeugnis von Leid sein kann, Wasser ist doch das Zeichen des Lebens, aber vielleicht braucht man neues Leben für einen Neuanfang, um das schlechte zu vertreiben.
Noch ein bisschen denke ich darüber nach und entscheide mich, mich bei Philipp zu entschuldigen. Es ist schlimm im 2. Grad wie Philipp zu leben, man ist einfach zu kopflastig, dies führt zu sozialer Abgrenzung, weil niemand deine Gedanken versteht, in denen man lebt. Man besitzt einfach keinen Sinn für Emotionen und für das was man braucht, um zu überleben, diese Menschen verstehen die Notwendigkeit vom Essen einfach nicht. Wenn Philipp alleine leben würde, würde er einfach verhungern, wie eine Maschine würde er nur noch arbeiten, lernen und denken und sich selbst in den tiefen seines gewaltigen Verstandes verlieren. Und ich habe einen seiner ihm kostbaren Gedanken beschmiert, schon lange habe ich mich nicht mehr so dumm und unsensibel gefühlt, ich versetzte mir dafür einen Schlag auf die Stirn. „Ey, hör auf dir weh zu tun", ruft Eden, als er nach meinem Handgelenk greifen will, zucke ich zurück, worauf auch er sich zurückzieht. Ich hatte Eden total vergessen und konnte mich auch nicht an seine Anwesenheit während des Streites erinnern. „Er ist so wie Großvater und du, nur anders, deshalb unterrichtet er auch uns Straßenkinder." Ich nicke „Nemi, lass uns deinen Mantel und deine Sachen holen, oder willst du jetzt immer im Nachthemd herumlaufen." Mit einem Grinsen auf den Lippen schüttel ich den Kopf und beschließe nach dem Frühstück oder Mittag Philipp aufzusuchen. Eden will schon nach meiner Hand greifen, als er plötzlich innehält und mich am Ärmel packt, um mit mir aus dem Raum zu sprinten, ich habe einfach keine andere Möglichkeit als ihm hinterher zu laufen.
Im Flur überrumpelt mich die Wucht der mit Gold überzogenen Wände, sowie die Höhe der Decke allerdings werde ich schnell durch das Reißen an meinem Arm von dieser Pracht abgelenkt. Meine nackten Füße patschen über poliertes, kaltes Soloriamamor und die Kälte jagt wie ein Pfeil bis in meine Fingerspitzen. Als ich anfange zu stolpern, hält Eden an und schaut sich besorgt nach mir um, während ich langsam mein Gleichgewicht wieder finde, halte ich mich an einem Geländer, hinter welchem es 10 Meter in die Tiefe geht fest. Beim Aufrichten blicke ich nach unten und erkenne die Halle, in der wir gestern ankamen wieder. Es trifft mich wie ein Schlag, eine Frau, nein die Frau von gestern Abend sitzt in der hintersten Ecke der Halle, die Arme fest um die Knie geschlungen, der Blick leer. Nun greife ich mit beiden Händen das Geländer. „Lass uns weiter gehen Nemi." Verwirrt gehe ich mit Eden weiter. Also hat ihr doch jemand geholfen, aber sie ist so, so einsam. Plötzlich muss ich an die Sterne denken, von der Stadt aus kann man sie nicht sehen, aber auf dem Land wo die Luft klarer ist und die Wiese fast grün. Von dort sieht man die Unendlichkeit der Sterne und sie scheinen so nah aneinander gereiht und verbunden, allerdings sind sie sich in Wahrheit so fern. Die Sterne wissen wie es ist einsam zu sein, dennoch vielleicht sind sie schon so lange allein das sie gelernt haben darüber hinwegzusehen. Für diese Frau beginnt nun die Einsamkeit und anders als Sterne, können Menschen sich nur aus eigener Kraft aus der Einsamkeit kämpfen, denn sonst drohen sie an ihr zu zerbrechen.
„So da sind wir, willkommen in der Waschküche." Mal wieder werde ich von Eden aus meinen Gedanken gerissen. Wir stehen in einem Raum mit großen Waschkesseln in dem dicke Nebelschwaden, erzeugt durch kochendes Wasser einem das Sehen und Atmen schwer machen. Es lässt sich nur erahnen wie weit der Raum nach oben geht, ab und an erstrecken sich zwischen den Kesseln Leitern nach oben oder Seile mit großen Fleischerhaken hängen herab. Überall gehen Männer und Frauen ihrer Arbeit, manche schaufeln Kohle in die Öfen der Kessel und andere holen die Wäsche mit langen Stöcken aus diesen. Es ist Laut durch das Gurgeln des Wassers und mir wird schwindelig durch die stickige Luft und dennoch entdecke ich kein Fenster.
„Greta, wo ist der große schwarze Zaubermantel?" Eine ältere Dame hebt ihren Kopf zwischen zwei sehr großen Kesseln hervor, aus denen sie gerade die Wäsche schöpft. „Eden, bist du das mein Kleiner?" „Ja Greta, ich und Nemi." „Du meinst wohl Nemi und ich." „Ist doch dasselbe." Eden zieht einem Flunsch und dreht sich beleidigt zur Seite, während er die Arme vor seiner Brust kreuzt. Ich kann einfach nicht anders und beginne zu grinsen, was Eden nur noch mehr beleidigt und seine eisblauen Augen zum Blitzen bringt. Als auch ich endlich diese Frau durch den Nebel erkennen kann, stelle ich fest, dass sie das freundlichste Gesicht besitzt, was ich je gesehen habe. Als sie vor uns steht und Eden sein Kinn in die Hand nimmt, muss ich einfach grinsen. „Der Esel nennt sich immer zuerst, merk dir das oder willst du ein Esel sein." Sein Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig. „Nein, Gre...", „So und jetzt stell mir die junge Dame noch mal genauer vor." „In Ordnung, das ist Nemi und Nemi das ist Greta." Greta schaut mir in die Augen, worauf ich mir ein Lächeln auf die Lippen zwinge. Sie lächelt zurück, doch plötzlich haftet ihr Blick an meiner Unterlippe, wo die Zahl thront. Verlegen drehe ich meinen Kopf zur Seite. „Eden dieses Mädchen ist 269, die ist kriminell, wir dürfen ihr keinen Namen geben, das weißt du, oder?"
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