1. Kapitel
Ein kaum merkliches Zittern fuhr durch den Boden. Es dauerte nicht viel länger als ein paar Herzschläge, dennoch richtete sich Silber ruckartig auf, ihr Pelz vor Angst gesträubt.
»Es beginnt zu früh, viel zu früh.« Ihre Stimme war leise, damit ihre Jungen nichts bemerkten, die Angst die aus ihr sprach, war jedoch trotzdem deutlich zu hören.
Nacht beobachtete dieses Geschehen aus Augen, die nicht mehr als einen Spalt breit geöffnet waren. In dem Blick ihrer Mutter schimmerte nackte Angst, auch wenn diese kurz durch Liebe ersetzt wurde, als dieser auf ihre Jungen fiel.
Dann bemerkte sie, dass die schwarze Kätzin wach war. Ein Seufzen stahl sich aus ihrer Kehle, dann straffte sie die Schultern und tappte zu ihr. »Du hast vermutlich bemerkt, was los ist«, stellte sie nüchtern fest.
Nacht nickte, obwohl die Worte der Kätzin keine Frage gewesen waren. »Weck deinen Bruder auf, danach werden wir losgehen. Ich warte vor dem Bau auf euch.«
Gehorsam tappte die kleine zu ihrem Bruder und stupste ihn sacht in die Schulter. Als dies nichts bewirkte, wurde aus dem Stupsen ein Schlag und der Kopf des Katers schoss in die Höhe.
»Was ist los?« Die Schläfrigkeit hing immer noch in seinem Geist und Nacht schlug ihn zur Sicherheit noch einmal, um sicher zu gehen, dass er nicht wieder einschlief.
»Aua« Der Blick in den Augen ihres Bruders war so entrüstet, dass die schwarze fast geschnurrt hätte. Es stieg bereits in ihrer Kehle auf, doch sie schluckte es entschlossen herunter. Die Lage war ernst, dass hatte selbst sie verstanden, auch wenn sie nicht genau verstand, was los war.
»Silber will, dass wir aufbrechen.«
»Ist es dafür nicht noch zu früh?«
Doch dann fuhr erneut ein Zittern durch den Boden und verstehen zuckte über die Züge des weißen Katers.
Sofort rappelte sich Weißdorn vollständig auf und tappte zum Eingang des Baus. Er hatte sofort gemerkt, wie ernst die Lage war. Dennoch wirkte er nicht gehetzt. Das sanftmütige Junge war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.
Vor dem Bau fanden die Geschwister ihre Mutter still auf dem Eis sitzend vor, während ihr Blick gedankenverloren in der Ferne ruhte. Gleichzeitig war sie so sehr in Gedanken versunken, dass sie es nicht einmal mitbekam, als ihre Tochter direkt neben ihr stehen blieb.
Als diese sie vorsichtig von der Seite anschaute, konnte sie in ihren Augen die unterschiedlichsten Emotionen vorfinden, von denen keine einzige für sie einen Sinn ergab.
Da war Angst, Hoffnung, Trauer, Liebe und noch so viel mehr.
Doch all das war auf einen Schlag verschwunden, als Silber die schwarze entdeckte, ihr bemüht aufmunternd zublinzelte und sich ohne ein weiteres Wort, lediglich mit einem prüfenden Blick an die Beiden in Bewegung setzte.
Nun hätte die Kätzin lange darüber nachdenken können, was sie gerade gesehen hatte, doch sie war ein Junges und so verdrängte sie es nach kurzer Zeit wieder.
Nicht jedoch Weißdorn, der den ganzen Weg über schweigsam in Gedanken versunken schien. So sagte niemand etwas und auch Nachts Aufmerksamkeit richtete sich schließlich auf den Weg vor ihnen, auf die Zukunft.
Wo ihre Mutter sie wohl hinführte? Sie wusste es nicht. Im Kopf wusste die schwarze, dass Silber ihr keine zufriedenstellende Antwort geben würde, sollte sie diese fragen, ihre Neugierde wurde von dieser Einsicht jedoch nicht gezügelt.
So wanderte ihr Blick immer wieder zu der silbernen Kätzin, die schließlich nach einiger Zeit anhielt. Weit und breit war nichts als das schier endlose Eis zu sehen. »Warum halten wir an? Hier ist doch überhaupt nichts.«
»Ihr seid gewiss hungrig und braucht eine Pause. Darum werde ich auf die Jagd gehen, während ihr hier auf mich wartet.« Ein ernster Ausdruck stählte die Augen der erwachsenen Katze. »Versprecht mir, dass ihr hier bleiben werdet, es sei denn euch droht Gefahr.«
»Versprochen«, miauten die Kätzchen wie aus einem Mund. Denn es stimmte, was sie sagte. Ihre Bäuche knurrten und in dieser Pause bemerkten sie, dass ihre Pfoten schon jetzt von der ungewohnten Anstrengung schmerzten.
So ging Silber davon und die Geschwister kuschelten sich eng aneinander, um sich vor der Kälte zu schützen und einander Trost zu spenden. Ihre Mutter würde gewiss wiederkommen, dennoch war es gruselig, so ganz allein im Unbekannten.
Eine Zeit lang geschah nichts. Es mochten nur wenige Minuten vergangen sein, dennoch fühlten sich diese für Weißdorn und Nacht wie Monde an. Dann begann der Boden erneut zu beben und ein verängstigtes Wimmern entwich der Kehle der schwarzen.
Ihr Wurfgefährte leckte ihr beruhigend über den Kopf, doch sie konnte deutlich spüren, wie auch er zitterte. »Wann kommt Silber wieder?« Das Warten wurde plötzlich unerträglich, die Kälte noch beißender.
Doch dann erschien die silbergraue endlich wieder, zusammen mit einem toten Fisch, den sie vor die Pfoten der Jungen fallen ließ. »Du bist wieder da.« Sofort schmiegten sich die Kleinen an sie und Silber schlang ihren Schweif um sie.
»Ich werde immer zu euch zurückkehren«, versprach sie und schob den Fisch ein wenig näher zu ihnen.
Derart beruhigt schlugen die beiden ihre Zähne in das noch warmen Tier und stillten die Bedürfnisse ihres hungrigen Magens. Als ihre Körper dadurch von innen heraus gewärmt wurden, fielen den beiden vor Erschöpfung die Augen zu.
Während der Schlaf sie übermannte, verschlang ihre Mutter die Reste des Fisches und ließ ihren wachsamen Blick über die Ebene schweifen, entschlossen, nichts und niemanden an ihre Jungen heranzulassen, was immer sich ihnen auch nähern würde.
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