20. Kapitel
Noch immer konnte ich nicht aufhören zu lachen und steckte kurze Zeit später auch Harry an. "Damit wären wir Quitt", meinte ich schließlich und versuchte mir die Farbe aus dem Gesicht zu wischen, die dadurch nur noch mehr verschmierte. "Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du...", fing Harry an zu sagen, doch wurde mitten im Satz von seinem Handy unterbrochen.
"Was?", fragte ich nach, als er bereits das Gerät mit blau verschmierten Fingern aus der Hosentasche fischte. "Ich muss da kurz dran"
Er sah mich entschuldigend an.
"Kannst du nicht später zurück rufen?", fragte ich und ließ die Farbrolle neben mich auf die Abdeckfolie fallen.
"Es ist dringend", erklärte Harry kleinlich und verließ schnelles Schrittes das Zimmer. "Ist es das nicht immer? ", murmelte ich und ließ mich auf der Trittleiter nieder.
Ich war stolz auf Harry, sehr sogar. Aber seine ständigen Telefonate gingen mir ziemlich auf die Nerven. Es war schon schlimm genug, dass er übermorgen weg fahren musste. Konnte er dann wenigstens hier mal ein ganz normaler Mensch sein, der ganz normal das Zimmer seiner Kinder strich und weniger normal mit seinem Freund eine Farbenschlacht veranstaltete?
Es dauerte geschlagene fünfzehn Minuten, als Harry endlich zurück kam. Währenddessen hatte ich das Weiß der Fensterseite mit dem Blau übergestrichen.
"Sorry Nialler", entschuldigte sich Harry und hielt mir das Handy vor die Nase. Zur Verdeutlichung seiner Entschuldigung machte er seinen Klingelton aus und steckte das Gerät zurück in seine Hosentasche.
"Schon gut", grummelte ich, obwohl wir beide wussten, dass dies gelogen war.
"Machen wir das hier schnell fertig, bevor wir die Kinder von der Schule abholen müssen", meinte Harry da und rückte den Papierhut auf meinem Kopf zurecht. Ohne ein Wort zu sagen, wandte ich mich ruckartig von ihm ab und machte mich an die Arbeit.
Harry und ich schwiegen uns die gesamte Fahrt an. Die Stille wurde nur dann unterbrochen, wenn das leise Ticken des Blinkers ertönte. Irgendwann stellte Harry das Radio an und tippte mit seinen Fingern im Takt auf das Lenkrad. Das machte mich ganz nervös.
Als wir an der Schule hielten, kam ein ungutes Gefühl in mir auf. Der Pausenhof schien mir ungewöhnlich voll zu sein. Und obwohl meine Schulzeit schon einige Jahre zurück lag, wusste ich das Fotografen nicht zum alltäglichen Schulleben dazu gehörten. "Harry", murmelte ich leise und deutete aus dem Fenster.
"Shit", entfuhr es Harry, als er den Motor ausstellte. Schnell stiegen wir aus dem Auto und liefen zu dem hohen Tor.
"Wie geht es Ihnen mit den Kindern?", hörte ich von irgendwo eine Stimme rufen. Darauf folgten aus allen Richtingen Blitze von Kameras. Das Geschrei der Schüler versetzte mich entgültig in Panik. Ich ließ den Blick über die Köpfe der anderen schwenken, in der Hoffnung Liv und Henry zu entdecken. Dumpf hörte ich Harry, der begann mit den Fotografen zu diskutieren.
"Niall!", vernahm ich da Livs panische Stimme. Ruckartig drehte ich mich um, während immer mehr Schüler sich um uns versammelten. Mein Blick fiel auf Liv und Henry. Sie sahen völlig verängstigt aus. "Ganz ruhig", murmelte ich und versuchte tief durch zu atmen. Wie ich meine Platzangst doch hasste.
Ich griff schnell nach Livs an, als sie ein erstickenes Schluchzen von sich gab.
Da erhellten auf einmal Blitze ihre Gesichter. Schützend stellte ich mich vor sie und versuchte zu erkennen, von welcher Kamera das Licht ausgingen. "Lassen Sie die Kinder in Ruhe, verdammt!", zischte plötzlich Harrys wütende Stimme. Kurze Zeit später stand mein Freund auch schon neben mir.
Da griff Henry auf einmal meine rechte Hand, während sich Liv noch immer an meiner linken Hand krallte.
"Weg!", keuchte Henry. Dieser Bitte kam ich augenblicklich nach. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menschenmassen, die schwitzigen Kinderhände fest umschlossen. Immer wieder wurde das Geschrei und die vielen Fragen der Fotografen von Livs Schluchzen unterbrochen.
Ich hatte das Gefühl jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren. Eine Erleichterung suchte mich auf, als ich endlich das Auto vor mir erblicken konnte. Fluchtartig kletterten die Kinder auf die Rückbank. "Shh", murmelte ich und strich behutsam über ihre Köpfe.
"Alles ist gut"
"Du hast Platzangst?", fragte ich an Henry gewandt, obwohl es eher eine Feststellung, als eine Frage, war. Er zitterte am ganzen Körper und schnappte geräuschvoll nach Luft. "Es lässt gleich nach", hauchte ich und fuhr mir mit meiner gleichermaßen zitternden Hand durch das Gesicht.
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