43.
Oben ein tolles Fanedit von @unicorn_nelly :)
Annemarie
Harry lächelte, als er mir von dem Stuhl aufhalf und ich lächelte zurück. Und als wir zur Tanzfläche gingen, wusste ich, dass wir jetzt gerade anders waren. Wir waren junge Menschen, die sich verknallten und vor allem ich war ein Mädchen, das es gar nicht abwarten konnte, mit diesem hübschen Mann zu tanzen, der nun vor mir stand.
Es wurde gerade keine Musik abgespielt, als Harry sagte: „Ich wette, du bist eine grandiose Tänzerin."
Ich zog mir den Mantel von den Schultern und ließ ihn einfach weiter weg auf den Boden fallen. „Ich denke, ich bin ganz gut. Wie sieht es mit dir aus?"
Und plötzlich wurde ich – noch bevor ich mich an Harry wenden konnte – an der Hand an seine Brust gezogen und war seinem Gesicht näher, als je zuvor. Ein süffisantes Grinsen zierte seine schönen Lippen. „Ich denke, ich bin ganz gut."
Ich errötete schlagartig – zum zweiten Mal heute Nacht – und mir blieb der Atem weg. Harry war ein wirklich sehr schöner Mann und umso näher man ihm kam, umso attraktiver wurde er. Sogar die Art, mit der er meinen Oberkörper mit seinem starken Arm an seinen presste, war höchst anziehend.
Als nächstes wurde auch schon die Musik abgespielt und ich wusste sofort, welchen Tanz wir tanzen würden. Uns blieb gar nichts anderes übrig.
Ich wollte Harry gerade fragen, ob er den „Boogie Woogie" beherrschte, doch er beantwortete meine Frage, in dem er mich von sich wegdrückte und meine Hand in die Luft hielt, damit ich den Anfang machen konnte.
Und als unsere Blicke sich trafen, fing ich sofort an. Ich schnipste mit den Fingern, wackelte mit der Hüfte, genauso wie es die anderen Frauen um uns herum taten, während die Männer zusahen.
Das Lied begann schneller zu werden und Harry und ich tanzten ausgelassen und als hätten wir es schon hundert Mal getan. Er wusste genau, was zu tun war, beherrschte jeden Tanzschritt perfekte, schwang mich umher, als sei ich leicht wie eine Feder und sah mich die ganze Zeit dabei an.
Ich konnte es kaum glauben, als er seinen Part tanzte und ich diesmal diejenige war, die zusah. Seine Füße bewegten sich taktvoll, er wirkte wie ein wahrer Tänzer.
Hier war er kein Krieger.
Ich hatte unglaublich viel Spaß, während wir zwei Lieder wild umhertanzten. Schon immer liebte ich es, mich zu bewegen und das sah auch mein Vater, weswegen er mir viele Tänze beibrachte, als ich ihn darum bat. Er kannte auch viele amerikanische Tänze, woher, wusste ich nie.
Als das Ende des Liedes nahe war und ich schon die Meute um uns herum total vergaß, sondern Harry und ich wieder in dieser kleinen rosa Blase waren, drehte Harry mich schnell, ich ließ mein Kleid fliegen und ich lachte laut auf, als ich mit einem Schwung auf seiner Hüfte landete.
„Das war der Wahnsinn!", lachte ich und krallte meine Arme enger um seinen Nacken. „Der absolute Wahnsinn!"
Harry war – genauso wie ich – schwer außer Atem, sodass ich ihn auf meinem Gesicht spürte, so nah waren wir uns. Er grinste schief. Seine linke Hand unter meinem Schenkel, seine rechte Hand fest an meinen Rücken gedrückt, damit ich nicht fiel. „Und ich dachte, ich hatte es verlernt."
Ich versuchte mich zu beruhigen und er ließ mich langsam runter, allerdings verringerten wir unsere Körpernähe nicht. Er behielt mich ganz nah bei sich, als das nächste Lied aufgelegt wurde. Es war ein ruhigeres Lied.
Und als wäre es geplant, legte ich meine Hand in seine und er seine andere Hand an meine Taille.
Er blickte mit warmen Ausdruck zu mir herab und ich wollte auf keinen Fall den Augenkontakt abbrechen. Ich hätte ihn die ganze Nacht von hier betrachten können, er erschien mir noch nie schöner. Auch wenn ein paar Schweißperle auf seiner Stirn standen. Aber ich war mir sicher, ich schwitzte genauso.
„Ich danke dir", sagte ich, nachdem wir bereits ein paar Schritte tanzten und Harry uns im Kreis drehte.
„Wofür dankst du mir?"
„Dafür, dass ich hier sein darf. Es ist eine tolle Nacht."
„Du warst mir zumindest eine ebenwürdige Tanzpartnerin."
Ich verdrehte die Augen.
Er schmunzelte. „Es ist wirklich eine sehr tolle Nacht. Ich mache mir gerade keine Sorgen mehr."
„Warum solltest du dich sorgen?"
„Die bessere Frage ist wohl eher, warum ich mich nicht sorgen sollte."
Harry drehte uns wieder langsam und bedacht.
„Ich hätte auch deine Schwester mitgenommen, damit sie aufhört zu weinen", sagte Harry. „Aber ich war zu egoistisch. Ich wollte mit dir alleine sein."
„Diese Aussage kränkt mich weniger, als sie sollte."
„Wie geht es dir mit dieser ganzen Sache?", fragte Harry und überraschte mich damit.
„Welche Sache?" Eigentlich wusste ich, was er meinte.
Sein Ausdruck änderte sich. „Der Vorfall mit Zayn und David. Ich würde gerne wissen, wie du dich fühlst."
Ich dachte nach und sah ungewollte von ihm weg zu einem Tisch, an dem ein altes Pärchen saß. „Ich ... ich bin erschüttert."
Harry runzelte fraglich die Stirn.
„Traurig zu sein ist zu einem Dauerzustand geworden, deswegen war ich erschüttert, als ich Zayns toten Kö ... Du weißt schon." Ein Kloß wuchs in meinem Hals, als ich mich erinnerte, dass auch Annel ihn so sehen musste. „Ich möchte nicht mehr darüber sprechen."
Verständnisvoll nickte Harry. „Okay. Es tut mir leid."
Nun war ich diejenige, die ihn verwundert anblickte.
„Es tut mir einfach leid", wiederholte er. „Vieles hätte nicht so kommen müssen. Aber es liegt nun mal nicht in unserer Hand, was passiert und was nicht."
„Du hast Recht", meinte ich und lächelte sanft, damit er nicht mehr so bedrückt aussah. „Deswegen sollten wir über etwas anderes sprechen. Wie alt bist du?"
Harry lachte. „Wie alt ich bin?"
„Ja. Ich habe dich so vieles gefragt, aber weiß einfach nicht, wie alt du bist."
„Ich bin zweiundzwanzig", antwortete er und drehte uns wiederholt. „Und wurde am ersten Februar geboren."
Und ohne dass ich es wollte, verschwand mein Lächeln. „Das bedeutet ... Du bist im Krieg erwachsen geworden."
Ich spürte genau, wie Harry den Druck an meiner Taille erhöhte und mich enger zu sich heran zog. „Ich bin schon eine Weile unterwegs, ja."
„Ich wünschte, ich hätte dich gekannt, bevor all dies begonnen hat", gab ich zu und hoffte, ich würde diese Aussage nicht bereuen.
„Wie meinst du das?"
„Es ist schon eine Weile her", erzählte ich und konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. „Da meinte Niall, dass es diese Krankheit hier gäbe. Die Krankheit des Krieges. Und ... dich hätte es am meisten erwischt."
Für einen Augenblick sprach Harry nicht. Ich hatte Angst, er würde mir diese Unterstellung übel nehmen und ich hatte unseren Tanz zerstört.
„Das erklärt so viele Dinge", sprach ich weiter, weil sein Schweigen mich nervös machte. „Dass du diesen jungen deutschen Soldaten erschossen hast. Dass du die Waffe bei Hilde gezückt hast. Es fällt mir schwer, es zu verstehen, aber irgendwie versuche ich es."
„Anne", erwiderte Harry endlich daraufhin, in einem Ton, den ich nicht einschätzen konnte. „Hast du das Bild des Soldaten an Hildes Wand gesehen?"
Ich nickte.
„Im Rahmen war ein Kreuz hineingeritzt, das bedeutet, er ist gefallen. Ich bin mir sicher, es war ihr Sohn. Und du kannst dir nicht im Geringsten vorstellen, wie es sich anfühlt, im Haus einer Frau zu stehen, dessen Sohn du auf dem Gewissen haben könntest. Vielleicht war sie eine nette Frau und wollte dir nichts tun, aber ich bin für jeden Deutschen eine Gefahr. Ob ich sie nun angriff oder nicht. Bei ihr habe ich mich gefühlt wie ein wahrer Mörder."
Seine Worte berührten mich. Ich hatte Mitleid mit ihm und würde ihm am liebsten diese Falte zwischen seinen Augenbrauen wegwischen, aber ich schwieg einfach. Mit meinen Augen symbolisierte ich ihm, dass ich hier bei ihm war, egal was er war.
„Du kannst dir nicht vorstellen, was diese Menschen dort draußen einem anderen Menschen antun können", redete Harry weiter und nun war er derjenige, der wegblickte. „Aber ich bin nicht krank. Dieser Krieg hat mich nicht gezeichnet."
Ich glaubte ihm nie. Dieser Krieg hatte ihn gezeichnet, er wollte es einfach nur nicht einsehen. Warum, das verstand ich eine lange, lange Zeit nicht.
„Blondes Mädchen!", rief jemand laut über die Tanzfläche und vor Schreck hielt mich Harry sofort fester an sich heran und sah blitzschnell in die Richtung, aus der der Ruf kam. Doch er lockerte seinen Griff, als wir Hilde erkannten, die uns aus der Menge winkte.
Wir liefen von der Tanzfläche und ich grinste, als wir uns zu Hilde stellten. Harry stand dicht hinter mir. „Hallo!", grüßte ich die alte Frau freudig. „Schön, Sie hier anzutreffen!"
„Was blieb mir anderes übrig?", feixte die Frau und sah zu Harry über meinen Kopf hinweg und dann wieder zu mir. „Habt ihr Spaß?"
Ich nickte. „Ausreichend Spaß. Es ist wirklich toll. Die Musik ist klasse, der Wein ist nicht so klasse, aber damit kann man umgehen."
„Da hast du leider Gottes Recht." Sie trank den Wein in ihrer Hand und verzog dann ihr Gesicht. „Wie gerne wäre ich mit meinem Mann hier, aber es sollte wohl nicht so sein. Ihm hätte die Musik auch sehr gefallen."
Ich begriff sofort, dass ihr Mann verstorben war. „Wir leisten Ihnen gerne Gesellschaft", bot ich ihr deswegen freundlich an. „Wir könnten beide noch einen Wein vertragen, wie scheußlich er auch sein mag."
Doch sie schüttelte den Kopf. „Ach, Liebes, nicht doch. Ich möchte euch die Zweisamkeit nicht rauben. Wie schade wäre es, wenn es euer letztes Fest gemeinsam ist?"
Und mal wieder stach mein Herz. Selbst sie ging mit dem Tod um, als wäre er bedeutungslos. „Wie können Sie so etwas sagen?", fragte ich sie deswegen und ließ es ungewollt wie einen Vorwurf klingen.
„Anne", hörte ich Harry leise hinter mir sagen, doch ich beachtete ihn nicht. Er wollte nicht mit Hilde sprechen, das wusste ich bereits.
„Du bist noch solch ein taffes Mädchen", sagte Hilde und lächelte mich an. Es war ein ehrliches Lächeln. „Diese Frage solltest du jedem stellen, der den nächsten Tag in Frage stellt."
„Anne", sagte Harry wieder, diesmal ungeduldiger.
Ich seufzte und meinte zu Hilde: „Es fällt mir einfach nur sehr schwer, diese Leute hier zu verstehen. Aufgeben klingt hier wie ein läufiges Synonym."
Und dann wurde ich unsanft am Arm gepackt, sodass ich mich zu Harry umdrehte, der mir das Wort abschnitt, indem er mit dem Blick in den Himmel sagte: „Wir müssen rennen. Wir müssen ganz schnell rennen."
Dann hörte die Musik auf zu spielen, die Leute lachten nicht mehr, alle sahen in den Himmel, denn auch jetzt sah ich die vielen Flugzeuge, die dort zu erkennen waren.
Mein Herz hörte auf zu schlagen, während alle in Panik ausbrachen.
Ich ließ mich wortlos von Harry durch die Menge ziehen und wollte nicht verstehen, was nun passieren würde.
„Es gibt einen Bunker!", rief Hilde uns hinterher. Sie blieb auf der Stelle stehen, während andere durchdrehten. Ich konnte nicht glauben, was sie tat. „Die grüne Straße, ein großes Holzhaus, dort werdet ihr es sofort finden!" Und dann hob sie ihr Glas und zum letzten Mal sah ich ihr wunderschönes Lächeln. „Aufgeben ist manchmal die letzte Chance, Liebes!"
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