27.
Annemarie
Mein Herz blieb stehen und ich hielt Annel blitzschnell enger an meinen Körper. Sie war gerade erst eingeschlafen, sie sollte nicht wach werden. Nicht weil Sergeant Pattons unsere Ruhe terrorisierte.
Nun tauchte auch Walt im Türrahmen auf und grinste dreckig. Er beugte sich zu Sergeant Pattons, der mich vernichtend anstarrte. „Ich sagte doch, dass sie wieder da ist. Und natürlich sucht sie Schutz bei Harry und Liam."
Sergeant Pattons Blick wanderte von mir zu Harry, der noch immer hinter mir saß. Was würde ich dafür geben, um des Sergeant Gedanken lesen zu können, denn gerade wirkte er zu ruhig für seine Verhältnisse. Er war wies sonst stark cholerische Züge auf, aber jetzt gerade war es umso beängstigender, dass er still war, während seine Augen für sich sprachen.
„Sie wollte ihre kleine Schwester sehen, Walt", sagte Liam und unterbrach als erster die Stille. Er stand auf und straffte die Schultern. „Denkst du nicht, das ist angebracht, nachdem sie die ganze Nacht fort war?"
„Hach." Walt verschränkte die Arme. „Sie hatte doch Harry an ihrer Seite. Mehr Sicherheit konnte sich das kleine Mädchen doch gar nicht wünschen." Jetzt traf Walts eindringender Blick mich. „Oder etwa nicht, Annemarie?"
Ich hatte keine Antwort darauf, um ehrlich zu sein, konnte ich auch nicht antworten. Meine Kehle war zugeschnürt, mein Puls ging rasend schnell.
Harry stand auf, sagte aber nichts. Zayn tat es ihm gleich.
Sergeant Pattons beobachtete die Situation nur ruhig, was mir Angst machte.
„Es geht dich nichts an, was Annemarie tut", verteidigte Liam mich weiterhin. „Wir haben einen Plan und den befolgen wir. Und diesen befolgt auch Harry. Nicht mehr und nicht weniger."
Walt lachte auf. „Nicht mehr und nicht weniger. Denkst du, ich bin zurückgeblieben und merke nicht, dass Harry sie mit Absicht zum Holz holen genommen hat? Niemandem hier entgeht diese Scheiße, du verweichlichter Kirchenficker."
Liam ballt zornig die Faust und Harry trat einen Schritt vor. „Was soll das werden? Vielleicht solltest du weniger trinken, bevor du dir irgendeine Scheiße im Kopf zusammenbraust." Seine Stimme klang warnend.
„Harry hat doch nur seine Pflicht getan", sagte plötzlich Sergeant Pattons in einem Tonfall, der nicht zu ihm passte. Er klang verständnislos und wäre er jemand anders, würde ich ihm abkaufen, dass er die Situation beschwichtigen wollte. Er war Harry einen Blick zu. „Nicht wahr?"
Harry runzelte kleingläubig die Stirn, genauso wie jeder andere in diesem Raum. „Was?", fragte er und schien sichtlich skeptisch Sergeant Pattons gegenüber. „Was läuft hier?"
Anne wurde wach und richtete sich auf. Sie zuckte zusammen, als sie Sergeant Pattons sah, deswegen hielt ich sofort ihre Hand fest in meiner.
Walt wurde aggressiv. „Wohl eher ein bisschen zu viel Pflicht."
„Nicht jeder geht mir um wie mit einer Hure, du verdammtes Arschloch", zischte Harry Walt zu und kam ihm einen Schritt näher. „Ich ..."
„Walt", unterbrach Sergeant Pattons Harrys Hasstirade jedoch und sah mir genau in die Augen. „Du weißt wohin mit ihr."
Und dann passierte es ganz schnell. Walt überlegte nicht lange und kam auf mich zugestampft. Noch bevor ich protestieren konnte, riss er mich am Haarschopf auf die Beine, worauf ich vor Schmerz aufschrie.
Walt fluchte, Liam schrie, Annel weinte und ich konnte nichts tun, außer zuzulassen, dass Walt mich – Harry von sich schupsend – nach draußen zog.
Ich erkannte, dass wir einen großen Rasen betraten. Ein paar Männer des Trupps saßen hier und schienen überrascht über unser Auftreten zu sein, doch darauf konnte ich mich nicht konzentrieren. Die Heftigkeit, mit der Walt seine große Hand in meinem Haar vergriff, war zu enorm.
Ein paar Meter stolperten wir noch in eine Richtung, dann schupste er mich unvorsichtig auf den Boden, worauf mein Rücken sofort gegen einen Holzbalken, der aus dem Boden ragte, schlug und nun einen weiteren Schmerz verursachte.
Schwer atmend sah ich nach oben zu Walt, der mich mit einem Hass in seinem Gesicht, anstarrte, vor dem ich unheimliche Furcht hatte. Ich saß auf dem Boden, gepresst gegen etwas, das sich anfühlte wie ein Pranger. Denn nun kamen auch alle anderen angelaufen und bildeten eine Traube um uns herum.
Ich fühlte mich bloß gestellt, es war grauenvoll. Alle sahen mich an, manche lachten, manche schienen die Situation noch gar nicht zu verstehen. Es war erniedrigend und ich konnte mich unmöglich wehren.
Sergeant Pattons kam zwischen den vielen Männern zum Vorschein und schien immer noch ruhig zu sein. Er trat neben Walt, sah ebenfalls zu mir herab. Von hier unten sahen sie so unverschämt mächtig aus und das Schlimmste war, dass sie tatsächlich mächtig waren. Ich hatte mal wieder keine Chance irgendetwas auszurichten, weil ich zu mickrig war.
„Festbinden", lautete Sergeant Pattons Befehl an Walt und dieser handelte wieder so schnell, dass man meinen könnte, er hätte schon lange darauf gewartet.
Walt kniete sich hinter mich und erst jetzt verstand ich, dass er meine Hände hinter dem Holzbalken zusammenbinden sollte. Natürlich versuchte ich dagegen anzukämpfen, was blieb mir auch anderes übrig?
„Nicht!", schrie ich und bemühte mich, Walt meine Hände zu entreißen. „Bitte nicht!"
Sergeant Pattons kniete sich vor mich und neigte etwas den Kopf. „Was ist los, kleine Annemarie? Dachtest du, du entkommst einfach deiner Strafe?" Er sah zu Walt, der endlich meine Hände zusammenhalten konnte. „Hör auf, wir machen das anders."
„Was?" Walt schien außer sich. „Wieso? Du sagtest ..."
„Walt!", schrie Sergeant Pattons das erste Mal mit einer Stimme, die jeden hier zusammenzucken ließ. Doch schnell wurde er wieder leiser. „Jemand anders wird es tun, lass sie los."
Ich konnte nicht beschreiben, wie viel Angst in mir tobte, als Walt sich hinter mir wieder aufstellte und aggressiv zwischen den Männern zum Stehen kam. Mein Blick fiel von Walt zu Sergeant Pattons, der nun ein angedeutetes Grinsen auf den Lippen hatte. Dieses Grinsen war das pure Grauen.
Schließlich stand er auf und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken, wand sich etwas an die Männergruppe. „Harry", sagte er und erst jetzt fiel mir auf, dass Harry die ganze Zeit in der ersten Reihe stand und zusah. „Los, komm, sei mir ein wenig behilflich."
Ängstlich schaute ich zu Harry und wie er angespannt zu Boden starrte, während Sergeant Pattons wiederholte: „Du gehst nur deinen Pflichten nach, wie war das? Beweg dich gefälligst, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit."
Und ohne ein weiteres Mal zu zögern, setzte sich Harry in Bewegung und kam zu mir. Er kniete sich hinter mich und ich konnte kein Ton sagen, so überfordert war ich. Er tat einfach, was Sergeant Pattons sagte und band mich hier fest? Einfach so?
Zufrieden beobachtete uns der Sergeant. „Bind sie ordentlich fest, sie soll sich bis morgen früh nicht vom Fleck bewegen. Ich denke, man hat dir beigebracht wie das funktioniert."
Harry ergriff meine Hände und hielt sie zusammen. Mich gegen ihn widersetzen konnte ich nicht, dafür war ich zu zittrig, auch nicht, als Harry nach dem Seil griff, das schon bereit lag. Ich ließ zu, dass er es mir um die Gelenke wickelte und ich sofort spürte, wie es brennte, denn meine alten Wunden waren noch nicht verheilt.
Ich zischte auf. Es brannte wirklich sehr. „Es tut weh", wisperte ich leise, als kleine Bitte für Harry, es doch bitte nicht zu tun.
Für einen kurzen Augenblick machte Harry nicht weiter und ich hoffte, er würde das Seil nicht noch mehr um meine Hände wickeln. Aber ich hörte ihn durchatmen und dann machte er weiter.
Alle schauten uns zu, beobachteten uns, als wären wir eine Zirkusvorstellung. Ich fühlte mich schrecklich und ich wagte zu behaupten, es war eine der erbärmlichsten Momente, die ich erlebte.
Als er fertig war, wollte er aufstehen, doch Sergeant Pattons hob die Hand, worauf er auf dem Boden blieb. „Du denkst, das ist genug?", fragte er Harry. „Bist du dir sicher?"
„Es ist unmöglich für sie, sich alleine zu befreien", erklärte Harry. „Natürlich bin ich mir sicher."
Etwas blitzte in Sergeant Pattons Augen auf und er befahl leise: „Zieh es enger."
„Wieso? Sie ..."
„Tu es, zieh es enger oder ich schwöre dir ..."
Ich musste mir einen lauten Schrei unterdrücken, weil Harry plötzlich die Seile ruckartig enger zog und ich bereits fühlte, wie tief sich das Garn in meine noch verkrustete Haut rieb.
„Was ist?", wurde Sergeant Pattons lauter. „War das schon alles, Lieutenant?"
Mir lief eine Träne über die Wange, weil ich es nicht zurückhalten konnte. Ein Schluchzer folgte und ich hoffte, dass Annel nicht anwesend war.
„Enger!", schrie der Sergeant wieder und erneut tat Harry, wie ihm befohlen wurde.
Jetzt hielt ich den Atem an. Ich war mir sicher, ich blutete, ich konnte es spüren. Und es war die Hölle.
„Gut gemacht. Gleich gibt es etwas zu trinken für alle." Sergeant Pattons nickte zufrieden und drehte sich weg. Gelassen ging er durch die vielen Männer hindurch und verschwand, als wäre nichts gewesen.
Die Männertraube löste sich auf und ich hörte Harrys Atem noch hinter mir. Aber er war mir egal. Das Einzige, das in meinem Kopf war, war der Schmerz und die Tatsache, dass ich die ganze Nacht hier verbringen musste. Ohne etwas zu essen, ohne etwas zu trinken. Schlafen würde ich auch nicht können. Ich würde hier nur sitzen und leise weinen.
„Ich kann mich ihm nicht widersetzen", sprach er mit seiner tiefen Stimme, als wir beinahe nur noch zweit waren. „Das würde vieles nur Schlimmer machen."
Auch wenn ich ihn noch nicht sehen konnte, weil er noch hinter mir kniete, wusste ich, dass er unzufrieden war. Er klang zumindest so. Aber das war ich auch, mehr als das.
Deswegen war alles, was ich unter zittrigem Atem sagen konnte, während ich den Kopf hängen ließ: „Bitte ... Geh einfach."
„Annemarie", erwiderte Harry sofort. „Du musste mich verstehen. Ich werde ständig und überall beobachtet. Jeder hier ..."
„Verschwinde." Ich wollte alleine sein. Gerade wollte ich nichts, als alleine sein.
Für eine kurze Weile bewegte er sich noch nicht, aber dann stand er auf. Ich spürte seinen Blick auf mir, als er neben mir stand, ich hatte mir gewünscht, er würde mich noch irgendetwas Aufbauendes sagen, vielleicht entschuldigen, aber es kam nichts.
Er ging einfach fort und ich war alleine.
Alleine, festgebunden an einem Holzbalken mit blutigenHandgelenken, zerkratzten Beinen und schmutziger Haut. Mitten in einem Krieg, den ich nie erleben wollte.
Hab leider starke Kopfschmerzen, deswegen ein etwas kürzeres Kapitel :(
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