22.
Und schon das nächste Kapitel! Läuft ja :D
Harry
„Niall", sagte ich entsetzt und steckte sofort meinen Revolver weg. Man sah ihm an, dass er lange gerannt sein muss, so außer Atem wie er war, deswegen versuchte ich ihm aufzuhelfen. Ich merkte, dass es ihm widerstrebte sich von mir helfen zu lassen, doch er war zu geschwächt. „Was ist passiert?", fragte ich ihn, als er aufrecht stand, ich ihn aber noch immer an den Schultern halten musste. „Wo sind die anderen?"
Niall musste die Augen schließen, um sich beruhigen zu können. Sein Gesicht war schmutzig, ein paar Kratzer zierten seine linke Wange. Schusswunden konnte ich aber, zum Glück, außerhalb seiner Kleidung, nicht erkennen. „Ich weiß es nicht", erzählte er und sein Gesicht verkrampfte sich, als er heftig nachdachte. „Es ... Es waren Deutsche. Sie kamen, es waren so verdammt viele, sie ..."
Weil ich merkte, dass Niall noch zu durcheinander war, um klare Sätze zu sprechen, legte ich ihm meine Hand auf den Hinterkopf und hielt ihn fest. „Komm runter, wir müssen erst mal aus diesem Wald verschwinden."
Er nickte mehrmals und ich sah über ihn hinweg zu Annemarie, die noch total versteift hinter Niall stand und uns anstarrte. Ihre Hände hatte sie fest ineinander verhakt, was mir zeigte, dass sie sich nicht mehr wohl fühlte.
„Ein ruhiger Platz und Schlaf", sprach ich, während ich zusah, wie Annemarie ihren Blick auf den Boden richtete. „Das ist, was worum wir uns als nächstes kümmern sollten."
Das taten wir. Wir verließen den Wald, gingen noch ein ganzes Stück, um möglichst sicher zu sein, dass uns der deutsche Trupp nicht mehr zu nahe kommen konnte. Niall erklärte mir den kompletten Ablauf des Überfalls. Es muss ein Hinterhalt der Deutschen gewesen sein, doch viele unserer Männer konnten flüchten. Manche wurden erschossen, sagte er, aber konnte mir versichern, dass Annemaaries Schwester und Liam noch lebten. Sergeant Pattons leider Gottes auch.
Es war schwierig, aber machbar ein Feuer zu machen, woran wir uns wärmen konnten. Die Stimmung, die herrschte, war bedrückt und das nicht zu wenig. Niall hatte weiterhin einen Groll auf mich und Annemarie sprach kein Wort mehr mit mir.
Nun saß ich – als Einziger, der noch wach war – am Feuer und rieb mir die kalten Hände. Wir waren in einer alten Scheune, die verlassen inmitten eines Feldes stand. Annemarie seitlich schlief auf einem Haufen Stroh und hatte ihr Gesicht in meine Richtung gedreht, Niall lag neben dem Feuer und sein regelmäßiger Atem verriet mir, dass er ebenfalls schlief.
Ich war selbst hundemüde, meine Schmerzen waren enorm, aber ich konnte jetzt nicht schlafen. Die Gefahr, wir könnten entdeckt werden, egal von wem, war zu groß. Ich musste nun mal wach bleiben.
Das Einzige, das mir zum Verhängnis wurde, mich auf unsere Umgebung zu konzentrieren, war Annemaries Gesicht.
Ich presste die Handflächen aneinander, während ich zusah, wie das Feuer, ihre Haut noch sanfter aussehen ließ. Sie war blass, doch trotzdem war sie ... Gott, es stresste mich, wie schön ich sie fand.
Ihre blondes Haar und wie ein paar Strähnen ihres Zopfes vor ihren Augen hingen. Vor allem ihre blauen Augen und wie sie mich damit immer ansah. Sie dachte, ich würde es nicht bemerken, aber ich müsste blind oder zurückgeblieben sein, wenn ich es nicht sofort begreifen würde.
Mich zu ihr hingezogen zu fühlen mochte vielleicht ein Verhängnis sein, aber es war erfrischend. An etwas zu denken, außer an den Krieg, war verdammt erfrischend. Nur durfte ich nicht vergessen, was sie wirklich war. Sie war eine deutsche Gefangene und ich musste dafür sorgen, dass es so blieb. Ich konnte verstehen, weshalb sie schrie und flüchten wollte, auch wenn ich es im ersten Moment nicht wahrhaben wollte.
Sie war eben nur eine deutsche Gefangene. Egal wie schön sie gerade aussah.
Ich wusste auch, dass ich mich verhältnismäßig zu viel für sie einsetzte und ihr half, es wurde schon so manches im Trupp geredet, so offensichtlich war es. Aber alleine wegen Pattons musste ich mich zurückhalten. Es war nicht so, dass es mir schwerfiel, nicht über sie herzufallen, ich war immer noch ein Mann, der wusste, wie man mit Frauen umging. Ich hatte einfach nur Gefallen daran, mich mit etwas auseinander zu setzen, das schöne, blaue Augen hatte. Und die hatte sie. Oh ja, die hatte sie.
„Wenn du sie noch länger anstarrst, fängt sie gleich an zu brennen."
Sofort blinzelte ich und sah zu Niall, der auf dem Rücken lag und die Decke ansah. Er wirkte müde, gleichzeitig aber auch noch immer wütend.
„Wieso bist du wach?", fragte ich ihn leise, um Annemarie nicht zu wecken.
„Das war nicht das Zeichen, um ein Gespräch mit mir anzufangen." Niall drehte sich auf die Seite, seinen Rücken zu mir. „Beobachte sie einfach weiter."
Ich musste mir einen tiefen Seufzer unterdrücken. Es war frustrierend, wie stur Niall sich immer wieder verhielt. Er war zweiundzwanzig, aber noch zu oft ein Kind. Etwas, das man an ihm mögen und etwas, das einen zur Verzweiflung treiben konnte. Deswegen wischte ich mir durch das schmutzige Gesicht und stützte meine Ellen auf meine Knie. „Rede schon. Ich kann mir diesen Mist nicht mehr geben."
„Es gibt's nichts zu bereden, nerv mich nicht."
Ich wurde ungeduldiger. „Hör auf mit diesem elendigen Spiel, Niall. Sag mir endlich, was dein verdammtes Problem ist oder ich werde dich nie wieder fragen."
Er schwieg kurz, man hörte nur noch das Holz knacken. „Du verstehst gar nichts."
„Dann klär mich auf, man."
Überraschenderweise richtete Niall sich ruckartig auf und setzte sich geradehin. „Okay, du willst es wissen?" Er sah mir genau in die Augen. „Du hast Peppers Tod verursacht, verurteilst mich, wenn ich trauere und dann fühlst du noch nicht einmal einen Hauch von Reue." Ungläubigkeit schmückte ihn. „Du tust so, als wäre Pepper irgendwer gewesen, aber das war er nicht. Du hast keinen Respekt, nicht vor ihm und nicht vor mir."
Ich hielt Nialls Blick stand und scheinbar wollte er etwas von mir hören. Eine Entschuldigung vielleicht, irgendetwas, das ihn einigermaßen zufrieden stellen konnte, ich war mir nicht sicher. Doch das Einzige, das ich sagen konnte, war: „Ich bin nicht für Peppers Tod verantwortlich."
„Doch, das bist du", widersprach mir Niall sofort und griff mit seiner Hand in den Stoff seiner Hose. „Du hast den Schützen genau gesehen, du hättest mir sagen können, wo er war, doch du hast es nicht getan. Weil du egoistisch warst und lieber deinen eigenen Arsch rettest, anstatt den von jemanden, der hundert Mal wichtiger war, als du."
Er versuchte mich mit seinen Blicken zu ermorden, ich konnte es genau spüren.
„Denk nicht, mir ist das entgangen", sprach er weiter und mit einem Zorn in der Stimme, den ich selten von ihm hörte. „Schätz dich glücklich, dass ich es nicht jedem anderen im Platoon gesagt habe, ansonsten wärst du schon längst tot."
Ich war zu müde, um Niall mit viel Wut entgegenzusteuern. Sowieso machte es keinen Sinn für mich, denn er würde mich nicht verstehen. Wahrscheinlich würde er mich nicht einmal verstehen wollen. „Ich weiß, du brauchst einen Schuldigen", sagte ich leise und schaute ins Feuer. „Ich kann dieser Jemand für dich sein, aber ..."
„Nein, nein, halt's Maul, Harry", unterbrach mich Niall und stand auf, worauf ich unauffällig zu Annemarie sah, um sicher zu gehen, dass sie nicht aufwachte. „Rede nicht wie jemand, der du nicht mehr bist. Du hättest mir verdammt nochmal sagen sollen, wo der beschissene Schütze war, ich hätte ihn erwischt und Pepper würde noch leben. Wir müssten nicht in einer verdammten Scheune sitzen, nachdem wir unsere Freunde und den kompletten Zug verloren haben."
Seine Worte brachten mich nur dazu, noch müder zu werden, als ich es sowieso schon war, deswegen atmete ich einfach nur tief ein und aus, schloss die Augen. „Verschwinde, wenn du es brauchst. Ich werde dich nicht aufhalten."
Aggressiv bückte sich Niall nach seiner Jacke, die auf dem Boden lag und zog sie an. „Gut, dass du immer sofort weißt, was ich brauche. Ich schicke dir eine Brieftaube, wenn ich den Rest gefunden hab." Das war dann wohl sein typischer Sarkasmus. Er verlässt die Scheune ich höre ihn noch sagen: „Wenn ihr bis dahin nicht schon verreckt seid."
Und schon plagten mich Kopfschmerzen, tiefe, ätzende, niemals endende Kopfschmerzen.
Manchmal schien es unwirklich, wie sehr wir uns verändert haben. Früher waren Niall und ich beste Freunde, ganz normale Jungs, die Spaß hatten, die Nachbarn ärgerten und Mädchen begafften. Es gab selten etwas, worüber wir uns stritten, außer ... natürlich um Mädchen. Heute sind wir komplett andere Menschen, denken über Dinge nach, an die wir früher keinen Gedanken verschwendet hätten. Und hätte uns vor mehreren Jahren jemand erzählt, dass Niall beginnen würde, mir die Schuld eines Todes in die Schuhe zu schieben und mich dafür zu hassen, hätten wir gelacht.
Aber so es ist nun mal. Es war unmöglich zur dieser Zeit keinen Zorn in sich zu tragen. Zu viel Scheiße hatten wir schon überstanden.
Mein Körper fuhr immer weiter runter und mein Blick fiel wieder auf Annemarie, die scheinbar noch immer schlief. Ihre Hände hatte sie unter ihre Wange gelegt, doch ihr Körper atmete nicht mehr gleichmäßig.
„Du musst einen tiefen Schlaf haben, wenn du hiernach nicht wach geworden bist", redete ich deswegen zu ihr und warf ein Stück Holz ins Feuer.
Wie ich es erwartet hatte, öffnete sie langsam die Augen und sah mich an.
Da waren wieder ihre blauen Augen.
Sie seufzte leise, ihre Lippen waren einen Spalt offen. „Ich wollte euch nicht belauschen."
„Dir blieb wohl nichts anderes übrig", meinte ich scherzhaft und versuchte die Stimmung aufzulockern. Sie hatte die ganze Zeit nicht mit mir gesprochen, es lenkte mich ab, wenn sie es tat, deswegen sollte sie damit nicht mehr aufhören. „Aber sprechen wir nicht darüber."
Annemarie setzte sich langsam auf. Ihre Haare waren ein reines Durcheinander, ein paar Strohhalme hingen ihr darin, sodass es amüsant aussah. Sie bemerkte es jedoch nicht und rieb sich mit der Faust über ein Auge. „Ist es nicht gefährlich, ihn alleine draußen rumlaufen zu lassen?", fragte sie mich und ihre Stimme war noch etwas kratzig von dem Schlaf.
„Er wird wiederkommen", versicherte ich ihr und legte mich auf den Rücken, worauf er sofort schmerzte. Ich versuchte mir den Schmerz nicht anmerken zu lassen, weswegen ich den Atem anhielt. "Ansonsten hätte ich ihn nicht gehen gelassen."
Für einen Augenblick war es still. Ich schloss die Augen und versuchte mich auf alles andere zu konzentrieren, als den Schmerz, der mich plagte.
„Du hast Schmerzen", unterbrach Annemarie die Ruhe.
„Ist das so offensichtlich?", presste ich hervor, positionierte mich anders, sodass ich meinen Kopf seitlich in ihre Richtung drehen konnte. „Normalerweise schaffe ich es immer, andere denken zu lassen, ich könnte noch einen Staffellauf beschreiten."
Sie lächelte nicht, schmunzelte nicht einmal. „Würdest du dich besser fühlen, wenn ich dir sage, dass ich auch Schmerzen habe?" Sie zog ihr Kleid etwas ihre Beine hinauf und entblößte somit ihre nackte Haut bis über ihre Knie. Unverkennbar musste sie Schmerzen haben. Viele Kratzer zierten ihre Beine. Sie muss sie wohl von den vielen Ästen und Sträucher im Wald bekommen haben. Dann strich sie über ihre Handgelenke, die noch rot und mit getrocknetem Blut verziert waren. „Meine Gelenke sind nicht mehr so schlimm wie anfangs. Meine Beine lenken den Fokus auf sich, denke ich."
Ich schaute wieder auf ihre Beine, musterte die vielen kleinen Narben. Sie waren nicht tief, nach ein paar Tagen würden sie verheilt sein, aber sie strahlten zu viel Negatives aus. „Nein", lautete schließlich meine Antwort und blieb bei einer Narbe stehen, aus der gerade ein Tropfen Blut lief. „Es lässt mich nicht besser fühlen."
Annemarie schnaufte leise. In der unmöglichsten Situation lachte sie. „Mist. Ein Versuch war es wert." Und schon waren ihre dünnen Beine wieder mit dem Kleid bedeckt, worauf ich ihr ins Gesicht sah.
Mir erschien es oft, als würde ich jemand anders sein, wenn ich mit ihr sprach. Irgendwie jemand, der kein Soldat war und jemand, der versuchte sich einfach nur nicht zu sehr in ihren blauen Augen zu verlieren. Sie erschien mir so unschuldig, noch so naiv und rein, dass mir nichts anderes übrig blieb, außer den Krieg auszublenden.
„Harry", wisperte sie irgendwann leise, nachdenklich.
Sie sah mich nicht an, ich jedoch hatte ihre Augen wieder direkt im Blick.
„Ich will dir sagen, weshalb ich dich damals mit zum ... du weißt schon ... in den Wald genommen habe."
Meine Mundwinkel hoben sich belustigt. „Ich hatte nicht erwartet, dass es dafür eine Erklärung gibt."
Annemarie wurde rot, ich bemerkte es genau, weswegen sie ihren Kopf von mir abwand. „Ja, also, äh", fiepte sie zu hoch und räusperte sich deswegen, schüttelte sich und versuchte ernst zu sein. „Also ... Willst du es wissen?"
Mein Grinsen war immer noch beständig. „Sag es mir, bitte."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro