2.
Harry
Es grenzte an ein Wunder, dass ich noch lebte. Es verging viel Zeit, wir reisten durch viele Länder, brachten Deutsche in Japan um, Deutsche in Afrika und Deutsche in Frankreich, bevor wir bereit waren ihr zu erreichen.
Es verging scheiße viel Zeit und es veränderte sich eine Menge. Wir wechselten oftmals das Platoon*, unsere Soldaten starben, manche schafften es und starben kurze Zeit später. Mit der Zeit lernte man, dass Freundschaften das Schlimmste in dieser Welt sein konnten. Man musste immer damit rechnen, dass der Kumpane, mit dem man gerade lachte, vielleicht schon morgen erschossen werden würde. Anfangs viel es jedem schwer, man wollte trauern um den Freund, der fiel, doch durfte nicht. Doch irgendwann verlor man keine Freunde mehr, sondern einfach nur Männer, mit denen man kämpfte.
Unser Sergeant Pepper brachte den Jungs und mir bei, dass Trauern nicht erlaubt sei. Er hatte Recht. Er war erfahrener als wir alle, ein Arschloch, doch wusste, was er tat und er wusste, wie er mit uns umzugehen hatte. Bis er von Deutschen während eines Hinterhalts durch einen Kopfschuss starb. Wahrscheinlich würde ich nie den Moment vergessen, in dem ich spürte, hinter diesem verdammten Baum versteckte sich einer dieser Nazi-Wichser, doch dann war es bereits zu spät. Das sind Dinge, die passieren, doch man muss damit umgehen, hier blieb uns nie etwas anders übrig.
Wir zogen mit unserem Platoon, das aus nicht mehr als zwanzig Leuten bestand zum nächsten Stützpunkt und jeder hatte damit gerechnet, dass unser Weg hiermit endete. Liam betete jede Minute, Niall schwieg. Die Stimmung war grauenvoll, als wir vollkommen unterkühlt ankamen, denn unser Sergeant war tot, unsere Vorräte leer und durch die Tatsache, dass jeder von uns sterben würde, da wir keine Munition mehr hatten, blieb uns nichts anderes übrig, außer auf Liams Gebete zu hören und zu hoffen, dass uns keine deutschen Truppen entgegenkamen.
„Wir werden sterben", sagte Niall, während wir durch den tiefen Matsch liefen, der einem das Laufen erschwerte. Seit Tagen stampfen wir durch diesen verdammten Matsch. „Ich gebe uns noch eine Nacht. Dann werden wir sterben."
Ich blickte von ihm, wie er geknickt zu Boden sah, geradeaus und haute ihm meine Hand auf die Brust, als ich mir bekannte Geräusche hörte. Panzer, die umherfuhren und Stimmen, die englisch sprachen. „Niall. Sieh geradeaus."
Er hob sofort seinen Kopf und griff reflexartig nach seiner Pistole, doch ich hielt seinen Arm fest. Wir beide hielten letzte Nacht Wache, weswegen er sehr übermüdet war. Wir waren alle übermüdet.
„Wir sind da", ertönte Liam Stimme hinter uns und Niall sah mit müden Augen zu ihm nach hinten, dann wieder nach vorne. „Amerikaner."
Ich klopfte ihm auf die Schulter und versuchte mir nicht anmerken zu lassen, wie erleichtert ich tatsächlich war, endlich am nächsten Stützpunkt anzukommen. Niall litt am meisten unter dem Tod des Sergeant, deswegen brauchte er unseren Beistand. Seine Augen waren durchgehend mit Tränen gefüllt, doch er erlaubte es sich nicht zu weinen. Gut möglich, dass es die Müdigkeit war, aber ich tippte auf die erste Variante.
„Wir sind da, man", wiederholte ich und legte meine Hand auf Nialls Hinterkopf, an dem noch ein wenig von seinem Blut klebte. Ich hatte unglaubliche Schmerzen, doch das war Nebensache. Wir waren nach vielen Tagen Fußweg durch Flüsse und nasse Wälder endlich angekommen, wo wir sicher waren. Wir würden etwas zu essen und zu trinken bekommen, einen halbwegs ordentlichen Schlafplatz und Ruhe.
Niall sah nach vorne und nickte mehrmals, während er schluckte und die Erkenntnis, dass wir nun tatsächlich da waren, ihn traf. Er wischte sich mit dem Ärmel seiner braunen Jacke die Tränen von den Augen und ich ließ meinen Arm sinken.
Wir liefen über die große Wiese zu den eingezäunten Zelten und schon von weiten sah ich, wie uns einer der Soldaten, die Wache hielten, entdeckte und weitere alarmierte. Der Zaun wurde für uns geöffnet und sofort kamen mehrere Hilfskräfte auf uns zu.
„Platoon vier, richtig?", fragte einer von ihnen und übergab mir eine Thermoskanne mit Wasser.
Ich nickte und gab Niall das Wasser, der es gierig nahm, sich auf einen Holzstuhl fallen ließ und trank. „Richtig", sagte ich zu dem Helfer und sah mich um. „Wieso sind hier so wenige Soldaten? Die Rede war von mindestens zweihundert."
„Ihr seid nicht die Einzigen, die in einen Hinterhalt geraten sind." Der Mann sah sich Nialls Wunde am Hinterkopf an und ich beobachtete den Rest meiner Gruppe, die sich alle ausgelaugt fallen ließen, um sich auszuruhen. „Wir können von Glück reden, dass wir noch drei Kompanien zusammenstellen können. Die letzten Wochen waren ziemlich ... hart."
„Hart." Ich lachte bitter auf und ließ meine Schrotflinte einfach zu Boden fallen. „Wir haben fast die Hälfte unserer Männer verloren, verdammt. Wer hat hier was zu sagen?"
Mit erhobener Braue betrachtete mich der Mann, als er Nialls Wunde säuberte, der einfach erschöpft die Augen schloss. „Wer bist du? Der Sergeant?"
„Nein, Sergeant Pepper ist tot. Also, wer?"
Niall öffnete langsam die Augen. „Sag es nicht."
Ich ignorierte ihn, weil es im Moment wichtigeres zu tun gab, außer seinen verwirrten Worten zuzuhören, deswegen wartete ich ungeduldig auf die Antwort des Helfers.
„Sergeant Pattons", antwortete er und kniete sich hinter Niall. „Er ist im Hauptzelt. Ihn wird es nicht freuen, dass Pepper tot ist."
Nun kniff Niall die Augen zusammen. „Nein, Schluss damit."
„Reiß dich zusammen, Horan", zischte ich ihm zu. „Es ist keine Zeit für dein ständiges Gejammer. Pepper ist tot, sieh es ein."
Ruckartig stellte Niall sich auf und schupste mich mit blutunterlaufenen Augen zurück. „Halt's Maul!", schrie er mich an. „Halt's Maul, halt's Maul, halt's Maul! Es ist deine beschissene Schuld, also halt's Maul!" Wütend stampfte er auf mich zu, wollte mich am Kragen packen, doch ich zog ihn über mein Bein und ließ ihn unsanft zu Boden fallen. Er wollte sich hochdrücken, doch ich drückte seinen Nacken in den Schlamm unter uns. „Hör auf es zu sagen", begann Niall zu schluchzen und ließ nach. „Hör einfach auf es zu sagen, wenn es deine scheiß Schuld war."
Mein Griff in seinem Nacken wurde leichter, jedoch nur, weil mir selbst die Kraft fehlte. Ich wusste, dass er irgendwann damit rausrücken wurde, allerdings hoffte ich, er würde es nicht tun. Es war nicht meine Schuld, dass Pepper starb, Niall brauchte einfach nur einen Schuldigen. Er war geschwächt, was blieb ihm anderes übrig, außer wütend zu sein? Wütend und verdammt geschwächt.
„Ich sage es dir kein zweites Mal", mahnte ich ihn böse und ließ seine linke Gesichtshälfte noch ein wenig im Schlamm sinken. „Reiß dich gefälligst zusammen und komm mit dieser Scheiße klar. Er ist tot." Ich stand auf und zog ihn wieder auf die Beine, derweil er ausgelaugt zuließ, dass der Schlamm sein Gesicht hinunterläuft. „Wasch dich, trink und ess was, aber hör auf zu heulen. Das bringt niemanden weiter."
Niall atmete mit zitterndem Atem und einer Träne auf der Wange tief durch und setzte sich wieder auf den Hocker, vergrub sein Gesicht in seinen schmutzigen Händen. „Es tut mir leid", sagte er. „Scheiße. Es tut mir leid, ich wollte das nicht ..."
Ich wischte mir mit beiden Händen durch die mittlerweile längeren Haare und schloss für einen Moment die Augen. Natürlich tat es ihm leid, das wusste ich. Es tat einem im Nachhinein immer leid, allerdings brachten diese vier Worte in dieser Zeit nichts. Er war ein verdammtes Wrack und damit kam er selbst nicht zurecht. Wir wollten nie einen Tod an uns heranlassen, denn Freunde wollten wir nie wieder verlieren, doch Niall war zu schwach. Dieses eine Mal war er zu schwach. Dieses eine verdammte Mal. Noch damals hätte er versucht es wegzulachen, doch das war vorbei. Schon vor langer Zeit hat Horan aufgehört, die Dinge lustig zu finden.
„Sieh zu, dass du schläfst", wies ich Niall an, obwohl ich nicht das Recht hatte, überhaupt irgendwen anzuweisen. Allerdings habe ich schon seit Peppers Tod das Gefühl, die Leute meines Platoons warten auf Befehle, weil sie so verloren schienen, deswegen versuchte ich für sie irgendetwas zu sein, woran sie sich festhalten konnten. Oftmals hatte ich das Gefühl, Liam war der Einzige, der noch nicht aufgab, doch das reichte mir. Solange wir lebten, gab er nicht auf, denn wir hätten schon längst tot sein können, mehrere Male. Wir haben scheiße viele Dinge überlebt, jetzt aufzugeben, nur weil Pepper starb, wäre eine Schande gewesen.
Ein letztes Mal legte ich meine Hand auf Nialls Schulter und dann machte ich mich auf den Weg ins Hauptzelt. Es war angenehm ruhig, das tat mir sehr gut, denn mein Schädel dröhnte heftig und die schlaflose Nacht verursachte leichten Schwindel. Meine linke Hüfte schmerzte höllisch, aber darum würde ich mich später kümmern. Ich musste zusehen, wie wir unser nächstes Platoon zusammenstellten. Es war merkwürdig, diese Aufgabe zu übernehmen, ich wollte nie mehr als ein einfacher Rekrut sein, Verantwortung stand mir nicht, doch es würde nicht lange anhalten. Uns würde ein neuer Sergeant zugeteilt werden, damit wir am nächsten Morgen aufbrechen konnten.
Ich zog das Leinentuch des Zeltes zur Seite, um es zu betreten und schon sah ich mehrere Männer, die in langen Jacken neben einem Baumstumpf standen und auf eine Karte sahen. Einer von ihnen hob den Kopf und viele Brandnarben wurden mit präsentiert.
„Was zur Hölle sucht der Hosenscheißer hier?", keifte der Mann zu dem anderen, sah mich aber dabei an. „Ich sagte doch, niemand soll dieses Zelt betreten, wenn ich nicht darum bitte!"
„Er ist von Platoon vier, Sergeant Pattons", sprach der dünnere Mann zu ihm. „Peppers Platoon. Sie sind gerade angekommen."
„Pepper", schnaubte der Sergeant und verschränkte die Arme, betrachtete mich von oben bis unten. „Wo ist er? Ich hatte ihn erwartet und nicht einen seiner minderwertigen Lakaien."
„Sergeant Pepper ist vor mehreren Tagen während eines Hinterhalts erschossen worden", erklärte ich sachlich unsere Lage.
Sergeant Pattons schwieg daraufhin kurz, doch starrte mich weiterhin an und ich ging seinem Blick nicht aus dem Weg. Man sah ihm sofort an, dass es ihn nicht mehr schockierte, wenn man ihm mitteilte, dass einer von seinen Kollegen gestorben war. Er nahm es hin und interessierte sich nicht weiter dafür. „Wie viele seid ihr?", fragte er mich nach einer Weile.
Ich antwortete: „Neunzehn."
„Neunzehn?", schrie er plötzlich und rammte das Messer in seiner Hand durch die Karte in den Baumstumpf. Seine Glatze ließ zu, dass man Zornadern sah. „Das ist nicht mal ein halbes Platoon! Ihr hättet mehr sein sollen!"
Ich spürte, wie ich wütender wurde. Er mochte ein Sergeant sein, aber war nicht besser, als der ganze Rest hier, vor allem nicht nach der Hölle, die wir durchmachten. „Zeigen Sie etwas Respekt", sagte ich deswegen zu ihm. „Wir suchen uns die Zahl der Toten nicht aus."
„Respekt?" Patton zog sein Messer wieder aus dem Baumstumpf und kam schnelle Schritte auf mich zu, setzte das Messer an meinem Hals an, während er meinen Nacken dagegen drückte, doch ich blieb still. „Glaubst du, diese verdammten Nazi-Schweine zeigen Respekt, wenn sie dir deine jämmerliche Kehle aufschneiden?", raunte er mir leise ins Ohr und ich roch seine Alkoholfahne gemischt mit Nikotin. Er drückte das Messer fester gegen meine Haut und ich konnte spüren, wie sie kurz davor war zu reißen. „Respekt muss man sich verdienen, du erbärmlicher Bastard." Mit einem Mal schupste er mich zurück und nun war klar, dass ich blutete. Er zeigte mit der Klinge auf mich. „Sammle deine Männer und mach ihnen klar, dass ihr ab morgen nach meiner Pfeife tanzen werdet. Wer laufen kann, kommt mir, der Rest bleibt hier. Verstanden?"
Ich hasste ihn von der ersten Sekunde an. Er war nicht wie Pepper, er war einfach nur ein sadistischer Hund, der nur noch lebte, weil er erbarmungslos und kaltblütig war. Von Pattons hörte ich schon, bevor ich ihn hier das erste Mal traf. Zwar hoffte ich, ihn nie kennenlernen zu müssen, denn jemand anderen zu hassen, außer den Deutschen, war unpraktisch. Doch ich wusste, mir blieb nichts anderes übrig, außer zu nicken und das Zelt zu verlassen.
Ich fasste mir an den Hals, als ich durch das Geländer lief, nur um festzustellen, dass neben dem ganzen vertrockneten Blut an meinen Händen, nun neues Blut klebte. Aber ich brauchte Ruhe, nur ein bisschen, nur ein eines Mal, deswegen nahm ich mir eine Schüssel mit Wasser und ging in ein freies Zelt, in dem ein Hocker stand.
Meine braune Jacke ließ ich einfach zu Boden fallen, gleich danach mein mit Dreck und Blut verschmierter Pullover, der unangenehm an meiner Haut klebte. „Scheiße", zischte ich leise, als sich der Stoff meines Unterhemdes von der tiefen Schnittwunde auf meiner linken Hüfte riss. Ich schmiss das Hemd zu Boden und stützte meine Hände gegen den Hocker, um mich halten zu können. Mein Kreislauf spielte schon eine Weile nicht mehr mit und der Schmerz wurde nicht weniger. Allerdings konnte ich von Glück reden, dass mich das Messer des Deutschen nur an der Seite erwischte.
Meine Wunde säuberte ich ohne Rücksicht auf mich zu nehmen, denn durch so was musste ich durch, da musste jeder durch. Als ich fertig war, wusch ich mein mit Blut beschmiertes Gesicht und Hände im Wasser und legte mich hin. Ich war mir nicht sicher, ob ich hier wirklich ruhen konnte, doch sicher konnte ich mir schon mehrere Jahre nicht mehr sein. Nachts vom Bomben oder Schüssen überrascht zu werden, ist keine Ausnahme mehr, vor allem seitdem wir in Deutschland sind. Nirgends war es so grauenvoll wie hier, und wir hatten schon viel grauenvolle Scheiße hinter uns.
In Momenten, in denen ich nicht an den Krieg und meine Chance zu überleben nachdachte, versuchte ich an Mom, Lisbeth und George zu denken. Es quälte mich, dass ich nicht wusste, wie es ihnen ging oder ... ob sie überhaupt noch lebten. Und weil es mich so verdammt quälte, hörte ich auf an sie zu denken. Ich rechnete damit, dass sie bereits tot waren. In die Luft gesprengt von Japanern, erschossen von Deutschen, es hätte alles sein können.
Ich würde es wohl nie herausfinden.
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