140.
Letztes Kapitel, omg
Anne
Ich lag auf dem Sofa, während Lisbeth und George bereits schliefen. Johanna war wach, das verriet mir ihr Weinen. Sie weinte, seitdem Harry fort war und als ich sie fragte, was los sei, meinte sie, sie habe sich nicht darauf vorbereitet, sich an diesem Abend von Willis zu trennen. Sie liebte ihn scheinbar mehr, als wir alle vermutet hatten. Woran das lag, das wusste nur sie.
Also lag ich da, mit den müden Augen an die Decke gerichtet, dem Schluchzen von Harrys Mutter im Hinterkopf und dem Wissen, Harry war irgendwo dort draußen, aufgebracht, weil ich keine Antworten kannte.
In diesem Moment wollte ich unbedingt zuhause sein. In meinem Bett liegen. Ich wollte, dass Annel an meine Tür klopfte und mich fragte, ob ich noch wach sei, damit ich ihr erzählen konnte, was mich belastete. Denn jetzt gerade war das eine ganze Menge.
Ich dachte an Tante Elisa und wie sie mir Tee kochen würde, weil sie mir die Ungewissheit ansehen würde. Und an Hubert, der mir oftmals weise Ratschläge gegeben hat, wenn er dann einmal wach war.
Aber wollte ich auch in Harrys Armen liegen und sein Herz pochen spüren. Ich wollte in seiner Nähe sein und ihm zuflüstern, dass ich ihn liebte und ich ihn niemals verlassen würde. Doch ich konnte es nicht. Ich fühlte mich schrecklich verlassen in diesem Haus, das nicht meines war.
Ich erinnerte mich an die eine Nacht, in der Anne mir Harrys Brief zeigte und mich fragte, ob wir für immer Schwestern bleiben würden, egal was passieren würde. Wusste sie, dass ich gehen und nie wieder zurückkommen würde? Brach ich mein Versprechen, indem ich genau dies tat?
Und selbst wenn ich zurückkommen würde, würde Harry Recht behalten, als er meinte, ich ließe mich von meinem Vater aufhalten? Mein Vater konnte mich bei meiner ersten Abreise nach Amerika nicht aufhalten, wieso sollte er es beim zweiten Mal tun? Oder beim dritten Mal?
Zugegeben, er wusste nicht einmal, dass ich abreisen würde, aber ich konnte mir nicht ausmalen, was er mir hätte antun müssen, um nicht sofort zu Harry zu gehen.
Ich sah immer wieder zur Haustür, weil ich endlich wollte, dass Harry zurückkam. Aber eigentlich wollte ich es auch nicht. Ich hatte noch immer keine Ahnung, was ich tun sollte und für einen weiteren Streit hatte ich keine Kraft.
Bis ich schließlich in Tränen ausbrach, als ich unbedingt Tante Elisa fragen wollte, was die richtige Entscheidung war. Ich stand auf, schnappte mir meine Handtasche und zog mir meine Schuhe an.
Ich würde gehen. Und Harry sollte mich nicht dabei sehen.
Der Gedanke, dass Annel womöglich gerade einsam zuhause war und ich nicht für sie da sein konnte, war unerträglich. Ich wusste nicht, wie ich überhaupt zurück nach Deutschland kommen sollte, doch ich würde das schaffen. Irgendwie. Ich musste.
Mit einem unterdrückten Schluchzen öffnete ich die Tür, in meinem Kopf schrie alles „DU BIST VERRÜCKT, NUN ZU GEHEN! WIE KANNST DU HARRY UND DIR SELBST SO ETWAS ANTUN, DU DUMME FRAU?"
Aber statt dieser Stimme in meinem Kopf, hielt mich ein Zug am Arm auf. Meine Handtasche hatte sich an dem Türknopf verharkt und der ganze Inhalt fiel hinaus. Schnell kniete ich mich hin, hielt den Atem an, um mit meinem Weinen nicht den Rest zu wecken.
Bis mir ein Stück Papier ins Auge stach. Es war eingeklemmt in der engen Seitentasche meines Gepäckstücks. Ich wollte es entfalten, da hörte ich leichtfüßige Schritte auf der Treppe.
Ich schreckte auf und sah Lisbeth, die in ihrem Nachtgewand die Stufen herunterkam. Ihr Haar war kreuz und quer, sie sah sehr schläfrig aus, wie sie so ihr linkes Auge rieb. „Anne?", hauchte sie, als sie mich verwirrt betrachtete.
Mein Herz pochte schnell, ich öffnete das Stück Papier.
Nur für den Fall, wenn du denkst, du könntest nicht ohne mich leben:
Mach dir keine Sorgen um uns. Ich bin schon groß und passe auf Tante Elisa auf. Irgendwann werde ich zu dir nach Amerika finden.
Schwestern auf ewig,
Annel
„Bitte", hörte ich Lisbeth leise und zutiefst unglücklich flüstern, als ich fassungslos auf die Buchstaben starrte. „Lass ihn nicht alleine."
Ich hob den Kopf, spürte, wie mir zwei kleine Tränen über die Wangen rinnen. Es brach mir das Herz, wie niedergeschlagen dieses kleine Mädchen aussah. Sie hatte ihr Gesicht in ihren Händen vergraben und schniefte fast unhörbar.
„Lisbeth", sagte ich und stellte mich wieder auf. „Bitte ... nicht weinen."
Doch sie schniefte ein zweites Mal, was mir in der Seele wehtat. „Er hat so lange nicht mehr mit uns gelacht, bevor du gekommen bist. Bitte, verlass uns nicht wieder."
Ich konnte nicht anders, ich musste auf sie zugehen und sie in den Arm schließen. Sie ließ zu, dass ich sie an meine Brust drückte. Annels Brief hielt ich ebenso fest in meiner Hand. Erneut floss mir eine stumme Träne über das Gesicht.
„Was ist das für ein Zettel?", ertönte die erstickte Stimme von Lisbeth.
Ich wischte mir die Nässe aus dem Gesicht und musste lächeln, fast schon lachen, weil irgendetwas in diesem Leben passierte, das mich immer und immer wieder dazu brachte, bei Harry zu sein. „Ein Brief meiner Schwester."
„Kann ich ihn lesen?", schniefte das kleine Mädchen ein drittes Mal und wischte sich ebenso die Tränen fort.
„Er ist auf Deutsch, du wirst ihn nicht lesen können, kleine Maus."
„Wieso lächelst du? Was steht darin?"
Ich umarmte Lisbeth wiederholt und drückte diesmal so fest an mich heran wie ich konnte, worauf sie husten musste. „Darin steht, dass ich ein so krankes Mädchen wie dich niemals alleine genesen lassen sollte. Meine Schwester wäre stinksauer, würde ich dich nicht gesund gepflegt haben, wenn sie uns besuchen kommt."
Es dauerte ein paar Momente, bis Lisbeth verstand. Aber schließlich wendete sie sich aus meinem Arm und sah mir schockiert in die Augen. „B-Bedeutet das, dass du ... dass du ..."
Ich grinste so breit und mit solch einer Erleichterung und solch einer Dankbarkeit gegenüber Annel, dass es wehtat. „Genau das bedeutet es. Aber jetzt geh ins Bett, du musst fit für deine Schulaufführung sein."
Überglücklich sprang Lisbeth die Treppen nach oben, hustete und nieste aber wie wild umher, weswegen ich mir sicher war, dass Johanna und George wach wurden.
Doch nun hieß es warten, auf Harry. Das tat ich. Ich wartete bis halb vier morgens, redete mir ein, ich würde kein Auge zumachen, bis er zuhause sein würde. Ich stellte mir vor, wo er gerade sein könnte und was er tat. Ich überlegte sogar, nach ihm zu suchen, hatte dann aber die Befürchtung, mich zu verlaufen und nie wieder zu ihm zurückzufinden.
Ich döste bereits, als ich das Klicken des Schlosses hörte. Harry kam in das Haus, leise hing er seine Jacke auf und zog sich die Schuhe von den Füßen. Es war so dunkel, er musste denken, ich würde schlafen. Aber auch durch die Dunkelheit erkannte ich, wie deprimiert er war.
Erst dachte ich, er würde mich wecken, als er mich für einen Moment einfach nur ansah, wie ich auf dem Sofa lag. Dennoch griff er nach dem Treppengeländer und wollte nach oben gehen.
Allerdings konnte ich nicht zulassen, dass wir noch eine Nacht abseits voneinander verbringen. Deswegen richtete ich mich auf und stellte mich hin, da hatte er mir schon den Rücken zugedreht.
Ich schluckte schwer, bevor ich sagte: „In Deutschland nennt man euch Liberatoren."
Er blieb auf der Stelle stehen und drehte sich verwirrt zu mir herum. Ich wünschte, ich hätte das Grün seiner schönen Augen erkennen können, als er sagte: „Du bist noch wach."
„Schon viel zu lange", erwiderte ich und ging auf ihn zu. „Aber wusstest du das? Dass man euch, amerikanische Soldaten, als Liberatoren betitelt?"
„Befreier", übersetzte Harry verstehend und kam langsam wieder die Treppen herunter. „Ich habe mich nie wie einer gefühlt."
„Aber du bist einer", sagte ich. „Du bist mein ganz persönlicher Befreier. Auch, wenn ich es gar nicht wusste."
Er kam unten an, uns trennten nur noch zwei große Schritte.
Ich hatte noch viele weitere Stunden über meine Entscheidung nachgedacht, deswegen lächelte ich, als ich hinzufügte: „Und was wäre ich für eine dumme, deutsche Närrin, würde ich meinen Befreier verlassen?"
Wir blickten uns ganze fünf Sekunden einfach schweigend an. Es fühlte sich wie eher an wie eine ganze Ewigkeit. Wie all die Sekunden, in denen ich dachte, ich würde ihn nie wiedersehen und all die Sekunden, in denen ich mir wünschte, ich hätte bei ihm sein können, um ihm all die Liebe zu schenken, die er während den Kriegsjahren vergessen hatte. Wie all die Momente, in denen ich um ihn getrauert und geweint habe und in mein Kissen geschrien habe, dass der Tod das wäre, was mich endlich wieder zu ihm bringen könnte.
Aber hier standen wir nun. Und sahen uns in die Augen.
Bis Harry leise, mit ganz schwacher Stimme, sagte: „Du wärst eine wirklich sehr dumme, deutsche Närrin."
Ich konnte das Lächeln nicht mehr unterdrücken, aber meine glücklichen Tränen auch nicht. „Ich liebe ..."
„Ich liebe dich", unterbrach Harry mich. „Werde meine Frau."
Nun musste ich lachen, als er auf mich zukam. „Wie bitte?"
Er legte seine Hände, noch immer mit diesem Glitzern in den Augen, um mein Gesicht. „Ich liebe dich. Ich bitte dich, werde meine Frau."
Und da war er. Der Moment, indem ich wusste, in diesem Leben hätte ich nur eine richtige Entscheidung fällen können. Die, in der ich bei ihm blieb. Für immer.
Ich würde auf ewig eine dumme, deutsche Närrin bleiben, aber was ich auch wusste, war, dass ich Harrys Frau werden würde.
Einfach, weil er mich gerettet hat. Einfach, weil ich ihn gerettet habe. Einfach, weil dieses Leben unfair war und uns trotzdem zusammenbrachte. Einfach, weil wir die einzige Medizin füreinander waren und einfach, weil mich nichts mehr davon abhalten könnte, ihn für den Rest seines Lebens zu lieben.
„Okay", hauchte ich, als er mir eine Träne mit seinem Daumen wegwischte. Ich verliebte mich in diesem Moment zum milliardensten Mal in seine wunderschönen, atemberaubenden, unmenschlich grünen Augen, als ich sagte: „Ich werde deine Frau."
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DAS IST NOCH NICHT DAS ENDE, HIERNACH FOLGT DER EPILOG, WTF PASSIERT HIER
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