128.
Harry Styles
Anne und ich betraten die Küche. Willis hatte sich von hinten an meine Mutter geschmiegt, die noch immer am Abwasch arbeitete. Mir wurde immer wieder übel, wenn ich sah, wie er sie anfasste.
Er bemerkte uns sofort und wand sich an uns. Sein Blick fiel unmittelbar auf Anne, die neben mir zum Stehen kam. Ich konnte ihm quasi ansehen, wie es in seinem Kopf ratterte.
„Das ist Anne", stellte meine Mutter sie vor. „Sie ist gestern Abend angekommen."
Willis hob überrascht die Brauen. „Anne", stieß er aus und ging auf sie zu, um ihre Hand zu schütteln.
Selbstverständlich schüttelte Anne sie und lächelte. „Eigentlich heiße ich Annemarie. Aber Anne ist völlig ausreichend."
Verständlich nickend wollte Willis ihre Hand gar nicht loslassen, was sofort Anspannung in mir hervorrief. Seine Augen hatten diesen ganz gewissen Ausdruck. Als würde er jeden Moment etwas tun, das mir ganz und gar nicht gefallen würde.
„Dass das irgendwann noch einmal möglich ist", sagte er und ließ sie endlich los. „Harry, das ist die Kleine aus Deutschland, habe ich Recht?"
Schon jetzt musste ich hinter meinem Rücken meine Fäuste ballen. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu. „Sie ist nicht die Kleine aus Deutschland."
Willis hob unschuldig die Hände und machte einen Schritt zurück. „Verzeihung, ich dachte, ich lockere ein wenig die Stimmung auf."
Anne verlor ihr Lächeln nicht, im Gegensatz zu meiner Mutter.
„Ach, das ist völlig in Ordnung", winkte Anne ab. „Man hat mich schon Schlimmeres genannt."
„Tatsächlich?" Willis lehnte sich an das Küchenpodest und trank von seinem Kaffee. „Wie nennt man denn Frauen in deinem Nazi-Deutschland?"
Und natürlich sagte er etwas, das mir nicht gefiel. Ich kniff die Augen zusammen und starrte ihn vernichtend an. Ich wusste, meine Mutter mochte es nicht, wenn wir stritten, deswegen hielt ich mich zurück.
„Ä-Äh", versuchte Anne Worte zu finden. „Also wir ..."
Zu Willis Glück schaltete sich meine Mutter ein, die Willis etwas mit dem Handtuch schlug. „Bring sie nicht in Verlegenheit. Du weißt, der Krieg ist schon lange vorbei."
Der Mann, der noch schmutzige Kleidung von der Arbeit trug, zuckte nur mit den Schultern. „Nicht für jeden." Seine Augen fielen auf mich. „Nicht wahr, Harry?"
„Es ist so früh am Morgen, Willis", entgegnete ich ihm. „Du möchtest den Tag nicht mit einem Konflikt beginnen."
„Oh, er ich beginne ihn nicht. Ich habe die ganze Nacht gearbeitet. Was hast du getan? Etwas Nazi-Deutschland in dein Haus gelassen?"
„Willis!", keifte meine Mutter, als ich bereits einen Schritt auf ihn zumachen wollte. „Ich habe keine Lust auf Streit!" Und zu seinem Glück warf sie ihn raus. Sie wolle sowieso noch ihren Samstagsputz machen, dabei würde er nur stören. Natürlich hätte sie ihm nie gesagt, dass er mal wieder zu weit gegangen war.
Als er das Haus verließ und ich den Motor seines Autos aufheulen hören konnte, holte ich das erste Mal seit einer halben Minute wieder Luft. Willis mochte ein wirklich ätzender Mann gewesen sein, ich ließ ihm viel durchgehen, aber ich wusste nicht, ob ich es akzeptieren konnte, wenn er Anne schlecht behandelte.
„Er ist", unterbrach Anne die Stille, während meine Mutter zurück in die Küche kam, „sehr ... nett."
Ich musste ungläubig eine Braue heben und Mom ließ einen traurigen Seufzer aus. „Er ist sensibel", erklärte sie.
„Sensibel", wiederholte ich missbilligend, worauf Anne mich verdutzt ansah.
„Er meint nicht alles so, wie er es sagt", versuchte meine Mutter weiterhin das Verhalten von Willis zu erklären. „Aber, bitte, vergessen wir das. Setzt euch doch mit Lissy auf die Veranda, ich bringe euch etwas Tee, ja?"
Weil Lisbeth noch eine Weile in ihre Zimmer verbrachte, setzten Anne und ich uns alleine auf die Veranda. Die Spannung zwischen uns beiden war zwar angenehmer geworden, jedoch war sie noch immer da. Da waren noch immer tausend Fragen in meinem Kopf, die ich sie unbedingt fragen wollte. Und ich wusste, sie fragte sich mindestens genauso viele Dinge über mich.
Da saßen wir also, sie rechts von mir, auf dem Stuhl, auf dem sonst immer meine Mutter saß. Ständig wollte ich mein Gesicht zu ihr drehen, einfach um ihr Profil betrachten zu können. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich schon realisierte, dass sie hier bei mir war.
„Nun ...", sagte sie, nachdem wir einige Momente nichts gesagt hatten. „So verbringst du also deinen Morgen in North Carolina."
Und dann unterhielten wir uns. Nicht viel, kein Thema blieb lange und keines war sonderlich tiefgründig. Sie erzählte mir von ihrer anstrengenden Reise, wie viele Tage sie unterwegs und wie unglücklich sie darüber war, dass sie ihren Koffer auf eines der Schiffer vergaß.
Sie fragte mich außerdem nach Willis und woran es lag, dass ich kein gutes Verhältnis zu ihm hatte.
„Das ist ziemlich simpel", erklärte ich. „Er ist Gift für meine Familie. Nur leider ist meine Mutter die Einzige, die das nicht versteht." Dann erzählte ich ihr, dass er einst ein amerikanischer General war, er in Frankreich gekämpft hat, dennoch keinerlei Erfahrungen wie wir hatte.
Ich hatte das Gefühl, zwischen jeder kurzen Unterhaltung, die wir führten, schwiegen wir stundenlang. Wir tranken – ich zählte mit – vier von Moms Tees, übersprangen das gemeinsame Mittagessen, da wir beide der Meinung waren, das Essen am Abend würde ausreichen. Ich wollte nicht zugeben, dass ich eigentlich sehr gerne etwas mit meiner Familie gegessen hätte, aber ich wollte mit Anne alleine sein. Selbst, wenn wir kein Wort miteinander sprachen.
Dieser eine Samstagmorgen bis Nachmittag war tatsächlich der ruhigste in den letzten vier Jahren. Normalerweise hatte ich mir ständig etwas zum Arbeiten gesucht, oftmals war ich nicht zuhause, wollte immer etwas tun, das mich stundenlang beschäftigte. Aber diesmal saß ich einfach nur hier und ruhte. Und das nur, weil Anne bei mir war.
Irgendwann lief meine alte Nachbarin an unserem Haus vorbei. „Guten Tag, Miss Weaver", grüßte ich sie, wie immer.
Sie drehte ihren Kopf zu uns, dabei trug sie eine Einkaufstüte. Ein freundliches Lächeln blieb aus, selbst als sie Anne musterte. Miss Weaver kannte sie, ich hatte ihr vor ein paar Jahren schon von ihr erzählt. Trotzdem nickte sie uns nur zu.
Weil Anne mich danach fragte, erzählte ich ihr von Miss Weavers Leidensgeschichte. Dass sie ihren Mann im Krieg verlor und sie nun alleine in diesem riesigen Haus lebte. Dass sie jedes Jahr eine weitere Rose in ihrem Garten pflanzte, in dem sie unglücklich war.
Darauf folgte wieder ein ewig langes Schweigen.
Aber mich störte die Ruhe zwischen uns nicht, ganz im Gegenteil. Ich genoss Annes Anwesenheit.
Einfach das Wissen, sie war hier bei mir. Und hätte ich sie angesprochen, hätte sie mir sogar eine Antwort gegeben.
Zwischendurch waren wir in Gesellschaft von Lisbeth und George. George, der von der Schule kam und schlechte Laune hatte, weil seine Freundin ihn einen weiteren Tag ignorierte. Und Lisbeth, die vor uns auf der hölzernen Treppe saß, bis ich sie nach kurzer Zeit wieder zurück in ihr Zimmer schickte, da sie schwer anfing zu keuchen.
„Aber ich bin so gerne bei euch", klagte sie und stand mit ihrer Wolldecke vor uns. Ihre Nase war kirschrot, ihre Haut bleich. „Ich bekomme bereits Rückenschmerzen vom Liegen."
„Lisbeth, keine Widerrede", sagte ich. „Oder willst du für den Rest deines Lebens krank bleiben?"
„Vielleicht."
„Nicht mit mir." Ich erhob mich, packte mir das kleine Mädchen, warf sie über meine Schulter und schleppte sie zurück in ihr Bett, egal wie sehr sie strampelte.
Als ich zurückkam, saß Anne noch immer schmunzelnd auf unserer Veranda. Mittlerweile war es später Nachmittag. Meine Mutter hatte uns zwischenzeitlich belegte Brote rausgebracht, weil sie vermutete, wir könnten verhungern. Allerdings kommentierte sie unser merkwürdiges Verhalten nicht. Sie lächelte einfach.
„Anne, Liebes", sagte meine Mutter, die – als es fünf Uhr abends läutete – ihren Kopf durch das Fliegengitter zu uns hinaus streckte. „Ich habe dir etwas für heute Abend herausgelegt, vielleicht möchtest du es anprobieren."
Anne blickte erst zu mir, als würde sie darauf warten, dass ich etwas dagegen sagen würde, doch dann stand sie schließlich auf und nickte meiner Mutter entgegen. „Ich komme sofort nach oben, Johanna."
Meine Mutter ging und etwas unbehaglich drehte sich Anne zu mir. Es war, als sei sie nervös.
„Nun", sagte sie und lachte peinlich berührt. „Ich, ähm, mache mich dann mal zurecht."
Einverstanden nickte ich. „Sehr gerne."
Sie spielte mit ihren Fingern und machte kleine, aber schnelle Schritte zur Tür. „Also ... Wartest du dann einfach hier? Möchtest du, dass ich ..."
„Sei um sechs Uhr fertig, ja?", unterbrach ich ihre gestotterten Worte. Ihre Unsicherheit belustigte mich. „Ich werde dann hier unten auf dich warten."
Schnell, fast zu schnell, nickte sie. Sie hauchte ein „Okay" und verschwand mit meiner Mutter im Obergeschoss.
Und ich trank meinen fünften Tee, diesmal alleine. Aber das war in Ordnung. Denn ich wusste, sie war noch hier.
Ich glaub, 's wird jetzt sirious, oder????? ich bin ja so scheiße aufgeregt!
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