118.
Harry Styles
Ich verabschiedete mich von Alice mit einem einfachen Nicken, als wir tief in der Nacht vor ihrer Haustür standen. Wir hatten uns viele, viele Stunden unterhalten, was sie möglicherweise dazu brachte, mir noch einmal um den Hals zu springen und mich fest an sich zu drücken, als ich gerade gehen wollte.
Es stellte sich heraus, dass sie nicht nur von sich selbst reden konnte. Genauso gut wie sie erzählte, konnte sie zuhören.
Als ich zuhause ankam, waren meine Kopfschmerzen zwar vergessen, der Rest jedoch nicht. Noch konnte ich nicht einschätzen, ob es mir gut tat, über sie zu sprechen. Oder über Liam, Niall, Keith oder irgendeine Erinnerung an früher.
Mit den Jahren fiel es mir leichter, mit all den Gedanken in meinem Kopf zurechtzukommen. Ich schlief noch immer schlecht und träumte Grauenvolles, doch ich überwand es. Früher habe ich viel getan, um mich abzureagieren.
Manchmal, wenn ich einen schlechten Traum hatte, bin ich nachts in unseren Garten gegangen und habe Holz gehackt. Die Nachbarn hielten mich monatelang für verrückt, wahrscheinlich taten sie das noch heute, aber es hat mir geholfen. Zumindest ein bisschen.
Meine Mutter wusste immer, wann ich nachts im Garten war, um mich abzuregen. Ab und zu kam sie heraus. Sie mochte es nicht, im Dunkeln draußen zu sein, deswegen tat sie es nur ungern.
Aber trotzdem fragte sie mich, als ich gerade ein Holzstück in zwei Teile gespaltet wurde: „Wann wird das aufhören?"
Ich war ein leicht zu erschreckender Mann, deswegen musste ich einen Schrei unterdrücken, als sie plötzlich hinter mir stand. Ich keuchte wie jemand, der einen Marathon gejoggt war und genauso fühlte ich mich. Meine Arme brannten immer wieder vom Ausholen und Zuhacken mit der Axt, doch es beruhigte mich. Zumindest ein bisschen. „Was suchst du hier?", gab ich unfreundlich die Gegenfrage.
Mom trug, wie immer, ihren Nachtmantel und musterte mich traurig durch das Licht des Mondes. „Das ist die dritte Nacht, die ich dich hier auffinde."
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und nahm mir das nächste Stück Holz und stellte es auf den abgeschnitten Baumstumpf, der mir als Untergrund diente. „Du solltest aufhören mitzuzählen."
Es war alltäglich geworden, dass ich schnell gereizt war. Ich hasste mich dafür, solch ein unangenehmer und anstrengender Mann gewesen zu sein, aber damals stand ich unter Stress. Ständig. Und das alles nur in meinem Kopf. Und dieser Stress brachte mich nachts zum Holz hacken.
Und, wie jede Nacht, die ich in unserem Garten verbrachte, hörte ich meine Mutter traurig Luft holen. „Okay", sagte sie leise. „Aber bitte bleib nicht mehr allzu lange draußen. Es ist kalt und ..."
Mit vollem Schwung holte ich aus und rammte die Axt durch das Holz. Es tat Schläge, die durch die ganze Straße hallten. Und sie brachten meine Mutter zum Schweigen. Es war ihr Zeichen, dass ich mich nicht für ihr Gerede interessierte. Sie verstand es und ging ohne ein weiteres Wort.
Ja, ich war ein ziemlich unangenehmer Mann. Meine Mutter versuchte Monate, Jahre mit mir zu reden. Darüber, wie ich mich fühlte, an was ich dachte, wenn ich schweigsam an die Wand starrte und welche Bilder ich vor Augen hatte, wenn ich Lisbeth und George an der Straße spielen sah. Sie machte sich Vorwürfe, sie dachte, sie sei eine schlechte Mutter, weil sie zu ihrem Sohn nicht vordringen konnte, aber das war sie nicht. Sie war einer der Menschen, die mich gerettet haben.
Heute, nach der Nacht mit Alice, betrat ich leise unser Haus, da kam Mom gerade die Treppe heruntergelaufen.
Überrascht schloss ich die Tür. „Wieso bist du wach? Du weißt, du sollst nicht ..."
„Ich soll nicht nachts im Haus herumlaufen, ich weiß", unterbrach sie mich schmunzelnd und ging in die Küche. Ihre braunen Haare, die ihr bis zu den Schultern gingen, waren durcheinander, sie trug keine Socken. „Du kommst sehr spät nach Hause."
Ich hing mein Jaket auf und schloss die Haustür ab. „Es war ein langer Abend."
„Du und Alice, ihr habt euch also gut verstanden?", fragte sie und als ich die Küche betrat, kochte sie Tee, was mich verwunderte.
Ich lehnte mich an den Esstisch und verschränkte skeptisch die Arme. „Seit wann trinkst du nachts Tee?"
„Seitdem mein Sohn nach einer Verabredung erst um drei Uhr nach Hause kommt." Mit einem Lächeln drehte sie sich zu mir und stellte zwei Tassen auf den Tisch. „Also? Wirst du mir von eurem Abend erzählen?"
„Ich weiß, dass du ihr von mir erzählt hast", sagte ich direkt und setzte mich ihr gegenüber an den Tisch.
Die Miene meiner Mutter fror ein und ihr Grinsen verschwand.
Ich schenkte ihr und mir Tee ein. „Aber weil du gefragt hattest", sagte ich dabei. „Wir hatten einen angenehmen Abend." Noch vor ein paar Stunden war ich stinksauer auf meine Mutter, dafür, dass sie sich erlaubte, Alice und mich zu verkuppeln und ihr meine Geheimnisse anzuvertrauen. Aber es stellte sich heraus, dass sie ein vertrauenswürdiges Mädchen war. Und das Leben war zu kurz, um wütend auf Mom zu sein.
Unsicher trank meine Mutter von dem Tee und tippte mit ihrem Finger auf dem Tisch. „I-Ich – Es tut mir leid. Ich dachte nicht, dass sie es dir sagt. Wir wollten doch nur, dass ..."
„Es ist okay", schnitt ich ihr ruhig das Wort ab. „Ich sagte doch, wir hatten einen angenehmen Abend."
Einen Moment versuchte meine Mutter noch meine Laune einzuschätzen, doch dann schien sie zu verstehen, dass ich es ernst meinte. „Und ... werdet ihr euch ein zweites Mal treffen?"
Ich nahm einen Schluck. „Nein, ich denke nicht."
„Oh."
„Ja."
„Warum?"
„Es passt nicht."
„Inwiefern?", fragte Mom nach.
„Sie ist nett, aber ..."
„Sie ist nicht sie."
Mir stockte der Atem und beinahe verschluckte ich mich an dem Tee.
Meine Mutter hatte schlagartig wieder diesen mitleidigen Blick in den Augen. Den hatte sie immer, wenn es um sie ging. Ich hätte ihr niemals von ihr erzählen dürfen.
„Du siehst deinem Vater so ähnlich", sagte meine Mutter und drehte die Tasse in ihrer, sodass ein schleifendes Geräusch entstand.
„Mein Vater war ein selbstsüchtiger Egomane. Wie kannst du mich mit ihm vergleichen?"
„Er mochte vielleicht ein anstrengender Mann gewesen sein, aber er hatte immer nur eine Frau geliebt. Und das, bis er starb."
Ich lehnte mich zurück. „Nur hatte er das Glück, mit ihr verheiratet gewesen zu sein. Ein ziemlich ungemütliches Thema, stört es dich, wenn wir es wechseln?"
Meine Mutter betrachtete mich mit einem niedergeschlagenen Lächeln. Sie schüttelte etwas den Kopf. „Er war nicht mit der Frau verheiratet, die er geliebt hat."
„Was soll das bedeuten?"
„Dein Vater hat seit er noch ein Schuljunge war eine einziges Mädchen gewollt. Und sie war nicht ich. Sie hieß Maggy."
„Trotzdem hat er dich geheiratet und drei Kinder gezeugt. Wieso?"
„Weil er sie niemals haben konnte. Er hat sie gehen lassen, als ihr Vater wollte, dass sie einen anderen Mann heiratet."
Diese Information war mir neu. Ich wusste zwar, dass die Ehe meiner Eltern nie wirklich glücklich verlief und mein Vater oft fremdschlief, doch von Maggy hatte ich nie gehört.
„Wäre ich Maggy gewesen, wäre er solch ein toller Ehemann gewesen", erzählte meine Mutter weiter und sah gedankenverloren in ihre Tasse. „Und er wäre ein besserer Vater gewesen. Er hätte so glücklich sein können."
Das Ticken der Uhr machte mich nervös. „Ich sagte bereits, er war ein Egomane. Aus Trotz eine Ehe einzugehen und Kinder mit einer Frau zu zeugen, die er nicht liebte, nur weil eine andere nicht bekam – das bestätigt meine Aussage nur."
Für einen Moment schwieg meine Mutter. Dann schaute sie mich an. „Aber, verstehst du denn nicht, was ich dir damit sagen möchte? Er hätte so glücklich sein können, hätte er nur um Maggy gekämpft. Dein Vater hat uns jahrelang das Leben erschwert, indem er nie zufrieden war. Wie auch, wenn seine einzige Liebe Ewigkeiten von ihm entfernt war?"
„Der Tee macht dich betrunken."
„Nein, Harry, ich möchte, dass du glücklich wirst."
„Ich habe euch, ich bin glücklich. Sieh mich an." Ich grinste, mochte es auch aufgesetzt wirken.
Frustriert schüttelte meine Mutter den Kopf und erhob sich von dem Stuhl. Sie stellte ihre leere Tasse auf die Küchentheke. „Ich liebe dich so sehr", sagte sie leise. „Aber ich möchte nicht mehr die Einzige sein, die das tut."
„Liebe lässt sich nicht erzwingen, Mutter", meinte ich ruhig und starrte auf die Uhr mir gegenüber. Das Ticken wurde immer lauter und penetranter.
„Du hast Recht." Mom schlurfte die Küche heraus, bevor sie noch sagte: „Aber du kannst sie dir zurückholen."
Als sie ging, das Ticken der Uhr immer lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, lauter, die Stimmen in meinem Kopf immer lauter, lauter, lauter, lauter, lauter wurden, schmetterte ich die Teetasse an die Wand, verließ das Haus und zerhackte die letzten Stücke Holz.
Eine von vielen schrecklich langen Nächten. Einen von vielen, ohne sie. Und der Erinnerung von zerspringenden Köpfen vor meinem geistigen Auge.
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