Kapitel 10
• K A Y D E N •
"Kay, ist wirklich alles in Ordnung? Du klingst irgendwie gar nicht gut."
Emma kennt mich einfach viel zu gut, als dass ich ihr irgendwas vormachen könnte...
"Es ist alles okay. Ich bin nur müde. Im Büro war es heute ziemlich stressig.", lüge ich, während ich in die Gefrierabteilung gehe.
Nachdem ich gestern Morgen wütend, entsetzt und vor allem enttäuscht aus Isaacs Büro gestürmt bin, wollte ich mich in meine Arbeit versinken und nicht mehr über ihn nachdenken.
Das hatte aber nicht so gut geklappt. Auch nicht heute. Bei einer Besprechung war ich so unkonzentriert, dass mich später mein Chef darauf angesprochen hatte.
Und sonst habe ich mich eigentlich immer auf Arbeit im Griff...
Mir war es so unangenehm, mit ihm über meine privaten Probleme zu reden. Natürlich bin ich nicht ins Detail gegangen, schließlich will ich von diesem Mann noch respektiert werden...
Ich öffne die Tür und krame nach meinem Lieblingseis - Strawberry Cheesecake. Einfach himmlisch!
Die Blicke der älteren Frau neben mir ignorierend, lege ich zwei Packungen in den Einkaufswagen, wo bereits vier Tafeln Schokolade, zwei Tüten Chips und eine Tüte Gummibärchen sind.
Ja, ich bin ein Frustesser, was dagegen?!
Als ich im Regal seine Lieblingsschokolade gesehen habe, schnürte es mir automatisch die Kehle zu.
Es kann ja doch nicht normal sein, dass mich selbst Süßigkeiten an ihn erinnern!
"Gut, da du sowieso nicht mit der Sprache rausrücken willst-" Nein, das will ich nicht. Isaac gibt es in meiner Welt nicht mehr! "Erzähl doch mal, hast du meinen Rat befolgt und hast Isaac einen Besuch abgestattet?" Fuck my life...
"Emma, ich muss Schluss machen. Vor mir ist eine schwangere Frau, die offenbar Hilfe braucht." "Was? Nein! Aber-" "Tschüss, hab dich lieb!"
Toll, habe dabei ganz verdrängt, dass er ja ein Teil ihres Lebens ist.
Sowas passiert, wenn man gemeinsame Freunde hat...
Ich schüttle den Kopf, um diese Gedanken rund um...'Mr. Doodle' abzuschütteln, und schaue in meinen Wagen.
Alkohol wäre nicht ganz schlecht...
Mein Blick fällt auf die Regale an der Kasse, die wunderschön mit allem möglichen Hochprozentigem gefüllt ist.
Wunderbar!
Okay, ich weiß, Alkohol ist nie die Lösung. Und er hat mich ja eigentlich erst in diese Lage gebracht...
Mhm, gutes Argument. KEIN Alk für Kay!
Entschlossen gehe ich daran vorbei zur Kasse und lege meine Einkäufe auf das Band. Als eine Frau vor mir neugierig nach hinten guckt, könnte ich am liebsten hochgehen.
Was starren Leute eigentlich immer auf die Einkäufe anderer? Sowas ist vielleicht mal total unhöflich?! Und dann meistens noch dieser kritische Blick danach...
"Ist irgendwas?" Überrascht schaut sie mich an und schüttelt den Kopf. "Dann sehen Sie gefälligst nach vorne, dort spielt nämlich die Musik! Und tun Sie mir einen Gefallen, laufen Sie mal weiter. Sie halten den ganzen Betrieb auf, nur um Ihre bescheuerte Neugier zu stillen!", knurre ich, woraufhin sie sich augenblicklich wieder umdreht.
Ich sollte die Frau eigentlich nicht so anzicken, sie kann ja nichts für meine schlechte Laune...aber ich kann diese Menschen einfach nicht leiden, die sowas machen. Es ist einfach nervig, unfreundlich und...
Ein 'Ping' lässt mich leicht zusammenfahren. Ich krame nach meinem Telefon, welches in meiner Jackentasche ist.
Es ist eine Nachricht. Von 'Mr. Doodle'.
Kay, können wir vielleicht wegen gestern reden?
Ich würde es dir gerne erklären.
Bitte.
Vergiss es.
Gerade, als ich das Handy zurück in meine Jacke verschwinden lassen wollte, piept es erneut.
Ich wollte erst anrufen, wusste aber nicht was ich sagen soll...
Kann ich bei dir vorbeikommen? Die Sache sollten wir persönlich klären.
Es ist wichtig.
Du vorbeikommen? Sonst noch irgendwelche Wünsche?!
Ich will meinen Feierabend mit Eis und Süßigkeiten genießen...und mit ganz vielen Schnulzen.
Da hat er keinen Platz.
Das kannst du vergessen!
Genervt und trotzdem schon ein bisschen erleichterter stecke ich es zurück in meine Tasche und nehme dieses Mal mein Portmonee aus meiner Potasche heraus.
Als ich endlich vorne an der Kasse stehe, begrüßt die Verkäuferin mich lächelnd, während sie die Lebensmittel einscannt. Ich verstaue meinen Einkauf in einen Beutel und gebe ihr 15$. "Stimmt so.", meine ich und gehe dann aus dem Laden.
Da es relativ warm ist und es nicht weit weg bis nach Hause ist, habe ich vorhin beschlossen gehabt, nicht mit dem Auto zu fahren, sondern zu laufen.
Ist sowieso gesünder. Und besser für die Umwelt...
Okay, und ich habe meinen Autoschlüssel irgendwie verlegt. Ich hoffe mal, dass ich ihn bis morgen finde.
Ich lasse mich ungern von Ethan von Zuhause abholen.
Die Sonne ist schon fast ganz untergegangen. Am Himmel tanzen die Farben Blau und lila, während im Westen nur noch ein leichter roter Schimmer zu sehen ist. Es sieht wunderschön aus.
Mein Blick fällt auf die andere Straßenseite, wo ein Pärchen Hand in Hand spazieren geht - der Mann flüstert seiner Liebsten gerade etwas ins Ohr, woraufhin sie lacht.
Lächelnd beobachte ich sie kurz, während ein leichter Stich mein Herz trifft.
Warum scheint die Liebe bei all den anderen so einfach? Bei mir ist sie dafür komplizierter denn je. Wofür werde ich bloß bestraft? War ich in meinem früheren Leben ein solcher Unmensch, dass ich jetzt keine Liebe verdient habe?
Wie sagt meine Mutter früher immer? 'Warte nicht darauf, lass dich einfach mitziehen. Der Richtige wird schneller an deiner Seite sein, als du glaubst. Und dann wünschst du dir nichts anderes mehr als mit dieser einen Person dein Leben zu teilen.'
Aha...und wo ist dieser 'Richtige'?!
"Kay?"
Das kann doch jetzt nicht wahr sein...
Ich bleibe stehen und beuge mich nach vorne, um in das Auto, das gerade stoppt, reinzugucken. "Was zum Teufel machst du hier? Lauerst du mir etwa schon auf den Weg nach Hause auf?!" Isaac greift nach hinten und hebt dann etwas hoch. Seine Lieblingsschokolade - Hershey White Chocolate Pudding.
"Ich habe dich an der Kasse vom Supermarkt gesehen. Du standest aber zu weit vorne. Ich hatte keine Chance, mit dir zu sprechen und durch den ganzen Laden brüllen wollte ich auch nicht."
Toll, jetzt kann ich nicht mal einkaufen gehen, ohne meine Ruhe zu haben.
Ich verschränke die Arme, die Tüte schlägt dabei ein paar Male gegen meine Seite, aber das ist mir egal. Isaac seufzt. "Kann ich dich nach Hause fahren?" "Ich weiß nicht, was würde denn dein Freund dazu sagen, wenn du das tun würdest?", provoziere ich und sehe ihn wütend an. Er fährt sich durch die Haare. "Kay, du kennst mich. Ich-" "Genau, ich kenne dich! Wer sagt mir denn, dass du die gleiche Nummer vor sechs Jahren nicht nochmal abziehst?" Er beugt sich herüber und öffnet die Autotür auf meiner Seite. "Steig bitte ein. Ich würde zwar gerne mit dir sprechen, aber unter anderen Umständen. Zum Beispiel wäre es mir lieber, wenn wir nicht so reden."
Pff, ich denke ja gar nicht daran, zu ihm ins Auto zu steigen!
"Kayden, steig jetzt in das verdammte Auto, du Sturkopf." "Ist ja gut! Aber nur, weil es in letzter Zeit zu vielen Überfällen in der Gegend gab.", lüge ich und steige ein. Er schüttelt lächelnd den Kopf. "Du bist immer noch so ein Spinner." "Sorry, mein Freund durfte mich so nennen, jetzt sitzt hier nur ein Arschloch neben mir.", brumme ich, während ich mich anschnalle. "Kay, bitte lass es mich erklären. Ich dich nicht belogen, ich habe wirklich keinen Freund." "Ach ja? Und warum hast du dich dann so benommen? Und mit wem hast du dann telefoniert? Mit deinem Bruder ganz sicherlich nicht."
"Gibst du bitte deine Adresse ins Navi ein?" Ist das jetzt sein Ernst?! Ich sehe ihn fassungslos an. Als er meinen Blick bemerkt, seufzt er. "Ich werde dir deine Fragen beantworten, aber ich kann dich nicht nach Hause fahren, wenn ich nicht weiß, wo du wohnst." Auch wieder wahr.
Er startet den Wagen und folgt der Anweisung, nach rechts zu biegen. "Also?", hake ich gleich nach. Isaac blickt kurz in meine Richtung, bevor er wieder nach vorne schaut. "Es sollte wirklich nicht so rüberkommen, als hätte ich-" "Mit deinem Freund geredet?" Er schweigt kurz, nickt dann aber. "Kay, du kennst mich lange genug, du weißt, wann ich lüge."
Das stimmt...Immer, wenn er wegen irgendwas geschwindelt hatte, konnte ich es ihm sofort ansehen - seine rechte Augenbraue zuckte dann jedes Mal.
Das sah immer so süß aus, dass ich ihm nie lange böse sein konnte. Jetzt sind es andere Zeiten. Und wir haben uns ebenfalls geändert - beziehungsweise ich.
"Okay, ich gebe zu, dass ich nicht mit Tristan telefoniert habe." Ich warte, bis er weiterspricht. Er beißt sich auf die Unterlippe. "Ich habe mit einem Freund gesprochen, der...wirklich sehr homophob ist und nichts von uns beiden weiß...von unserer Vergangenheit." Er schluckt. "Und ich weiß nicht, wie er darauf reagieren würde, wenn er erfahren würde, dass ich mit dir Kontakt habe." "Er hat keine Ahnung davon, dass du schwul bist?" Er schüttelt den Kopf. "Und warum bist du mit ihm befreundet, wenn er doch so ist?" "Er war in schweren Zeiten für mich da."
Er fährt in meine Straße rein. Sein Blick ist starr nach vorne gerichtet, als ich ihn mustere. Erst jetzt fallen mir seine Augenringe auf.
"Du hast wohl nicht viel geschlafen?" Wieder schüttelt er den Kopf. "Mir schwirrte zu viel im Kopf herum." Ich wende mich zu ihm um, sodass mein Knie sein Bein berührt. "Isaac-" "Kay, ich weiß, ich habe eigentlich all das versaut, was man versauen hätte können. Aber es tut mir wirklich so leid. Ich habe es mir selbst nie verziehen, was ich dir angetan habe. Ich wollte dir niemals weh tun. Ich liebe...ähm, ich...habe-" "Sie haben Ihr Ziel erreicht", unterbricht ihn die Frauenstimme seines Navis. Lächelnd nehme ich seine Hand und drücke sie. "Ist schon okay." "Kayden-" "Du musst nichts sagen, Isaac."
Bitte nicht, sonst springe ich ihn noch an...Warum muss er auch so süß und heiß zugleich sein? Das ist doch unfair!
Und ich will ihm auf keinen Fall wieder verfallen.
Gut, doch will ich, aber...Ich sollte aus diesem Auto raus, bevor ich noch vollkommen die Kontrolle verliere und mich vielleicht noch peinlich mache.
"Ähm...also ich sollte-", mein Blick fällt auf seine Lippen, "dann mal reingehen. Es ist schon spät." Er nickt und fährt sich mit seiner Zunge über die Unterlippe.
Gott, das sieht immer noch so sexy aus...
Ich lehne mich zurück und schnalle mich ab. "Also...danke, dass du mich nach Hause gefahren hast." Isaac streicht sich ein paar Strähnen nach hinten. "Ich weiß, es kommt jetzt vielleicht blöd, aber...können wir vielleicht Freunde sein?"
"Freunde? Ja, ja! Klingt super. I-ich-", ich öffne die Tür und steige aus, "Wir können uns ja nochmal irgendwann treffen. Nochmal danke fürs bringen." "Ist alles in Ordnung?"
Warum fragen mich das denn heute alle? Wirke ich denn so verrückt?!
"Klar! Bin einfach ein bisschen müde. Kennst mich ja, wie aufgedreht ich werden kann, wenn ich nicht genug Schlaf bekomme." Er streckt mir die Hand entgegen. "Dann gute Nacht, Kayden." Vorsichtig greife ich nach ihr. Augenblicklich wird mir warm.
Warum reagiere ich bloß so auf ihn? Man, das ist doch erbärmlich...
"Gute Nacht, Isaac."
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