Der Wolf ohne Pranken
Ich weiß nicht wieviel Zeit schon vergangen ist, seit ich hier bin. Ich weiß noch nicht mal, ob es gerade Tag oder Nacht ist. Diese ehlende Leuchtstoffröhre über mir brennt die ganze Zeit.
Ich hätte Yunho fragen sollen, als er hier war, dann hätte ich jetzt wenigstens einen Anhaltspunkt. Aber würde es was ändern? Ich schaue hoch an die Decke.
Die Lampe ist so grell, dass ich Kopfschmerzen bekomme.
Ich sehe mich erneut in meinem trostlosen Verließ um und mir wird bewusst, dass ich froh sein sollte, dass sie an ist. Ansonsten wäre es hier drinnen nämlich zappenduster. Ich erschauere alleine bei der Vorstellung.
Ich sitze auf dem Bett, meine Beine baumeln über der Bettkante und ich tippe mit meinen Zehen abwechselnd auf den schmutzigen Boden. Ich meine, irgendwas muss ich schließlich tun. Ich verziehe den Mund. Ich glaube im Stockdunkel würde ich tatsächlich durchdrehen. Mir ging es ja so schon nicht wirklich gut.
Mit einem Stöhnen lasse ich mich nach hinten fallen, drehe meinen Kopf Richtung Wand und ziehe mir die schwere, kratzige Decke bis über die Ohren.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein, denn ich werde wach, als das Piepen der Tür ertönt. Ich luke neugierig über die Decke hinweg. Ich erwarte Yunho.
Als die Tür den Blick auf die Person freigibt, zieht sich alles in mir krampfartig zusammen. Igitt. Es ist der Wolftyp.
Ich ziehe mir die Decke über den Kopf.
"Guten Morgen. Prinzessin" flötet er. Ich höre, wie die Tür sich hinter ihm schließt.
Ich bleibe unter der Decke und rühre mich nicht. Es wäre mir am liebsten, er würde einfach wieder abziehen. Aber ich weiß, dass er mir diesen Gefallen wohl nicht tun wird. Was er wohl will? Ich blinzel leicht über den Rand der Decke.
Er steht vor der Liege und grinst mich an. Klar, der kann grinsen. Dieser Arsch. Gott, werde ich gerade wieder wütend. Ich hätte ihn gern angefaucht 'Was willst du hier?' , aber ich schlucke es hinunter und warte einfach ab. Ich lasse ihn nicht aus den Augen.
Er trägt ähnliche Klamotten wie das letzte Mal. Er scheint auf schwarz zu stehen. Na passt auch zu einem Wolf. Der Wolf aus dem Rotkäppchen ist schließlich auch schwarz. Aber ich bin verdammt nochmal kein Rotkäppchen. Meine Hände krallen sich in die Decke.
Er macht noch einen Schritt Richtung Liege, jetzt stoßen seine Knie an die Bettkante. 'Bleib ja weg' fauche ich in Gedanken. Halte aber weiter meinen Mund.
Was hält er denn da in der Hand? Ich stütze mich leicht hoch um einen Blick darauf erhaschen zu können und er nutzt den Moment und reißt mir mit der anderen Hand in einem Ruck die Decke weg.
Ich schreie kurz auf und komme mir nackt vor, obwohl ich zum Glück vollständig angezogen bin. Meine Sachen sind zwar durch die Verfolgungsjagd verschwitzt, verdreckt und teilweise zerissen, aber immerhin bedecken sie noch alles.
"Was soll das?" fauche ich nun doch.
Er runzelt die Stirn und setzt sich neben mich auf die Bettkante. Ich hätte ihn jetzt zu gern in seinen Allerwertesten getreten, verkneife es mir jedoch, stattdessen schaue ich ihn grimmig an.
"Hey, ich will nur dein Bein neu verbinden. Der alte Verband kann schließlich nicht ewig drauf bleiben."
Ich schaue ihm in die Augen und nicke langsam. Das macht Sinn. Aber trotzdem. Ich strecke meine Hand aus. Meine Handfläche zeigt nach oben "Ich will das machen". Meine Worte unterstreichen die Geste.
Sein Gesicht zeigt keine Reaktion und auch seine Hand mit dem Verbandszeug bewegt sich nicht. "Nein, das mache ich." Sein Ton klingt stark nach 'keine Widerrede' aber ich versuche es trotzdem, das Letzte , was ich will ist, dass er mich nochmal anfässt.
"Gib schon her. Ich kann das genauso gut alleine" Mein Tonfall klingt genervt und darauf bin ich stolz, denn ich möchte ihm meine anderen Gefühle nicht zeigen. Er soll nicht wissen, wie sehr er mich einschüchtert.
Sein Gesichtsausdruck ist hart wie Stein. "Princess. Du solltest nicht mit mir diskutieren."
Ich halte inne. Alles in mir. Sogar meine Atmung setzt den Moment aus. 'Ist das eine Drohung?'
Abschätzend sehe ich in sein Gesicht. 'Würde er mich wieder schlagen? Oder Schlimmeres? War es das wert? ' Ich sehe auf mein Bein. Wenn ich ehrlich bin, musste ich zugeben, dass ich einen permanenten Schmerz spüre und es immer noch in der Wunde pulsiert. Ich hatte mich nur schon an den Schmerz gewöhnt und mich mit ihm arrangiert, denn er zeigt mir, dass ich lebendig bin. Lebendig in diesem toten, trostlosen Raum. Gleichwohl wollte ich keine schwere Entzündung riskieren und an einer eiternden Wunde in diesem elenden Verließ krepieren.
Ich versuche in seinen Augen zu lesen, doch ganz ehrlich, ich sehe nichts, was hilfreich sein könnte. Er bleibt für mich unberechenbar. Ich kann ihn einfach nicht einschätzen. Ich fluche leise und ergebe mich innerlich. 'Ok Wolf. Diese Runde geht an dich.'
Jetzt zucken seine Mundwinkel und er lächelt leicht. "Nicht fluchen, princess."
'Arrgh. Dieser Typ.'
Ich gebe also nach und setze mich auf. Ich ziehe mein Bein an und beginne die schmutzige, zerrissene Jeans nach oben zu krempeln. Das ist gar nicht so einfach und ganz schön umständlich aber ich würde auf gar keinen Fall meine Hose vor diesem Honk komplett ausziehen. So weit kommt es noch.
Ich habe es fast geschafft die Hose weit genug hochzukrempeln und schiele zu ihm rüber. Sein finsterer Blick lässt meine Hände zittern, ich muss den Jeansstoff fester fassen.
"Ich habe gesagt, das mach ich" keift er und streckt seine Hand nach mir aus. Ich zucke zusammen, habe aber die Hose zum Glück schon weit genug hochgewurschtelt. Ich weiche mit dem Oberkörper schnell zurück und strecke ihm mein Bein hin. "Ist ja schon gut. Immer mit der Ruhe. Ich hab doch nur die Hose hochgemacht" sage ich hastig. Er zieht die Augenbrauen hoch und sieht mir mit seinem stechenden Blick direkt in die Augen. Ich versuche ruhig zu bleiben und in seinem Gesicht zu lesen, was er nun tun wird. Wird er jetzt wieder ausrasten? Ich bereite mich innerlich darauf vor, habe aber überhaupt keine Ahnung, was er gerade denkt.
Seine Mundwinkel verraten mir, dass er dafür aus meinem Gesicht gerade eine Menge ablesen kann.
Unsicher schaue ich nach unten. Mein Blick fällt auf meinen Unterschenkel der nun auf seinem Oberschenkel liegt. Oh nee, auch kein besserer Anblick.
Zum Glück ist der Streifschuss an der Wade und nicht weiter oben. Trotzdem merke ich, dass meine Wangen rot werden, als er nun beginnt den alten Verband abzuwickeln. Der Verband klebt richtig an der Wunde und er muss ein bisschen daran ziehen um ihn zu lösen, kein gutes Zeichen. Die Wunde ist noch offen, und das bisschen Grind, das sich schon gebildet hatte, wird nun mit abgerissen. Es blutet wieder. Ich sehe schnell weg. Ich war noch nie gut darin Blut zu sehen. Wenn in Filmen Szenen von Operationen gezeigt werden, halte ich mir immer die Augen zu und selbst bei einer Impfung beim Arzt sehe ich immer weg.
Er quittiert das mit einem Grinsen. "Du kannst es selbst, ja?" fragt er genüsslich.
'Ja klar. Punkt für dich.' Ich verdrehe die Augen, da ich mich weggedreht hatte, kann er es nicht sehen. Dann hole ich tief Luft, beiße mir auf die Unterlippe, drehe meinen Kopf zu ihm und zwinge mich hinzusehen. "Ja" sage ich stur.
Seine Schultern beginnen leicht zu wackeln, er unterdrückt wohl ein Lachen. Sein Gesicht kann ich im Moment nicht sehen. Er hat sich nach vorn gebeugt und sieht sich die Wunde genau und konzentriert an.
"Mhm" grummelt er. Es klang nicht gerade zufrieden. Er wischt nun mit einen Waschlappen vorsichtig über die Wunde. Ich kneife meine Augen zusammen, zum einen weil es mir hilft das Brennen auszuhalten, zum anderen weil ich ihn so besser beobachten kann. 'versucht er tatsächlich gerade sanft zu sein? Oder verliere ich durch das Blut und den Schmerz jetzt vollkommen den Verstand?'
Ich seufze leise. Warum haben diese Idioten auch auf mich geschossen? Ich hatte doch gar nichts getan.
"Das kann jetzt etwas brennen" höre ich ihn jetzt sagen, während er eine Salbe aus einer Tube auf einem weißen Tuch verteilt. Ich nicke nur gleichgültig. Es hat ja gerade schon gebrannt, ich glaube also zu wissen, was mich erwartet.
Aber weit gefehlt. Er hatte Recht. Es brennt wie Feuer als er nun das Tuch auf die Wunde auflegt. Das Pulsieren in meinem Bein nimmt schlagartig zu und der Schmerz zieht bis hoch in meinen unteren Rücken. Ich beisse die Zähne zusammen und verdrücke mir ein Jammern. Nur an den kleinen verräterischen Tränen in meinen Augen, kann man sehen, wie groß der Schmerz ist. "Bist du sicher, dass diese Salbe dafür auch geeignet ist?" zische ich.
"Lässt gleich nach" sagt er lässig, während er den neuen Verband auspackt und anschließend beginnt ihn um mein Bein zu wickeln. Für einen Mann hat er recht kleine Hände, wie ich bemerke. Passt gar nicht zu einem Wolftyp wie ihm. 'Große Pranken würden besser passen.' denke ich und versuche mich so vom Schmerz abzulenken.
Argh, dieser Typ! Er wickelt mein Bein nicht ein, er schnürt es ein. "Nicht so fest!" beschwere ich mich prompt. Er wirft mir einen verständnislosen Blick zu und macht unbeirrt weiter.
Ich sage nichts mehr. Ist eh sinnlos.
Während ich versuche so vorsichtig wie möglich meine Jeans wieder über den Verband nach unten zu schieben, sammelt er flink den alten, blutigen Verband, die aufgerissene Verpackung der neuen Binde, den Waschlappen und die Tube mit der Wundheilungssalbe ein und steht auf. "So. Das wars schon."
Ich sehe auf. Er geht zur Tür, legt seinen Daumen auf den Scanner und drückt die oberste Taste. Das Piepen ertönt.
"Wie spät ist es eigentlich?" frage ich noch schnell, bevor er entgültig den Raum verlässt.
Er bleibt stehen und sieht nochmal über die Schulter zu mir. Er hebt langsam seinen linken Arm um auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk zu sehen.
"Halb elf"
Dann dreht er sich um und schreitet durch die Tür, die sich mit einem Piep hinter ihm schließt.
Die Lampe blinkt wieder rot.
'Halb elf morgens oder nachts?' überlege ich. 'Wahrscheinlich morgens, denn er hat beim reinkommen 'guten Morgen' gesagt. Oder hat er das nur gesagt, weil ich geschlafen habe, und er mich geweckt hat? Ich bin echt verwirrt und eigentlich nicht wirklich schlauer als vorher. Na toll.
Ich sitze mit angezogenen Beinen im Bett und warte. Ich starre auf die Stahltüre und warte einfach.
Ich warte darauf, dass sich die Tür wieder öffnet und einer der Beiden - der Wolf oder Yunho mit einem Frühstück oder einem Mittagessen rein kommen würde. Wobei ich mehr auf Yunho hoffte, denn vom Wolf hatte ich erstmal genug.
Diese Brühe war nämlich nicht wirklich sättigend gewesen und ich könnte schon langsam mal was richtiges vertragen.
Ich seufze. Mein Magen knurrt und der Raum wirkt auf mich gleich fünfmal so trostlos wie vorher.
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