Pistolen, Messer und nackte Haut
Jäh unterbrach ein Handyklingeln das Gespräch. Jimin fischte ein Smartphone aus seiner enganliegenden Jeans. Seine weichen Gesichtszüge gefroren beim Blick aufs Display. Obwohl er bis eben noch lässig am Tisch gefläzt hatte, war nun jeder Zentimeter seines Körpers in Spannung. Seine Muskeln traten deutlich unter seinem Shirt hervor, und ich begriff, dass er bei weitem nicht so schlaksig war, wie er zunächst gewirkt hatte. Zornfalten verengten seine Augen zu Schlitzen und seine Stimme war scharf wie ein Beil, als er antwortete: „Wir kommen!" Wer auch immer da am anderen Ende war, er hatte keine guten Nachrichten und es schien dringend zu sein. Noch während des Telefonats stürmten die Jungs aus dem Esszimmer. Jungkook war der Erste und übernahm sofort das Kommando.
Ich hatte keinen Plan, was passiert war. Völlig verdattert, blieb ich zurück. Obwohl der Raum wie eine Halle war, erschien er mir jetzt stickig und eng. Ich steckte tief in der Welt der Mafia. Ihr Aufbruch hatte mich äußerlich wie zur Salzsäure erstarrt zurückgelassen, doch in meinem Inneren wirbelte es wild durcheinander.
Denn die Details waren mir nicht entgangen: Ihre zu allem entschlossenen Mienen, ihre versierten Griffe an ihre Gürtel und Stiefel; das Hervorblitzen von Pistolengriffen und Messerklingen, als sie hektisch aufsprangen.
Nur Tae hatte als Einziger meinen Blick bemerkt gehabt. Seine Hand war darauf hin zu seinem Hemd gewandert und hatte es so weit hochgeschoben, dass es mir nicht nur Einsicht auf seine Pistole, sondern auch auf die nackte Haut an seiner Hüfte ermöglicht hatte. Als ob ich darauf scharf gewesen wäre! Idiot. Ein anzügliches Zwinkern hatte er sich auch nicht verkneifen können, bevor er den anderen gefolgt war.
Puh. Langsam drehte ich den Kopf Richtung Pool mit der Hoffnung, dass der Anblick des klaren, türkisen Wassers mein Gemüt beruhigt.
Keine Ahnung, was mir am meisten Sorgen machte: der Gedanke, dass sie bewaffnet sind, dass sie sich in Gefahr bringen, dass sie ein Verbrechen begehen oder dass mein Bruder mittendrin war.
Alles Scheiße.
Ich hätte nie mit Hoseok hierher kommen dürfen.
Gedämpfte Stimmen drangen zu mir. An der Haustür schien es eine Diskussion zu geben.
Auch ohne, dass ich ihnen gefolgt war, wusste ich, um was es ging: Um mich.
Keine Minute später war Jin zurück.
Aha. Er hatte also das Los gezogen, auf mich aufzupassen. Oder sollte er überwachen, dass ich nicht abhaue?
Plötzlich kam ich mir vor, wie ein Hund im Zwinger. Mein Herz schlug schneller. Das musste ich testen. Wie beiläufig stand ich auf und lief durch die große Tür, durch die die Jungs eben verschwunden waren.
Ein langer Gang erstreckte sich vor mir, an dessen Ende ich die Eingangstür vermutete.
„Wo willst du hin, Y/n?" Jin vertrat mir den Weg.
„Raus." Ich zuckte die Schultern und versuchte, an ihm vorbei zu kommen. „Jungkook meinte doch vorhin, ich kann in den Park."
„Tut mir leid. Erst wenn er wieder da ist." Seine Stimme war sanft, aber sein Gesicht glich einem Brocken Granit. Er würde sich nicht erweichen lassen.
„Aber ...", setzte ich dennoch an.
„Nein!", unterbrach er mich so schroff, dass ich zusammenzuckte.
Er blinzelte verlegen und in seinem Gesicht zuckte es, der Granit bekam Risse.
„Wenn die anderen zurück sind, kannst du jederzeit hinaus in den Park. Es geht um deine Sicherheit, Y/n. Und ich habe meine Anweisungen", versuchte er sich zu erklären. Er würde seine Meinung nicht ändern, aber seine Augen sprachen für sich: Es tat ihm leid.
Ich schluckte. Mein Herz stolperte und ein bitterer Flaum lag auf meiner Zunge. Sein Kaffee war wohl doch zu stark für mich gewesen.
Ich machte auf dem Absatz kehrt und lief zurück ins Esszimmer und von dort die Treppe hinauf. Ohne Ziel. Alles, was ich wollte war Abstand von Jin.
Erst als ich oben war, bemerkte ich den Fehler.
Mist.
Alles, was ich von diesem Haus kannte, war Jungkooks Zimmer. Und das war der letzte Ort, an dem ich mich freiwillig aufhalten wollte und mich alleine in der Villa umzusehen, käme mir wie rumschnüffeln vor. Die bloße Vorstellung auf etwas zu stoßen, das nicht für meine Augen bestimmt war, versetzte mich in Panik.
Laut seufzend kehrte ich zu Jin zurück.
Dieser lehnte an der Küchentheke und lächelte mir zu.
„Nimm es uns nicht übel. Wenn Jungkook wieder da ist, wird er dir die Villa zeigen."
Ich ging nicht drauf ein, denn ich war mir nicht sicher, ob ich mehr von dieser Villa sehen wollte. Eigentlich wollte ich gerade nur weg. „Er hält mich also wegen Hongjoong hier fest?", hakte ich nach. Es war mit Absicht etwas spitz formuliert, doch Jin widersprach nicht, sondern nickte nur.
Na toll. Meine Schultern sackten herab und ich ließ mich schwer wie ein nasser Sack am Tisch nieder, an dem wir vorhin noch alle gefrühstückt hatten. Mein Blick wanderte hinaus in den Park. Der Herbstwind fuhr ruppig durch die kahlen Äste, dass diese sich krümmten, als würden sie ausgepeitscht. Und dennoch strahlte die Sonne wie an einem Frühlingstag. Wie ironisch.
Sollte ich es wagen, abzuhauen? Immerhin war ich mit Jin alleine. Die Gelegenheit schien günstig. Ich könnte ihn ablenken und rausschleichen.
Aber was dann? Jungkook hatte Recht. Sollte Hongjoong mich finden, wäre das mein persönlicher Albtraum. Und diese Villa war wenigstens kein Verlies.
Ich vermied es, Jin zu fragen, wo die anderen so plötzlich hin sind. Lieber wollte ich es gar nicht wissen. Je weniger ich über die Mafia wusste, umso besser.
„Wollen wir uns schonmal an die Arbeit machen und etwas recherchieren?", hörte ich mich dennoch fragen. Denn die Angelegenheit um den Tod meiner Eltern musste aufgeklärt werden, ohne ein Ergebnis in dieser Sache, würde ich Hoseok hier nicht wegbekommen. Außerdem konnte etwas Ablenkung nicht schaden.
Ich neigte den Kopf, während ich auf Jins Antwort wartete. Ich rechnete mit Widerworten, doch Jin strahlte mich an und nickte. „Gern."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro