
Mit der Kraft des Meeres
Die dichten, grauen Wolken ließen keinen einzigen Lichtstrahl durch.
Die See war rau. Ein eisiger Wind fegte darüber hinweg und peitschte die Wellen vor sich her, bis sie mit lautem Getose unter mir gegen die Felswand donnerten.
Ich konnte nicht sehen, wie sie auf den Fels trafen, dafür war die Klippe zu steil.
Aber ich hörte es donnern, rauschen und gurgeln. Es klang, als wöllte das tosende Wasser die ganze Felswand verrücken. Bei besonders großen Wellenbrechern spritze die Gicht bis zu mir hoch.
Der Wind pfiff mir um die Ohren. Die Möwen kreisten über den überschäumenden Wassermassen und kreischten, als wollten sie die Wellen in ihrem Ungestüm anfeuern.
Ich bewunderte die Meereswogen für ihre Kraft und Ausdauer und das Zitat aus dem kleinen Café kam mir wieder in den Sinn:
Love,
love madly,
love more than you can.
And if they say that it is a sin.
Love your sin and you will be innocent.
Ich war genauso aufgewühlt wie das Wasser da unten.
Mein Entschluss stand fest und doch tobte es in mir. Mein Wunsch peitschte gegen die Barriere meines Verstandes, wie die Wellen gegen die Felsküste.
Meine Finger schlossen sich fester um das Telefon in meiner Hand.
Es war das Gerät, das Hoseok von diesem Suga bekommen hatte.
Ich würde Jungkook anrufen. Auch wenn es töricht war, mit einem Mafiaboss Kontakt aufzunehmen. Aber ich musste meinen Dank ausdrücken, sonst würden meine Schuldgefühle mich eines Tages verschlingen.
Danach könnte ich mir in Ruhe überlegen, ob ich hierbleiben oder zurück nach Seoul gehen sollte.
Dabei wusste ich es schon. Ich wollte zurück. Und auch das war total verrückt. Der blanke Wahnsinn.
Aber es nützte nichts: Ich vermisste die Stadt, meine Uni, meine Freundinnen, Bounty und allgemein mein altes Leben. Diese nasskalte, matschbraune Insel gab mir keinen Trost.
Meine Schwester Ye-eun schon, aber sie hatte so viel zu tun, dass ich sie nur an den Wochenenden zu Gesicht bekam. Das reichte mir nicht. Außerdem wollte ich ihr nicht dauerhaft zur Last fallen.
Der Wind kniff mir in die Wangen. Bald würde es Winter werden. Wenn der Herbst schon so eisig, matschig und trist war, wollte ich den Winter in Irland nicht erleben.
Aber in Seoul warteten größere Gefahren als kalter Wind, Regen, Matsch und wenig Sonne. Ein Mafia Boss stellte mir nach und auch wenn er mich gerettet hatte, so wusste ich wenig über sein eigentliches Motiv. Immerhin war ich Zeugin eines Mordes, den er begangen hatte. Und noch gefährlicher war der Wolf und seine Jäger.
Der bloße Gedanke an ihn peitschte meine Atmung an, wie der Wind die Wellen und ich krampfte meine Finger fester um das Telefon, sah beim Ausamten auf den grauen Horizont und zwang mich, langsam zu zählen: eins,..zwei,...drei..., vier,,,,
Der Wolf war unberechenbar. Dennoch würde ich jede Wette eingehen, dass er bereits darauf brannte, sich an Hoseok zu rächen. Immerhin hatte der ihn hintergangen.
Ich öffnete leicht die Lippen und ließ die Atemluft nach draußen strömen, über das Donnern der Wellen zählte ich mit: eins.., zwei..., drei, ...vier...
Ich musste mit ihm mit, schon um auf ihn aufzupassen und dafür zu sorgen, dass er nicht in die Pranken dieses Wolfs fiel, denn der würde ihn zerfleischen, bis nichts mehr von ihm übrig blieb. Und das würde ich nicht verkraften.
Einen weiteren Verlust würde ich nicht aushalten. Niemand durfte mir Hoseok nehmen.
Erneut atmete ich bewusst aus. Das Handy lag noch immer in meiner Hand.
Erstmal anrufen, dann konnte ich mir um den Rest Gedanken machen. Dann wäre ich befreit von dieser quälenden Schuld.
Ich drehte mich um, um mich ein paar Schritte von der Steilküste und ihrem Lärm zu entfernen und erstarrte, als mein Bruder hinter mir stand. Ich hatte ihn aufgrund der lauten Geräuschkulisse nicht kommen hören.
„Ich fliege morgen zurück", rief er mir über den Wind hinweg zu.
Die Nachricht war so stechend wie der Wind.
Morgen.
Ich hatte gehofft, ich hätte noch etwas mehr Zeit.
Aber es wunderte mich nicht.
Ich sah in Hoseoks Gesicht, das von seiner Kapuze umrahmt wurde, zwei seiner weichen, kastanienbraunen Locken lugten darunter hervor. Das war das Einzige, was im Moment darin weich wirkte. Seine Lippen waren schmal, seine Augen blickten unbeirrt. Er war fest entschlossen.
Ich lief auf den kleinen Wanderweg, der längs der Küste zurück in den Ort führte und deutete ihm an mir zu folgen. Als wir schon etwas abgestiegen waren und der Wind hinter einer Felskuppe nicht mehr ganz so stark pfiff, fragte ich ihn:
„Du willst wissen, was vor 8 Monaten passiert ist, stimmt's?"
Hoseok nickte. „Ich finde sonst keine Ruhe." Mit sehnsüchtigem Blick sah er auf das aufgewühlte Meer.
Wir waren eben doch Zwillinge.
„Das ist gefährlich", stellte ich fest.
Er nickte wieder. „Deswegen solltest du hier bleiben."
Ich schnaubte nach Luft. Es machte mich wütend bevormundet zu werden, während alle Anderen einfach machten, wonach Ihnen der Sinn stand. Ich merkte, wie die Wut in mir hoch stieg, aber dann fiel mir etwas auf: er hatte solltest nicht sollst gesagt.
Ich sah ihn abschätzend an.
„Ich werde dir keine Vorschriften machen. Ich habe dich mit meinen falschen Entscheidungen schon genug in Gefahr gebracht", ergänzte er etwas leiser. Sein Mund verzog sich zu einem Schmollmund. Gott sah das süß aus, und ich weiß nicht wie Ye-eun das machte, aber ich konnte ihm einfach nie lange böse sein.
Und ich würde ihn vermissen, wenn er weg wäre. Genauso wie ich ihn schon in Seoul vermisst hatte, aber da hatte ich ja gehofft, dass er eines Tages zurückkommen würde.
Und ich würde mich sorgen. Besonders jetzt, da ich wusste, was er vorhatte. Auch wenn er viel Mist machte; er war meine bessere Hälfte. Ich konnte ihn nicht alleine gehen lassen. Ich würde ihn begleiten und auf ihn aufpassen. Wir würden einen Weg finden, herauszufinden, was damals bei dem Unfall passiert ist, ohne uns zur leichten Beute zu machen.
„Ich begleite dich!"
Er sah mich traurig an. „Das hatte ich befürchtet."
Ich knuffte ihn spielerisch in die Seite. Ich war erleichtert. Endlich hatte ich ausgesprochen, was ich wollte.
Ich sah wieder auf die See. Die Wellen in mir hatten sich gelegt. Ich fühlte mich so stark wie das Meer.
Ich steckte das Handy zurück in die Jackentasche und wir machten uns an den Abstieg.
Einige Stunden später
Der kleine Rucksack war gepackt - ich war ja ohne Gepäck angereist und hatte mir hier in Dublin nur diesen Rucksack und ein paar neue Klamotten gekauft. Diese wenigen Sachen und zwei kleine Souvenirs waren schnell verstaut.
Jetzt stand ich auf dem Balkon der Wohnung meiner Schwester und zückte das Handy.
Mit zitternden Fingern drückte ich auf den grünen Hörer, um die einzige Nummer zu wählen, die eingespeichert war.
„Mhm?" Eine männliche Stimme meldete sich nach zweimal klingeln. Es klang nicht wie Jungkook. Aber konnte man das bei einem bloßem Mhm überhaupt erkennen?
Ich wurde rot wie eine Tomate und war unheimlich froh, dass der am anderen Ende mich jetzt nicht sehen konnte.
„Ist Jungkook zu sprechen?", fragte ich um eine feste Stimme bemüht. Er musste mir meine Unsicherheit ja nicht gleich anmerken.
„Ich will ihm was sagen" fügte ich unnötigerweise dann noch hinzu, da es am anderen Ende still blieb. Oh mann war das peinlich! Meine Wangen glühten und ich war froh, dass dies kein Videoanruf war, wobei ich dann ja wenigstens gesehen hätte, wer am anderen Ende ist.
„Sofort" vernahm ich es schließlich an meinem Ohr.
Ich wartete und in meinem Bauch kribbelte es vor Aufregung.
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