Feuerleiter
Der Griff um meine Hüfte lockerte sich nicht eine Sekunde. Nicht mal, als der Typ zielstrebig auf die alte Feuerleiter zusteuerte. Ihr Metallgestänge reichte von ihr oben bis runter in den Hof und wie bei einer Bauschuttrutsche ging es steil nach unten. Sie war für Notfälle gedacht, doch einen Eindruck von Sicherheit hatte sie mir nie vermittelt, denn ihre Verankerung war rostig und sie klapperte, wenn der Wind wie heute Nacht an ihr riss.
Meine Augen weiteten sich, als der Fremde sich mit mir der Dachkante näherte. Oh Gott! Was hatte er vor?! Was, wenn er mich gleich wie alten Schutt hinabstößt?
Panisch zappelte ich in seinen Armen, biss in die Hand vor meinem Mund und versuchte, dem Typ gegen die Schienbeine zu treten, oder ihn mit den Ellenbogen zu erwischen. Doch außer das Leder seiner Motorradhandschuhe bekam ich nichts zu fassen.
Der Typ reagierte gelassen. Er hob mich auf die Brüstung, als würde ich nichts wiegen.
„Du solltest jetzt besser still halten und ruhig sein - sonst wird's gefährlich, und zwar für uns beide!" Seine Stimme war tief, weich und seltsam vertraut. Doch mein Hirn war nicht in der Lage, die Puzzleteile zusammenzusetzen. Nicht mehr.
Entsetzt klammerte ich mich an der Balkonbrüstung fest und starrte an der Hauswand hinab auf den schwarzen Beton. Das war doch nicht sein Scheiß Ernst!
Ich zuckte zusammen, als er neben mir seine ellenlangen Beine über die Brüstung schwang. Was zum Teufel, sollte das bitte...
„Keine Angst, ich habe dich!" Wieder zog er mich so fest an sich, dass ich jeden Zentimeter seines trainierten Körpers an meiner Rückseite spürte. „Das ... ist sexuelle Nötigung", japste ich, ohne genau zu wissen, ob seine Unverfrorenheit oder die Höhe, in der er sie zur Schau stellte, meine Stimme so schrecklich dünn werden ließ. „Glaub mir, das ist alles nur zu deinem Besten!" Er kicherte amüsiert, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Doch wenn du schreist, lass ich los!" Mit dieser Drohung wirbelte er mit mir herum, sodass wir beide Richtung Balkonbrüstung blickten. Seine Kraft und Schnelligkeit jagten mir Schauer über den Rücken und ich traute mich nicht, etwas zu erwidern. Mit hämmerndem Herz sah ich zu, wie er eine Hand von mir löste und nach der Leiter griff, dann trat sein Stiefel rückwärts und ich fühlte, wie ich mit nach unten gerissen wurde.
Sein zweiter Fuß folgte und mit einem sicheren Schritt stand er auf der obersten Sprosse. Ich hingegen baumelte von seinem linken Arm umklammert an ihm dran und sah nichts, als den mit Luft gefüllten Spalt zwischen Leiter und Hauswand unter meinen Füßen.
Na Klasse! Ich war dem Tode geweiht!
Wie um den Gedanken zu untermalen, jagte der Wind heulend an der Wand vorbei und brachte das Metall unter seinen Stiefeln zum Wackeln. Oh Gott! Wir werden abstürzen! Ein Schrei bahnte sich den Weg durch meine Kehle, doch der Typ zischte mich an: „Keinen Ton! Oder es wird schlimm enden!" Genau das befürchtete ich ja! Trotzdem biss ich mir auf die Lippen und starrte auf das Mauerwerk vor meiner Nase.
Mein Leben und meine Gesundheit hingen in der Hand dieses Fremden. Und doch kannte ich ihn. Wäre die Panik nicht so überwältigend, wäre mein Hirn sicher in der Lage gewesen, die einzelnen Puzzleteile, die meine Sinne ihm lieferten, zu einem schlüssigen Bild zusammenzusetzen.
Doch so könnte ich frühestens darüber nachdenken, wenn wir unten wären.
Für den Moment jedenfalls hatte ich alle Scheu abgelegt und krallte mich rücklings an seinem Gürtel fest.
Ich hörte seinen gepressten Atem und fühlte den warmen Lufthauch, wenn er ausatmete auf meinem Scheitel. Dafür, dass ich mit fast fünfzig Kilo an ihm hing, bewegte er sich leichtfüßig wie ein Puma Sprosse um Sprosse nach unten.
Je tiefer wir kamen, desto mehr Umrisse zeichneten sich in der Umgebung ab. Schließlich erkannte ich Müllcontainer, Fahrräder, Blumenkästen und eine an die Hauswand gelehnte Schubkarre.
Gerade, als ich erleichtert feststellte, dass es nur noch ein kleines Stück war, ließ der Fremde die Leiter los und sprang. Ich war so geschockt, dass der Schrei ausblieb.
Doch da ich weder auf das plötzliche Loslassen, noch auf das Schreien vorbereitet war, war ich es auch nicht bei der Landung. Mein linker Knöchel knickte um. „A...mhpf!" Der Schmerzensschrei, der mir entfuhr, wurde von dem Handschuh gedämpft, der sich sofort wieder auf meinen Mund presste.
„Schon gut! Das wird wieder! Glaub mir, wenn er dich erwischt, bist du schlimmer dran." Seine Erklärung war wie ein Streifschuss an meinem Ohr. Hongjoong!
Das ganze Adrenalin von dieser wahnsinnig waghalsigen Kletteraktion hatte mein Hirn völligst benebelt. Natürlich! Hongjoong war hier! Wer sonst!
Ich begann zu zittern, doch der Typ zerrte mich am Arm weiter, an Mülltonnen vorbei, immer im Schatten verborgen, in den benachbarten Hinterhof. „Hier rein!" Wir eilten ein paar Treppenstufen hinab, die in ein Kellergeschoss führten.
Er öffnete die Tür und ich schlüpfte hinein, irgendwie erwartete ich, dass er folgen würde, doch er zog die Tür wieder zu. Bevor sie zu fiel, stellte ich den Fuß dazwischen. „Danke, Seonghwa!", flüsterte ich der großen Silhouette hinterher, die im Dunkeln verschwand.
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