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Eine Viertelstunde zu früh parke ich schließlich neben einem schwarzen Mini und steige aus meinem Wagen aus, um Lukas noch ein wenig beim Spielen zuzuschauen.
Das Hobby hat er sich, kurz nachdem ich Louis aus dem Büro geworfen habe, ausgesucht und spielt seitdem ziemlich gut. Nebenbei spielt er zwar immer noch Klavier, aber ich glaube, dass mich dieses Hobby mehr begeistert, als meinem Sohn, aber wenn er beim Fußballspielen glücklich ist, möchte ich ihm diese Freude nicht auch noch nehmen und bin froh, dass er so zwei Mal die Woche etwas für sich tun kann. Ohne seinen Vater.
Den Autoschlüssel verstaue ich in meiner Hosentasche und gehe mit meinem Handy in der Hand auf den Rasen zu. Da die Sonne auf diesen blendet, setze ich meine Sonnenbrille auf und halte nach meinem Sohn Ausschau, der, seitdem er hier im Verein spielt, die Nummer »1« auf seinem Trikot gedruckt hat. Seine Lieblingszahl war nämlich schon vergeben und jetzt stellt er sich damit zufrieden, die Nummer eins zu sein. Auch, wenn er das für mich auch schon vor dem Trikot war.
Vereinzelt sitzen noch ein paar andere Eltern und Jugendliche auf der Tribune, von welchen ich mich jedoch nicht stören lasse und mich auf einen Platz setze, von dem ich das ganze Feld im Auge habe und somit auch meinen Sohn, der gerade voll dabei ist, ein Spiel zu spielen.
„Harry, dich habe ich lange nicht mehr gesehen!", ertönt plötzlich die Stimme von Paige, der Mutter eines Mannschaftskameraden von Lukas, neben mir.
„Es war die letzten Male etwas stressig, wie geht es dir?", entgegne ich und lächle sie an, als sie sich neben mich setzt. „Gut. Jack hat erzählt, dass in der Schule in zweieinhalb Wochen ein Sommerfest stattfindet. Seid ihr beide auch da?" Davon hat Lukas mir auch erzählt, jedoch habe ich es in dem ganzen Arbeitsstress total vergessen, beziehungsweise verdrängt.
„Wir sind dabei. Lukas meinte, dass jeder was mitbringen soll?" Paige nickt und holt ihr Handy aus ihrer Handtasche. „Hier, schau einfach, was dir am besten gefällt und trag Lukas da ein. Dann kommen keine Dopplungen vor." Dankend lächle ich und nehme ihr Handy entgegen, auf welchem ich mir die Liste durchlese, von den Sachen, die wir noch mitbringen können. „Die Brownies.", lächle ich und trage Lukas' Namen ein, bevor ich Paige ihr Handy wiedergebe. „Du backst?", will sie lachend wissen. „Ja, ich bin alleinerziehender Vater. Ich kann auch kochen.", scherze ich und schaue wieder aufs Feld, wo Lukas gerade in meine Richtung schaut und dann zu mir winkt.
Lächelnd winke ich zurück und folge seiner Handgeste, wie er auf seinen Trainer nur ein paar Meter weiter entfernt deutet, der mit dem Rücken zu mir steht und ich sein Gesicht nicht erkenne. Aber mir ist sofort klar, dass das nicht sein üblicher Trainer ist.
Dieser hat nämlich graue, fast weiße Haare und der Mann, der da steht, dessen Haare sind kastanienbraun und sein Hintern, der ist definitiv nicht der eines sechzigjährigen Fußballtrainers. Das ist der Hintern, den ich seit zwei Jahren nur noch in meinen Träumen zu sehen bekomme. Genau so wie den Rest dieses verdammten Körpers.
„Geht es dir gut?", höre ich Paige fragen, jedoch kann ich nur abwesend nicken und schließe langsam wieder meinen Mund. Das kann nicht sein, niemals ist Louis auch in England. In London. Das kann nicht sein, er kann meinen Sohn nicht trainieren.
„Okay Kinder, das Training ist vorbei!", ruft er plötzlich, während sich zeitgleich die erste Träne aus meinem Augenwinkel löst. Das ist er. Das ist Louis' Stimme.
Während ich von der Tribune gehe, um wie ferngesteuert auf Louis zuzugehen, werde ich von Lukas aufgehalten, der mich am Arm zurückhält. Dazu schiebe ich mir meine Sonnenbrille in die Haare und streiche schnell über meine Wangen. „Komm wieder mit ihm zusammen, Dad. Ich will dich wieder ehrlich lächeln sehen.", flüstert er, während ich ihn fest in meine Arme schließe und versuche, nicht zu weinen. Bis jetzt gab es diese Situation nur in meinen Träumen, dass ich Louis wiedersehen werde. Jetzt steht er live und in Farbe hier auf dem Fußballplatz.
„Zieh dich schonmal um, Schatz." Lukas nickt und ist dann schon wieder weg, während ich ein letztes Mal tief durchatme und auf Louis zugehe, der damit beschäftigt ist, etwas auf ein Klemmbrett zu schreiben. „Lapinou?", bringe ich hervor und schlage mir die Hand vor den Mund, als er sich umdreht und mich mit großen Augen anschaut. Und ja, er ist immer noch so hübsch, wie damals. Nein, hübscher. Seine Wuschelhaare hat er immer noch, auch wenn sie ein wenig kürzer sind. Tattoos sind auf seinen Armen dazugekommen und seine Wangenknochen stehen ein wenig hervor, was ihn noch begehrenswerter macht.
„Ha-Harry? Was machst du hier?", fängt er sich und blinzelt ein paar Mal, während ich die paar Meter zwischen uns überbrücke und ihn in eine Umarmung ziehe. Auch, wenn er meine Gefühle wahrscheinlich nicht mehr erwidern wird, fühlt es sich an, als würde er mich schon die ganze Zeit am Leben erhalten.
Und dann bricht alles in mir zusammen. Weinend hänge ich an Louis' Schulter und kralle meine Hände in seinem Rücken, während seine kleineren Hände sich nur leicht um meinen Rücken legen. „Es tut mir so leid.", schluchze ich und vergrabe mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Ich habe ihn wieder. Endlich erinnere ich mich wieder, wie es sich anfühlt, ihn zu umarmen.
„Ich hätte Chris nicht glauben sollen. Gott, ich hätte dich niemals wegschicken sollen." Ein wenig löse ich mich von Louis und streiche ihm eine Strähne von mir aus dem Mundwinkel, die sich bei der Umarmung wohl dort gefangen hat. „Du hast lange Haare bekommen.", flüstert er und nimmt mit bebenden Fingern eine Strähne in seine Hand, bevor er schwach lächelt. „Und sie sind immer noch so weich wie damals." Ich nicke und streiche mir die Wangen trocken. „Es tut mir leid, Louis. Ich hätte dir Glauben schenken sollen und mich nicht auf die Seite meines Bruders stellen sollen. Ich hasse mich dafür, dass ich dich weggeschickt habe." Die Tränen versuche ich bestmöglich aufzuhalten und atme tief durch. Ich habe so verdammte Angst, dass das hier nur ein Traum ist und ich jeden Moment wieder aus diesem erwachen werde.
„Ich bin in Therapie. Es geht schon." Schockiert reiße ich die Augen auf und fange an, etwas zu stottern. „Nicht wegen dir, Harry. Seitdem das mit Christopher passiert ist, habe ich immer Angst, mich Leuten zu nähern. Er kam nochmal vorbei, etwa zwei Monate, nachdem du mich rausgeworfen hast." Louis atmet zittrig aus und dreht sich von mir weg, was einen unangenehmen Stich in meiner Brust auslöst. „Was hat er gemacht?" Ich wusste nicht, dass Chris noch einmal bei Louis war, nachdem er mir die Lüge aufgetischt hat.
„Liam war nicht da, weil er mit Maya ausgegangen ist. Ich dachte, er hätte etwas vergessen und dann bin ich nur mit einem Handtuch um die Hüfte zur Tür-" Die Wut auf meinen Bruder ignorierend, gehe ich auf Louis zu und streiche über seine Wange. „Ist das hier okay?" Ich will Louis nicht verschrecken. Und die Umarmung eben war ziemlich spontan. „Bei dir schon. Ich hasse Nähe zu Leuten, mein Herz rastet immer total aus und mein Körper spannt sich an, bei dir ist das nicht. Das hatte ich noch nie. Wenn meine Therapeutin das erfahren würde, sie würde vor Freude ausflippen. Das ist der Erfolg, den sie sehen will. Sonst lasse ich mich nur von meinen engsten Freunden umarmen."
Stolz schaue ich den Mann vor mir an und umarme ihn vorsichtig. Es fühlt sich so unrealistisch an, ihn tatsächlich wieder in meinen Armen zu halten. Und ich werde alles dafür machen, ihn wieder zurückzugewinnen und die Gefühle wieder in ihm aufflammen zu lassen. Ich möchte alles mit ihm nachholen, was wir in den zwei Jahren verpasst haben. „Ich habe versucht, dich zu erreichen.", murmle ich in seine Haare und ziehe seinen Duft in mich ein. Ich kann mich nicht mehr an seinen damaligen Duft erinnern, aber dieser hier war es nicht. Er riecht fruchtig, frisch.
„Ich habe meine letzten zwei Semester hier in England gemacht, was etwas Umstellung brauchte. Ich habe das ganze System hier anfangs nicht verstanden, aber ich habe schnell ein paar gute Freunde gefunden, mit denen es einfach war, sich hier einzufinden. Ich habe erst seit einer guten Woche mein Abschlusszeugnis und bin offiziell entlassen. Auch wenn ich die Prüfungen schon Ende Mai geschrieben habe.", erklärt er und beißt sich unwohl auf der Lippe herum, weshalb ich vorsichtig meinen Daumen auf diese lege und ihn am Liebsten küssen würde. Aber das kann ich nicht, das darf ich nicht. Louis und ich sind nicht mehr zusammen, wir waren nie zusammen. Ich habe kein Recht dazu, ihn so anzufassen.
Deshalb gehe ich schweren Herzens einen Schritt von ihm weg und fahre mir durch die Haare. „Du machst deine Lippen damit kaputt.", nuschle ich und senke den Blick kurz auf meine Vans. Dann fällt mir auf, dass Louis die gleichen Schuhe trägt, wie ich. Nur in abgenutzter und viel kleiner.
„Bist du wegen Chris hier?", traue ich mich zu fragen und mustere ihn von unten nach oben. Er trägt eine kurze, schwarze Jogginghose und ein Trikot der englischen Nationalmannschaft. „Er war der ausschlaggebende Grund, ja. Ich habe mich in der Wohnung nicht mehr wohlgefühlt und wurde schon paranoid. Überall wo ich war, war auch Christopher. Er hat mich bis in meine Träume verfolgt und-" Louis bricht ab, doch ich verstehe ihn. Ich weiß nicht, ob ich mit meiner Vermutung richtig liege, aber meinem Zwillingsbruder würde ich alles zutrauen.
„Es muss grausam für dich sein, mich anzuschauen. Oh Gott, Louis!", fällt mir plötzlich ein, während ich mir die Hand vor den Mund schlage und ihn panisch anschaue. Ich habe das gleiche Gesicht wie der Typ, der Louis-
„Hör auf zu weinen, Harry. Weine nicht wegen mir." Seine schlanken Arme schlingen sich um meinen Rücken, worauf ich Louis noch enger an mich ziehe. Wenn das hier das letzte Mal ist, dass ich ihm so nah sein kann, muss ich diesen Moment völlig ausnutzen. Im positiven Sinne. Niemals würde ich Louis ausnutzen wollen. Nichtmal ein Haar könnte ich ihm krümmen. Vielleicht beim Sex, aber niemals sonst.
„Aber ich habe sein Gesicht.", entgegne ich, worauf eine Hand zu meinem Nacken fährt, welcher sich unter Louis' Berührung ziemlich entspannt. „Du hast nicht sein Gesicht, Haz. Du hast wunderschöne grüne Augen, ein Lächeln, welches einen noch Jahre später verfolgt. Im guten Sinne. Deine Grübchen um deine Mundwinkel, welche sich bis zu deinen Wangen ziehen. Der Bart, der niemals sichtbar ist. Du bist einzigartig. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen Christopher und dir, aber du bist du, nicht er. Das wusste ich damals auch schon. Die wenigen Momente, in denen ich Panik geschoben habe, waren die Situation, nicht die Person vor mir." Louis holt tief Luft und nickt einem Vater zu, der mit seinem Sohn an uns vorbei geht. Lange dauert es dann auch nicht mehr, bis Lukas fertig angezogen ist.
„Das, was ich damals zu dir gesagt habe, meinte ich auch so, Harry. Ich habe dich geliebt, mit meinem ganzen Herzen." Es ist nur ein Hauchen, trotzdem verstehe ich alles und will gerade antworten, als Lukas neben uns erscheint und mich mit zusammengekniffenen Augen anlächelt. „Ich will nicht drängen, aber wollen wir los oder wollt ihr euch noch weiter unterhalten?", fragt er und kratzt sich am Kopf.
„Schon gut. Ich habe mich gefreut, dich wiederzusehen.", lächelt Louis mit einem echten Lächeln, was mir warm ums Herz werden lässt. „Wir sehen uns wieder, versprochen." Ich hauche einen Kuss auf seine Schläfe und wende mich dann wieder an meinen Sohn, der mich breit angrinst und ich nur meine Augen verdrehe.
„Bye", verabschiedet Lukas sich ebenfalls und reicht mir dann seine Tasche, die ich grinsend schultere und mich noch ein letztes Mal zu Louis umdrehe, der eine Hand hebt und mir winkt. Lächelnd erwidere ich die Geste und lege dann einen Arm um Lukas' Schulter, bevor ich ihn strahlend an mich ziehe.
„Wieso ist Lou hier?", fragt er dann und schaut zu mir hoch. Ich habe Lukas damals alles erklärt, unter anderem auch wieso Louis nicht mehr zu uns nach Hause kommt. Vielleicht war er noch ein wenig jung, aber mit einer Beschönigung der ganzen Situation hat er es doch verstanden.
„Er hat sein Studium hier beendet. Mehr weiß ich nicht.", entgegne ich und lasse den Part von Chris außen vor. Dafür ist Lukas dann doch noch etwas zu jung. Und es wäre Louis' Job, ihm davon zu erzählen, wenn er es denn möchte.
„Er sieht gut aus, oder?" Ich nicke sofort und hole den Autoschlüssel aus meiner Tasche. „Noch besser als damals." Ich höre Lukas kichern und grinse ebenfalls ein wenig. „Hol ihn dir bitte zurück. Ich mag ihn und ihr passt gut zusammen."
„Er hat keine Gefühle mehr für mich, Schatz.", murmle ich und werfe seine Tasche in den Kofferraum. „Doch, er hat nur Gefühle für dich. Ich habe gestern erst einen Film geguckt, wo das Mädchen ihren Freund genau so angeschaut hat, wie ihr euch. Ich habe euch kurz beobachtet." Schön wäre es, Lukas, schön wäre es.
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