
My Hero Asylum
Ein schmerzerfülltes Stöhnen zerschnitt die Stille. Sein Kopf dröhnte und er fühlte sich benebelt, als ob er zu viel getrunken hatte. Tatsächlich konnte er sich daran erinnern, dass er mit seinen Kollegen ein paar Stunden in einer Bar verbracht hatte, ehe sie auf dem Nachhauseweg in einen Kampf mit ein paar Schurken verwickelt worden waren. Doch ab dieser Stelle setzte seine Erinnerung aus, weswegen er annahm, dass er wohl unvorsichtig gewesen sein musste, und einer der Angreifer ihm wohl übel mitgespielt hatte. Zumindest würde es die unerträglichen Kopfschmerzen und den Schwindel erklären, denn schließlich hatte er gerade mal ein Bier getrunken.
Langsam richtete Shota sich auf und stellte fest, dass er auf einem ziemlich unbequemen Feldbett lag. Er war eindeutig nicht im Wohnheim der Lehrer. Schnell – zu schnell für seinen schmerzenden Kopf – sah er sich um. Wo zum Teufel war er? Der Raum wirkte steril, war komplett weiß ausgekleidet und rund, und hatte eine sehr hohe Decke. Den Schwindel ignorierend sprang Eraserhead von der Matratze hoch und versuchte die Situation zu beurteilen. Hatten die Schurken ihn gefangen genommen? Scheiße, wieso erinnerte er sich an nichts.
Obwohl das Licht recht spärlich war, entdeckte er rasch eine schwere Eisentür, die ein rundes Fenster besaß. Schnellen Schrittes ging er darauf zu, versuchte herauszufinden, wie man sie öffnen konnte und begann gegen das Glas zu hämmern, um auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht schaffte er es ja, einen der Schurken in den Raum zu locken, dann würde er ihn mit seiner Fangwaffe schnappen, k.o. schlagen und fliehen. Der Plan nahm bereits eine feste Form in seinem Kopf an, als er merkte, dass das entscheidende Werkzeug für die Ausführung fehlte: Sein Fangtuch war nicht um seinen Hals gewickelt.
Entsetzt sah er an sich hinab. Seine schwarze Heldenuniform war ebenso verschwunden, stattdessen war er komplett weiß gekleidet und barfuß. Nirgendwo in dem kreisrunden Raum konnte er seine Sachen entdecken. Auch wenn Shota Aizawa nur selten Angst hatte und sich für gewöhnlich gut beherrschen konnte, merkte er doch, wie etwas Panik in diesem Augenblick in ihm aufstieg. Vor allem als er sich an das erinnerte, was Yamada ihm gestern Abend noch erzählt hatte.
Erneut hämmerte er gegen das Sichtfenster. Dann musste er es eben ohne sein Hilfsmittel schaffen, aber er musste unbedingt hier raus! Er würde sich nicht gefangen nehmen lassen, damit man ihn einer Gehirnwäsche unterzog, oder in einen Nomu verwandelte. Das würde er keinesfalls zulassen. Niemals. Vor allem würde er sich nicht kampflos ergeben. Außerdem musste er herausfinden, was Hizashi, Nemuri und Toshinori zugestoßen sein mochte, die mit ihm unterwegs gewesen waren.
Als ob jemand seinen Gedanken Gehör geschenkt hätte, tauchte plötzlich Yamadas Gesicht vor dem Fenster auf. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Augenringe dunkler als sonst und er wirkte müde und besorgt. „Er scheint wach zu sein", murmelte der Blonde und wischte eine Haarsträhne, die sich aus dem zusammengebundenen Haar gelöst hatte, aus dem Gesicht. Hinter ihm bewegte sich jemand. „Darf ich zu ihm rein?"
„Ausgeschlossen. Es könnte sein, dass er handgreiflich wird", kam die Antwort von einer unbekannten Person hinter Hizashi. Die Worte stimmten den Blonden sichtlich traurig.
„Verdammt, Mic! Was ist hier los? Hol mich hier raus!", platzte es ungeduldig aus Aizawa, während er weiter gegen die Tür hämmerte, „wo sind die Schurken hin? Was ist passiert? Verdammt nochmal, sag doch was, du weißt, dass ich sowas nicht lustig finde!" Wenn Hizashi das hier nur machte, um ihn ein wenig reinzulegen, dann würde er ihn würgen, sobald er sein Fangtuch wieder zurückhatte. Das würde er ihm büßen.
Doch der Voicehero sah nicht so aus, als wäre das hier ein Streich. Er seufzte schwer und schüttelte kurz den Kopf. „Shota, es gibt keine Schurken. Bitte beruhig dich, sonst kommst du nie aus der Zelle." Besorgt sah er über seine Brille hinweg und versuchte herauszufinden was in seinem Freund vor sich ging, ehe er sich an die Person hinter ihm wandte, die Aizawa nicht sehen konnte. „Wissen Sie, was die Psychose diesmal ausgelöst hat? Ich dachte er wäre auf dem Weg der Besserung?"
„Dachten wir auch. Aber er hat gestern angefangen die Pfleger anzufallen, und sie mit dem Bettlaken zu würgen. Einer wurde sogar ziemlich schwer verletzt. Wenn sich das nicht bessert, müssen wir ihn ruhig stellen, weil er als tickende Zeitbombe nicht wieder zu den anderen Patienten zurückkann und schon gar nicht nach Hause", erklärte ein Mann, der etwas näher getreten war, damit auch Shota ihn sehen konnte.
Ein Glatzkopf mit Schnauzbart, der einen Arztkittel trug. Das Herz des Dunkelhaarigen setzte kurz aus, ehe er die Augen aufriss. „Mic! Das ist der verdammte Doktor, der AFO geholfen und Oboro in einen Nomu verwandelt hat! Los, knock ihn aus!" Er kam sich dämlich vor, dass er seinem Kollegen sagen musste, was er zu tun hatte. Eigentlich sollte der Held es selbst wissen, vor allem nachdem, was er ihm erzählt hatte. Wollte er zulassen, dass ihm dasselbe Schicksal widerfuhr wie ihrem gemeinsamen Freund aus Kindertagen?
Doch Yamada rührte sich nicht, schüttelte nur den Kopf und vergrub sein Gesicht in seinen Handflächen. Ein leises Schluchzen war zu hören. „Schon wieder diese Laier?", fragte er traurig und sah wieder auf, „ich dachte das hätten wir hinter uns. Ich dachte, dass du endlich soweit wärst, dass du wieder nach Hause kannst. Zu mir, zu Eri, dass wir endlich wieder normal weitermachen können. Was ist nur los mit dir?"
Die Worte trafen ihn doch recht hart, obwohl er nicht verstand, warum. War es die Trauer in Hizashis Stimme, oder die Tatsache, dass er ihm die Schuld gab, hier gefangen zu sein, obwohl er ihn doch einfach rausholen könnte? Wieso half der Blonde ihm nicht, sondern kooperierte mit dem Feind? Shota verstand nicht, was hier gerade passierte.
„Schon in Ordnung, Mr. Yamada. Zeigen Sie ihm ruhig, dass Sie traurig sind, vielleicht beendet es seinen Anfall", meinte der Doktor und legte dem Blondschopf tröstend einen Arm um die Schulter. Nun war er näher an der Fensterscheibe und konnte Shota direkt in die Augen sehen. „Mr. Aizawa, Sie befinden sich in einer Anstalt, und das schon seit Jahren, wenn auch mit Unterbrechungen. Ihre Freunde würden Sie aber gerne für immer zu Hause wissen, was leider nicht möglich ist, wenn Sie sich immer wieder in ihren Fantasien verlieren", erklärte der Kittelträger.
„Was? Nein! Das ist Bullshit! Sie sind der beschissene Arzt der für die Schurkenliga arbeitet! Mic, schlag ihn k.o. und hol mich hier raus, verdammt nochmal!" Langsam verlor der Dunkelhaarige wirklich die Geduld. Was ging hier vor sich?
„Schluss damit!", fuhr Yamada ihn an, „ich kann nicht mehr, Shota. Nemuri kommt schon gar nicht mehr mit, weil sie es nicht ertragen kann, und ich bin auch schon knapp davor, aufzugeben. Hör endlich auf damit! Es gibt keine Superhelden oder Schurken! Das ist nur deine Fantasie!"
Fassungslos wich Shota von der Tür weg. „Bullshit." Was war das hier für ein Psychospielchen?
„Eine Psychose genau genommen. Ausgelöst durch den Tod ihres Freundes. Der Jahrestag letzte Woche hat Sie wieder weit zurückgeworfen, Shota. Aber wenn Sie sich beruhigen, schaffen wir es, Sie wieder fit zu bekommen. Wir werden ein neues Medikament ausprobieren, mit dem Sie keine Gefahr mehr für sich oder andere darstellen können."
Psychose? Anstalt? All diese Worte drehten sich in Shotas Kopf im Kreis, was seine Migräne nur schlimmer werden ließ. „Ihr verarscht mich doch", murmelte er schwach, vergrub seine Finger ins einen Haaren. Das hier war doch nur ein Scherz, ein ziemlich beschissener. Wollte man ihn so brechen? Das würde er niemals zulassen. Er war stärker als das hier. Doch der besorgte und müde Blick von Hizashi brach ihm das Herz. Zitternd sank er zu Boden und starrte auf den weißen Bodenbelag.
Kurz darauf erklang ein Klicken und die Tür wurde geöffnet. Kaum als Hizashi den Raum betreten hatte, schloss sich die Tür auch schon wieder, damit Shota nicht fliehen konnte, wenn er sich dazu im Stande gefühlt hätte. Liebevoll schlossen Yamadas Arme sich um ihn. „Du weißt, dass wir dich alle lieben, auch wenn du es uns schwer machst. Ich bin immer für dich da, aber du musst mir auch entgegen kommen", versuchte der Blonde ihm gut zuzureden und Trost zu spenden.
Noch immer wusste er nicht, was hier für ein Spiel gespielt wurde. Was sollte bedeuten, dass es keine Schurken und Helden gab? Er konnte sich das alles wohl kaum eingebildet haben, so viel Fantasie hatte er noch nie gehabt. Vielleicht hatte er einfach so stark eins übergezogen bekommen, dass er das hier träumte. Doch die Umarmung von Hizashi wirkte so echt, so liebevoll und warm, dass es nur Realität sein konnte. Vermutlich war tatsächlich er es, der verrückt war.
„Ich weiß, dass es schwer für dich war, weil du dabei warst, als Oboro gestorben ist. Aber es ist auch für mich schwer gewesen, weil ich durch den Unfall euch beide verloren habe. Bitte, lass zu, dass ich wenigstens dich zurückbekomme, ja, Shota? Bitte ...", flehte Yamada ihn an und drückte ihn fest an sich, „wir würden uns alle sehr freuen." Tränen liefen über seine Wangen, als er die Umarmung löste. „Versuch das neue Medikament." Mit dieser Bitte hielt er Shota einen kleinen Becher hin, in der eine Tablette war. „Dann können wir wieder eine Familie sein!"
Aizawa schluckte und sah seinen Freund an. Es tat ihm weh, ihn so verzweifelt zu sein, und daran Schuld zu tragen. Er wollte für niemanden eine Last sein, wollte er noch nie. Und vielleicht würde sich die ganze Sache klären, wenn er mitspielte. Aus diesem Grund griff er nach dem kleinen Becher. Er würde es für seine Freunde tun. Schließlich war nicht abzustreiten, dass er sich seit Jahren von ihnen distanziert hatte und er ihnen damit nur Leid zufügte. Es war unfair von ihm, sie so zu bestrafen. Er würde es beenden.
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„Verdammt, wach auf? Bitte!", brüllte Yamada laut und rüttelte an der Schulter des leblos wirkenden Körpers, der vor ihm lag.
„Mic, du tust ihm weh!", mahnte Nemuri, und versuchte ihn etwas zurück zu halten.
„Ist doch egal, solange es ihn aufweckt", gab er zurück und riss sich los. Schließlich sah es im Moment nicht gut aus für Aizawa, der bewusstlos auf dem Krankenbett lag. Laut Recovery Girl wurde er mit jedem Moment schwächer und weil sie nicht beurteilen konnte weswegen, konnte sie nichts dagegen unternehmen. Hizashi würde seinem Freund gewiss nicht beim Sterben zusehen. Es machte ihn rasend, dass er nichts unternehmen konnte, also brüllte er, verstärkt mit seiner Macke, einige Male Shota ins Ohr, aus dem bereits Blut tropfte. „Bitte ...", schluchzte er verzweifelt.
Schnell schloss Nemuri ihre Arme erneut um Yamada, der zusammen zu brechen drohte. Natürlich war es für keinen der Anwesenden einfach, nur dazustehen und zu hoffen, dass Shota doch wie durch ein Wunder aufwachen würde, vor allem da ihm nichts zu fehlen schien. Niemand konnte sich erklären, was genau passiert war, da alles so schnell ging, aber wirklich verletzt worden war der Dunkelhaarige nicht.
Damit er nicht umkippte, ließ Kayama den Voicehero auf dem Bett platznehmen, während sie auf die andere Seite des Bettes schritt und sich ebenso über den Dunkelhaarigen beugte. „Eraser, wenn du uns hörst: Bitte wach auf. Du bist stark, du schaffst das!" Beide bettelten und flehten. Wenn das alles durch eine Macke verursacht wurde, musste er doch irgendwie wach zu bekommen sein. Verzweifelt, weil ihr sonst nichts mehr einfiel, küsste sie die schweißnasse Stirn des Profihelden, während sich Hizashi etwas an ihn kuschelte und leise weinte.
Tatsächlich schien ihr Versuch, ihn wach zu bekommen, Erfolg zu haben. Shota stöhnte leise und kniff die Augen zusammen, ehe er die Lider aufriss und nach oben schoss. Schwer atmend sah er beide Helden abwechselnd an, musterte ihre Kleidung, ehe er an sich hinab sah und schluchzte schließlich. Sofort fielen die beiden ihm um den Hals und umarmten ihn. Erleichtert atmete Yamada aus, „Zum Glück."
~*~
Es dauerte ein bisschen, bis der eben Erwachte sich gefangen hatte. Er wirkte verwirrt und desorientiert, außerdem mussten sie ihn zweimal zurück ins Bett drücken, weil er aufstehen und weg wollte. Die ganze Zeit über hielten Nemuri und Hizashi ihn im Arm und tröstete ihn, so aufgelöst und verloren wirkte er. Ein seltener Anblick. „Was ist passiert?", fragte er schließlich nach ein paar Minuten Stille und wischte sich übers Gesicht.
„Nun ... als wir aus der Bar raus sind, haben wir die beiden Schurken bemerkt, die Radau gemacht haben", begann Toshinori zu erzählen, der bisher stumm auf dem Bett daneben gesessen und alles beobachtet hatte, „aber es waren am Ende mehr als zwei." Shota musterte den ehemaligen Nummer Eins Helden, der einen Verband am Kopf trug und einen eingegipsten Arm hatte. „Ihr drei habt euch in den Kampf gestürzt, und ich habe mich brav zurückgehalten, wie ihr mir befohlen hattet", sprach er weiter und kratzte sich mit der gesunden Hand am Hinterkopf, „aber das hat einen Schurken nicht abgehalten, mich anzugreifen, also bist du dazwischen und hast mich gerettet, dafür hat dich allerdings die Macke eines anderen Schurken erwischt."
„Nachdem du zusammengebrochen bist, hat Toshinori ihm einen Haken verpasst und bewusstlos geschlagen", erklärte Nemuri und deutete auf den gebrochenen Arm, „zum Glück konnten wir die Bande dann festsetzen und die Polizei verständigen. Danach haben wir euch beide sofort hierher zu Recovery Girl gebracht, aber sie konnte dir nicht helfen. Aber jetzt bist du ja wach!" Sie drückte ihn fest an sich und strich ihm sanft durchs Haar.
Eine Macke hatte ihn also getroffen. Das klang einleuchtend. „Wisst ihr, was das für eine Macke war?", fragte er mit belegter Stimme.
Doch keiner konnte ihm eine genaue Antwort darauf geben. „Du warst bewusstlos und bist immer schwächer geworden. Hast du ... hast du irgendwas mitbekommen?", wollte Nemuri wissen. Schließlich klebte nach wie vor Schweiß an Shotas Stirn und die paar Tränen, die er nach dem Aufwachen verdrückt hatte, waren ihr nicht entgangen. „Was hast du gesehen?"
Eigentlich hatte er gehofft, dass er dieses Gespräch nicht führen musste, solange er sich nicht selbst darüber klar war. Er war immer noch verwirrt. Gerade eben war er noch der festen Überzeugung gewesen, er wäre Patient in einer Anstalt und nun sollte doch das hier die Realität sein? Seine Migräne kehrte zurück und er vergrub erneut seine Finger in den Haaren. „Ich ... da war ... ich war Patient in einer Anstalt und mir wurde eingeredet, dass es keine Helden und Schurken gibt. Dass das alles nur eine Psychose wäre. Mic wollte, dass ich eine Tablette nehme, damit ich gesund werde ... aber dann bin ich aufgewacht", erklärte er in Kurzfassung und schluckte. Eine leise Stimme im Kopf wollte ihm einreden, dass das hier vermutlich ebenso keine richtige Realität sein könnte. Was, wenn es schon wieder eine Täuschung war, um ihn in die Irre zu führen.
„Klingt nach einer harten Macke. Eine Form der Bewusstseinsmanipulation. Du hast Glück, dass du dich befreien konntest, sonst hätte sie dich langsam getötet", stellte Recovery Girl fest, „lasst mich mal durch, um ihn nochmal zu untersuchen!" Sofort erhoben sich Kayama und Yamada vom Bett und traten ein paar Schritte zurück. Beide sahen besorgt zu Eraserhead. Er wirkte immer noch leicht abwesend, was vermutlich noch immer an den Nachwirkungen der Macke lag.
~*~*~*~
Um den Verletzten etwas Ruhe zu gönnen, hatte Chiyo die beiden anderen Helden gebeten, das Krankenzimmer zu verlassen. Nur um sicher zu gehen wollte sie Shota eine Nacht zur Beobachtung hierbehalten und Toshinori brauchte, sobald er wieder mehr Energie hatte, eine weitere Behandlung für seinen gebrochenen Arm. Aus diesem Grund empfahl sie den beiden, ein bisschen zu schlafen, während sie etwas zu essen organisieren würde.
Doch Aizawa konnte nicht an Schlaf denken. Zum einen schien er bis vorhin ohnehin geschlafen zu haben, und zum anderen hatte er Angst, dass er erneut irgendwo anders landen würde, und am Ende gar nicht mehr beurteilen konnte, was real war und was nicht. Natürlich hatten Nemuri und Hizashi ihm angeboten mit ihm zu reden, ehe sie gingen, aber er konnte es im Moment einfach nicht. Dazu fühlte er sich nicht bereit.
Also saß er auf seinem Bett, die Beine angewinkelt, die verschränkten Arme darauf abgelegt und starrte an die Wand ihm gegenüber. Sein Kopf schien leer, obwohl er das Gefühl hatte, darüber nachdenken zu müssen, ob dies hier wirklich real war, oder bloß ein neuer Trick. Er fühlte sich ein bisschen verloren und überfordert, obwohl er zuvor alle hatte wissen lassen, dass es ihm gut ging.
„Du siehst nicht so aus, als ob mit dir alles in Ordnung ist", erklang Yagis Stimme neben ihm. Plötzlich senkte sich die Matratze etwas, und der große Blonde saß neben ihm auf dem Bett. „Hör mal, ich wollte dir noch einmal Danke sagen, und Sorry, weil dich die Macke wegen mir erwischt hat", fuhr er fort und seufzte, während er auf den Gips blickte, „ich bin jetzt echt nutzlos. Aber ich kann immerhin noch zuhören. Möchtest du mir erzählen, was du alles gesehen hast? Es scheint dich sehr zu beschäftigen."
Eigentlich war Yagi der allerletzte, mit dem Shota reden wollte. Eigentlich konnte er ihn nicht einmal ausstehen. Nein. Aizawa konnte All Might nicht ausstehen. Toshinori Yagi hingegen war zumindest halbwegs erträglich. Außerdem hatte er die nötige Distanz, um ihm wirklich zuzuhören, ohne ihn ständig zu unterbrechen. Seufzend ließ sich Aizawa gegen ihn sinken und lehnte den Kopf gegen die Schulter des knochigen Mannes. Irgendwie brauchte er gerade die Nähe eines anderen, weil er Angst hatte abzudriften und den Bezug zur Realität zu verlieren. Er brauchte einen Anker. „Es fühlte sich alles so verdammt real an in dieser Anstalt. Zuerst dachte ich natürlich, dass es nicht echt ist, und mich die Schurken entführt haben, aber dann war da Yamada. Er wirkte so müde und traurig und das wegen mir. Ich habe versucht ihn zu überzeugen, dass das er mich rauslassen soll und wir fliehen sollten, aber er hat das alles so dargestellt, als wäre das nur meine Fantasie, die durchgedreht ist. Und dann war da dieser Arzt der Schurkenliga, der meinte, dass ich eine Psychose hätte. Die beiden haben auf mich eingeredet und mit der Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, dass ich das Problem wäre und ich ... ich wollte diese Tablette wirklich nehmen, nur um Hizashi glücklich zu machen, weil er so verzweifelt gewirkt hat ..."
Toshinori unterbrach ihn nicht einmal und hörte aufmerksam zu. Es tat wirklich gut, all das doch jemanden anzuvertrauen und es sich von der Seele zu reden. „Und jetzt bist du dir nicht mehr sicher, was Realität ist und was nicht", schloss Yagi nach einem kurzen Moment der Stille aus den Worten seines jüngeren Kollegen, der sachte nickte, „verständlich. Diese Macke war wirklich mächtig und ich bin froh, dass du aufgewacht bist. Ich schätze mal, wenn du die Tablette genommen hättest, wäre das nicht passiert. Du hast einen starken Geist."
Dabei hatte Shota aber gar nicht das Gefühl, dass er stark wäre. Viel eher fühlte er sich schwach und leicht beeinflussbar, schließlich hatte ihn eine Macke so aufs Glatteis geführt und zum Zweifeln gebracht. Gerade ihn, wo er immer so logisch und rational handelte. Aber die Argumente des Arztes und Hizashis hatten ihn ins Wanken gebracht, weil es wirklich nachvollziehbar klang in gewisser Weise.
„Du solltest darüber vor allem mit Yamada reden", merkte Toshinori noch an, „vor allem wenn er in dieser Illusion vorkam. Das hilft dir bestimmt auch weiter, um darüber hinweg zu kommen. Heute war kein einfacher Tag, was?" Yagi versuchte aufmunternd zu lächeln. „Wir sollten uns aber jetzt echt etwas ausruhen, bevor die Alte zurückkommt", meinte er und rutschte etwas von Aizawa weg, um wieder ins eigene Bett zurückzukehren.
Doch jener hielt ihn zurück. „Würdest du bitte ...", begann Shota verlegen zu fragen, brach dann aber ab.
„Ich bleibe gerne noch hier sitzen, bist du eingeschlafen bist, wenn es dir damit besser geht", vollendete der ausgemergelte Mann den Satz und lächelte leicht, „das ist das mindeste, was ich tun kann, um mich für die Rettung zu bedanken."
Eigentlich war es ihm tatsächlich etwas peinlich, aber Aizawa hatte immer noch große Angst, wieder in dieser Anstalt aufzuwachen, sobald er hier die Augen schloss. Doch wenn jemand neben ihm saß, so hatte er zumindest die Hoffnung, würde ihn das in der Wirklichkeit halten. Außerdem musste ja auch niemand hiervon erfahren.
Es dauerte auch nicht lange, bis Toshinori die gleichmäßigen Atemgeräusche des Jüngeren vernahm, der sich an seinen Oberschenkel angekuschelt hatte. Wenn er schlief, wirkte Eraserhead so friedlich, vor allem nun, da er über das Erlebte hatte sprechen können, wirkte er auch etwas erleichterter als zuvor. Yagi freute es, dass er etwas helfen konnte und hoffte, dass der Schwarzhaarige sich seinen Freunden ebenso anvertraute wie ihm, auch wenn es vermutlich nicht so leicht sein würde.
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