K A P I T E L 8
E d w a r d
Ausgepowert komme ich bei uns zu Hause an. Meine Schuhe stelle ich unter der Garderobe ab und gehe in unsere Küche. Überrascht blicke ich zu Ellie, die am Herd steht und Pancakes macht. „Hey, Kleines", begrüße ich sie und sehe über ihre Schulter zu dem mittlerweile großen Berg an Pfannkuchen.
„Guten Morgen", strahlt sie mich an. Sie trägt noch immer ihren hellblauen Pyjama, auf dem bunte Blumen drauf gedruckt sind. Ich gehe zum Kühlschrank, um mir eine Flasche Wasser zu holen. „Wo warst du denn?", fragt sie mich, während sie einen Pancake wendet. „Draußen joggen."
„Du hattest wieder Albträume", schlussfolgert sie daraus. Es ist schwer ihr etwas zu verheimlichen. Eine Zeit lang beobachte ich sie einfach nur, wie die Sonnenstrahlen durch das Küchenfenster auf sie fallen, während sie tänzelnd durch die Küche läuft, um ein neue Teigmischung anzurühren. In diesem Moment gleicht sie dem Mädchen, das ich in Erinnerung gehabt habe. Sie ist wieder das verträumte, verspielte, lebensfrohe Mädchen. Das viel lieber draußen ihm Garten rumgetollt ist, als drinnen zu spielen. Bei Wind und Wetter. „Was schaust du denn so?", kichert sie ausgelassen. Sofort fängt mein Herz an schneller zu schlagen. Elendiger Verräter. „Ach nichts...", murmle ich nur und trinke von meiner Flasche, kann aber meinen Blick nicht von ihrem schönen Gesicht abwenden. Noch immer ist es für mich ein Rätsel, wie die Natur so etwas vollkommenes vollbracht hat. Ihre Augen sind so strahlend blau wie der Ozean selbst. Ihre Nase ist sanft geschwungen und ihr Mund... der ist ein ganz anderes Kapitel. Seiten könnte ich schreiben, in wie vielen Facetten er doch perfekt ist. Rosig wie eine frische Blüte. Und ihre Haut, so zart und marklos wie Porzellan. Etwas blass, jedoch eine gesunde Röte auf ihren weichen Wangen. Die kleinen Sommersprossen, die mich immer an einen warmen Sommertag erinnern, runden ihre Schönheit zu einer wahren Perfektion ab. Sie ist so vollkommen, dass ich sie am liebsten in einen Turm sperren möchte und wie der Drache in den Geschichten, die ich ihr früher immer vorgelesen habe, jeden vernichte, der ihr zu nahe kommt. Doch es ist nicht richtig, so zu denken, das weiß ich. Das weiß ich schon sehr lange. Deswegen dränge ich die warmen, einehmenden Gefühle, die mich versuchen zu übermannen, wenn ich sie auch nur ansehe, zurück. Dass ich sie beschützen werde, für immer, vor jeglichem Unheil, steht außer Frage, nur werde ich das nie so können, wie ich es in meinem dunklen Inneren wünsche.
Als ich einen brennenden Blick auf mir spüre, zucken meine Augen zur Tür, in der Alex mich vernichtend ansieht. Schuldig sehe ich zu ihm. Sonst merke ich, wenn einer in der Nähe ist, doch, wenn sie so nah ist, setzen meine antrainierten Fähigkeiten aus. „Guten Morgen... Ich mache Frühstück", begrüßt sie ihn. „Morgen, Kleines." Er geht zu ihr hin und gibt ihr einen Kuss auf die Wange, mit dem Wissen, dass er mich damit quält, da ich dies nicht tun darf, nicht tun kann. „Ist Clair schon wach?", fragt sie ihn. „Nein, sie kam gestern erst spät. Ich denke vor dem Mittag wird das nichts...", grinst er sie an und setzt sich an den Esstisch. Zusammen essen wir die wirklich leckeren Pfannkuchen und Ellie erzählt uns, dass sie heute in den Wald gehen will. „Alleine?", skeptisch sehe ich zu ihr. Gerade als ich ihr anbieten will, sie zu begleiten, kommt mir Alex zu vor. „Ich kann ja mitkommen, wenn du willst?" Seine Augen funkeln jedoch nur mich an. Es ist schon wirklich interessant, dass der kleine Junge, der mir früher immer überall hinterhergerannt ist, mich nun in der Hand hat. Er ist mir einfach zu ähnlich geworden, auch, wenn unser Aussehen nicht unterschiedlicher sein kann. Ellie und ich sind wie die schwarzen Schafe in der Familie voller blonder Lockenköpfe. Seufzend verschränke ich meine Arme auf dem Tisch und betrachte sie, wie sie dankend sein Angebot annimmt.
~
Nach dem Frühstück sind die beiden aufgebrochen und ich räume nun die Küche auf, als es an der Tür klingelt. Wer kommt denn an einem Sonntagvormittag vorbei? Gespannt öffne ich sie und greife wie automatisch an die Waffe, die hinten in meiner Hose steckt. Dies passiert so automatisch, dass ich meine Bewegung gar nicht richtig realisiere.
„Das gibts doch nicht! Edward Michael Jonas! Wahnsinn! Und wow! Krasse Narbe, Mann." Überrascht sehe ich in die bekannten Augen von Jeremy, meinen besten Freund aus Kindertagen. Er ist alt geworden, ein Bart ziert sein grobes Gesicht. „Jeremy?" „Alter! Zwei Jahre! Wo warst du denn nur so lange?", überrumpelt sehe ich, wie er sich an mir vorbeidrückt und an unseren Kühlschrank geht, ganz wie früher. „Du weißt doch, dass sie mich in den Sudan geschickt haben?"
Interessiert sehe ich, wie er sich eine Cola rausholt. „Willst du auch?"
Ich ziehe meine Augenbraue hoch und betrachte ihn belustigt. „Nein, danke", lehne ich ab, dass er mir aus meinem eigenen Kühlschrank eine Cola anbietet. Fast so, als wäre er hier zu Hause, geht er ins Wohnzimmer und lässt sich auf den Platz fallen, den er schon früher immer für sich erkoren hat. Vor Jahren, die mir so unendlich weit weg erscheinen, ist Jeremy fast jeden Tag hier gewesen. Er hat schon zur Familie gehört. Langsam setze ich mich neben ihn und sehe ihn erwartend an. „Was machst du hier, Jeremy?", frage ich ihn, als er auch nach mehreren Minuten schweigend seine Cola trinkt. „Meinen besten Freund besuchen, jedenfalls war ich der mal", grummelt er. „Jer ich...", wollte ich anfangen, breche jedoch wieder ab. „Du bist seit Freitag hier und kamst nicht einmal auf die Idee bei mir vorbei zu schauen? Ich musste erst von unseren Nachbarn hören, dass der Goldjunge wieder nach Hause gekehrt ist. Das verletzt mich, Alter." Entschuldigend sehe ich zu ihm. „Tut mir leid, Jer." „Ja, das sollte es auch", brummt er und stellt die leere Coladose auf den Tisch. „Du hast über ein Jahr lang überhaupt nichts von dir hören lassen, nur deine Vorgesetzten haben deine Familie immer wieder vertröstet. Echt scheiße sowas. Was war denn so wichtig, dich nicht bei uns, deiner Familie, zu melden?", fragend sieht er mich an. „Ich wurde von Taliban gefangengenommen", erkläre ich ihm monoton und sehe neutral in sein Gesicht, worin sich ruckartig Entsetzen breit macht. „I-Ist das dein Ernst? Du... Du... Wenn das ein Scherz ist, ist das echt nicht lustig." Kurz überlege ich, ob ich es ihm zeige, schaue ihn nachdenklich an, ehe ich schluckend aufstehe und mein Pulli über den Kopf ziehe. Geschockt mustert er meinen Körper, steht auf, um ihn aus der Nähe zu betrachten. „Oh Fuck. Wie hast du das überlebt?", fragend sieht er mich an. „Glaub mir, es gab Momente, in denen ich lieber sterben wollte." Emotionslos sehe ich in sein leichenblasses Gesicht. „Es... Es... Ich weiß nicht, was ich sagen soll." „Schon gut." Ich ziehe meinen Pulli wieder über und setze mich auf die Couch.
„Was gibt es so bei dir Neues?", frage ich ihn dann schließlich, um das Thema zu wechseln. „Ich habe geheiratet und sie ist schwanger...", erzählt er mir, lächelt jedoch traurig, als er mir ins Gesicht sieht. „Das freut mich wirklich sehr für dich", sage ich und klopfe ihm auf die Schulter. „Immer noch Jenny?", grinse ich und er nickt lachend. „Ja..."
„Ich fasse es nicht, dass du doch noch die Schulkönigin rumgekriegt hast." Kopfschüttelnd betrachte ich ihn. „Ich habs dir ja gesagt!" „Ja. Ja, das hast du." Eine Zeit lang schweigen wir und hängen alten Erinnerungen nach. „Sag mal, wüsstest du irgendwas, wo ich ein bisschen arbeiten kann?", frage ich ihn. Nachdenklich überlegt er. „Nein, tut mir leid...", enttäuscht sehe ich zu ihm. „Obwohl...", sofort hellt sich mein Gesicht wieder auf. „Mr. McNiel ist in Rente gegangen und seit dem hat die Schulmannschaft keinen Trainer mehr. Vielleicht bewirbst du dich als vorübergehenden Ersatz, denn soweit ich weiß, haben sie bis jetzt noch keinen gefunden." Basketball Trainer... klingt gar nicht schlecht.
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