K A P I T E L 51
E l i z a b e t h
Schon seit Stunden fragen die Beamten mich und meine Geschwister, was er mit seiner Forderung gemeint haben könnte, doch wir wissen es nicht. Ich bin mir zumindest nicht zu hundert Prozent sicher. Es könnte auch etwas ganz anderes sein. Und mit der einfachen Tatsache, dass er alleine nur mich meint, will ich mich nicht auseinandersetzen. Irgendwas sagt mir, dass Alex es eigentlich weiß, doch er schweigt. Es erstaunt mich doch, weil sie sich in den letzten Jahren wirklich nicht mehr gut verstanden haben, doch mir wird klar, dass Alex Edward trotz alledem immer noch liebt. Er ist schon immer sein Vorbild gewesne und wird den Aussagen der Agenten keinen Glauben schenken. Auch, wenn Edward diese Männer getötet haben soll, wofür es keine Beweise gibt, hat er vielleicht auch einfach seine Gründe gehabt? Edward ist kein kaltblütiger Mörder. Er ist sicher nicht unschuldig und ein Heiliger, trotzdem ist er nicht ohne jegliche Reue. Ed ist schon immer gut darin gewesne, seine Gefühle zu verstecken und wahrscheinlich am besten vor sich selbst. Ich weiß nicht, was in den letzten Jahren mit ihm passiert ist, was sie ihm angetan haben, doch ich halte an dem Mann fest, der mir vor Jahren mein Leben gerettet hat.
Viele Jahre zuvor, Edward
„Du spielst unfair, Edward!", wirft mir Jeremy an den Kopf. Unfair!? Ich kann doch nichts dafür, wenn er zu inkompetent ist, den Ball in den Korb zu befördern. „Spiele einfach besser", brumme ich und sehe ihn böse an. Beleidigt streckt er mir die Zunge raus. So ein... Argh! Er ist immer so ein schlechter Verlierer. „Jungs... kommt ihr zum Essen?", ruft uns die Mutter von Jeremy. Freudig wirft er den Ball einfach hinter sich und sprintet ins Haus. Seufzend verdrehe ich die Augen. Wenn man auch nur Essen erwähnt, kann sich sein Hirn auf nichts anderes mehr konzentrieren. Trotzdem bin ich ganz froh bei ihm Zeit verbringen zu können. Alex läuft mir in letzter Zeit überall hinterher und das nervt. Es nervt tierisch! Und Clair... Sie will mit mir immer Teekreis spielen. Gott, die ganzen Puppen in ihrem Zimmer machen mir ja beinahe Angst. Wie kann man mit sowas nur spielen? Außerdem nervt mich Dad in letzter Zeit... Es ist wohl nicht gerne gesehen, wenn sich der Sohn eines Polizisten gerne mal prügelt. Am Anfang habe ich gedacht, er wäre stolz, wenn ich den Kampf gewinne, doch mittlerweile lasse ich nur noch meine Wut bei meinen dummen Klassenkameraden raus. Seit letzter Woche habe ich einen Boxsack, doch es ist nicht das gleiche. Natürlich weiß ich, dass die Wut nicht richtig ist, zumindest, wenn ich sie gegen meine Mitschüler richte, aber... Argh! Mrs. Jankings, unsere Vertrauenslehrerin, hat schon oft mit mir geredet. Gott, geht die mir auf die Nerven, doch sie sieht echt heiß aus... Fuck!! Ich hasse es, wenn ich an dieses Zeug denke! Sie sieht mich aber auch immer so komisch an... Vielleicht ist das ja einfach nur Einbildung. Schnaufend laufe ich dem Ball hinterher, der mittlerweile auf der anderen Straßenseite liegt.
Gerade, als ich nach ihm greifen will, höre ich einen Schrei. Sofort zuckt mein Kopf zu dem kleinen, heruntergekommenen Haus vor mir. Verwirrt runzle ich die Stirn und stehe mit dem Ball unter meinem Arm wieder auf. Lass es gut sein... es geht dich nichts an. Gerade, als ich mich wieder umgedreht habe, ertönt ein Knall. „Ach Fuck." Ich werfe den Ball über den Zaun auf das heruntergekommene Grundstück. „Ups..." Ohne zu zögern, gehe ich den verwachsenen Weg nach oben zur Tür und klingle. Als nach einiger Zeit noch immer nichts geschehen ist, wiederhole ich es. Heftig wird die Tür aufgerissen. „Was?!", brüllt mich der Mann an. Meine Güte... Der trieft nur so nach Alkohol. Seine fettigen Haare liegen unordentlich auf dem Kopf und sein weißes Tanktop hat Löcher und widerliche Flecken. „Mein Ball ist über Ihren Zaun gefallen..." „Verschwinde!", keift er. „Wie Sie wollen, aber ich kann auch meine Eltern holen", wütend sieht er mich an. Ich jedoch grinse nur breit. „Du bleibst hier", befiehlt er mir, lässt jedoch die Tür offen, während er weggeht. Angewidert öffne ich die Tür weiter und spähe in das Haus. Sofort halte ich mir meine Hand vor die Nase. Gott... was ist das für ein Gestank? Ohne auf den Mann zu hören, betrete ich das Haus. Schnapsflachen, dreckige Möbel, Flecken, Schimmel.
Oh wow... hier sollte mal die Gesundheitsbehörde vorbeischauen. Ein Schluchzen dringt zu mir durch und ich bin sofort Feuer und Flamme. Schnell folge ich dem Geräusch und komme in einem Wohnzimmer an. Eine Frau liegt schlafend auf dem Sessel. Ihr Gesicht ist verheult, das eine Auge geschwollen. Sie trägt nur ein T- Shirt und eine Unterhose. Bei genauerem Betrachten könnte sie auch bewusstlos sein. Wieder dieses Schluchzen. Hinter dem Sessel erkenne ich eine kleine Gestalt. Vorsichtig taste ich den Puls der Frau ab. Die Spritze in ihrem Arm ignoriere ich wissentlich.
Er ist verdammt schwach, kaum noch zu spüren. Diese Frau braucht dringend Hilfe. „Hey...", sage ich leise zu der Gestalt, die sich immer weiter vor mir versteckt. Ich gehe langsam um den zerfetzten Sessel und sehe ein kleines Mädchen. Ängstlich sieht sie zu mir. Sie trägt ein dreckiges Kleid und ihre braunen, langen Haare sind ganz unordentlich. Blaue Flecke zieren ihren Arm und um ihren Hals zeichnen sich leichte Würgemale ab. Oh je. Vertrauenswürdig hebe ich meine Hände und deute ihr, dass ich ihr nichts tun werde. Als ihre blauen Augen auf meine treffen, passiert etwas, das ich auch später, nach all den Jahren, nicht beschreiben kann. Es ist, als könnte sie in meine Seele sehen und mich komplett in ihren Bann ziehen. Ohne jegliche Möglichkeit mich zu wehren, bin ich breit jedes Opfer zu bringen, um sie zu schützen. Hart schlucke ich, als ich meine Hand nach ihr ausstrecke. Sofort zuckt sie zurück. „Ich werde dir nichts tun. Mein Name ist Edward. Du darfst Eddie sagen..." Warum sage ich das?
Ich hasse es, wenn mich jemand so nennt! Clair habe ich mal extrem angebrüllt, weil sie einfach nicht damit aufhören wollte. „Ed-die?", wispert sie mit ihrer zarten Stimme und ich bekomme Gänsehaut. „Ich werde dich beschützen!", sage ich beinahe in Trance. Unsicher sieht sie mich und dann meine Hand an. Nur unendlich langsam führt sie ihre Hand zu meiner. Als ihre kleinen Finger auf meine treffen, zuckt etwas durch meinen Körper, bis tief in mein Herz. Ich würde beinahe sagen, es ist schmerzhaft. Doch ich könnte nicht sagen, dass es mich nicht zum ersten Mal seit Jahren lebendig fühlen lässt. Als ich ihre Hand fest umfasse, ziehe ich sie sachte zu mir und hole sie von dort hervor. „Wir holen jetzt Hilfe", versichere ich ihr und stelle mich aufrecht hin. „Ganz sicher nicht", knurrt der Mann und abrupt sehe ich zu ihm. Instinktiv schiebe ich das Mädchen schützend hinter mich. „Lassen Sie mich Hilfe für Ihre Frau holen, sonst stirbt sie."
„Soll sie doch, diese Schlampe!", keift er. Wie bitte? „Du hättest nicht hierherkommen sollen, Junge!"
„Seien Sie vernünftig", knurre ich und merke, wie sich das Mädchen hinter mir an mich festklammert. Allgegenwärtig zieht er eine Pistole und richtet sie auf mich. Okay, das kommt überraschend.
„Du wolltest ja nicht verschwinden!"
„Waffe runter!", brüllt eine mir bekannte Stimme und überrascht sehe ich auf meinen Dad, der gerade ins Wohnzimmer kommt. „Lassen Sie die Waffe fallen Mr. McKey, es ist aus!" Wütend und verunsichert sieht er erst von mir und dann auf meinen Vater, der mit seiner Polizeiuniform und der Waffe in seiner Hand, einen klaren Standpunkt ausdrückt. Schnaufend schmeißt der Mann die Waffe weg und geht auf die Knie. Der Partner von Dad legt ihm Handschellen um. Besorgt kommt er zu mir und kniet sich vor mich hin. Prüfend dreht er meinen Kopf von links nach rechts. „Dad, ich bin okay." Erleichtert atmet er aus und nimmt mich fest in den Arm. „Jeremy's Mutter hat mich angerufen, als sie gesehen hat, wie du hier rein bist. McKey ist bekannt für seine Wutausbrüche. Ich habe mir Sorgen gemacht."
„Alles gut, du musst dieser Frau helfen, sonst stirbt sie..." Mein Dad brüllt nach Sanitätern, die sogleich hineingerannt kommen. Unsicher klammert das Mädchen an meinem Bein, die jetzt auch mein Dad entdeckt. „Oh... wer bist du denn?", fragt er sie. „Elizabeth", antwortet sie ihm schüchtern.
„Ich bin Albert", stellt er sich vor.
Mrs. McKey hatte eine Überdosis genommen und war noch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben und Mr. McKey wurde verhaftet. Als er freibekam, soff er sich irgendwann in den Tod. Dies habe ich Ellie bis heute nie erzählt. An diesem Tag hatte mein Dad Ellie zu uns geholt, bis das Jugendamt wusste, wie weiter mit ihr zu verfahren war. Doch die Familie Jonas hatte sie nicht mehr hergeben wollen, vor allem wahrscheinlich, weil Ellie keine Sekunde mehr von meiner Seite weichen wollte. Doch anders als sonst, hatte ich damit nie ein Problem.
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