Kapitel 5 ~ Sowas passiert immer nur anderen #5
Kurz vor elf fragte Jason, ob ich nicht langsam ins Bett wolle. Weil ich im Moment aber kein Bett hatte und mir auch keine gute Erklärung dafür einfiel, warum dem so war, musste ich ihn mit einer Lüge abspeisen.
„Nein, ich bleib noch ein bisschen, aber du kannst ruhig schon gehen, wenn du willst." Natürlich wollte ich nicht, dass er ging, aber ich konnte ihn ja auch nicht die ganze Nacht wachhalten, nur weil ich eben keine Schlüsselkarte für mein Zimmer hatte. Und was ich auch auf gar keinen Fall zulassen konnte, war, dass er mich bis zu meinem und Zoeys Zimmer begleitete. Ich musste zugeben, dass dieser Moment der allererste war, in dem ich ihn möglichst schnell loswerden wollte.
Vielleicht hätte ich sauer sein sollen, entweder auf mich selbst wegen meiner Vergesslichkeit oder auf Zoey, die sich ja schließlich diesen unfehlbaren Plan ausgedacht hatte, aber ich sah auch keinen Sinn darin, sich jetzt aufzuregen. So war es jetzt halt und ich konnte es auch nicht mehr ändern. „Hm, okay. Soll ich noch auf dich warten?" So leid es mir auch tat, ich musste ihn abweisen.
Zähneknirschend schüttelte ich den Kopf. Hoffentlich bekam er nicht den Eindruck, er würde mir auf die Nerven gehen. „Also dann, bis morgen", sagte er und ging. „Ja, bis morgen." Zaghaft winkte ich ihm nach, dann starrte ich ihm nur noch wenig begeistert hinterher, auch wenn es besser war, wenn er jetzt ging. Am Ende hätte ich ihm noch erklären müssen, weshalb ich heute Nacht in Cales Zimmer hätte schlafen sollen und das wollte ich nicht. Erstens ging es ihn nichts an und zweitens wollte ich vor ihm nicht so dumm dastehen.
Schließlich hatte ich vergessen, Cale nach seiner Schlüsselkarte zu fragen. Ich war selbst an meiner Lage schuld. Jetzt konnte ich im Grunde nur noch das Beste daraus machen. Barfuß ging ich zur Bar und holte mir noch zwei Colas, damit ich nicht nochmal laufen musste. Ich war eben doch ein äußerst fauler Mensch.
„Salut, ma chérie." Erschrocken zuckte ich zusammen und um ein Haar hätte ich mein Glas vom Tresen gefegt. Der einzig coole Spruch, der mir dazu spontan eingefallen wäre, lautete „gesplittert, nicht gerührt" und der war wirklich unterirdisch schlecht. Vielleicht hatte ich ja doch den Humor meiner Eltern geerbt. „So spät noch wach?", fragte Kerim mit seinem niedlichen französischen Akzent.
Ich nickte: „Ja, ich bin nicht müde." Das war zwar eine faustdicke Lüge, aber bald würde das Koffein in meinem Blutkreislauf ankommen und ich wäre wieder hellwach. Hoffte ich zumindest. Sonst würde ich demnächst wirklich einfach auf meinem Sessel einschlafen. Du Hotelangestellten würden sich wahrscheinlich auch fragen, was ich denn für eine war.
„Sag mal, hast du heute nicht eigentlich frei?", hakte ich nach, als mir wieder einfiel, dass ich ihn heute ja noch gar nicht gesehen hatte. „Den ganzen Tag, ja, aber es ist jetzt Abends." Das stimmte, aber ich hatte angenommen, dass zu einem freien Tag auch ein freier Abend gehörte. Naja, andere Länder, andere Sitten. „Und was hast du heute so gemacht, ohne mich?" Ein freundliches Lächeln seinerseits brachte mich automatisch zum Mitlächeln.
Kerim hatte so ein nettes Gesicht, das es einem wirklich schwerfiel, unfreundlich zu ihm zu sein. „Hab mich natürlich furchtbar gelangweilt", stichelte ich, weil ich gar nicht daran dachte, ihm davon zu erzählen, wie gerne ich Zeit mit Jason verbrachte. Und vor allem wie aufregend ich jede Kleinigkeit fand, die wir gemeinsam unternahmen. „Das glaub ich dir gerne. Ohne mich ist schließlich alles langweilig."
Das Süßeste an seiner Aussprache war das für Franzosen typische ‚sch' statt ‚ch'. Es war einfach nicht wegzudenken, machte es aber unglaublich entspannend, ihnen zuzuhören. Ob es sich für sie auch so anhörte, wenn wir französisch sprachen? Bestimmt nicht. „Wie lange willst du noch bleiben?", fragte er interessiert und nahm mir die beiden Gläser ab, während wir zu meinem Platz gingen.
Er stellte die Cola auf dem kleinen Beistelltisch ab und rückte sich einen Sessel zurecht, sodass er direkt neben mir saß. „In", er warf einen Blick auf seinen Uhr, „zehn Minuten gehen hier die Lichter aus." „Mir egal", murmelte ich. Wo sollte ich denn auch hin? Ob es hier jetzt hell oder dunkel war, machte für mich keinen Unterschied. Die Bar war ohnehin schon leer, ich und Kerim waren die einzigen, die noch auf den Sesseln saßen.
„Du willst also wirklich nicht ins Bett?" Ich schüttelte den Kopf: „Nö, warum auch? Ich bin im Urlaub, hier kann ich die Nacht zum Tag machen und umgekehrt." Natürlich wusste ich, dass ich mich hier genauso selbst belog. Aber was blieb mir anderes übrig? Ich hatte kein Zimmer, in das ich gehen konnte. Beziehungsweise wollte, denn unter gar keinen Umständen würde ich Zoey und Cale stören. Inzwischen waren sie zwar vielleicht fertig, aber bestimmt kuschelten sie ganz romantisch und dann käme ich und die ganze Atmosphäre wäre dahin.
Nein, soweit würde ich es nicht kommen lassen. Tatsächlich gingen in diesem Moment die Lichter aus und der Raum wurde nur noch vom Mondlicht erhellt. Na super. Schritte entfernten sich, vermutlich die des Barkeepers. „Tu as envie de me baiser?" „Was?", fragte ich, was sicher mal wieder dazu beitrug, dass mich die Leute in meiner Umgebung für höchst intelligent hielten.
„Ich weiß nicht, wie man das auf Deutsch sagt." Etwas Warmes berührte mein Knie. Jetzt verstand ich wirklich gar nichts mehr. Dieses warme Etwas tastete sich an meinem Bein entlang, immer weiter nach oben. Ich erstarrte. Wie eine Salzsäule saß ich da, und konnte gar nichts machen. Eine zweite Hand gesellte sich zur ersten. Mein Atem beschleunigte sich, aber das war auch schon alles, was passierte.
„Shh, ich weiß doch, dass du es auch willst." Die eine Hand war kurz vor dem Saum meiner kurzen Hose angelangt und ich hielt die Luft an. Was passierte hier? Was sollte ich machen? Ich konnte mich ja nicht mal mehr bewegen. „Was wird das?", fragte ich leise und ich wusste selbst, wie jämmerlich ich klang.
„Das weißt du doch. Deine Signale waren eindeutig." Kerim beugte sich zu mir herüber, ich spürte seinen Atem an meiner Wange. Ich fühlte mich immer hilfloser und wollte einfach nur abhauen, aber sollte ich schon machen? Er dachte offenbar, dass ich mit ihm schlafen wollte...
Wie wurde ich ihn jetzt möglichst schnell los? Ich verkrampfte mich, aber noch immer konnte ich nicht den Mut aufbringen, mich richtig zu wehren. In Gedanken versuchte ich mich zu beruhigen, aber ich wurde nur immer panischer. „Wir sind ganz alleine", flüsterte er und ich bekam noch mehr Angst. Ich wollte auf der Stelle anfangen zu weinen, aber was hätte mir das geholfen? Gar nicht, und das wusste ich nur zu gut.
„Kerim, ich will nicht mit dir schlafen." Meine Stimme brach mehrmals ab, aber letztendlich schaffte ich es, zumindest den Satz zu beenden. „Ich verstehe nicht", war seine Antwort. Eine Hand löste sich von meinem Bein und tastete sich unter mein T-Shirt. Was machte ich jetzt bloß? Ich verzog das Gesicht und wusste trotzdem, dass mich das nicht weiterbrachte. Verzweifelt griff ich nach seinem Arm und versuchte, sie wegzuschieben: „Lass das."
Ich gewann ein Wenig von meiner Selbstsicherheit zurück. „Ich will das nicht." Für einen Moment zog er seine Arme zurück und ich nutzte die Gelegenheit. Wer wusste, ob ich nochmal so eine bekommen würde. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich auf, lief in der Dunkelheit gegen einen Sessel, stolperte, lief weiter. Ich rannte Stühle und Tische um, schlug mir alles an und blieb trotzdem nicht stehen. Alles in mir war taub und ich hatte entsetzliche Angst, dass er mir nachlaufen würde.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinsollte und so rannte ich nach draußen und schlug mich dort ins Gebüsch. Wer wusste, was dort für Tiere lauerten, aber im Moment interessierte es mich nicht. Zwischen den Sträuchern fing ich haltlos an zu weinen.
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