Kapitel 5 ~ Sowas passiert immer nur anderen #1
Die nächsten sechs Tage vergingen wie im Flug. Die meiste Zeit verbrachte ich am Pool und las, aber auch Kerim unterhielt sich oft mit mir. Inzwischen kannte ich ihn schon ganz gut.
Zum Beispiel wusste ich, dass er zwei ältere Schwestern hatte, die beide schon verheiratet waren, er selbst aber keine Frau oder Freundin hatte. Samstags hatte er frei, aber sonst arbeitete er die ganze Woche über im Hotel und hatte so auch gar nicht die Zeit dazu, eine Beziehung zu führen.
Manchmal versprach er sich, wenn ihm das deutsche Wort nicht einfiel, aber alles in allem musste ich wirklich den Hut vor seinen Sprachkenntnissen ziehen. Mein Französisch würde nie auch nur im Entferntesten so gut werden.
Er hatte mir angeboten, eine Art Nachhilfe zu machen, aber ich hatte dankend abgelehnt, schließlich würde ich es ohnehin nach einigen Minuten wieder vergessen haben. Was Französisch betraf hatte ich ein Gedächtnis wie ein Sieb. Es war ein Wunder, dass ich es mit einer drei abwählen hatte können. Trotzdem hielt mein geringer Wortschatz ihn nicht davon ab, mit mir zu reden. Ich glaube -und das war die traurige Wahrheit-, dass er mehr mit mir sprach, als Zoey, Cale und Jason zusammen.
Selbst für einen Animateur war er erstaunlich hyperaktiv und konnte stundenlang herumspringen wie ein Gummiball. Außerdem hatte er Nerven wie Drahtseile, auf denen die Kinder herumtanzen konnten, wie sie wollten. Zweimal hatte ich mich von ihm dazu überreden lassen, bei irgendwelchen Wettbewerben mitzumachen und jedes Mal war ich kläglich untergegangen. Danach hatte ich es vorgezogen, zuzusehen und wie ein bemitleidenswerter Cheerleader bei jeder Gelegenheit zu klatschen. Leider waren mir inzwischen die Bücher ausgegangen, und so hatte mich furchtbare Langeweile über den Tag begleitet.
Ich hätte gerne behauptet, dass es total spannend war, Jason beim Schlafen zu beobachten, aber leider war der größte Adrenalinkick dabei, schnell wegzugucken, wenn es irgendein Anzeichen dafür gab, dass er gleich aufwachen würde.
Aber irgendwann wurde selbst die spannendste Aktivität langweilig. Zoey und Cale waren vorhin ins Meer gegangen und weil es mir zu kalt war, hatte ich es bevorzugt, hierzubleiben. Jetzt spielte ich mit dem Gedanken, ihnen hinterher zugehen, auf die Gefahr hin, dass ich mal wieder das dritte Rad am Wagen wäre. Für einen Moment überlegte ich, ob ich mich auf die Suche nach Kerim machen sollte, aber dann fiel mir wieder ein, dass er ja heute frei hatte. Na super. Da brauchte man einmal einen Animateur, und dann hatte er frei. Typisch.
Vielleicht sollte ich Jason aufwecken. Ob er wohl sauer wäre? Vielleicht ein bisschen, aber einem Kumpel konnte man das ja mal verzeihen. Also ging ich an die Bar und fragte nach einigen Eiswürfeln. Das kleine Mädchen hatte gerade einen Teller Zitronenscheiben bestellt; die Leute hier dürfte nichts mehr verwundern. Höflich bedankte ich mich, nahm die Eiswürfel und ging zurück zu unseren Liegen. Kein Mensch hier kümmerte sich darum, dass das Reservieren der Liegestühle eigentlich verboten war. Für einen Moment überlegte ich, was genau ich denn jetzt mit den Eiswürfeln anfangen sollte, aber dann legte ich sie kurzerhand auf seinen Oberkörper.
Der, den ich in seinem Bauchnabel platzierte, gab mir den Rest und ich begann zu kichern. Er öffnete ein Auge. Verschlafen fragte er: „Was machst du da?" Unmittelbar danach musste die Kälte bei ihm angekommen sein, denn er zog scharf die Luft ein und richtete sich schnell auf. Grinsend sah er zwischen mir und den Eiswürfeln hin und her.
„Das hast du nicht getan!" Er sprang auf und im selben Moment begann ich zu rennen. Ich wusste genau, dass er mich aus Rache in den Pool werfen würde, aber was sollte ich dagegen machen? Ewig vor ihm weglaufen konnte ich auch nicht, außerdem war ich gewissermaßen selbst schuld.
Leider wusste ich auch, dass ich nicht schnell genug war, um mich auf eine Damentoilette zu flüchten. Und falls sie besetzt wäre, hätte ich sowieso keine Chance. Jetzt konnte ich den Schaden nur noch begrenzen. Im Laufen zerrte ich mir das T-Shirt über den Kopf, schlug einen Haken und rannte den Weg wieder zurück. Ich warf das zusammengeballte Stoffknäul in Richtung unseres Platzes und lief weiter.
Um mir die Hose auszuziehen, das wusste ich, würde ich anhalten müssen und dann würde er mich einhole. Den Bikini trug ich zum Glück unter meinen Sachen. Ich öffnete den Knopf der kurzen Hosen, zerrte sie meine Beine hinunter und wollte wieder loslaufen, als Jason mich einholte. Kreischend trat ich um mich, als er mich trotz meines Protests ohne Probleme hochhob. Ich warf meine Hose auf den Boden, damit sie nicht mit mir im Pool landen würde und wehrte mich weiterhin vehement. Es half nur leider absolut gar nichts. Außerdem wollte ich ihm ja auch nicht wehtun und schlug deshalb nicht wie eine wahnsinnige auf ihn ein.
„Komm schon, du willst mich doch eigentlich gar nicht ins Wasser werfen", bettelte ich. „Wer sagt das?" „Ich sage das." „Hm, aber eigentlich hab ich schon ziemlich große Lust, dich ins Wasser zu werfen. Du warst bisher kein einziges Mal schwimmen, weil es angeblich zu kalt ist, aber ich habe dich durchschaut; du kannst eigentlich gar nicht schwimmen." „Doch kann ich", stellte ich von seinem Rücken aus fest. „Ich mag nur kein kaltes Wasser." „Gib's lieber gleich zu, bevor ich dich reinwerfe." „Ich kann echt schwimmen, aber-"
Der Rest meines Satzes bestand nur noch aus wildem Geblubber. Schnell hielt ich die Luft an und schwamm nach oben. Prustend brach ich durch die Wasseroberfläche. Ein zufrieden grinsender Jason stand am Beckenrand und schaute auf mich runter. Die Haare klebten mir im Gesicht, deshalb hob ich die eine Hand, um sie wegzustreichen. „Das hast du jetzt davon, wenn du mich im Schlaf mit Eiswürfeln bombardierst."
„Ach komm schon, das kann man ja wohl kaum Bombardieren nennen. Wenn du den ganzen Tag schläfst, bekommst du heute Abend kein Auge zu." „Ach, und woher willst du das wissen?" Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er Schwung holte und sich vom Boden abstieß. Direkt neben mir schlug er ins kühle Nass ein und ich bekam einen ganzen Schwall davon ins Gesicht. Hustend zog ich eine Grimasse, mit der ich ihn auch bedachte, sobald er wieder auftauchte.
„Na, alles klar?", fragte er lässig und schüttelte sich die Wassertropfen aus den Haaren. „Ich hab Wasser geschluckt", stellte ich trocken fest. „Oh nein! Du wirst daran sterben!" „Schau", sagte ich ernst, „genau das gleiche hab ich auch gerade gedacht." „Sag bloß." Wir grinsten uns an, dann tauchte er unter und zog mich an den Beinen ebenfalls nach unten. Wie ich sowas hasste, aber ihn mochte ich trotzdem.
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