Die Spiegellüge
Es war einmal in einer Welt weit entfernt von unserer, in der dein Spiegelbild nicht unbedingt die Wahrheit sagte. Der Spiegel war wie ein undurchdringliches Portal, durch den man eine andere Welt sehen konnte, aber nicht zu ihr durchdringen. Den Menschen wurde in der Spiegelwelt eine Person zugeteilt, schon von Geburt an.
Bekam jemand ein Kind, passierte mit dem Spiegelbild genau dasselbe und starb jemand, starb das Spiegelbild auch.
Doch was ist, wenn jemandem das falsche Spiegelbild zugeordnet werden würde?
"Deine Haare sind wunderschön, Honigblond.", sagte er und strich mir über meinen schwarzen Haarschopf.
"Du musst dich geirrt haben, meine Haare sind schwarz.", antwortete ich verwirrt und nahm meine Haare und betrachtete sie nochmal genau.
Er drehte sich mir zu und sah mich stirnrunzelnd an, bevor er noch etwas hinzufügte:"Kann nicht sein, sieh noch einmal genau hin."
Ich tat es und betrachtete meine Haare so genau, wie ich es noch nie getan hatte.
Tatsächlich! Meine Haare waren so blond wie Honig.
"Aber wie kann das sein?", fragte ich ihn verwundert. Ich sah jeden Morgen im Spiegel rabenschwarze Haare. Und wenn ich meine hüftlangen Haare frisierte, sahen sie auch schwarz aus.
"Ich weiß es auch nicht, aber ich kenne jemanden, der uns vielleicht alles erklären kann.", sagte er geheimnisvoll und nahm meine Hand. Er zog mich mit ihm und wir liefen die Straße hinunter zu einem dunklen und finsteren Haus.
Als wir bei dem kleinen, aber trotzdem beeindruckenden Haus ankamen, trat Leon voran und klopfte an der Tür.
Ein junger Mann, ich schätzte ihn so auf 20 Jahre, kam heraus und begrüßte uns erfreut:"Kleiner Bruder, endlich besuchst du mich und du hast eine Freundin mitgebracht. Kommt herein."
Er hielt uns die Tür auf und der innere Eindruck beeindruckte mich noch mehr.
Das Haus war hell und einladend eingerichtet, schwere weiße Vorhänge hingen an den Fenstern und ein hellblaues Sofa, auf dem wir uns niederließen, stand neben weißen Regalen in dem ersten Raum.
"Raus damit, was wollt ihr bei mir?", fragte er und neckte gleichzeitig Leon. Wahrscheinlich besuchte er seinen Bruder nicht so oft.
Da ich keine Ahnung hatte, was wir hier wollten, sah ich Leon fragend an.
"Ferdinand ist nicht nur mein Bruder sondern auch ein weiser Magier. Er wird uns sicher helfen.", dann wand er sich an seinen Bruder,"Siehst du Sorayaˋs Haare? Sieh genau hin."
Er machte ein nachdenkliche Gesicht und nickte dann:"Ich verstehe."
Er stand ohne auch nur ein Wort der Erklärung auf und zog ein dickes Buch aus dem Regal. Darauf setzte er sich neben mich und schlug das geheimnisvolle Buch auf.
"Ich erzähle dir jetzt etwas geheimes und du wirst nicht lachen oder ähnliches, verstanden?", ich nickte dem auf einmal ernstem Gesicht zu,"Sieh in den Spiegel. Was siehst du?"
"Ich sehe mich mit schwarzen Haaren.", antwortete ich.
"Jetzt beweg dich."
Ich schaute in den kleinen Spiegel und verzog mein Gesicht zu unterschiedlichen Grimassen, dich mein Spiegelbild bewegte sich nicht mit.
"Der Spiegel ist verzaubert. Er allein kann die Anwesenheit des Spiegelreiches erklären. Beziehungsweise konnte bis du aufgetaucht bist."
"Ind warum sieht jeder meine Haare trotzdem in schwarz?"
"Das ist ein Tarnzauber, der vermutlich den Fehler im System des Spiegelreiches verdecken soll. Aber ich wusste schon immer, dass Leon etwas besonderes ist.", stolz verwuschelte er Leon's Haare und grinste breit.
"Oh nein, schlag dir das aus dem Kopf. Es ist viel zu gefährlich!", rief Leon auf einmal verärgert,"Das ist einfach verrückt!"
Dies erweckte Spannung in mir. Was hatte Ferdinand so schlimmes vor?
"Bitte Leon, nur sie kann und nur mit dir. Das hat mir eine Vision gesagt. Willst du auf so einer Lüge leben?", verteidigte sich Ferdinand, doch das schien Leon nicht zu stören.
Stur schüttelte er den Kopf und kniff bockig die Augen zusammen.
"Sagt mir endlich, was los ist!", rief ich dazwischen, zwischen die Blicke der beiden Brüder.
"Das ist nicht der Rede wert. Ferdinand hat nur komische Gedanken, keine Sorge Soraya.", sagte Leon, aber Ferdinand schien eher für Offenheit zu sein.
"Es gibt vielleicht eine Möglichkeit das Spiegelreich von unserer Welt zu trennen und so zu erlösen. Dazu muss man allerdings in das Spiegelreich reisen und einen bestimmten Kristall finden, der die Spiegelbilder an dieses Schicksal kettet. Jedoch haben sie keine Ahnung davon und beschützen den Stein, wie ihr eigenes Leben."
"Sind etwa nicht alle Einwohner des Spiegelreiches Spiegelbilder?", fragte ich verwirrt. Und er antwortete geduldig:"Nur die Königsfamilie ist davon befreit."
"Und warum können nur wir es machen?", fragte ich erneut und er war immer noch sehr geduldig:"Weil man dazu durch ein magisches Spiegelportal reisen muss. Außerdem könnt nur ihr daran glauben, denn ihr erlebt es am eigenen Leibe. Das ist einzigartig."
"Ich bin dabei.", rief ich entschlossen und konnte dabei genau sehen, wie Leon's Gesicht sich verdunkelte. Er war wohl weniger begeistert davon, als er zugeben mochte.
"Aber Soraya, das ist gefährlich. Das Portal ist nicht stabil und außerdem...", den letzten Teil flüsterte er,"liebe ich dich."
"Ich dich auch, aber das ist nun nebensächlich. Diese Spiegelbilder sind im ihrem Schicksal gefangen, das werde ich nicht zulassen.", ich war selber überrascht, wie überzeugend ich klingen konnte.
Er nickte zugleich traurig und entschlossen.
"Lieben kann ich dich danach auch.", flüsterte er und strich über meine Wange, bevor er sie küsste," Gut finde ich es trotzdem nicht."
"Das musst du auch nicht.", flüsterte ich zurück und dann mischte Ferdinand sich wieder ein:"Kommt, ihr Turteltauben. Was für ein Zufall, dass ich diesen Spiegel besitze, der euch als Portal dienen wird."
"Was für ein Zufall.", murmelte ich grinsend.
Er führte uns in einen anderen Raum und zog ein großes Samttuch von einem alten Spiegel. Dabei wirbelte er viel Staub auf, der mich zum Niesen brachte.
"Viel Glück!", rief er und schubste uns darauf durch das Portal.
Um uns herum würde es dunkel und wir würden geschleudert. Ich klammerte mich an Leon und ließ es über mich ergehen, dabei blieb die Übelkeit leider nicht aus.
"Oh Mann, was war das denn?", stöhnte ich, als wir endlich wieder auf festem Boden standen.
Leon lachte mich an und sagte dann:"Wir sind jetzt in dem Spiegelreich, aber die Reise war schon etwas turbulent."
Er umarmte mich und streichelte mir über die Haare.
"Wir sollten nun wirklich aufbrechen, aber wohin überhaupt?", flüsterte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange, die sich augenblicklich rot färbte.
"Wir müssen in die Stadt dort hinten.", er zeigte auf Umrisse, die tatsächlich auf eine Stadt hindeuten könnten,"Dann müssen wir irgendwie in das Schloss der Königsfamilie kommen und den Kristall in unsere Welt schaffen. Und das alles am besten mit der Unterstützung der Königsfamilie."
Meine Reaktion war ein kleines, aber aussagekräftiges "Oha".
Wir machten uns zu Fuß auf den Weg zu der Stadt, die erschreckender Weise genauso aussah, wie meine Heimat aussah, und waren ungefähr einen halben Tag unterwegs.
Als wir angekommen waren, starrten wir für einen Moment ehrfürchtig das Rathaus an. Es sah dem unserer Stadt sehr ähnlich, nur, wie alles andere in der Stadt, war es etwas gräulich.
"Lass uns eine Bleibe für heute Nacht suchen.", sagte er und ich nickte nur. Ganz in der Nähe des Rathauses fanden wir eine Jugendherberge, in der Leon mit einer seltsamen Währung bezahlte. Er nannte sie "Kristalline".
"Gute Nacht.", mehr brachte ich vor Müdigkeit nicht mehr hervor, bevor ich einschlief.
"Guten Morgen, Schlafmütze.", Leon weckte mich mit einem sanften Kuss und legte sich zu mir auf die Matratze,"Es ist noch ein weiter Weg zum Palast."
Ich murrte und zog dann die Kleidung an, die Leon aus seinem Rucksack holte.
Woher er sie hatte? Keine Ahnung, vielleicht hatte er sie schon eingepackt, als wir zu Ferdinand aufgebrochen waren.
Wir packten ein paar Brote ein und machten uns auf den Weg zu dem Palast. Der Weg dauerte dieses Mal nur eine Stunde.
Angekommen baten wir um eine Audienz und wurden in einen großen, hellen Saal gebeten, der mit Marmor ausgelegt war.
"Eure Hoheit", begann Leon,"wir müssen unbedingt mit Ihnen über den Kristall reden."
Der Mann mit dem weißen Bart, der auf dem goldenen Thron saß, verfinsterte sein Gesicht, doch die hübsche Frau neben ihm lächelte ihn an und griff liebevoll seine Hand:"Wir sollten den Beiden eine Chance geben."
Der Mann nickte und bat uns in einen Nebenraum.
"Na gut, worum geht es?", sagte er geduldig und Leon ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen:" Der Kristall kettet Euer Volk an das Schicksal des Spiegelbildes. Er muss vernichtet oder entfernt werden."
"Und wer garantiert mir, dass ihr den Kristall nicht stehlen wollt?"
"Wir kommen aus einer anderen Welt. Dort hat der Kristall keinen Wert."
Ich traute mich nicht Leon oder den König zu unterbrechen oder mich in das Gespräch einzumischen.
Nun begann der König wieder.
"Wie wollt ihr das nachweisen und aus welchem Grund wollt ihr uns dann helfen?"
"Sucht doch einfach unsere Spiegelbilder. Das Siegelbild von Soraya hat schwarze Haare, anstatt Blonde und deshalb wollte sie euch unbedingt helfen. Seit sie es erfahren hat...", doch dann wurde Leon von dem König unterbrochen:"Sie, beziehungsweise Soraya hat ... naja, ihr habt Recht. Uns ist ein Fehler im System unterlaufen. Ich glaube euch. Bitte, bitte nehmt den Kristall mit und gebt ihn Ferdinand. Das ist dein Bruder, nicht?"
"Vielen Dank für euer Verständnis. Ich bereite alles vor und dann kann es morgen losgehen."
Wir bedankten uns und bekamen darauf en Gästezimmer im Palast zugewiesen.
Dort kuschelten wir uns auf das Bett und genossen unsere freie Zeit.
"Wie lange habe ich geschlafen? Ich hoffe, dass...", vor Schreck brachte ich nicht mehr hervor.
"Soraya, Lauf!", schrie Leon, der von zwei schwarz gekleideten Männern festgehalten und gefesselt wurde.
Ich stand auf und rannte zur Tür, wurde jedoch von einem Mann aufgehalten und auch gefesselt.
Ich versuchte mich zu wehren, aber die Fesseln schnitten nur meine Haut ein und hinterließen schmerzhafte Schürfwunden.
Sie zogen uns aus dem Gästezimmer und verbanden uns dann die Augen, als wir aus dem Palast gegangen waren. Leider begegneten wir keiner einzigen Wache, die uns hätte retten können.
In einem dunklen Raum nahmen sie uns die Augenbinden wieder ab und sahen erst mich und dann Leon einschüchternd an.
"Was wollt ihr von uns.", rief Leon wütend und starrte die kräftigen Männer böse und abwertend an.
Einer von ihnen trat hervor, lachte und erklärte dann:"Wenn ihr den Kristall mitnehmt, wird unser Boss nicht sehr begeistert sein. Die Einwohner haben dieses Schicksal verdient."
"Warum? Niemand hat das verdient! Jeder sollte sein Schicksal selber bestimmen!", nun mischte auch ich mich ein. Ängstlich und doch wütend versuchte ich einen Ausweg aus dieser schrecklichen Situation zu finden. Erfolglos.
Ich rutschte auf meinem Hosenboden hin und her und versuchte die Seile zu lockern. Dies gelang mir zwar nicht, aber dafür fand ich etwas anderes: Ein Taschenmesser in meiner Hosentasche.
"Und jetzt verhaltet ihr euch ruhig, verstanden?", es war eher eine Drohung, als eine Frage oder Bitte.
Panisch nickte ich und Leon nickte auch, aber weniger panisch. Würden sie uns etwas antun?
Ich versuchte mich zu beruhigen und rutschte noch ein paar Mal hin und her. So bekam ich das Taschenmesser in meine Finger und schnitt möglichst unauffällig die dicken Seile durch.
In diesem Moment war ich so froh, wie noch nie, dass ich einen Kurs zur Selbstverteidigung belegt hatte.
Ich sprang schnell auf, warf Leon das Taschenmesser zu und stürzte mich auf die Entfürer.
Leon eilte mir zur Hilfe, als er sich losgebunden hatte und zusammen schafften wir es die Männer für so kurze Zeit zu überwältigen, dass wir weglaufen konnten.
Schnaufend kamen wir am Palast an, doch wir wurden verfolgt. Wir stürmten in den Audienzsaal, wo glücklicherweise der König, die Königin und eine Menge Wachen standen, die sofort unsere Verfolgern festnahmen. Sie zogen den Männern die Masken ab und erschraken. Wahrscheinlich gehörten sie zu der Königsfamilie, sonst wären diese Taten unmöglich gewesen.
Sie wurden abgeführt und dann wand sich der König an uns:"Es tut mir unglaublich leid! Das hätte nicht passieren dürfen! Alles ist für eure Abreise bereit, zuerst wollen wir euch aber noch Proviant und ein kleines Geschenk mitgeben."
Die Königin überreichte mir eine Kette, an der ein hübsch verzierter Spiegel befestigt war. "Mit diesem Spiegel habt ihr eine Verbindung zu uns und könnt uns immer erreichen und um Rat fragen.", erklärte die wunderschöne Frau.
Darauf wurden wir durch ein Portal wieder nach Hause geschickt.
"Endlich wieder zuhause, mit dir.", sagte Leon und nahm ich in den Arm.
"Ferdinand freut sich bestimmt auf unsere Geschichte.", flüsterte ich und wir machten uns auf den Weg zu dem Magier.
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