Kapitel 10
Ich folgte Ceiron nach draußen in den dunklen Wald, wo mich direkt ein mulmiges Gefühl umgab.
Weiter weg von all dem Trubel, hielt Ceiron an und lehnte sich dann an einem Baum. So weit von dem Haus entfernt, konnte ich kaum noch etwas erkennen, was vielleicht auch von Vorteil war, wenn Ceiron mir den Kopf abreißen wollte.
"Was willst du hier?", durchbrach seine kühle Stimme den dunklen Wald und alleine seine feindselige Reaktion sorgte dafür, dass mich ein kalter Schauer durchzog.
"Ich muss mit dir über Enya reden", sagte ich und versuchte dabei das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. Ich hatte vor seiner Reaktion Angst, denn wer wusste schon, ob er auch gut darauf zu sprechen war.
"Deine kleine Freundin?", harkte er nach und schien über dieses Thema überrascht zu sein, über welches ich mit ihm reden wollte.
"Ja sie ist ebenfalls verschwunden und komischerweise hatte sie wohl mit dir als letztes Kontakt", warf ich ihm vor. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, um ihm damit zu signalisieren, wie ernst die Lage für mich war.
"Nur zu meinem Verständnis. Wir reden von der Bohnenstange?", fragte er arrogant und brachte mich damit innerlich zum Kochen.
"Enya! Die Bohnenstange hat einen Namen!", schrie ich und wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen.
"Von mir aus. Und warum denkst du, dass ausgerechnet ich wüsste, wo sie ist?", fragte er mich aus, anstatt einfach zu antworten.
"Ich habe zu erst gefragt", erwiderte ich und merkte dabei, dass wir so niemals auf einem Nenner kommen würden.
"Bevor du mich fragst, solltest du dir vielleicht zuerst mal Gedanken machen, wie es eigentlich sein kann, dass du es erst eine Woche später mitbekommen hast", meinte Ceiron, wobei ich die Provokation aus seiner Stimme hörte.
"Ich habe nunmal auch einiges um die Ohren!", versuchte ich mich zu verteidigen und hörte auf einmal etwas, was ich zuvor noch nie gehört hatte.
Ceiron lachte leise, aber es war kein freundliches Lachen, welches mein Herz hätte höher schlagen lassen können. Es war ein Lachen, welches mir einen eiskalten Schauder über den Rücken jagte.
"Sicher. Ich kann dir genau sagen, warum du es erst jetzt bemerkt hast. Weil du ein egoistisches, selbstsüchtiges und naives Mädchen bist! In deiner Welt dreht es sich alles immer nur um deinen Schmerz und um deinen Verlust, dabei siehst du nicht, dass es Menschen gibt, denen es ähnlich ergeht!"
Seine Worte schmerzten, aber was viel mehr schmerzte war, dass er Recht hatte. Ich steckte so fest in meiner Trauer, dass mir meine beste Freundin die letzten zwei Jahre vollkommen egal war. Wäre sie nicht ab und an mal zu mir in die Garage gekommen, hätte ich sie wahrscheinlich seit dem Tod meines Dad's gar nicht gesehen.
Ich wusste nicht, wie es ihr ging oder was sie vielleicht durchmachen musste...
Seine Worten schienen mich von innen zu zerfetzen, weshalb ich meine Arme um meinen Oberkörper schlang, während mir bereits meine heißen Tränen die Wangen herabfielen.
"Aber da du dir ja solche Sorgen machst...", sagte er mit übertrieben gespielter Stimme. "...Sie ist im Haus. Erstes Stockwerk, zweite Tür links. Wenn du denkst, dir geht es danach besser, Ayleen."
Er ging an mir vorbei und stieß mit seiner Schulter gegen meine. Es war kein kräftiger Stoß und es tat auch nicht weh, es war viel mehr der Hass der diese Geste zeigte, welcher mir einen noch schmerzhafteren Stich verlieh.
"Aislinn...", hauchte ich traurig in den Wald hinein, wobei ich mir sicher war, dass er es nicht hören konnte. Aber das war auch nicht wichtig. Er würde es sich sowieso nie merken.
Ich drehte mich herum und schaute Ceiron hinterher, wie er zurück ging und in den Garten mit den vielen funkelnden Lichtern verschwand.
Wahrscheinlich wäre genau das der Zeitpunkt gewesen, wo ich hätte verschwinden sollen, aber ich entschied mich dennoch zurück in das Haus zu gehen, um Enya zu suchen.
Ich musste einfach wissen, dass es ihr gut ging und was der Grund war, warum sie ihren Eltern den Rücken kehrte und diese in dem Glauben ließ, dass sie einfach verschwunden wäre.
Im Haus angekommen, war alles wie vorher. Für all die Menschen hier, schien die Welt in Ordnung zu sein, während meine Stück für Stück mehr in sich zusammenbrach.
Rea kam mir entgegen, als ich auf direkten Weg zu der Treppe war, um in das erste Obergeschoss zu gehen, weshalb ich meine noch immer feuchten Augen verdrehte.
"Ich habe jetzt absolut keine Zeit für deine Späße", sagte ich und brachte ihn damit auch zum stoppen.
"Ich will einfach nur meine beste Freundin holen und dann so schnell und so weit, wie nur möglich verschwinden", erklärte ich Rea, weshalb er mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck ansah.
Er sah aus, als wäre er darüber traurig, aber auch als würde es etwas bedeuten, wovon ich keine Ahnung hatte. Gerade als ich ihn einfach stehen lassen wollte, um nach Enya zu sehen, hörte ich wieder Ceiron's Stimme durch das Haus, welches mittlerweile fast komplett totenstill war.
"Reamonn! Wenn sie mit Enya geredet hat, soll sie gehen. Ich ertrage es nicht, sie noch länger in meiner Nähe zu haben", knurrte Ceiron wütend, ehe er sich die Hand von der billigen Schnepfe nahm und mit dieser an mir vorbei nach oben ging. Er redete über mich, als wäre ich überhaupt nicht anwesend. Ich fragte mich, warum er was tat. Er hatte mir bereits genug wehgetan, da musste er doch nicht noch nachtreten!
Als beide an mir vorbei gingen, grinste mich die Schnepfe siegessicher an und wäre ich nicht bereits ganz weit unten auf dem Boden gestampft worden von Ceiron, hätte ich ihr liebend gerne das Grinsen aus dem Gesicht geschlagen.
Denn auch wenn er mich so abwertend behandelte, konnte ich dieses Gefühl der Eifersucht nicht loswerden. Diese Tatsache nervte mich beinahe noch mehr.
Nachdem ich Rea noch einmal in sein betroffenes Gesicht schaute, ging ich nach oben, um meine beste Freundin zu holen und schnellstmöglich von hier zu verschwinden. Ich folgte der Wegbeschreibung von Ceiron und wollte gerade die zweite Tür links öffnen, als Rea mich wieder stoppte.
"Du solltest nicht..."
Doch ich ignorierte ihn und riss die Tür schwungvoll auf, um mir dann zu wünschen, dass ich auf ihn gehört hätte und das Bild, welches sich vor mir ereignete niemals in meinem Kopf gespeichert hätte.
Ich sah Enya, allerdings war es nicht die Tatsache, dass sie fast nackt war, noch dass sich gerade zwei Typen an sie zu schaffen machte, dass was mich schockierte. Es war die Tatsache, dass sie überall Bisswunden hatte und einer der Typen sich, wie ein reudiger Köter in sie festgebissen hatte.
"Was läuft hier nur für eine Scheiße", murmelte ich fassungslos, als Enya mich mit riesigen Augen ansah und sich von den zweien befreite.
Ich lief aus dem Zimmer heraus und hielt mir den Kopf, um dieses Bild irgendwie loszuwerden, als ich sie hinter mir rufen hörte.
"Aislinn, warte!" Doch Anhalten war jetzt absolut keine Option. Ich musste hier raus!
Ich lief eilig an Rea vorbei, doch bevor ich die Treppe erreichte, holte Enya mich ein.
"Warte!", sagte sie wieder und zog sich eilig einen großen Hoodie über ihren halbnackten Oberkörper.
"Ich will es gar nicht wissen", entgegnete ich und hielt mir meine Ohren zu. Egal, was sie zu ihrer Verteidigung zu sagen hatte, dass würde mich nun auf ewig verfolgen.
"Was tust du hier?", fragte sie genauso überrascht, wie ich es war.
"W-was ich hier tue? Das sollte ich lieber dich fragen! Ich habe gedacht dir wäre irgendwas schlimmes zugestoßen! Alle machen sich Sorgen und alles was du zu tun hast, es dich hier auf kranke Art und Weise befriedigen zu lassen? Was ist das hier? Ein Freudenhaus?", rief ich empört aus.
"Es ist nicht so, wie du denkst", sagte sie kleinlaut, weshalb ich sie mit erhobenen Brauen anschaute.
"Wie ist es denn?"
"Das kann ich dir nicht sagen", sagte sie traurig, weshalb ich auflachte und die Hände in die Luft warf.
"Natürlich! Mir kann ja keiner hier irgendwas sagen! Was ist denn mit euch allen los?", schrie ich wütend.
"Du wirst es herausfinden, wenn deine Zeit gekommen ist", sagte sie wieder so leise und geheimnisvoll und brachte mich dazu ihre Hand wütend zu greifen.
"Das will ich gar nicht. Komm einfach mit und lass uns von hier verschwinden!"
"Das geht nicht! Ich gehöre jetzt hierher", sagte sie und entriss sich meinem Griff. Ich traute meinen Ohren nicht. Was sollte das denn schon wieder heißen, sie gehörte nun hierher?
"Enya! Deine Eltern machen sich große Sorgen!", versuchte ich irgendwie zu ihr hindurchzudringen.
"Sie werden es schon verkraften. Du wirst es früher oder später auch herausfinden", sagte Enya traurig, ehe sie mich einfach stehen ließ und zurück zu den tollwütigen Hunden zurückging.
Hin und hergerissen, was ich tun sollte, hörte ich von unten lautes Gepolter, weshalb mein Blick dahin fiel. Wie in einem Film sah ich, dass alle Köpfe auf einmal nach links gingen und jedes Augenpaar nach draußen fiel.
"Fuck", hörte ich Rea fluchen, als plötzlich jemand laut rief: "Wem gehört die schwarze KTM?"
Das war mit Abstand der beschissenste Geburtstag aller Zeiten!
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