Kapitel 7
[Bild: JARED]
Ich habe gerade ein Déja-vu. Ich sitze mal wieder an einem Sonntagabend am Küchentisch, esse das, was vor mir steht und mache nebenbei meine Hausaufgaben. So wirklich Ahnung von den Aufgaben habe ich nicht, aber ich bemühe mich echt diese Dinge zu verstehen.
Ich schaue auf die Uhr und muss feststellen, dass es wieder Zeit für eine Privatveranstaltung wäre. Ich denke aber, dass ich (mal wieder) auffliegen würde, weil ich erkannt habe, dass meine Ninja-Fähigkeiten noch bearbeitungsbedürftig sind.
Schade aber auch.
Ich stoße Luft aus, packe meine Schulaufgaben ein und gehe in mein Zimmer. Sofort fällt mir das Chaos dort auf. Ich habe es leider noch nicht geschafft - na gut, ich war zu faul - die Kartons auszuräumen und ich bin es immer noch.
Ich seufze laut auf und schwinge mich in mein Bett.
Da mein Zimmer im dunkeln liegt, kann ich erkennen, dass im Haus gegenüber noch Licht brennt. Okay, ein bisschen Spaß muss sein, außerdem bin ich neugierig.
Ich setze mich auf meine Fensterbank und schaue nach draußen. Mein Blick schweift über das Haus bis es an seinem Fenster hängenbleibt. Mein Herz setzt aus und ich habe das Gefühl, dass sich mein ganzer Körper anspannt.
Reeve steht an seinem Fenster und schaut ebenfalls nach draußen. Sein Kopf ist in meine Richtung gewendet und ich hoffe, nein, ich bete, dass er mich nicht sieht. Allerdings schaut er nicht so als ob er mich in der Dunkelheit erkennt. Er wirkt abwesend und fährt sich mit einer Hand durch die Haare. Ja, er wirkt nachdenklich.
Ob er es bereut hat, sein neues Betthäschen weggeschickt zu haben? Eher nicht. Reeve Hunter trauert nicht um irgendwelche Mädchen.
Plötzlich schlingen sich von hinten zwei Arme um ihn. Er dreht sich zu dem Mädchen um und hebt es auf seinen Arm.
Es ist Isy, die sich nun an ihn kuschelt, während er ihr leicht über die Haare streicht. Dass Reeve so zärtlich sein kann, wusste ich gar nicht. Er küsst sie auf die Stirn und redet mit ihr. Daraufhin fängt sie an zu lächeln.
Das ist wohl ein klarer Beweis dafür, dass Reeve etwas liebevolles an sich hat und sei es nur bei seiner Schwester.
Plötzlich fühle ich mich wie ein Eindringling in seine Privatsphäre und ich lege mich schnell wieder ins Bett.
***
Kennt ihr die Situation, wenn ihr nichtsahnend im Unterricht sitzt und wirklich keinen Plan habt, was der Lehrer von euch will? Da bringt es auch nichts, wenn dieser sich direkt vor euch stellt und anguckt als hättet ihr die Antwort, worauf alle warten.
Jap, ich kenne diese Situation wirklich gut und so langsam habe ich das Gefühl, dass Mr. Kendrick und ich schon so etwas wie 'Bestfriends' geworden sind. Anders kann ich mir nicht erklären, warum er sich immer mich aussucht. Er weiß doch ganz genau, dass ich die Hausaufgabe nicht habe. Theoretisch habe ich sie zwar, nur halt falsch und das weiß der Gute auch.
»Ms. Gear, wollen Sie nicht ihre Hausaufgabe vorlesen?«, fragt er mich mit einer gespielt freundlichen Stimme, doch in seinen Augen lodert der Spott. Wie ich diesen Lehrer doch hasse.
»Mr. Kendrick, ich muss Sie leider enttäuschen, da ich meine Hausaufgabe falsch verstanden habe und deshalb auch falsch gemacht habe. Aber wenn Sie wollen, kann ich sie gerne vorlesen.« Ich lächele ihn zuckersüß an und setze mich aufrecht hin.
»Nein, danke, das wird nicht nötig sein. Hab's ja gewusst.« Den letzten Teil murmelt er nur noch, doch ich habe ihn trotzdem verstanden.
»Warum nehmen Sie mich denn dann überhaupt noch dran?« Die Worte verlassen schneller als gedacht meinen Mund und ich könnte mir mal wieder eine ins Gesicht schlagen.
»Nun, Ms. Gear, ein Mensch darf hoffen, solange das Wissen überwiegt.« Hä-Was? »Nur darum geht es doch in der Psycholgie, oder etwa nicht?« Aha, der hält sich wohl für ganz schlau, dieser Idiot.
»Aber natürlich, Mr. Kendrick, was Sie betrifft, überwiegt mein Wissen auch mehr als die Hoffnung, die ich hege«, antworte ich in genau dem gleichen Tonfall wie er.
Von der Klasse ist ein leises 'ouuuuh' zu hören.
Seine Augenbrauen ziehen sich verärgert zusammen und er wird leicht rot, aber nicht vor Scham, sondern vor Zorn. »So langsam habe ich wirklich genug von Ihnen. Sie haben keinerlei Respekt, reißen Sie sich zusammen oder ich werde nicht mehr so freundlich mit Ihnen umgehen wie bisher.«
Die einzige Frage, die sich aus seinem Geschrei bildet, ist, wann war er denn mal freundlich zu mir? Ich denke aber, ich sollte jetzt lieber meine Klappe halten, denn ein Anruf bei meinen Eltern würde ich gerne vermeiden.
Nach ein paar mal tief ein und aus atmen, hat sich Mr. Kendrick wieder (so weit es für ihn möglich ist) beruhigt und fährt mit seinem Unterricht fort. Dieser alte Sack, muss sich nicht immer gleich so aufregen, es ist doch nichts passiert. Ja gut, ich gebe zu, dass ich vielleicht etwas unhöflich war, aber das war er doch auch.
Blöd nur, dass jetzt die ganze Klasse tuschelt und ich kein Wort verstehe, was der liebe Mr. Kendrick uns beibringen will.
»Nächstes Mal nicht so pampig werden, kleiner Parrot«
Leck mich, Reeve.
»Nächstes Mal nicht so viel Scheiße labern, sonst setzt es was«, wütend funkele ich ihn an und muss mich beherrschen, nicht sofort auf ihn loszugehen.
»Ich wär' wirklich gespannt darauf, was dein neuer bester Freund dazu sagen würde«, hinterhältig zwinkert er mir zu und aus Reflex hebe ich meinen Mittelfinger in seine Richtung.
»Und ich bin wirklich gespannt darauf, wie sich mein Fuß zwischen deinen Beinen anfühlt«, blaffe ich lauter als beabsichtigt.
»Ms. Gear! Habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt? Ich habe genug davon. Nachsitzen«, schreit Mr. Kendrick plötzlich und Reeve schaut mich belustigt an.
»Aber Reeve hat mich doch provoziert.« Sofort lässt Reeves belustigter Ausdruck nach und er funkelt mich wütend an.
»Das ist mir sowas von egal. Mr. Hunter, ebenfalls Nachsitzen.« Den letzten Teil des Satzes wendet er an Reeve, welcher nur ein Schnauben von sich gibt. »Wird's bald?«
Genervt packe ich meine Tasche ein und laufe aus der Klasse. Es ist ja nicht so als ob ich zum ersten Mal nachsitzen muss, aber wegen so einer Kleinigkeit? Das ist etwas übertrieben.
»Warum hast du das getan?«, keift Reeve mich einige Sekunden später an.
»Glaubst du wirklich, ich würde die Strafe allein auf mich nehmen, nur um dich zu schützen? Wie dämlich bist du eigentlich?«
»Die Frage lautet: wie dämlich bist du? Wäre ich an deiner Stelle, würde ich mich nicht mit mir anlegen.« Oh, wie süß.
»Sonst was?«, frage ich spöttisch und bleibe stehen. Allerdings tut er das nicht und kommt mir bedrohlich nahe.
»Es könnte ziemlich ungemütlich für dich werden«, flüstert er mir ins Ohr. Er will spielen? Gut, spielen wir. Ich trete also noch einen Schritt auf ihn zu und stelle mich auf Zehenspitzen, damit mein Mund an seinem Ohr ist.
»Vielleicht steh' ich ja drauf«, hauche ich. Ohne auf seine Antwort zu warten, laufe ich zum Detention-Raum.
Idioten so weit das Auge reicht.
Ich öffne die Tür zur allgemein bekanntlichen Gefängniszelle und trete ein, dicht gefolgt vom Superhirn. Ein ältere Herr sitzt am Pult und blättert in seinen heißgeliebten Zeitschriften. Vom Zuknallen der Tür schaut er auf und ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.
»Six, wie schön dich wiederzusehen.«
»Herby, die Freude ist ganz meinerseits«, lächele ich ihn an und gebe ihm mein belegtes Truthahnsandwich. Im Tausch bekomme ich sein Käsebrötchen.
Ein Blick auf Reeve verrät mir, dass er sichtlich verwirrt von der Situation ist. Ohne ihn jedoch weiter zu beachten, setze ich mich in die letzte Reihe.
»Reeve, Alter, was machst du denn hier?«
»Haben die dich wieder in der Abstellkammer gefunden?«
Zwei Vollidioten lachen sich kaputt, während Reeve sich zu ihnen setzt.
»Halt die Klappe, Bobby. Das war erst einmal.« Reeve gibt ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und wendet sich dann an den Jungen, der ziemlich Bad-Boy mäßig aussieht.
Er hat schwarze Haare, schwarze Klamotten und sieht wirklich gelangweilt aus. Der andere Junge, Bobby, ist kleiner als die beiden, etwas runder und hat eigentlich eine freundliche Ausstrahlung. Naja, wenn man mal von seinen dämlichen Kommentaren absieht.
»Am besten fragst du das reizende Mädchen hinter dir.«
Sofort dreht sich der Junge um und schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. Ziemlich auffällig und unangenehm.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schaue ihn abwartend an. Gelangweilt blickt er wieder nach vorne.
»Was kann sie denn bitte anrichten?«
»Ich, an deiner Stelle, würde sie nicht unterschätzen. Sie hat voll den Killerblick drauf«, flüstert Bobby ihm ins Ohr und guckt schnell weg, als er bemerkt, dass ich ihn beobachte. Vollidiot, sag ich ja.
»Schüler, warum auch immer ihr hier sitzt, eure Bestrafung wird es sein, das Winterkonzert aufzubauen«, sagt Herby auf einmal. Ein leises Stöhnen der Schüler ist zu hören, ehe er weiterspricht. »Glaubt mir, ich würde auch viel lieber hier sitzen und meine Zeitschriften lesen, aber das habe ich nicht zu bestimmen, also los hopp, auf ans aufbauen.«
Mit einem Seufzer verlasse ich den Raum und laufe den Gang entlang. Auf sportliche Aktivitäten kann ich wirklich verzichten. Hinter mir höre ich Lachen und Getrampel der anderen.
»Hey, Parrot, wo willst du denn so schnell hin?«
»Nerv mich nicht, Reeve.« Ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass er es ist, da er der
einzige Spast ist, der mich so nennt.
»Lass sie lieber, Reeve«, höre ich noch jemanden flüstern, bevor ich in der Aula ankomme.
Nach der Anweisung alle Stühle in Reihen aufzustellen, hier und da Musikboxen hinzutragen und die ganzen Notenständer etc. bereitzustellen, machen sich alle an die Arbeit.
Gerade bin ich dabei eine Musikbox hochzuheben und an Ort und Stelle zu packen, als irgendein Vollpfosten mich mit einem Notenständer niederbrettert. Fluchend richte ich mich wieder auf und halte Ausschau nach demjenigen, der meine Faust gleich zu spüren bekommt.
»Tut mir leid, tut mir leid, das wollt' ich nicht«, ruft Bobby unterwürfig und hält sich schützend seine Arme vors Gesicht. »Bitte, tu mir nichts.«
Anstatt ihm eine zu verpassen, fange ich an zu lachen. Verwirrt senkt er seine Arme und schaut mich misstrauisch an.
»Hast du etwa Angst vor mir?«, frage ich belustigt, nachdem ich mich wieder beruhigt habe.
»Äh ... nein.« Er stellt sich aufrecht hin und räuspert sich, »ich meine, nein, habe ich nicht. Warum sollte ich vor dir Angst haben?«
Okay, das war jetzt zu viel. Meine Miene verfinstert sich und er setzt erschrocken einen Schritt nach hinten. »Tut mir leid.«
»Was machst du denn, wenn du Abends unterwegs bist? Feinde schlägst du somit nicht in die Flucht«, sage ich und schaue ihn interessiert an.
»Ich bin nicht alleine unterwegs.«
»Wer ist denn bei dir?«
»Reeve, Jared und Lois«, druckst er herum und schaut sich in der Aula um.
»Wer sind Jared und Lois?«
»Jared ist der Aufreißer unter uns. Also noch mehr als Reeve. Lois ist total langweilig, aber das alles weißt du nicht von mir«, verschwörerisch beugt er sich weiter zu mir.
»Aha. Und wer bist du dann?«
»Ich bin der Checker unter uns, der, dem die Mädels haufenweise hinterherlaufen.« Er zwinkert und ich muss mir ein Lachen verkneifen.
»Wo sind denn deine Mädels jetzt? Ich seh nämlich kein einziges«, skeptisch schaue ich ihn an.
»Ja das ist, weil ich manchmal echt 'ne Pause brauche. Ständig wollen die irgendwas, du weißt ja gar nicht, wie anstrengend das sein kann«, gespielt außer Atem stützt er sich auf seine Knie.
Jetzt muss ich aber wirklich lachen und er grinst mich an.
»Erzählst du schon wieder Lügengeschichten, Bobs?«, ruft der Junge, der vermutlich Jared ist.
»Ich hab nur erzählt, was für ein Spast du bist, Jared.« Er zwinkert mir wieder zu und dreht sich zu ihm um.
Als Antwort darauf, nimmt er ihn in den Schwitzkasten und rubbelt ihm über den Hinterkopf.
»Ist ja gut, ich nehm's zurück«, sprudelt Bobby raus und befreit sich aus dem Griff. »Und jetzt Pfoten weg, du ruinierst meine Haare.«
Jared lacht leise und schaut mich nun an. »Und du bist?«
Kurzzeitgedächtnis oder so? »Nicht interessiert.«
»Hübscher Name, ich bin Jared.« Er streckt mir eine Hand entgegen, die ich widerwillig annehme. Statt sie jedoch zu schütteln, küsst er meine Fingerknöchel.
Angewidert entreiße ich sie ihm, was er mit einem Augenzwinkern quittiert.
»Blöd in der Ecke rumstehen, kann ich auch. Ein bisschen Bewegung würde euch nicht schaden«, sagt Reeve, der plötzlich neben uns steht.
»Bleib locker, wir wissen, was wir tun«, entgegnet Bobby und gibt ihm einen Stoß gegen die Schulter.
»Das seh ich.« Genervt wendet er sich ab und macht weiter. Versteh einer mal die Vollidioten.
»Vielleicht sollten wir wirklich helfen«, sage ich, ehe ich davon gehe und meine Musikbox zum Podest trage.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro