04. Der Tätowierer
| A N A B E L L E |
Wirklich deuten konnte ich seinen Blick nicht.
Ich war Meisterin darin die Körpersprache der Menschen zu entziffern, doch das Grinsen auf seinen Lippen, kombiniert mit dem desinteressierten Funkeln in seinen Augen und der abweisenden Körperhaltung konnte ich in keinerlei Zusammenhang bringen und das verunsicherte mich zusätzlich.
„Anabelle, das ist Zayn. Er wird dir dein Tattoo stechen."
Eleanor stellte sich zwischen mich und den Fremden. Sie schien sein Verhalten nicht seltsam zu finden, auch dass er noch immer nichts gesagt hatte und mich weiterhin mit eisernem Blick anstarrte. War er vielleicht immer so drauf? Ich sprach mir selbst Mut zu, straffte etwas selbstbewusster meine Schultern und erhob ich letztendlich von der Couch.
„Zayn, das ist-"
„Anabelle, ich weiß. Wir sind uns schon begegnet."
Eleanors Kopf rückte zu mir herum und fragend musterte sie mich. Kein Wunder - ich hatte ihr zuvor versichert, dass ich Zayn nicht kannte. Was ja theoretisch auch stimmte, denn ich hatte bis vor wenigen Minuten nicht einmal seinen Namen gewusst. Und trotzdem war ich größtenteils nur wegen ihm hier.
„Und du bist volljährig?", fragte er in einem überheblichen Tonfall. Seine Augen brannten sich in meine und ich vergaß für ein paar Sekunden die Welt um mich herum – einfach nur weil mich dieses gefährlich blitzende braun so fesselte.
„Ja ist sie, ich habe ihren Ausw–"
„Ich habe nicht dich gefragt, El, sondern sie."
Die Art, wie er das sie betonte, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Zayns Grinsen war verschwunden und einer bedrohlichen Miene gewichen, sodass ich in Erwägung zog vielleicht doch lieber schleunigst den Laden zu verlassen. Doch meine Füße bewegten sich keinen Millimeter, also blieb ich konsequent auf der Stelle stehen und versuchte seinem Blick Stand zu halten.
„Anabelle kann nicht reden, also erwarte keine Antwort. Stattdessen fände ich es sehr bemerkenswert von dir, wenn du mich mal ausreden lassen würdest, Zayn."
Eleanor verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sah ihn eingeschnappt an. Ich war froh, dass sie ihm Kontra gab, denn ich hatte viel mehr Probleme damit mich vom Weglaufen abzuhalten.
Als Zayn mich wieder ansah, wurde mir klar, dass er das alles mit Absicht machte. Er wusste, dass ich nicht sprechen konnte und nun versuchte er damit eine Schwachstelle bei mir auszunutzen. Vergeblich. Mit der Zeit gewöhnte man sich an Häme und Abweisung - da hatte ich schon weitaus Schlimmeres durchmachen müssen.
„Zeig mir was du haben willst", herrschte er mich an und funkelte mich wütend an. Etwas mutiger straffte ich meine Schultern, blätterte auf die Seite mit dem Bild und trat selbstbewusst an Zayn heran, der fordernd seine Hand ausstreckte.
„Ich geh rüber zu Louis. Sei nett zu ihr, Zayn." Eleanor berührte aufmunternd meinen Arm als sie an uns vorbeilief. Dankbar lächelte ich sie an und ließ schließlich meinen Blick zurück zu dem Jungen bei mir gleiten.
„Treibt es nicht zu laut dahinten."
„Halt die Klappe!", rief Eleanor und ließ mich und Zayn in dem Raum allein.
Ohne mich zu beachten, betrachtete er immer noch meine Zeichnung. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein auf das andere und sah Zayn dabei zu, wie er nachdenklich die Bleistiftlinien studierte.
Erneut fiel mir auf, dass er wirklich schön war. Besonders jetzt, wo er so konzentriert wirkte. Er hatte seine Augenbrauchen zusammengezogen und seine Lippen kräuselten sich leicht, als er nun mit seinen Fingern über die verworrenen Buchstaben fuhr. Die Nervosität stieg ins Unermessliche, weil ich einfach nicht einschätzen konnte, ob er das Motiv gut fand oder nicht. Eigentlich sollte es mir auch egal sein...war es aber nicht.
„Hast du das selbst gezeichnet?", fragte er mich nach einigen Augenblicken und sah mich nachdenklich an. Es war das erste Mal, dass er mich ernst zu nehmen schien und das ließ mich noch etwas selbstbewusster werden. Zustimmend nickte ich und umschlang mit meinen Armen meinen Körper.
Zayns Mundwinkel zuckten und keine Sekunde später hatte er wieder das spöttische Lächeln aufgesetzt, das mir mittlerweile mehr als bekannt war. Mein eben aufgebautes Selbstbewusstsein verpuffte als er zusätzlich leise zu lachen begann.
„Süß", war sein einziger Kommentar. Ich biss mir auf die Zunge, um einen gekränkten Gesichtsausdruck zu vermeiden. Ich wusste nicht, wie er es schaffte, aber seine Worte trafen mich genau dort, wo es wehtat. Dass er immer noch mein Buch in seinen Händen hielt und ich mich somit nicht äußern konnte, machte alles noch etwas schlimmer.
„Wo willst du es hin haben?"
Wie bei Eleanor zuvor, zeigte ich auf meine linke Seite auf die Rippen. Zayn zog seine Augenbrauchen hoch und sah mich ungläubig an: „Bist du dir sicher? Dort ist es ganz schön schmerzhaft, weil es ziemlich nah am Herzen ist."
Ich nickte. Durch meine intensive Recherche gestern Nacht wusste ich, dass das Stechen eines Tattoos auf der linken Seite mehr weh tat und trotzdem wollte ich es dort haben. Einer der Gründe war auch, dass es dort niemand so schnell sehen würde...in dieser Hinsicht war ich dann doch etwas eigen.
„Wenn du es so willst. Ich hoffe, du fällst nicht in Ohnmacht", erwiderte er gleichgültig, klappte mein Buch zu, ließ aber einen Finger zwischen den Seiten stecken, um meine Zeichnung gleich wieder aufzuschlagen. Es war dämlich von mir das alles nicht auf einem extra Blatt gezeichnet zu haben, denn ich fühlte mich irgendwie hilflos ohne die Möglichkeit mich zu äußern.
Ohne ein weiteres Wort drehte Zayn sich um und lief in einen Raum, der neben dem lag in den Eleanor vor wenigen Minuten verschwunden ist. Er wandte sich nochmal zu mir um und sah mich ungeduldig an. Ich folgte seiner stummen Aufforderung und verkrampfte meine Finger etwas um meinen Körper, um das nervöse Zittern zu unterdrücken.
Der Raum war klein, aber die Graffitis an den Wänden belebten ihn auf eine zugegeben schöne Art und Weise. Sie waren im gleichen Stil, wie das im Eingangsbereich gesprüht, sodass sich annahm, dass sich in diesem Tattoostudio ein einzelner Streetart - Künstler hatte richtig ausleben können. Im Zentrum des Zimmers stand eine Art Liege, die mich an einen von denen aus einer Notaufnahme erinnerte. Genau daneben befand sich ein Tischchen mit den unterschiedlichsten Utensilien. Als mein Blick auf die verschiedenen Nadeln fiel, schluckte ich einmal.
Zayn hatte sich mit meinem Buch an einen kleinen Schreibtisch gesetzt, einen Stift in der Hand und zeichnete mein Bild auf etwas, das aussah wie Transparentpapier. Unsicher, was ich nun tun sollte blieb ich neben der Liege stehen und beobachtete ihn, bis er nach wenigen Minuten fertig war. Es war schließlich nur eine einfache schwarz – weiß – Zeichnung mit nicht allzu vielen Details.
„Zieh dich aus."
Perplex sah ich ihn an. Eigentlich sollte ich mittlerweile mit seinen unfreundlichen Aufforderungen rechnen. Zayn sah nicht auf, weswegen ich mit zittrigen Fingern an den Knöpfen meiner Bluse rumfummelte, ehe ich sie ordentlich auf die Liege legte.
Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust, damit ich mich nicht allzu nackt fühlte. Er hob kurz seinen Kopf, um in meine Richtung zu schauen und beschämt senkte ich meinen Blick. Meine Wangen glühten, weil es mir dann doch ziemlich unangenehm war, so vor einer komplett fremden Person zu stehen.
„Den BH auch. Ich bin zwar gut, aber durch Stoff tätowieren, ist dann doch etwas kompliziert", sagte er und ich kniff meine Augen zusammen. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, dass ich das Tattoo vielleicht doch lieber an einer anderen Stelle platzieren sollte, doch dann fiel mir wieder mein neuer Vorsatz ein, dass ich mehr riskieren wollte.
„Stell dich nicht so an. Du bist nicht die Erste, die sich vor mir auszieht."
Seine Worte verletzten mich irgendwie, denn ich verstand die Doppeldeutigkeit. Meine Hände zitterten immer noch, als ich begann den Verschluss meines BH's zu öffnen. Ich atmete tief die Luft ein, kniff noch einmal kurz die Augen zusammen und legte schließlich auch diesen zu meiner Bluse, ehe ich mich auf die Liege setzte.
Wie Zayn gesagt hatte...er hatte sowas schon öfters gesehen und es war ja auch nicht das erste Mal für mich, dass mich ein Junge halbnackt sah. Meine Stirn legte sie in Falten. Wieso machte ich hier überhaupt eine Szene? Es gab eigentlich nichts, wofür ich mich schämen musste.
Zayn erhob sich von dem Schreibtisch und kam zu mir herübergelaufen. Er hielt mir das die Schablone vor Augen. Er hatte sie noch etwas verfeinert und mehr Details hinzugefügt. Ich musste zugeben, dass sie mir nun noch etwas besser gefiel, weswegen ich langsam nickte. Dieses Gefühl für das Filigrane hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Mit meiner Hand deutete ich dann sofort auf mein Buch, das immer noch auf dem Tisch sah und Zayn folgte mit seinen Augen.
„Ich glaube nicht, dass du in der Lage sein wirst, etwas zu schreiben, wenn ich dich steche."
Er grinste über den perversen Witz, den er gerade gemacht hatte. Augenverdrehend deutete ich erneut auf das Buch und seufzend kam Zayn meiner stummen Aufforderung nach.
„Bitte sehr, Prinzesschen", sagte er und ließ das Buch auf meinen Schoß fallen. Ich wusste nicht, woher ich den Mut nahm ihn anzufunkeln, doch ich tat es einfach, denn sein Gehabe ging mir mittlerweile tierisch auf die Nerven.
Danke
Zayn las das schnell gekritzelte Wort und lachte dann einmal halbherzig.
„Keine Ursache. Das ist also die Art, wie du kommunizierst?", fragte er, während er sich auf den Stuhl setzte und eine Packung mit weißen Gummihandschuhen öffnete, die ich aus dem Krankenhaus kannte. Na wenigstens achtete er auf Hygiene.
Hast du etwa ein Problem damit?
„Nein ganz und gar nicht. Endlich mal eine, die mir nicht die Ohren zumüllt. Leg dich auf den Bauch."
Wieder diese Anweisungen. Ich verdrehte erneut die Augen, tat aber das, was er von mir verlangte. Der Bezug der Liege war kalt, was mit der Tatsache, dass ich Oberkörperfrei auf ihr lag, ziemlich unangenehm war. Ich legte das Buch über meinem Kopf ab und schob meine Arme etwas nach oben, sodass Zayn an die Stelle, wo er das Tattoo stechen würde, rankam.
Während er eine Flüssigkeit auf meine Haut sprühte, ich schätzte Desinfektionsmittel, begann ich erneut in meinem Buch zu kritzeln. Ich wartete, bis er die Schablone aufgelegt hatte, ehe ich ihm mein Geschriebenes hinschob.
Wie lange machst du das schon?
Seine Hand verweilte auf meiner Seite, als er stoppte, um zu lesen. Ich konnte nicht leugnen, dass dieses Gefühl von der Wärme seiner Handflächen angenehm war, doch ich verwarf den Gedanken sofort.
„Drei Jahre."
Wie alt bist du?
„Einundzwanzig, aber wenn du dein Tattoo noch heute bekommen willst, dann solltest du jetzt die Klappe halten."
Erneut lachte er über seinen schlechten Witz. Ich legte das Buch wieder vor mich, verschränkte die Arme unter meinem Kinn und legte dieses dann darauf ab. Es dauerte einige Sekunden, in denen Zayn mit der Folie hantierte, ehe er diese wieder abzog und mich aufforderte die lilafarbene Vorlage, die jetzt auf meine Haut zu sehen war, zu betrachten. Erneut nickte ich und legte mich zurück.
Mein Herzschlag beschleunigte sich, weil mir bewusst wurde, dass es jeden Moment soweit sein würde. Im Internet hatte ich gelesen, dass es so schmerzhaft sein würde; als würde dich eine Biene immer und immer wieder stechen. Ich konnte mich daran erinnern, dass ich als Kind mal von einer gestochen wurde und die Wunde unglaublich stark angeschwollen ist. An den Schmerz konnte ich mich nur schwerlich entsinnen.
Zayn begann auf dem kleinen Tischchen mit den ganzen Utensilien herumzukramen und ich schluckte einmal schwer.
„Weiß dein Lover eigentlich, dass du hier halbnackt vor mir liegst?"
Ich lief erneut feuerrot an, als Zayn mich daran erinnerte, wie entblößt ich mich hier Preis gab. Erst dann bemerkte ich, dass er auf Niall anspielte. Jemand anderen kannte er aus meinem Umfeld ja nicht.
Niall ist nicht mein Lover. Nur bester Freund.
Er schnaubte einmal als er es erneut las. Jedes Mal wenn er sich vorbeugte, um in meinem Buch zu lesen, wehte sein Geruch in meine Nase. Er roch nach Zigaretten und Limetten. Eine komische Mischung und auch wenn ich Zigarettenqualm eigentlich verabscheute, mochte ich es an ihm.
„Na dann wollen wir mal sehen, wie taff unser braves Mädchen wirklich ist. Noch kannst du weglaufen."
Doch ich lief nicht weg. Der Schmerz war zwar unerträglich, doch ich ließ ihn über mich ergehen, ohne eine Träne zu verdrücken. Es brannte zwar höllisch, war aber kein Vergleich zu den psychischen Qualen, die ich schon seit Jahren durchlebte.
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Hi, alle zusammen!
Ja, ich hab auf mich warten lassen und ja, ich war mir selbst nicht mal sicher, ob ich hier überhaupt zurückkommen würde, aber dass es tatsächlich noch Menschen gibt, die auf mich warten, hat mir neuen Mut gemacht. Also tausend Dank an euch :)
Ich weiß nicht, wie oft und wann hier was passieren wird, aber ich bemühe mich, euch auf dem Laufenden zu halten und garantiere für ein neues Kapitel im Laufe der nächsten Woche.
Fühlt euch umarmt,
eure Leonie :)
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