03. Eine andere Welt
| A N A B E L L E |
Niall hat mich mitgenommen. Sind noch in der Bibliothek, um zu lernen.
Ich verschickte die SMS an meinen Vater und schob das Handy danach in meine Jackentasche. Hastig eilte ich die Stufen aus der U-Bahnstation hinauf und drückte dabei meine Schultasche etwas fester gegen meinen Körper, da mir die ein oder andere unbehagliche Gestalt entgegen kam.
Ich war schon lange nicht mehr Bahn gefahren. Mum und Dad bestanden darauf, dass ich zur Schule gefahren und auch wieder abgeholt wurde. Ich sollte auf dem schnellsten und sichersten Weg nach Hause kommen, erklärten sie mir immer wieder. Sie sorgten sich um mich, was ich auch nachvollziehen konnte, aber mittlerweile musste ich auch mal lernen auf mich selbst aufzupassen.
Ich sah mich einmal auf der Straße um, um sicher zu gehen, dass mich niemand sah, den ich kannte. Zwar war dies in dieser Gegend sehr unwahrscheinlich, aber sicher ist sicher.
Niall hatte mich nirgends hin mitgenommen. Ich hatte mich ganz normal nach der Schule von ihm verabschiedet und ihm erklärt, dass mein Dad mich nach Hause bringen würde. Ich mochte es nicht ihn anzulügen, aber Niall wäre ausgeflippt, wenn er von meinem Vorhaben erfahren hätte.
Erleichtert stieß ich die Luft aus als mir der Tattooladen ins Auge fiel. Bei Tageslicht sah es aus, wie ein ganz normales Geschäft, was mir die Aufregung ein wenig nahm. Ich würde in ein ganz normales Geschäft gehen und mir dort was kaufen.
Eine kleine Glocke klingelte, als ich die Tür öffnete und direkt hinter mir schloss. Musik drang aus Lautsprechen, die an den Wänden hingen - es klang nach Rap, was nicht gerade mein Fall war, aber die Musik auch nicht von wirklich Bedeutung. Viel überwältigender fand ich die unzähligen Bilder, die an den Wänden hingen und die unterschiedlichsten Tattoos zeigten, meist knallbunte, total seltsame. Sie waren bis unter die Zimmerdecke angebracht worden und schienen mich regelrecht zu erdrücken.
Die Wand zu meiner rechten Seite dagegen war mit einem riesengroßes Graffiti verziert worden, das mit vielen Details und Farben den Namen des Tattoostudios darstellte. Permanent - wie passend.
„Hi, kann ich was für dich tun?"
Erschrocken drehte ich meinen Kopf zur linken Seite. Ein brünettes Mädchen mit langen, welligen Haaren stand vor mir und lächelte mich willkommen an. Sie wirkte freundlich und irgendwie fehl am Platz zwischen all diesen erdrückenden Bildern von Tattoos. Aber was dachte ich da? Ich selbst passte hier noch viel weniger rein.
Ich lächelte zaghaft, öffnete mein Notizbuch auf der ersten Seite und deutete mit meinem Finger auf das Ich spreche nicht, tut mir leid, dass ich schon so oft fremden Menschen gezeigt hatte. Die Brünette las sich den Satz durch und sofort erhielt ich den überraschen Gesichtsausdruck, den ich ebenfalls von so vielen anderen gewohnt war.
„Bist du taubstumm?", fragte sie verdutzt.
Grinsend schüttelte ich den Kopf und zeigte erneut auf Ich spreche nicht, tut mir leid. Das Mädchen schlug sich eine Hand vor den Kopf und sah mich entschuldigend an.
„Stimmt, sonst könntest du mich nicht verstehen", sagte sie und lachte schließlich über ihren eigenen Fehler. Sie hatte ein schönes, helles Lachen. Es war nicht nervig wie das von den Möchtegernbarbies in meiner Schule, sondern natürlich.
„Ich heiße Eleanor."
Mein Name ist Anabelle
Wieder deutete ich auf die erste Seite und Eleanor folgte meinem Finger mit ihren Augen. Ich hatte das nötigste, was ich öfters brauchte, auf die erste Seite geschrieben, was mir einiges an Zeit sparte.
„Na dann, Anabelle. Was führt dich hierher?", fragte sie und lief hinter einen Tresen, der ebenfalls in diesem Raum stand. Ich folgte ihr, blieb aber davor stehen, legte mein Notizbuch darauf ab und blätterte auf eine leere Seite.
Ich wollte mir ein Tattoo stechen lassen.
Nachdenklich sah ich mein Geschriebenes an, ehe ich noch Ein kleines. ergänzte und das Buch zu Eleanor drehte. Sie las sich alles flink durch und zog schließlich ihre perfekt gezupften Augenbrauen zusammen.
„Bist du überhaupt schon achtzehn?"
Da ich auf diese Frage vorbereitet war, legte ich meinen Ausweis vor, den Eleanor sofort inspizierte. Sie blinzelte mich über den Rand der kleinen Plastikkarte prüfend an und gab sie mir letztendlich zurück.
„Du bist jetzt aber nicht so eine, die ihren Ausweis fälscht, oder?", fragte sie skeptisch nach. Grinsend schüttelte ich meinen Kopf und verstaute die Karte in meiner Tasche. Eleanor seufzte erleichtert und lächelte mich an.
„Tut mir leid, wir müssen da ein bisschen aufpassen. Die Jungs und ich sind selbst noch ziemlich jung, weswegen die Cops gern mal vorbeischauen, um nachzusehen, dass wir keine illegalen Geschäfte machen."
Während Eleanor sprach, kam sie mit einigen Katalogen auf dem Arm hinter dem Tresen wieder hervor und deutete mir an auf der kleinen Sitzlandschaft, vor der Graffitiwand, Platz zu nehmen. Ich kam ihrem Angebot nach und ließ mich neben sie sinken, ehe ich auch schon einen Katalog mit Tattoomotiven in die Hand gedrückt bekam.
Die Jungs?
Die Tatsache, dass Eleanor Jungs, in möglicherweise ihrem Alter, erwähnt hatte, hatte mein Interesse geweckt. War es möglich, dass der Typ von gestern Abend hier arbeitete? Sie lachte als sie die Frage las und grinste mich an.
„Ja, wir sind hier zu dritt. Mein Freund Louis ist sowas wie der Inhaber des Ladens hier, während ich mich um den ganzen Papierkram und Organisatorisches kümmere. Das hier ist aber auch nur ein Nebenjob für mich, denn eigentlich studiere ich. Ach ja und dann ist da noch Zayn, der beste Freund von Louis. Die beiden sind unglaublich talentiert."
Eleanor plapperte munter vor sich hin und das gefiel mir. Ich hasse es, wenn es unnötig ruhig um mich herum war, was leider viel zu oft der Fall war.
Das klingt vielleicht doof, aber hat einer von den beiden schwarze Haare, viele Tattoos...so einen südländischen Touch?
Eleanor sah von dem Katalog auf, als ich ihr mein Buch hinhielt. Sie hatte die niedliche Eigenschaft die Worte mit ihren Lippen nachzuformen, was mir schon vorhin aufgefallen ist.
„Du meinst sicher Zayn. Kennst du ihn?"
Fragend sah sie mich an. Ich kritzelte ein Nein in mein Buch und schüttelte zusätzlich meinen Kopf. Ich kannte Zayn schließlich nicht. Mal ganz davon abgesehen, dass ich gestern in ihn gekracht bin und ich eigentlich nur wegen ihm hier war.
„Hast du dir schon überlegt, was und wo du dir was stechen lassen willst? Die kleinen Eulen sind momentan modern und auch ziemlich süß. Auf das Schulterblatt vielleicht? Da tut es nicht ganz so sehr weh für dein erstes Tattoo."
Sie blätterte euphorisch durch einen Katalog mit fertigen Motiven und ein weiteres Mal fiel mir auf, dass sie hier gar nicht reinpasste. Ich fragte mich, wie ihr Freund so war.
Nachdenklich blätterte ich durch mein Notizbuch und hielt es schließlich Eleanor vor Augen. Sie unterbrach ihre Suche und nahm das Buch in ihre Hände, während sie das Bild, das ich gestern Abend gezeichnet hatte, betrachtete.
„Hast du das selbst gemacht?", fragte sie verblüfft. Vorsichtig nickte ich und deutete mit meinem Finger auf die Stelle, wo ich es gern hätte. Auf meiner linken Seite neben meiner Brust. Ganz nah an meinem Herzen.
„Du hast unglaubliches Zeichentalent, weißt du das?", murmelte Eleanor. Mit erröteten Wangen sah ich dabei zu, wie sie ehrfürchtig über das Bild strich. „Hat es eine besondere Bedeutung?"
Langsam nickte ich. Natürlich hatte es eine - wenn ich mir sowas schon machen ließ, dann nicht total sinnlos. Meine Augen fielen auf meine ziemlich ungewöhnliche Zeichnung. Es zeigte eine kleine Raupe, die sich um die Buchstaben A und E schlang...es hatte mich eine Weile gekostet, ehe ich das richtige Motiv gefunden hatte.
„Willst du sie mir verraten?"
Eleanor sah mich fragend an. Ich schüttelte meinen Kopf und nahm das Buch wieder dankbar an mich, als sie es mir reichte. Sie lächelte verstehend und erhob sich von der Couch, ehe sie euphorisch in die Hände klatschte.
„Dann werde ich mal Zayn Bescheid sagen, dass Kundschaft wartet. Ich hätte dir ja gern die Wahl gelassen, aber Louis hat heute noch einen Termin für ein großflächiges Rückentattoo und dafür braucht er seine ganze Konzentration."
Ehe ich reagieren konnte, war Eleanor schon durch eine der drei Türen aus dem Raum gestürmt. Überwältigt von ihrem Elan starrte ich einige Sekunden auf den Punkt, wo sie vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatte und richtete meinen Blick schließlich wieder auf mein gezeichnetes Bild.
Zayn wird mein Tattoo stechen, schoss es mir durch den Kopf und schluckend verkrampften sich die Finger um mein Buch. Langsam wurde ich nervös, doch ich konnte nicht leugnen, dass ich erhofft hatte, Eleanor würde ihn auf mich ansetzen. Nicht, dass ich ein schlechtes Gewissen bei ihrem Freund hatte...in jeder anderen Situation hätte ich ihn vielleicht vorgezogen, aber letztendlich war ich hier um jemand etwas zu beweisen. Nein, es war nicht nur wegen Zayn, sondern auch wegen mir selbst.
Vielleicht war es dumm und naiv von mir, mir so viel auf die Meinung einer fremden Person einzubilden, doch gerade durch diese Meinung war mir etwas bewusst geworden: So wie mein Leben jetzt war, war es mir zu öde. Ich hatte mich durch meine Stummheit zurückgezogen und verlernt zu leben und etwas zu riskieren.
Als ich plötzlich Stimmen hörte, fuhr mein Kopf nach oben. Eleanor erschien mit einem leicht genervten Gesichtsausdruck zurück im Raum, doch als sie mich sah, lächelte sie mich freundlich an. Ich erwiderte es, bis auf einmal eine weitere Person hinter ihr erschien. Ich hielt für einige Sekunden die Luft an, als Zayn seine funkelnden Augen auf mich richtete. Ein spöttisches Lächeln zierte seine Lippen und mit meinem Mal, war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob meine Entscheidung richtig gewesen war.
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Ich wünsche euch eine entspannte Woche. Ich hoffe der Brückentag und das Mute - Update machen euch den Montag etwas entspannter :)
Alles Liebe,
Leonie
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