IV) 14:35 Uhr
IV) 14:35 Uhr
Der Trubel ist undurchschaubar. Ein Gewusel wohin man blickt. Kinder spielen am Beckenrand Fangen. Jugendliche stürzen sich von den Sprungbrettern, vor dem Kiosk ist eine lange Schlange und auf der Liegewiese befindet sich ein Flickenteppich aus bunten Handtüchern. Die meisten sind verlassen. Kaum ein leerer Quadratmeter im Schwimmbecken. Ziemlich einladend...nicht.
Wenigstens klingt meine Ausrede, es sei mir im Wasser zu voll, glaubhaft.
Ich blicke suchend über die teils verlassenen Decken und Handtücher, teils über die Menschen, die darauf liegen und in der Sonne brutzeln.
Eigentlich müsste Kati mich hier sehen, aber vielleicht ist sie im Wasser. Die glitzernde Oberfläche blendet meine Augen. Ich setze die Sonnenbrille auf und greife nach meinem Handy.
Gerade als ich ihr schreiben will, dass ich da bin, sehe ich Kati, die mir zuwinkt. Sie sitzt ganz am hinteren Ende, direkt vor der Hecke am Zaun, umgeben von ihrer Freundin Vanessa, sowie Max und Vincent. Ich winke ihr zum Zeichen, dass ich sie erkannt habe und bahne mir einen Weg im Zickzack zwischen den Handtüchern der Badegäste hindurch.
»Hey«, sage ich.
»Hey«, sagen die anderen.
»Schön, dass du es doch noch geschafft hast«, sagt Kati und lächelt mir zu.
Ich fische mein Handtuch aus meinem Rucksack und breite es neben ihr aus. Umständlich lasse ich mich hinunter. Gleichzeitig stehen Max und Vincent auf. »Das Beachvolleyballfeld wird frei. Willst du eine Runde mitspielen?«
»Ne, lasst mal.« Ich schüttle den Kopf. »Ich schwitze schon genug, auch ohne Bewegung.«
»Schade«, meint Max, »dann beim nächsten Mal.«
Dann sicher auch nicht, aber ich nicke. Auch Vanessa erhebt sich. »Ich hole mir ein Eis. Soll ich jemandem was mitbringen?«
Wir lehnen ab und sie geht davon. Eigentlich finde ich es gut, dass ich alleine mit Kati bin, aber mir fällt nichts ein, das ich sagen kann.
»Ganz schön heiß heute« klingt genauso doof wie »Hab ich jetzt etwa deine Freunde vertrieben?« Schweigend sitze ich da und bereue schon, überhaupt gekommen zu sein.
»Schön, dass du gekommen bist«, sagt Kati. »Wie kommt's?«
Ich räuspere mich und versuche ihren knappen Bikini zu ignorieren. »Eigentlich hatte ich einem Freund schon angekündigt, dass ich etwas mit ihm unternehme, aber er hat mich versetzt.«
Jetzt bleibt mein Blick doch an dem knappen Teil hängen. Mir wird heiß und ich schüttle den Stoff meines T-Shirts.
»Willst du das nicht ausziehen?«, fragt Kati und es klingt mindestens genauso heiß, wie die Tagestemperatur und ihr Outfit. Genau vor der Frage hatte ich mich gefürchtet.
Ich nehme die Sonnenbrille ab, ziehe dann das Shirt über den Kopf, wobei ich mir unbemerkt den Schweiß von der Stirn wische und streiche meine Haare glatt, bevor ich die Brille wieder aufsetze.
»Die Hose kannst du ja anlassen«, sagt sie und legt ihre Hand auf meinen Oberschenkel. Ganz sachte und wie selbstverständlich ruhen ihre Finger dort. Das kommt unerwartet. Mir wird noch heißer und meine Haut prickelt. Ich kann gerade noch verhindern, dass ich zusammenzucke. Genau davor hatte ich Angst. Wenn sie jetzt tiefer streicht, bemerkt sie mein künstliches Körperteil.
Ich lege meine Hand auf ihre, um diese Katastrophe noch irgendwie zu verhindern.
Schweiß läuft mir über die Stirn. Mein Herz rast. Ich muss es ihr sagen. Es muss endlich raus, das spüre ich. Ich ertrage diese Angst, sie könnte alles durch einen blöden Zufall entdecken, einfach nicht länger. Aber wie? Die Worte sind wie aus meinem Hirn gefegt, mein Mund ist staubtrocken.
Ich schließe die Augen und schlucke. In meinem Kopf fahren die Gedanken Achterbahn mit meinen Gefühlen. Warum reite ich mich immer selbst in diese Scheiße? Warum schaffe ich es nicht, diese Situationen zu vermeiden? Oder einfach zu mir selbst zu stehen?
Dann denke ich an Jonas und das glückselige Strahlen in seinem Gesicht. Wir sind jetzt zusammen. Schön für ihn, ich freue mich wirklich – versuche es zumindest. Jonas hat es verdient, er geht mit seinem Handicap ziemlich selbstbewusst um, dafür bewundere ich ihn, aber er kann es ja auch kaum verstecken. Was bleibt ihm also übrig? Jeder sieht auf den ersten Blick, dass er im Rollstuhl sitzt.
Und ich verheimliche meinen Klassenkameraden schon das ganze Schuljahr lang, was mit mir los ist. Mit jedem Tag, mit jeder Woche wurde es nur schwerer, es ihnen zu sagen. Jetzt ist es dafür fast schon zu spät. Kati wird es nicht verstehen, vielleicht sogar sauer sein und am schlimmsten wäre es, wenn sie danach nichts mehr mit mir zu tun haben wollen würde.
Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich, dass Kati mich noch immer abwartend anschaut. Ich könnte das verstehen, wenn sie sich abwenden würde und enttäuscht wäre, aber ich weiß auch, dass ich es endlich hinter mich bringen muss. Meine Behinderung ist schließlich nichts, wofür ich mich schämen müsste, aber ach verdammt, ich tue es trotzdem.
»Ich muss dir etwas sagen«, beginne ich. Augen zu und durch. Sie nickt mir aufmunternd zu, sagt aber nichts. Noch immer liegt ihre Hand unter meiner auf meinem Bein. Ich hole tief Luft, wie um mich auf einen Sturzflug in die Tiefe vorzubereiten.
»Ich habe bei einem Unfall meinen rechten Unterschenkel verloren«, presse ich viel zu schnell hervor, greife ihr Hand und führe sie tiefer. »Prothese.« Endlich ist das gefürchtete Wort heraus, aber wie eine Befreiung fühlt es sich nicht an.
Ich lasse ihre Hand los. Sie zieht sie nicht zurück. Schon bereue ich meine Aktion. Es war doch ein Fehler. Das muss sie ganz schön abschrecken. Ich greife nach ihrer Hand, halte sie vorsichtig in meiner und schaue sie abwartend an. Mein Herz rast und der Schweiß läuft mir in Sturzbächen den Nacken hinunter.
Sie drückt meine Hand und schaut mich an.
»Ist doch nicht schlimm, Basti. Wirklich nicht und außerdem wusste ich es schon.« Mein Herz bleibt für einen Augenblick stehen.
»Echt? Woher?«, bringe ich hervor. Wissen es die anderen auch? Verstohlen schaue ich mich um, aber keiner beachtet uns weiter. Vincent und Max spielen mit ein paar anderen Volleyball, von Vanessa ist noch immer nichts zu sehen.
»Mein Vater arbeitet auch bei Econ Industries und kennt deinen. Sie haben sich darüber unterhalten, bevor du in unsere Klasse gekommen bist.«
»Ach so«, entgegne ich lahm und ärgere mich über die Geschwätzigkeit meines Alten, während es in meinem Kopf rattert. Dass er aber auch mit jedem über mich und meine Situation reden muss. Aber dann wusste sie es schon die ganze Zeit.
»Väter halt.« Kati grinst. »Man merkt aber auch wirklich gar nichts, wenn du läufst.«
Jetzt werde ich auch noch rot.
»Sorry, ist dir ganz schön unangenehm.« Ihr Daumen streicht sanft über meinen Handrücken und ich möchte am liebsten dahinschmelzen, dieses Mal allerdings nicht wegen des Wetters.
Ich atme tief durch. »Ist mir irgendwie peinlich«, gebe ich zu.
»Muss es aber nicht und tut mir leid, wenn ich so neugierig bin, aber ich frage mich das schon so lange. Bis wohin geht deine Prothese?«
Es ist typisch für Kati. Sie sagt, was sie denkt und fragt, wenn sie etwas wissen will. Ist mir schon in der ersten Schulwoche aufgefallen.
Ich führe ihre Hand zu der Stelle über meinem Knie und schlucke schwer. »Bis da.« Sie streicht zaghaft über das Ende des Schafts und den Beginn meines Oberschenkels oder dem, was davon übrig ist und auf dem sich jetzt eine Gänsehaut ausbreitet. Ihre Berührung verursacht ein Kribbeln. Nicht unangenehm, eher das Gegenteil.
»Ich finde es wirklich nicht schlimm«, flüstert sie. »Wovor hast du solche Angst?«
Ich schlucke ein paar Mal, um überhaupt Worte in meinen Mund zu bekommen. »Dass die Leute schauen und reden.« Mich ausstoßen und auslachen. Es stimmt nur zum Teil.
Dass ich deswegen nie eine Freundin haben werde, würde den Kern der Wahrheit besser treffen.
»Also keine Chance, dass du dich überwindest und mit mir ins Wasser gehst?«, fragt Kati, deren Finger immer noch über meinen Oberschenkel streichen.
»Nicht in diesem Leben.« Jetzt merkt sie auch noch, was ich für eine Spaßbremse bin.
Die Hand entfernt sich und sie rutscht ein Stück von mir ab. »Wirklich nicht? Kann ich dich nicht irgendwie überreden?« Sie gibt natürlich nicht gleich auf.
»Du hast es immerhin schon geschafft, dass ich hier bin.« Eine Tatsache, die ich nie für möglich gehalten hätte.
Jetzt lacht sie. »Stimmt, aber Freibad ohne ins Wasser zu gehen, ist doch blöd.« Dann zögert sie einen Moment, bevor sie weiterspricht. »Kannst du mit dem Teil überhaupt baden?«
Sie wird mich als Langweiler abstempeln. Warum bin ich überhaupt gekommen? Aber andererseits, sie redet mit mir und ihr Lächeln ist so süß.
»Leider nicht und vergiss es, ich nehme das nicht ab vor all den Leuten.« Besonders vor dir.
Manchmal habe ich mir vorgestellt, wie es mit Kati wäre. Nur wir beide, irgendwo, wo wir ungestört wären. Würde ich den Mut aufbringen?
Ich verfluche mich innerlich. Wahrscheinlich müsste ich die Antwort verneinen. Vor Jonas und den Jungs aus der Behindertensportgruppe macht es mir nichts aus, aber das sind eben Jungs und sie haben alle ihre eigenen Probleme. Mit Kati ist es etwas Anderes.
»Macht nichts. Und mach dir keinen Kopf, ich kann dich verstehen. Wir können uns ja auch anders beschäftigen.«
Für einen Moment überlege ich, ob sie mit mir flirtet und suche nach einer schlagfertigen Antwort, aber wie immer ist es zu spät, bis mir etwas einfällt, also grinse ich nur dümmlich vor mich hin. Läuft ja prima.
»Und uns in der Zwischenzeit mit einem Eis abkühlen?«, schlägt sie vor, als sie merkt, dass von mir nichts kommt.
Sie steht schon, bevor ich überhaupt eingewilligt habe, aber ich hätte sie natürlich auch so eingeladen. Wie selbstverständlich streckt sie mir ihre Hand entgegen und hilft mir, mich hochzuziehen. Auch als ich stehe, lässt sie meine Hand nicht los. Händchenhaltend laufen wir in Richtung des immer noch ziemlich hoch frequentierten Kiosks. Vanessa sitzt an einem der Tische und schlürft eine Eisschokolade. Als sie uns sieht, kann sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. Kati steuert auf ihren Tisch zu und setzt sich auf einen freien Stuhl daneben.
Kurze Zeit später finde ich mich in der lange Reihe wieder, an deren Ende ein ziemlich verschwitzter Ferienjobber Eis und Getränke verkauft, während ich Kati bei Vanessa zurückgelassen habe.
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