Second Introduction
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Die Frau die sich durch die schwere Haustür in den Flur schob war müde, wütend und hatte das dringende Verlangen nach einem Bier oder einer heißen Tasse Tee. Sie konnte sich noch nicht entscheiden. Mit einem lauten Schnauben ließ sie ihre Tasche auf den gefliesten Boden gleiten. Ein klirrendes Geräusch in der Tasche erinnerte Nana an die Glasflasche die darin schon einen knappen Monat herumrollte und jedesmal drohte zu zerbrechen wenn sie ihre Tasche in die Ecke pfefferte. Man sollte sie dringend entfernen. Aber nicht heute. Nicht jetzt.
Resigniert seufzend ließ sie sich auf die Couch sinken. Ihr Job war grauenhaft. Nein. Eigentlich waren es die Kunden die sie zur Weißglut trieben. Mit ihren Extrawünschen, ihrer Undankbarkeit.
Nana arbeitete in einem kleinen Restaurant, dessen Preise und Angestelltenanzahl in einem schlechten Verhältnis zur Menge der auf der Karte angebotenen Speisen stand. Daher hatten die zwei Köche keine andere Wahl als die Geschwindigkeit mit der sie ihre Speisen zubereiteten zu beschleunigen. Das und seine umfangreiche Karte war dem Chef lieber als Qualität und Nana fragte sich des öfteren wie sich das Lokal so lange hatte halten können.
Trotz des schlechten Rufs dachten die Kunden, hier viel erwarten zu können und beschwerten sich sozusagen über alles. Und jeden.
Während ihrer missbillgenden Überlegungen hatte sie sich für Tee entschieden. In letzter Zeit trank sie viel zu oft ein Bier nach der Arbeit und das konnte so nicht weitergehen. Nicht wegen der Aufblähung, nein, Nana hätte liebend gern so einen süßen Kullerbierbauch. Aber sie hatte Angst abhängig davon zu werden, wie ihr Vater es ihrer Großmutter nach gewesen war. Und die wusste es angeblich von ihrer Tante die ihre Mutter mal am Telefon belauscht hatte. Möglicherweise konnte man nicht besonders viel auf diese Information geben, aber es konnte nicht schaden es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.
Sie schob Obama von ihrem Schoß. Der Kater hatte es sich dort bequem gemacht, kaum dass sie sich niedergelassen hatte und gab jetzt ein beleidigtes Maunzen von sich.
"Schau nicht so blöd." sagte Nana amüsiert. "Der Gesichtsausdruck steht dir nicht."
Obama schien das nicht zu interessieren. Er sah noch beleidigter drein und miaute nochmal, was wie immer irgendwie wie eine Feuerwehrsirene klang. Ihren eingeschnappten Kater ignorierend, begab Nana sich in die Küche und setzte Wasser auf. Dann lehnte sie sich an die Arbeitsfläche und lauschte dem leisen Ticken der Uhr.
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Währenddessen konnte Sebastian sich wirklich nicht beklagen, Sein momentaner Beruf, war zwar nicht sein Traumjob, aber er konnte sich wirklich Schlimmeres vorstellen als dafür bezahlt zu werden, herumzusitzen und Hungry Shark Evolution zu spielen. Kellnern zum Beispiel.
Gut, klar, manchmal kam doch mal der ein oder andere Kunde und er durfte für eine Sechzigjährige die Prepaid Karte neu aufladen oder einem hippen Hipster einen neuen viel günstigeren Vertrag aufschwatzen, aber alles in allem war er sehr zufrieden mit seiner Situation.
Es war ein wenig langweilig, eigentlich immer. Ungeduldig trommelte er mit den Fingern auf den Plastiktresen und warf einen prüfenden Blick auf die Uhr. Die Zeit kroch wie immer dahin und er war froh, dass das nicht der Job war, den er sein Leben lang machen würde. Eigentlich wartete er nur noch auf eine Antwort auf eine seiner Bewerbungen. Zwei relativ große Baufirmen hatten sich schon bei ihm gemeldet, aber er wollte noch die Rückmeldung seiner bevorzugten Firma abwarten, bevor er irgendjemandem zusagte.
Gelangweilt, den Kopf schiefgelegt in sein Handy starrend, lehnte er sich an die Wand und scrollte durch seinen Whatsapp Nachrichtenverlauf.
Gestern Abend, als er im Bett gelegen hatte, hatte er sich zum bestimmt hunderzweiunddreißigsten Mal gefragt, warum sie sich nicht einfach mal meldete. Es war ja nicht so, als täte er nichts dazu. Immerhin hatte er ihr zuliebe große Opfer erbracht und sich in Territorien vorgewagt, die eigentlich gar nicht sein Gebiet waren nur um sich mit Sachen zu beschäftigen die sie zu mögen schien. Allerdings machte ihm dieser online Modus langsam echt keinen Spaß mehr.
Nach 34 "Headshots" ohne einen einzigen "Revenge Kill" hatte er langsam die Beherrschung verloren, was bei seinem sonst sehr ausgeglichenen Gemüt eine echte Seltenheit war. Daher hatte er sich das Headset vom Kopf gerissen und war duschen gegangen, bevor er wirklich ausrastete, zu ihr nach Hause fuhr und ihr zeigte wer im echten Leben die Hosen anhatte. Oder dann vielleicht auch nicht mehr anhatte. Unter dem heißen Wasser war er wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen und hatte beschlossen "JumpscopeSayajin" bis morgen erst einmal in Ruhe zu lassen.
Sebastian hatte keine Ahnung ob sich sein Aufwand auszahlen würde, bisher schien sich das Mädchen nur dafür zu interessieren wie viele Kills er in einer Minute schaffte oder wie oft sie es schaffte ihn in einer Minute zu killen.
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Nana wusste nicht, ob das Fernsehen an sich immer anspruchsloser wurde, oder ob ihre eigenen Ansprüche nur gestiegen waren. Tatsache war, dass man sich den Schund der einem da als Unterhaltungsfernsehen verkauft wurde, wirklich nicht geben konnte. Als sie gerade über dem Schicksahl einer russischen Prostituierten einzunicken drohte, musste sie wieder an Sebastian denken. Seit zwei Tagen hatte sie nichts mehr von ihm gehört.
Und sie wollte sich nicht selbst melden. Möglicherweise hätte es was gebracht, aber Nana hatte schon so oft Kontakt zu ihm aufgenommen, dass sie sich langsam wirklich bescheuert vorkam. Wenn er Interesse hatte, würde er sich melden.
Das war allerdings der Punkt. Der wunde Punkt. Der beschissene Punkt.
Er hatte eine ganze Menge Zeit um ihr zu schreiben.
Nana wusste, dass er meistens nur herumstand und sich mit professioneller Miene mit Spielen auf seinem Smartphone beschäftigte. Er konnte sich melden. Wenn er woltte, hätte er alle Zeit der Welt Nana kennenzulernen.
Als sie leise tapsende Schritte hinter sich vernahm, wandte sie leicht den Kopf und sah Laura die Treppe herunterschleichen. Ihre Freundin sah fertig aus, dunkle Ringe unter den Augen und immer noch im Pyjama gekleidet. Komisch, dass man sie heute hier unten überhaupt zu Gesicht bekam.
"Was denn?" fragte sie grinsend. "Jetzt schon keine Lust mehr?"
Angesprochene, noch ganz in Gedanken versunken, bekam beinahe einen Herzinfarkt als sie auf einmal eine Stimme hörte. Ein kurzer quiekender Schrei entwich ihr, dann stemmte sie die Arme in die Hüften und funkelte Nana gespielt wütend an. "Scheiße, hast du mich erschreckt, Nana. Du kannst mich doch nicht einfach so anreden!"
"Das überrascht mich nicht. Wundert mich ja, dass du nich auf dem Weg nach unten auf der Treppe eingeschlafen bist."
Müde wanderte Laura in die Küche. Ihr war wieder eingefallen weswegen sie ihre Hochburg eigentlich verlassen hatte. "Kaffee. Ich, ähm...wollt mir bloß nen Kaffee machen." Als die Kaffeemaschine nach drei schier endlos langen Minuten endlich mit Wasser und Bohnenpulver befüllt war und ihr Lebenselixier langsam in Lauras Lieblingstasse tropfte, bemerkte sie, dass Nana sie immer noch anstarrte, als wäre sie der wiederauferstandene Michael Jackson. "Waaas? Warum schaust du mich so an? Hab ich irgendwas auf nem Kopf? Ne Spinne?" Ihre Stimme wurde leicht panisch. Sie hasste Spinnen. Sie betete dass es keine war. Nicht schon wieder.
Nana zuckte nur die Schultern und grinste. "Nein, beruhig dich, es ist nur komisch dich vor Zwölf hier unten zu sehen."
Sie ließ sich auf einen Stuhl an den runden Küchentisch sinken und seufzte theatralisch. "Gott, der Tag heute war beschissen. Ich HASSE Menschen. Und wie wars bei dir? Gibst du mir n bisschen Kaffee ab?"
Laura winkte ab. "Ach bei mir wars eingentlich ganz angenehm. Ich hab mir die sagenhafte Anonymität des Internets zu Nutze gemacht und dein Zuckerschnäuzchen zur Weißglut getrieben. Jetzt bin ich mir nicht ganz sicher ob ich mich nicht vielleicht bei ihm entschuldigen sollte...aber..." Sie machte eine bedeutende Pause und nahm einen großen Schluck von ihrem Kaffee, bevor sie die Tasse mit einem lauten Klirren wieder abstellte. "..aber was solls? N gescheider hälts aus und um an andern iss niad schad. Das würde mein Dad sagen."
Während sie an die Spüle gelehnt weiter ihren Kaffee inhalierte und sich innerlich immernoch tierisch über ihren Sieg über Sebastian freute, merkte Laura, dass das wahrscheinlich nicht die Antwort war die Nana jetzt von ihr hören wollte.
"Achja genau, dein Tag war ja scheiße." Nana sah sie finster an. "Also erzähl mal, welcher Kunde hat denn heute wieder die Frechheit besessen bei dir Essen zu bestellen?" fragte sie so ironisch wie möglich um Nanas Todesblick zu entschärfen.
Nana war immer noch zu sehr in Gedanken um darauf einzugehen. Bei der Erwähnung von Sebastians Namen hätte sie fast ihren Kaffee an die Wand gespuckt. Mit aufgebrachtem Gesichtsausdruck, zwang sie sich zu schlucken, verbrannte sich ein bisschen die Zunge und blickte Laura an. "Was hast du gemacht? Ist dir klar, dass es meine hochheilige Pflicht ist, ihn fertig zu machen? Du-weißt-schon-wo und mit Du-weißt-schon-was, in meinem Schlafzimmer?"
Sie ignorierte die Frage mit ihren Kunden vollkommen auch wenn ihre Mundwinkel leicht nach oben zuckten. Die Tatsache, dass Laura sich in irgendeiner Weise Sebastian genähert hatte, war das Interessanteste was seit einer Woche passiert war. Gott, war das Leben langweilig.
"Also eigentlich will ich gar nicht wissen womit du ihn in deinem Schlafzimmer fertig machen willst." antwortete Laura und verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.
"Oh, ich denke du weißt es ganz genau, weil dus selber schon gemacht hast." stichelte Nana grinsend.
Laura drehte demonstrativ den Kopf in die andere Richtung und steckte sich die Finger in die Ohren. "Ich hör dich gar nicht!"
"Verdammt kindisch was du da machst."
"Was hast du gesagt?"
"Laura!"
Angesprochene nahm ihre Kaffeetasse wieder hoch, die sie soeben abgestellt hatte und sah Nana abwartend an. "Was denn?"
"Was hast du gemacht? Mit Sebastian?"
"Oh, so neugierig, wirklich? Interessiert dich das Nana, was ich mit ihm gemacht hab?"
"Also wenn ihr Cybersex hattet oder so, dann will ich ihn eh nicht mehr. Dann kannst du ihn gerne haben. "
"Wirklich, nein. Aber hey, wenn ich ihn jetzt nicht komplett aus dem Spiel vergrault hab, kann ich ihn ja mal zu ner Lanparty einladen. Oder zu ner Runder SuperSmashBros, da könntest du sogar mitspielen, wenn du n bisschen übst."
Laura wusste zwar, dass Nana in allen Lagen ein absolut hoffnungsloser Fall war, sobald sie ihre reale Welt verlassen musste, allerdings wusste sie auch, dass ihr etwas daran lag, Zeit mit Sebastian zu verbringen. Am besten ihr gesamtes restliches Leben und am besten sofort. So verliebt hatte Laura sie noch nie erlebt. Eigentlich war sie eher soziopathisch. Obwohl, natürlich würde Nana nichteinmal ihr gegenüber zugeben, wie schwer es sie wirklich getroffen hatte.
Nana verzog das Gesicht. "Ich hasse dieses sinnlose Rumgeballer. Wenn ich ein Spiel spiele, dann muss einfach nur die Story gut sein."
"Aber Sebastian steht drauf." warf Laura ein. "Also wieso eigentlich bis morgen warten? Er braucht lang genug hierher, da kann ich dir noch die Grundlagen beibringen während er herfährt." schlug sie mit einem verschlagenen Lächeln vor. "Also schalt schonmal die Wii an und den Realistenteil deines Gehirns ab, während ich mein Handy suche. Ich muss mal kurz telefonieren."
Nana hatte Laura mit abwesener Miene zugehört und noch nicht ganz begriffen, was sie eigentlich gesagt hatte, als sie sich schon auf den Weg nach oben machte.
Als sie allerdings realisiert hatte, was ihre Freundin vorhatte, sprang sie auf und brüllte ihr hinterher. "Laura! Komm sofort wieder runter! Wage es nicht ihn anzurufen! Ich bring dich um, ich bring dich sowas von um und zwar in der REALITÄT!" Sie stolperte über einen herumliegenden Ordner, wankte kurz gefährlich und fing sich dann wieder. "Verdammt nochmal Laura!" Nana kickte den Ordner aus dem Weg. Sie hatte keine Ahnung wo Laura sich verkrochen hatte, aber wahrscheinlich war sie so versteckt, dass sie noch in Ruhe anrufen konnte, bevor Nana sie überhaupt fand.
Laura hörte nur noch ein abnormales Rumpeln im Flur, sie war schon in ihrem Zimer auf dem Fensterbrett, eine Zigarette zwischen den Lippen, während sie munter in ihr Hand sprach.
"Hey, was hälst du von ner Runde SuperSmashBros bei uns?"
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