19. Eure Herrlichkeit
kapitel neunzehn ——— Eure Herrlichkeit
༄ Sirius
SIRIUS WAR SOFORT KLAR gewesen, dass Dorcas ihn nicht dafür bemitleiden würde, dass Marlene ihn abgewiesen hatte. Vor ein paar Monaten hätte er nicht erwartet, dass Marlenes Worte von vor ein paar Tagen ihn so sehr hätten treffen können.
Es hatte völlig zwanglos mit einem kleinen Flirt begonnen, als Gryffindor letztes Jahr den Quidditchpokal gewonnen und diesen Sieg selbstverständlich gebührend gefeiert hatte. Doch Marlene war kein gewöhnliches Mädchen... sie war wie die Sonne, strahlend hell und brennend (und vielleicht war das das Problem).
Sirius, ich habe keine Gefühle für dich — Es tut mir leid, aber ich bin nicht in dich verliebt. Ihre Worte klangen immer noch in seinen Ohren nach und er wandte den Blick von ihr ab, als er an den mitleidigen Ausdruck in ihren Augen zurückdachte... als würde sie ihn bedauern. Das konnte er selbst.
Er hatte gedacht, sie wäre zu unsicher, um ihre wahren Gefühle zu offenbaren, aber nach ein paar Minuten hatte er realisiert, dass sie ihn tatsächlich nur als eine Affäre betrachtet hatte.
Du bist trotzdem ein wichtiger Freund für mich. Vielen Dank auch, Marlene.
Die Halloweenparty hatte erst vor kurzem begonnen und die ersten Schüler sammelten sich verkleidet und hübsch hergerichtet in der Großen Halle. Sirius hatte es sich nicht entgehen lassen können, als erster hier zu sein und ein wenig Alkohol in die Bowle zu mischen (er hatte die Erlaubnis von James und der war Schulsprecher, was hieß, dass es eigentlich nicht verboten sein konnte). Trotzdem hielt er sich noch gegen einen der Beistelltische gelehnt zurück und wartete darauf, dass vertraute Gesichter auftauchten. James holte Hannah ab, soweit er wusste. Er kam wirklich nicht mehr mit, was die Beziehung der beiden anging.
„Was gibt es zum Grübeln, Sirius?" Dorcas stand vor ihm, ein neutraler, schwer zu deutender Ausdruck lag in ihren dunklen Augen, als sie ihn musterte. Er hatte ihr nahegestanden — weit vor Marlene — aber es kam ihm vor, als läge die Zeit, in der er offen mit ihr reden konnte, lange zurück.
„Wie ich es geschafft habe, selbst als Werwolf so gut auszusehen." erwiderte er schlicht und Dorcas hob eine Augenbraue, als sie sein Ganzkörperkostüm musterte und einen Blick auf die Maske mit der Wolfsschnauze und den zwei Öhrchen warf, die er sich zurzeit nicht über den Kopf gezogen hatte. Alles in allem sah er aus, wie ein auf zwei Beinen stehender, haariger und gefährlicher Wolf.
Als Sirius erfahren hatte, als was sich Remus verkleiden wollte, musste er einfach dieses Kostüm tragen (und er hoffte, Remus hatte auf seine Bitte gehört).
„Ich kann nicht sagen, dass es mir leid tut." sagte Dorcas plötzlich und Sirius grinste nur, gewohnt daran, nicht zu zeigen, was er dachte.
„Wovon redest du?"
„Du weißt genau, wovon ich rede."
Sirius schnaubte und sah Dorcas eine Weile in die Augen. „Komm schon, Dorcas, ich konnte nichts dafür. Sie hat angefangen zu flirten."
„Jeder andere Freund hätte sich zurückgehalten." hielt Dorcas dagegen, Verbitterung und lang in sich vergrabener Ärger lagen in ihrer Stimme. „Du warst, nein, du bist der einzige, der es weiß."
„Aber du hattest doch sowieso keine Chance bei ihr, das musst du doch einse-"
Mit einem frustrierten Aufschrei griff sich Dorcas das nächstbeste Glas, das sie finden konnte und schüttete Sirius den Inhalt mit einem Mal über den Kopf. Perplex sah er sie an, als das rot gefärbte Getränk, das er sich vor ein paar Minuten eingeschenkt hatte, über sein Kunstfell lief. Ehe er darüber nachdenken konnte, griff er nach einem der leeren Gläser, ließ es in das große Bowleglas gleiten und tat es ihr gleich, indem er es sie direkt über den Kopf schüttete.
Ihre dunklen Locken glitzerten feucht und sie sah aus, als würde sie ihn gleich anspringen, was aufgrund der Vampirzähne, die sie im Mund hatte, doppelt so gruselig aussah als sonst.
„Dorcas! Sirius! Was macht ihr bitte?" Sirius sah nur noch rote Haare und Hörner, als Lily sich zwischen die beiden schob und Dorcas versuchte, sie wieder zur Seite zu stoßen. Doch Lily ließ sich nicht wieder vertreiben, was Sirius zum Grinsen brachte.
„Evans, ich wurde angegriffen." sagte er theatralisch und sie drehte sich mit funkelnden Augen zu ihm um.
„Dafür gibt es meistens einen Grund." entgegnete sie knapp, jedoch mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen, das er automatisch erwiderte. Kaum hatte sie Dorcas aus den Augen gelassen, zückte diese auch schon ihren Zauberstab und richtete ihn auf Sirius, doch ehe er es ihr gleichtun konnte, zog Lily Dorcas zur Seite und redete energisch auf sie ein. Und plötzlich kehrte wieder Ruhe in Dorcas ein und sie atmete tief durch, bevor sie zu Sirius sah.
„Du warst mein bester Freund." sagte sie, laut genug, damit er es hören konnte. „Und jetzt weiß ich nicht mehr, wer du bist." Vielleicht lag es an Dorcas' tief traurigem Gesichtsausdruck, aber als sie diese Worte aussprach, brach auch Sirius' Herz ein wenig mehr, als es sowieso schon gebrochen war.
Doch Dorcas ließ ihm keine Zeit zu antworten, drehte sich mit ihrem stylischen Vampirkostüm um und tauchte in der Menge unter, die sich mittlerweile in der Halle angesammelt hatte. Sirius sah ihr hinterher, unentschlossen, was er tun sollte, doch erst, als Lily zu sprechen begann, wurde ihm klar, dass sie die ganze Zeit hier gewesen war.
„Was war das denn?" fragte die Rothaarige verwirrt und Sirius warf ihr einen aufmerksamen Blick zu, bevor er leicht zu grinsen begann.
„Ach, kleine Prügeleien gehören doch zu 'ner Party dazu."
Lily hob eine Augenbraue und Sirius begann seinen Blick über sie gleiten zu lassen. Sie hatte Hörner auf dem Kopf, eine dunkle Rüstung, Elfenohren und ihre Haut hatte einen olivfarbenen, dunklen Ton angenommen. Nur ihre roten Haare stachen deutlich hervor. Sie war eine hübsche Dunkelelfe.
„Ganz schön viel Haut, Evans." merkte er an und ihre Mundwinkeln hoben sich zu einem verschmitzten Lächeln.
„Meinst du?"
༄ Hannah
UNSICHER SAH HANNAH in den Spiegel und ignorierte ihr schneller schlagendes Herz. Es gab keinen Grund aufgeregt wegen einer Halloweenparty zu sein. Aber vielleicht waren das Jos Worte, die da aus ihr sprachen — vielleicht sah sie tief in sich drin diesen Anlass doch als etwas Besonderes an.
Hannah wollte nie eine Romantikerin sein, aber vielleicht war sie es doch, ohne etwas dafür zu können oder es ändern zu wollen. Sie hatte das siebte Schuljahr als etwas Besonderes gewollt und vielleicht war ihr Kostüm deswegen nicht übertrieben.
Es war ein langes, altmodisches Kleid mit Reifrock und Rüschen, das sie aussehen ließ, als käme sie aus dem 18. Jahrhundert, was sie aufgrund der nachgesagten Unsterblichkeit von Vampiren gewählt hatte. Es war dunkelrot mit einer weißen Seite und langen Ärmeln, die mit roten Stickereien bedeckt waren. Während ihr Ausschnitt zu sehen war, befand sich kurz über ihrem Dekolleté ein Halskranz, der sie wie aus der Zeit gefallen wirken ließ. Was sie zu einer echten Vampirfürstin machte, waren die Spritzer von Kunstblut, mit denen es übersät war.
Ihre Haut war blass, noch heller als sonst, und sie hatte sich ihre Adern nachgeschminkt, damit sie hervorstachen. In ihrem Mund waren Vampirzähne zu sehen und um ihren Mund herum hatte sie mehr von dem Blut verteilt.
Doch das Auffälligste waren ihre Haare, die auftoupiert und zu einem hohen Berg von Haaren hochgesteckt waren. Vereinzelte Locken fielen ihr über die rechte Schulter — alles in allem wirkte Hannah nicht wie Hannah.
(Und gerade das gefiel ihr.)
Als sie durch den Gemeinschaftsraum ging, fühlte sie sich unsicher in ihrer Haut, aber gleichzeitig war es auch ein verdammt gutes Gefühl.
Hannah öffnete die Tür, um den Ravenclaw-Gemeinschaftsraum zu verlassen und zuckte erschrockenen zusammen, als jemand direkt vor ihr stand. „Woah" rief sie aus und atmete erleichtert aus, als sie James vor sich erkannte. „Stehst du hier die ganze Zeit und erschreckst Leute?"
„Hannah?" stellte er die überraschte Gegenfrage und starrte ihr Kostüm ein paar Sekunden an, bevor er ihr wieder in die Augen sehen konnte. Hannah errötete peinlich berührt — weshalb auch immer. „Wow, du siehst... anders aus."
Das seltsame Gefühl, das sie noch vor kurzer Zeit umgeben hatte, fiel schlagartig von Hannah ab, als sie seine Worte hörte. „Anders? Wie charmant du doch bist, Potter."
„Ich meinte anders mehr als... wunderschön." begann er sich hastig zu erklären, etwas selbstsicherer als vorher. „Aber nicht auf die Art, dass du sonst nicht hübsch bist, sondern anders... schön."
„Kein Grund, das Ganze gleich auszuphilosophieren." winkte Hannah so cool wie möglich ab, um ihre plötzlich aufkeimende Verlegenheit zu überspielen. Unsicher wandte sie ihren Blick ab. Merlin, was geschah hier denn gerade? „Und was stellst du dar?" fragte sie weiter, um irgendwie die unangenehme Stille zu unterbrechen, die sich unwillkürlich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.
„Ich bin das Opfer eines Vampirs." erklärte er grinsend und Hannah hob eine Augenbraue, während sie zu der Axt in seinem Kopf sah.
„Ah ja." merkte sie schlicht an und merkte erst jetzt die „Wunde" an seinem Hals.
„Sieh mal, ich habe diesen schicken Anzug an, weil ich — unschuldig wie ich bin — zu der Halloweenparty gehen wollte, aber dann wurde ich von einem Vampir überfallen... Welche blutrünstige Vampirfürstin das wohl gewesen sein kann?" Er deutete auf die Blutspritzer auf Hannahs Kleid.
„Und die Axt?"
„Die ist lustig!"
Hannah begann zu lachen, als sie seine Erklärung hörte.
„Aber sehen wir es so, wenn ich durch die Axt sterbe, verwandle ich mich vielleicht in einen Vampir, weil du mich verwandelt hast."
„Ich?" spielte Hannah empört mit. „So etwas würde ich doch niemals tun, vor allem nicht mit dir!"
„Was würdest du denn sonst mit mir tun?" fragte er mit einem Zwinkern und Hannah legte mit einem leichten Augenrollen den Kopf schief, grinste aber verschwörerisch, während ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen begann.
KAWUMM. Mit einem lauten Schlag fiel die Tür zum Ravenclaw-Gemeinschaftsraum hinter ihnen ins Schloss und Jo rannte fast in Hannah hinein, da sie immer noch dort stehen geblieben war, wo James sie zu Tode erschreckt hatte.
„Was ist denn das für eine Volksversammlung? Ach, Potter, das hätte ich mir denken können!" rief Jo, als halb verfaulter Zombie verkleidet, kopfschüttelnd aus und sah zwischen ihnen hin und her.
„Was habe ich dir nur getan?" fragte James theatralisch und Jo grinste.
„Du hast letztes Jahr gegen Ravenclaw gewonnen. Glaub nicht, dass ich dir das verzeihe." erwiderte sie, jedoch schlich sich auch ein kurzes Lächeln auf ihre Lippen, bevor sie mit gerunzelter Stirn zu Hannah sah. „Naja, wenn ihr hier noch länger herumstehen wollt, gehe ich schon mal vor."
Unwillkürlich nickte Hannah und war beinahe froh darüber wieder mit James alleine zu sein, was äußerst... egoistisch war, wenn sie darüber nachdachte.
„Na dann." meinte James grinsend und hielt ihr seine Hand hin. „Mit welchem Titel darf ich Euch denn ansprechen?"
„Eure Herrlichkeit wird schon ausreichen." näselte sie belustigt und genoss die kleine Show, die sie geben konnte. Seit sie mit James Zeit verbrachte, konnte sie sich viel mehr fallenlassen (sie konnte kindisch sein, wie sie es sonst aus Prinzip nicht war) und das nur durch solche kleinen Albereien.
Nichtsdestotrotz griff sie nach seiner Hand und ließ sich von ihm zur Großen Halle führen, wobei sie beinahe an jeder Ecke in Gelächter ausbrachen, weil James sich wie ihr Diener aufführte und sich bei jeder Abbiegung dreimal verbeugte.
Als Hannah mit ihm in der Großen Halle ankam, waren ihre Wangen vom Grinsen und Lachen deutlich gerötet, sodass der blasse Effekt, den sie als Vampir eigentlich haben sollte, verloren gegangen war. Ihre Augen leuchteten bewundernd, als sie den schön dekorierten Raum vor sich sah. Beleuchtete Kürbisse schwebten statt Kerzen an der Decke und im Raum verteilt standen kochende, blubbernde Kessel mit Getränken und verzauberte Skelette, die Essen anboten, das von spinnenartigen Kürbispasteten bis hin zu mit Trauben gefüllten Lidschis, die wie Augen aussahen, reichten. „Und das hast du alles geplant?"
„Allerdings." entgegnete James stolz. „Lily hat meine glorreichen Vorschläge nur abgeknickt."
„Natürlich." Hannah grinste belustigt. „Na, dann mal los."
„Ähm, und Hannah." meinte James plötzlich, als sie schon losgehen wollte. „Nimm besser nichts von der Bowle."
Verwirrt zog sie die Augenbrauen zusammen, begriff jedoch nach ein paar Sekunden, was er ihr damit sagen wollte. „Sirius hat sie ein wenig... aufgewertet, nehme ich mal an?"
James nickte. „Bitte tu mir das nicht nochmal an."
Die ersten beiden Personen, die Hannah in der Menge ausmachen konnten, waren Dorcas und Marlene. Marlene war als Teufel verkleidet, kleine roten Hörnchen zierten ihren Kopf, ihre Haut war rötlich gefärbt und sie stützte sich grinsend auf ihrem Dreizack ab, während sie zu Dorcas sah, die ebenfalls als Vampir verkleidet war — jedoch eher als moderner, ausgeflippter Punk-Vampir.
Dorcas hielt ihr in diesem Moment ihre Hand hin und mit einem Lachen, das Hannah nicht einmal hören musste, um sich es vorstellen zu können, ergriff Marlene sie und ließ sich von ihr auf die Tanzfläche ziehen.
Sie folgte James' Blick, der auf Sirius lag, welcher erneut bei Lily stand und sich mit ihr unterhielt. Sirius war als Werwolf verkleidet und Lily hatte sich mit ihrem Kostüm selbst übertroffen: Sie war eine wunderschöne Dunkelelfe.
„Hach, ich liebe Halloween. Ich glaube, es gibt nichts, was mir den 31. Oktober je verderben könnte."
James grinste amüsiert. „Also steht das Hannahlein auf Grusel?"
„Und ob..." Sie zeigte ihre Vampirzähne und schlug ihm auf den Arm. „Pass auf, dass das da-" Sie deutete auf seine Wunde. „-nicht noch schlimmer wird."
„Sehr wohl, Eure Herrlichkeit."
Hannah nickte zufrieden.
In diesem Moment betrat Remus die große Halle und Hannah blieb fast die Luft weg, als sie erkannte, als was er sich verkleidet hatte. Sirius entdeckte ihn sofort und lief begeistert auf ihn zu, während Remus ihm ein weißes Kleid in die Hand drückte. Er schien etwas wie „Ich kann nicht glauben, dass das gerade passiert" sagen, als Sirius sich den Kopf seines Kostüm über den Kopf zog, mit seinen Wolfsaugen umhersah und sich anschließend das Nachtkleid und eine Nachthaube überzog, die Remus ihm gebracht hatte.
„Nein..." stieß Hannah ungläubig aus und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Remus ist nicht Rotkäppchen und Sirius der böse Wolf, oder?" Sie konnte nicht anders, als schallend loszulachen und James, der nicht so ganz zu verstehen schien, wer Rotkäppchen war, runzelte die Stirn, warf aber Hannah unbemerkt ein sanftes Lächeln zu.
„Ähm..." Er fuhr sich durch die Haare, bis er merkte, dass die Axt in seinem Hinterkopf im Weg war. „Wer ist Rotkäppchen?"
„Du kennst das Muggelmärchen nicht? Oh Merlin, James, wo lebst du denn?"
Sie machte sich daran, ihm so detailreich wie möglich von Rotkäppchen zu erzählen und als sie fertig war, grinste James immer noch. „Dann geh mal zu Remus und frag ihn nach Kuchen und Wein. Obwohl, vergiss den Wein. Nur den Kuchen."
„Du scheinst ziemlich Angst davor zu haben, dass ich Alkohol trinke..." meinte Hannah und James atmete tief aus.
„Das trifft es ziemlich gut. Eine betrunkene Hannah ist mein Irrwicht." Er sah auffordernd zu ihr. „Und jetzt komm schon, geh zu ihm — und ich frage Lily, ob sie tanzen will, ganz wie du vor ein paar Tagen gesagt hast."
„Aber nicht so, als würdest du ein Ja erwarten. Sei lieb." wies Hannah ihn an und James lachte leicht bei ihrem letzten Satz.
„Keine Sorge, Hannahlein, ich bin doch immer lieb." erwiderte er belustigt und Hannah verdrehte die Augen, als er sie nicht ernst zu nehmen schien.
Um ehrlich zu sein würde sie am liebsten hier bleiben — hier bei James. Es war ein seltsamer, plötzlicher Gedanke, der sie überkommen hatte, aber sie konnte ihn nicht leugnen. Sie hatte nicht einmal an Remus gedacht, bevor er aufgetaucht war (und selbst dann war ihr nicht der Gedanke gekommen, ihn anzusprechen).
Doch sie tat, was er vorgeschlagen hatte und ging auf Remus zu, der mit seinem roten Kopftuch wirklich unglaublich aussah. Sie würde das Bild, das sich ihr bot, nie mehr vergessen.
„Wo ist der Korb mit dem Kuchen?" fragte sie und woher ihre selbstbewusste Frage gekommen war, wusste sie selbst nicht. Plötzlich konnte sie viel entspannter mit ihm reden (wieso war das nicht schon vorher passiert?).
„Hannah?" fragte Remus überrascht, als er sie hinter ihrem Aufzug erkannte und hielt kurz inne. „Du siehst ganz anders aus."
Hannah seufzte innerlich. Wieso sagte ihr jeder, dass sie anders aussah? Sie entschloss sich, nichts dazu zu sagen.
„Hübsch." fügte er jedoch mit einem leichten Zwinkern hinzu, was Hannah nun doch zum Lächeln brachte.
„Kann ich nur zurückgeben, Rotkäppchen."
Ihr Blick glitt automatisch zu James, der gerade vor Lily stand und selbst Sirius, der immer noch in Remus' Nähe war und die beiden still beobachtet hatte, folgte ihrem Blick interessiert, als James sich räusperte und zu sprechen anfing. Hannah machte die Augen zu. „Sagt mir, wenn es vorbei ist."
„Ach, Hannah, wir wissen doch alle, wie es— Warte, was?!" Bei Remus' erschrockenem Ausruf musste sie einfach hinsehen und ihr klappte ungläubig der Mund auf, als Hannah erkannte, dass Lily tatsächlich Ja gesagt haben musste. James schien nicht minder überrascht zu sein und warf ihr über Lilys Schulter einen übertriebenen jubelnden Gesichtsausdruck zu, während er ihr auf die Tanzfläche folgte.
Hannah erwiderte seinen Blick mit einem Grinsen, das sich gestellter anfühlte als es sein sollte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich zustimmte — vielleicht hatte sie es nicht einmal gewollt. Wer wusste, wie es sein würde, wenn die beiden tatsächlich zusammenkamen? Würden sie dann überhaupt noch Zeit miteinander verbringen?
Sie wandte den Blick ab, verwirrt über sich selbst.
„Lily, du enttäuschst mich." meinte Remus kopfschüttelnd, aber er lächelte, als würde er sich wirklich für James freuen und Sirius grinste zufrieden vor sich hin.
„Das ist mein guter Einfluss auf Lily!" meinte er selbstgefällig und seine Stimme hörte sich durch sein Kostüm verzehrt an.
„Sicherlich." kommentierte sie seine Worte und Sirius drehte seinen Kopf zu ihr, während Hannah ein Grinsen zurückhielt, bedacht darauf, nicht die ganze Zeit zu James und Lily zu schauen.
„Remus." begann sie mit energischer Stimme und sah zu ihm hoch. Zu James, der noch ein Stückchen größer war als er, war es schwerer aufzuschauen. „Lass uns tanzen."
Sie hatte es als Frage formulieren wollen — wirklich — aber irgendetwas in ihr raste förmlich, seit James es geschafft hatte, Lily ein Ja zu entlocken.
„Ja, Remus, tanz mit ihr." mischte sich Sirius triumphierend ein und Hannah warf ihm einen sprachlosen Blick zu.
„Warum... mischst du dich die ganze Zeit ein?" fragte Hannah irritiert und er legte seine großen Pfoten auf ihre Schulter.
„Ach, Hannah..."
„Hey hey, tu deine Klauen von mir — Merlin, sind das Krallen?"
„Sind das spitze Zähne?" imitierte er sie und Hannah legte augenverdrehend den Kopf schief, doch ehe sie etwas sagen konnte, meldete sich Remus wieder zu Wort.
„Tatze, halt das mal, ich gehe jetzt tanzen." Er drückte ihm sein Glas in die Hand und Hannah grinste belustigt, da sie zehn Galleonen verwetten würde, dass Sirius gerade sprachlos in seinem Kostüm aussah. Deswegen fand sie Remus toll.
Sie wusste, dass sie noch vor zwei Wochen vor Freude ausgeflippt wäre, wenn sie mit Remus getanzt hätte, doch so sehr sie es wollte — so sehr sie diese Art von Aufregung fühlen wollte — konnte sie nicht verhindern, dass ihr Blick immer und immer wieder auf James lag, der völlig in seinem Element war, als er mit Lily tanzte.
Wieso sah er nicht zu ihr? Wenigstens einmal. Er könnte sich auch freuen, dass sie mit Remus tanzte.
Was war, wenn... Was war, wenn sie nicht nur zu Remus, sondern auch zu James passen würde? Vielleicht würde sich am Ende nichts an Lilys oder Remus' Gefühlen ändern, aber was war, wenn das daran lag, dass sie nicht füreinander bestimmt waren?
Vielleicht könnten Hannah und James zusammenpassen, wenn... wenn ihr Plan nicht klappte. Sie hatte nie jemanden getroffen, der sie so sehr zum Lachen brachte wie James — nie zuvor hatte sie sich so gelöst gefühlt. Aber das hieß auch schlicht und ergreifend, dass sie gute Freunde sein konnten... Selbst, wenn sie den Gedanken an Remus aufgab, gab es vielleicht eine Chance, dass sie James immer noch bei sich haben konnte.
Sie sollte nicht darüber nachdenken. Sie sollte daran denken, dass sie gerade bei Remus war und er mit ihr tanzte — James dachte bestimmt nicht an sie. Und dieser Gedanke tat weh, so unglaublich weh, dass ihr die Luft wegblieb.
„Alles in Ordnung?" fragte Remus und Hannah lächelte sofort, sein Kostüm machte es ihr leichter, heiter auszusehen.
„Ja, natürlich." erwiderte sie und Remus zog die Augenbrauen zusammen, sah kurz zu James und wieder zu ihr, doch Hannah bemerkte diesen kurzen Blickaustausch nicht. „Remus?"
Er sah sie fragend an.
„Denkst du, dass wir... Ich meine, könntest du dir vorstellen, dass—"
„Eure Herrlichkeit." Hannah riss erschrocken die Augen auf, als sie unterbrochen wurde. Sie hatte gemerkt, dass das Lied zu Ende war, aber sie hatte genau diesen Moment als geeignete Gelegenheit gesehen, um offen zu reden. James stand vor ihr und ein herzliches, perplexes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
Sie fragte sich, warum James zu ihr ging, wenn er die Gelegenheit gehabt hatte, mit Lily zu tanzen. Vor allem: Wieso sollte er sie unterbrechen, wenn sie gerade mit Remus tanzte?
(Und vielleicht wusste James das selbst nicht so genau. Er wusste nur, dass es das erste war, was ihm in den Sinn gekommen war, als der Tanz vorbei gewesen und Lily mit einem Lächeln gegangen war.)
„Es ziemt sich nicht, mit den anwesenden Edelherren mehrmals zu tanzen, wisst Ihr das denn nicht?" fuhr er mit gestellter Stimme fort und Hannah spielte pikiert mit.
„Was Ihr nicht sagt... Wie gut, dass jemand mich mit meinen 300 Jahren noch belehren kann." entgegnete sie und Remus neben ihr sah unentschlossen zu ihr.
„Dann lasse ich euch lieber alleine, was?" fragte er mit einem leichten Lächeln und Hannah erwiderte es sanft.
„Ja." Sie sagte es mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, der ihm sagen sollte, dass sie gerne wieder mit ihm tanzen würde, aber insgeheim gab ein Teil von ihr ihn in diesem Moment frei — sie ließ ihn gehen, auch wenn sie es nicht verstand.
Der Teil, der nicht mehr Remus gehörte, gehörte auf eine sonderbare Weise James Potter und das Schlimmste daran war, dass Hannah sich darüber bewusst wurde, als sie ihm in die braunen Augen sah. Sie fragte sich, warum es ihr leichter vorkam, sich von Remus zu lösen, wenn James bei ihr war — sie wusste lediglich, dass sie damit leben könnte, sollte Remus ihre Gefühle nie erwidern.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro