14. Versuchst du mich zu erpressen?
kapitel vierzehn ——— Versuchst du mich zu erpressen?
༄ Lily
LILY HATTE DAS GEFÜHL, dass heute kein guter Tag war. Es hatte bereits beim Frühstück begonnen, an dem Marlene nur schweigend teilgenommen hatte, während Dorcas mit einem außerordentlich glücklichen Grinsen ihr Müsli gelöffelt hatte. Mary und Lily hatten nicht gewusst, wie sie mit den seltsamen Stimmungen der beiden umgehen sollten und hatten es nach ein paar Versuchen aufgegeben, mit ihnen ein vernünftiges Gespräch zu führen. Also hatten sie sich zu zweit über die neuste Musik unterhalten, von der Dorcas und Marlene durch ihre Zaubererfamilien sowieso kaum Ahnung hatten.
In der ersten Stunde hatte Lily in ihrem Aufsatz in Verwandlung ein A bekommen - und auch, wenn es besser war als ein M oder S zu bekommen, enttäuschte sie diese Leistung. Sie war in letzter Zeit nicht mehr mit dem Kopf bei der Sache und sie wusste selbst nicht, wie ihre Gedanken so schnell zu allen möglichen Themen wandern konnten.
Immer mehr angesehene Zauberer galten als vermisst, Familien mit „unreinen" Beziehungen zwischen Muggeln und Zauberern wurden umgebracht und so sehr Lily versuchte, sich emotional davon zu distanzieren, gelang es ihr nicht, an etwas anderes zu denken. Nicht nur, weil sie selbst muggelstämmig war und ihre Eltern allein durch ihre magischen Fähigkeiten in Gefahr waren, sondern auch, weil sie sich fragte, wie sicher sie wirklich in Hogwarts war und ob es richtig war, die Schüler so von dem zu distanzieren, was außerhalb des Schlosses vor sich ging.
Vor allem, weil sie wusste, dass selbst die Schüler mehr in die Geschehnisse involviert waren, als man es von 11-18-jährigen annehmen würde, wäre es wichtig, Ehrlichkeit walten zu lassen. Besonders gewisse Gruppen von Slytherin machten ihr Sorgen. Sie schienen beinahe triumphierend, wenn es eine neue Meldung von Toten gab und es traf sie zu sehen, dass Severus auch dazu gehörte.
Sie versuchte, es nicht an sich heranzulassen, doch früher oder später traf es sie, ihn immer noch gemeinsam mit grausamen Reinblütern wie Mulciber, Avery oder Rosier zu sehen. Es war, als hätte sie ihn nicht nur als Freund verloren, sondern Severus selbst - als hätte sie ihn als Person verloren, weil er nicht mehr der war, den sie einmal gekannt hatte.
An diesem späten Freitagabend - die Sonne war vor einiger Zeit untergegangen - machte Lily einen letzten Rundgang durch den dritten Stock und strich sich mit einem Gähnen eine rote Strähne hinters Ohr. In letzter Zeit strengte der stressige Schulalltag sie immer mehr an, denn nun, wo es auf den November zuging, schienen die Lehrer Freude daran zu haben, noch mehr von den Schülern zu verlangen.
Beinahe hätte sie es kaum bemerkt, dass die Tür zur Bibliothek lediglich angelehnt war, doch als ihr Blick schließlich auf das Schloss fiel, hielt sie verwundert inne. Eigentlich müsste Madam Pince doch um 20 Uhr abgeschlossen haben...
Irritiert zog sie die Augenbrauen zusammen und stieß die Tür ein Stück weiter auf, bedacht darauf, sie nicht zum Knarzen zu bringen. Wer auch immer hier war, sollte sie nicht sofort hören.
Aufmerksam sah sie sich in den Regalreihen um und es dauerte ein wenig, bis sich Lilys Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Doch auf den ersten Blick fiel ihr nichts Ungewöhnliches auf.
Sie unterdrückte ein Seufzen und trat weiter in die Bibliothek ein, bis sie schließlich mit klopfendem Herzen innehielt. Schritte. Sie waren nur kurz zu hören, aber es hatte für sie gereicht, um sie wahrzunehmen.
Natürlich hatte sie keinen Grund, nervös zu sein, schließlich war es ihre Pflicht, diesem Verstoß nachzugehen, aber als sie hörte, dass tatsächlich jemand hier war und die Tür nur nicht aus Versehen offen gelassen war, bereitete ihr diese Tatsache ein mulmiges Gefühl.
Welcher Schüler brach denn in die Bibliothek ein? Die meisten waren froh, einen großen Bogen um sie machen zu können.
Es sei denn... die verbotene Abteilung!
Die Schritte müssten auch aus dieser Richtung gekommen sein, wenn Lily sich recht entsann und ohne darüber nachzudenken, folgte sie dem Geräusch und fand sich wenige Sekunden später selbst in der Verbotenen Abteilung wieder. Selbst als Schulsprecherin war ihr der Aufenthalt hier nur in Ausnahmefällen gestattet.
Doch gerade, als sie um die nächste Regalreihe bog, sah sie, wie jemand ertappt ein Buch zurück in das Regal gleiten ließ und sich zu ihr umdrehte.
Erschrocken schnappte Lily nach Luft. „Black?"
„Evans." erwiderte er kühl und da sie in diesem Moment so überrascht auf seine Anwesenheit reagierte und sie nicht genauer darüber nachdenken konnte, was sie sagte, wiederholte sie einfach seinen Namen.
„Regulus."
Was war denn bitte mit ihr los? Sie musste doch wohl in der Lage zu sein, mehr als seinen Vor- und Nachnamen von sich zu geben.
„Hast du etwa gedacht, es wäre Sirius?" fragte Regulus mit dem Anflug eines leichten Grinsens, was dafür sorgte, dass die Anspannung von einem auf den anderen Moment von Lily abfiel.
„Sirius würde sich nicht nachts in einer Bibliothek herumtreiben." erwiderte sie schlicht, jedoch mit einem sanften Lächeln bei dem Gedanken, was sie in letzter Zeit alles über Sirius erfahren hatte. Sie konnte hören, wie Regulus leise schnaubte.
„Eine der vielen Eigenschaften, die uns unterscheidet: Sirius zieht die Gesellschaft von Frauen der von Büchern vor - was man auch merkt." meinte er spöttisch, doch plötzlich hörte Lily die Bitterkeit aus seinen Worten heraus. Vielleicht hätte sie sie nicht erkannt, wenn Sirius ihr nicht den Brief gegeben hätte, den sein Bruder ihm geschrieben hatte, nachdem er seine Familie verlassen hatte. Doch sie hatte ihn gelesen - und nun konnte sie es erkennen.
Mit einem Mal fühlte sie sich schuldig dafür, dass sie diesen Brief tatsächlich gelesen hatte und als sie in der Dunkelheit seine blau-grauen Augen, die Sirius' so ähnlich waren, aufmerksam funkeln sah, beschloss sie, nicht darauf einzugehen und zu ihrem eigentlichen Anliegen zurückzukehren. „Was machst du hier?" fragte sie sachlich.
„Oh, ich?" Regulus' Stimme nahm etwas Sarkastisches an. „Ich stehe hier nur einfach so herum und genieße die Nacht. Was soll ich auch sonst hier zwischen all den Büchern machen?"
In ihren grünen Augen blitzte etwas Feuriges auf - sie hasste Antworten wie diese. „Du darfst nicht hier sein - und das weißt du auch. Also sei froh, wenn ich das nicht einem Lehrer melde."
„Und du kannst froh sein, dass ich nicht jedem von dem kleinen Trank erzähle, den du gebraut hast."
Als sie diese Worte hörte, wurde ihr schlagartig eiskalt und jegliches Mitgefühl, das sie eben noch für ihn übrig gehabt hatte, verschwand sofort. „Versuchst du mich zu erpressen?" fragte sie kalt und meinte, für einen kurzen Moment etwas Unsicheres in seinem Blick aufflackern zu sehen.
Doch nur wenige Augenblicke später sah er sie ruhig an, ohne etwas auf ihre Frage zu erwidern, und Lily kam nicht umhin zu bemerken, wie undurchschaubar er wirkte. Normalerweise stimmte es, dass die Augen der Spiegel der Seele waren und man in ihnen aus einem Menschen wie aus einem Buch lesen konnte.
Sie sah es in James' Augen, wenn er sie immer mit einer Spur von Belustigung, aber auch Hoffnung nach einem Date fragte oder in Sirius', dem der Schalk bereits anzusehen war, ohne dass er etwas sagte. Doch nun hatte auch sie eine andere Seite von Sirius erlebt und es ging ihr nicht aus dem Kopf, wie herzzerreißend es war, was er hinter sich hatte.
Während Sirius' Augen etwas Stürmisches - etwas Unerwartetes und Aufregendes an sich hatten, glichen Regulus' blau-graue Augen denen eines Sees, der jeden, der ihm zu nahe kam, erbarmungslos in die Tiefe zog.
Und wieder spürte sie die Unruhe in sich aufkommen, während er ihren Blick so seelenruhig erwiderte. Alles an ihm, seine Haltung, seine Ausstrahlung und diese Leere - es erinnerte sie daran, wie Severus sich vor ein paar Jahren verändert hatte.
Sie wollte sich abwenden, ihm klar machen, dass es nicht ihr Problem war, was er hier machte und er sie nicht in der Hand hatte, doch gerade, als sie sich abwenden wollte, hörte sie ihn einen Satz in ihre Richtung machen. „Evans."
Langsam drehte sie ihren Kopf wieder zu ihm zurück und sah, dass das Kalte, Unnahbare an ihm von einem Moment auf den anderen verblassen zu schien. Sie konnte ihn wieder sehen, als das, was er war - konnte ihn als die Person sehen, die sie in seinem Brief erkannt hatte: einen Jungen, der genau wie Sirius in etwas hineingepresst worden war, was er nicht wollte. Doch im Gegensatz zu seinem Bruder wehrte er sich nicht dagegen.
Seine Hand hatte sich etwas gehoben und schwebte in der Luft, beinahe als hätte er sie am Arm zurückhalten wollen und es sich auf halber Strecke anders überlegt. „Das, was ich hier suche..." begann er und ließ seinen Arm mit einem lauten Ausatmen sinken. „Es könnte auch für euch irgendwann wichtig sein."
Lily zog die Augenbrauen zusammen. „Uns?"
Und plötzlich verschwand das Verletzliche, das Echte wieder, das sie eben noch in ihm sehen konnte. „Vergiss es." sagte er, doch es klang nicht schroff, eher, als würde er es bereuen oder selbst nicht glauben, was er eben gesagt hatte - oder was er überhaupt hier zu suchen hatte. „Tut mir leid für die Umstände."
Ohne ihr Zeit zu lassen darauf zu reagieren, eilte er bereits an ihr vorbei und Lily blieb nichts anderes übrig, als sich sprachlos zu ihm umzudrehen und seinen Bewegungen aufmerksam zu verfolgen, bis er schließlich verschwand und sie nur noch hörte, wie die Tür leise knarzte.
༄ Hannah
BEINAHE MUSSTE HANNAH über die schnell geschriebenen Worte lachen, als sie die Notiz erneut las, die James ihr heute im Vorbeigehen mit einem Zwinkern zugesteckt hatte.
22 Uhr in der Küche. Du kennst das Gemälde mit der Obstschale im Keller, richtig? Einfach die Birne kitzeln und du kommst rein. (Und iss nicht so viel beim Abendessen)
Und wehe, du bist nicht pünktlich -.-
Hochachtungsvoll,
James der Große
Und nun stand sie hier und betrachtete mit skeptischem Blick das Gemälde vor ihr. Die Birne kitzeln? Wie, bei Merlins Bart, hatte er das herausgefunden? Oder besser gesagt: Wie hatte derjenige es herausgefunden, von dem James es wusste?
Sie streckte sich und verfluchte ihre kleine Größe dafür, dass sie mit Mühe an die Birne herankam. Leider erreichte sie nicht einmal 1,60 m und das konnte wirklich nervig sein. Das Obst, das sie berührte, begann leise zu kichern und auch der Apfel neben ihr lächelte sie fröhlich an, während das Gemälde zur Seite aufschwang.
Kein Wunder, dass das Schloss für jeden Muggelstämmigen so magisch wirkte. Mit einem Zauberer als Vater hatte sie wenigstens von Zauberei gewusst, auch wenn ihre Eltern sich getrennt hatten, als sie sieben Jahre alt war und sie immer noch nicht verstand, warum er fremdgegangen war. Wenigstens war er am Ende so ehrlich gewesen, ihre Mutter zu verlassen, da er sich in eine seiner Affären tatsächlich verliebt hatte.
Natürlich, sie liebte ihren Vater und da ihre Mutter ihm vergeben hatte, tat sie es auch, aber mit ihrer „Stiefmutter" tat sie sich äußerst schwer.
Als sie die Küche betrat, traf sie beinahe der Schlag. Vereinzelte Hauselfen wuselten um einen Tisch herum, der mit einem roten Tischtuch, einem umwerfenden Kerzenhalter und schicken Tellern und Gläsern gedeckt war. Ungläubig klappte ihr der Mund auf und sie sah zu James, der mit einem Grinsen auf einem der Stühle saß.
„Hannahlein!" trällerte er fröhlich. „Komm und setz dich - wir üben jetzt, was Romantik ist."
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