Kapitel 36 : Gespräche
"Was war das denn heute?", fragt eine aufgebrachte Alina, als sich die Situation in Mountry wieder etwas beruhigt hat.
"Ich habe gehört, dass der Maestro das bestimmt hat.", flüstert Jennifer und beißt in ihr Brot hinein.
Bei ihrer Aussage höre ich direkt auf und lenke meine Konzentration von meinem Abendessen auf das Gespräch.
"Aber wieso sollte er zuerst anfordern, dass es keine Strafen gibt, und dann kommt so eine Aktion?", stößt Cole neben mir hervor.
"Es war ja nicht der Maestro...", nuschele ich zwischen meinem trockenen Brot im Mund hervor.
Sofort drehen sich alle Gesichter in meine Richtung.
"Weißt du etwas, was wir nicht wissen?", fragt Jennifer, woraufhin ich meine Schulter zucke.
"Spuck' es aus!", ruft Alina energisch, weshalb ich ihr einen bösen Blick zuwerfe, da sie viel zu laut geredet hat.
Die Scheune ist leerer als sonst und ich habe keine Lust, dass andere unser Gespräch mitbekommen.
"Spuck' es aus.", wiederholt sich Alina, jedoch diesmal leiser.
Ich lasse meinen Blick über die Leute in der Scheune schweifen um festzustellen, dass ein Glück niemand uns horcht. Jeder ist in seine Gespräche vertieft oder knabbert verträumt an dem Brot herum.
Langsam ducke ich meinen Kopf wieder und beginne leise zu meinen Freunden zu sprechen.
"Der Maestro war für ein paar Tage nicht da, weshalb der Meister die Kontrolle hatte und die Bestrafungen quasi abgesetzt hat. Nun ist der Maestro wieder da und hat es mitbekommen."
"Dann war er wohl nicht so begeistert von der Aktion seines Sohnes...", grübelt Jennifer.
"Aber wieso hat der Meister das getan?", mischt sich nun auch Dennis in das Gespräch ein. Seine Frage war allerdings nicht an die anderen gerichtet, sondern nur an mich, da er seine Augen dabei auf mich fixiert hat.
"Keine Ahnung.", gebe ich ehrlich zu, schüttele leicht meinen Kopf und beiße von meinem Brot ab.
Genau das wollte ich Gordon eigentlich fragen, doch ehe ich eine ordentliche Frage zusammengekriegt hatte, hat er mich bereits unterbrochen.
"Es sollen so viele bestraft werden, dass in den Boxen mehrere Leute stehen und manche dort sogar Tage warten müssen.", erzählt Jennifer erneut und ungläubig weiten wir alle unsere Augen.
"Kriegen die dann wenigstens Essen und Trinken?", hake ich nach.
"Also ich habe dort nie etwas bekommen, ihr?", entgegnet Alina in die Runde und jeder schüttelt seinen Kopf. "Dann denke ich mal, dass diese blutrünstigen Männer das auch nicht ändern werden."
Wenn ich Gordon das nächste Mal sehe, was hoffentlich bald ist, muss ich ihn darauf ansprechen. Es kann doch nicht sein, dass irgendwer für mehrere Tage oder auch Stunden dort ohne eine Art von Nahrung ausharren muss. Auch wenn ich nichts ändern kann, dann hab ich es wenigstens versucht.
"Kannst du ihn nicht überreden die Strafen wieder aufzuheben?"
Ein leichtes anstupsen von meiner rechten Seite holt mich zurück aus meinen Gedanken.
"Hm?" Verwirrt schaue ich in die Gesichter von meinen Freunden, die mich alle angucken.
"Den Meister. Kannst du ihn nicht fragen?", höre ich erneut Lucys Stimme.
Warum denkt sie immer, dass ich ihn umstimmen könnte? So funktioniert das leider nicht.
"Leute, ich habe keinen Zugang zu ihm. Ich kann nicht einfach in das Hauptgebäude stolzieren, in seine Wohnung gehen und ihn nach etwas fragen oder nach einem Gefallen bitten.", erkläre ich ihn und deren Gesichter wirken etwas enttäuscht.
"Wie hast du es denn das letzte Mal geschafft?", meldet sich nun Oliver zu Wort.
Keine Ahnung, was es ist, aber immer wenn Oliver mir eine Frage stellt habe ich den Drang sie komplett ehrlich zu beantworten. Wahrscheinlich ist es einfach seine ruhige Ausstrahlung. Doch trotz dessen kann ich ihm keine genauere Antwort geben, trotzdem ist sie ehrlich.
"Ich weiß es wirklich nicht..."
Ich sacke etwas auf der Bank ein und schiebe mir das letzte Stück von meinem Brot in den Mund. So gern wüsste ich die Antwort auf diese Frage.
Wie habe ich es geschafft, dass der Meister mich in seine Wohnung bringt?
"Können wir aufstehen?", höre ich eine genervte Stimme rechts neben mir sprechen, ehe diese Person auch schon bereits aufsteht.
Etwas verwirrt und enttäuscht blicke ich zu Cole hoch. Seit wann ist er so komisch drauf?
Ohne weiter darüber nachzudenken stehe ich auf und bringe das Geschirr mit den anderen Weg. Kurz vor unserem Schlafplatz bleiben wir alle stehen.
"Ich und Lucy wollten noch ein bisschen am Stoff weiterarbeiten. Hat er noch wer Lust?"; erkundigt sich Jennifer.
"Ich komme mit!", beschließt Dennis, sowie auch Oliver, der sich ihm kurz darauf anschließt.
"Ich begleite euch ein bisschen, aber gehe dann weiter zu Judith.", sage ich.
Wir nicken einander zu, bis wir 5 Alina und Cole am Schlafplatz zurücklassen und uns in Richtung Arbeitsplatz aufmachen.
"Was willst du bei Judith?", möchte Jennifer wissen, die neben mir her läuft.
"Nur ein bisschen reden. Haben wir schon lange nicht mehr gemacht und ehrlich gesagt habe ich sie auch lange nicht mehr gesehen, was mich ein bisschen besorgt.", gebe ich zu.
Seit dem ich von Gordons Wohnung wieder zurück bin ist der Arbeitsplatz links neben mir frei.
"Judith wurde in Sektor 5 verlegt.", gibt Jennifer bekannt und überrascht sehe ich sie an.
"Wirklich?"
"Du kannst sie ja gleich selber fragen."
"Werde ich!"
"Bis nachher.", verabschiedet sie sich von mir und geht mit den anderen zu deren Arbeitsplatz, während ich mich weiter auf dem Weg zu Judith mache.
Als ich endlich bei ihrem Haus angekommen bin klopfe ich aufgeregt an ihrer Tür. Stimmt es wirklich, dass sie nun im Sektor 5 ist? Wenn ja, dann würde ich mich sehr für sie freuen!
Nach ein paar Sekunden öffnet Judith die Tür und lächelt mich an.
"Madeline, schön dich zu sehen! Komm' doch rein.", bietet sie an, was ich auch tue.
"Danke!", erwidere ich und schaue mich im Haus um. Doch bevor ich mich wirklich umgesehen habe schlingen sich ein paar Arme um meine Beine.
"Hey Moritz!", begrüße ich den kleinen brauhaarigen Jungen und gehe in die Hocke, um ihn richtig umarmen zu können. "Geht es dir gut?"
Als Antwort bekomme ich ein Nicken von ihm, sowie ein kleines Lächeln auf den Lippen. Zufrieden stelle ich mich wieder hin.
"Kannst du mit mir spielen, Maddy?", spricht plötzlich der kleine Junge und schaut mich mit seinen großen blauen Augen an.
Dafür bin ich nicht hergekommen, aber ich kann ihm einfach nicht widerstehen.
"Ich muss vorher noch etwas mit deiner Mama besprechen, aber danach spiele ich mit dir, okay? Du kannst ja schonmal anfangen. Ich komme dann gleich.", schlage ich vor, woraufhin Moritz freudig nickt und in die hintere Ecke des Raumes huscht, in der sich seine Spielecke befindet.
"Was möchtest du denn besprechen?", fragt Judith, während wir uns auf den Stühlen am Tisch niederlassen.
"Ich habe dich lange nicht mehr gesehen! Stimmt es, dass du nun in Sektor 5 bist?", hake ich direkt nach.
"Ja, das stimmt.", antwortet Judith darauf mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
"Wie kam es dazu? Du musst mir alles erzählen!", bestehe ich, woraufhin sie ein kleines Kichern herauslässt.
"So spannend war das gar nicht. Es kam vor ein paar Tagen ein Offiziersmann auf mich zu, meinte ich solle mit ihm mitkommen und dann hatte ich plötzlich einen neuen Arbeitsplatz."
"Was macht man denn in Sektor 5?", möchte ich wissen.
"Wir verarbeiten die Stoffe, die ihr in Sektor 6 macht, weiter in Kleidung.", entgegnet sie.
"Ah, das macht Sinn! Habe mich sowieso immer gefragt, was sie mit unseren Stoffen anstellen."
"Ich glaube manche Stoffe geben die auch so weiter, oder eher gesagt verschicken sie weiter. So wie die Kleidung auch. Nur wenige davon werden wirklich für uns selber gemacht."
"Meinst du die verkaufen die ganzen Sachen weiter?"
"Was sollen sie denn sonst mit dem ganzen Kram machen? Wir selber sehen ja selten was davon...", gibt Judith trotzig wieder und hebt ihre Schultern an.
Leicht nickend starre ich auf die flackernde Kerze die auf der Tischmitte steht. Es wäre schön, wenn wir wenigstens etwas von unserer Arbeit hätten.
"Judith?", spreche ich ihren Namen aus, nach ein paar Sekunden der Stille.
"Ja?"
"Ich habe Angst.", gebe ich zu, während mein Blick weiter auf die Flamme gerichtet ist und meine Augenlieder nicht blinzeln, sondern meine Augen einfach nur auf das flackernde Licht starren.
"Was ist passiert, Maddy?", fragt sie nach mit ruhiger Stimme und legt ihr Hand auf meine, die auf dem Tisch liegt.
Langsam bewege ich meinen Kopf in ihre Richtung und meine Augenlider beginnen hektisch zu blinzeln, da alles vor meinen Augen ganz verschwommen ist. Entweder sind die Tränen gekommen, weil ich nicht geblinzelt habe oder wegen dem, was ich jetzt sagen werde.
"Wegen der Sache mit dieser Katharina...", beginne ich zu sprechen, wobei ich mit den Fingern an meinen freien Hand rumspiele, "Es wird immer mehr."
"Was wird immer mehr?"
"Die Vergleiche mit ihr und mir.", erwidere ich.
Judith sieht mich etwas fragend an, doch man sieht ihr an, dass sie nicht aufdringlich wirken möchte.
"So viele Dinge passieren mir, die ihr auch passiert sind und so langsam weiß ich einfach nicht mehr, wie ich damit umgehen soll. Am Anfang habe ich versucht es zu ignorieren, aber... Ach, keine Ahnung." Frustriert streiche ich meine Haare aus dem Gesicht.
"Judith, er hat mich zu der Geburtstagsfeier von dem Maestro eingeladen.", schießt es aus mir, wie von einer Kanone, bevor sie auf meine vorigen Worte etwas antworten kann.
Schockiert von meiner Aussage reißt sie die Augenbrauen in die Höhe und öffnet leicht ihren Mund. Eine Weile guckt sie mich so an, bis sie meine Aussage ein wenig verdaut hat.
"Ich weiß, es ist heftig."
"Er muss dich ja echt mögen.", spricht Judith nun.
Mögen? Mögen, hm.
Ich habe mich tatsächlich noch nie gefragt, ob der Meister mich mag. Irgendwie ist das eigenartig sich das vorzustellen. Der Meister mag mich? Nein, etwas passt da nicht.
Gordon mag mich.
Ja, das klingt schon besser, aber immer noch etwas merkwürdig. Kann er mich überhaupt mögen? Immerhin waren in den letzten paar Situationen ziemlich nah aneinander, also kann er mich ja nicht abstoßend finden. Aber momentmal... Nah aneinander zu stehen, dazu gehören immer zwei Personen und wenn ich so heraus schließe, dass er mich mag, heißt das dann, dass ich ihn auch mag?
Schnell schüttele ich meinen Kopf, um diesen Gedanken aus dem Kopf zu bekommen.
Nein, das ist nicht möglich. Niemals. Er ist der Meister.
"Darum geht es nicht.", erwidere ich etwas schroff, nach dem ich die Gedanken aus meinem Gehirn geschoben habe. "Es geht darum, dass es mir zu viel wird. Am Anfang war es vielleicht auch ganz nett und in seiner Wohnung war es auch entspannend, aber-"
"D-Du warst in seiner Wohnung?", erkundet sich Judith mit großen Augen.
Stimmt ja, wir haben uns lange nicht mehr gesprochen.
"Ja, ich hab da letztens zwei Nächte geschlafen und circa 3 Tage da verbracht, so zu sagen.", gestehe ich mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.
"Mit dem Meister?"
"Ja."
"In einem Bett?"
"Was?" Ich lege meinen Kopf etwas schief.
"Habt ihr in einem Bett geschlafen?"
"Oh Gott, nein!", reagiere ich schnell darauf. "Er hat auf dem Sofa geschlafen, obwohl ich meinte, dass ich nicht in dem Bett schlafen muss, aber er bestand irgendwie darauf."
Beeindruckt sieht Judith mich immer noch mit großen Augen an und nickt leicht ihren Kopf.
"Wieso guckst du so?", frage ich irritiert.
"Ich wusste nicht, dass ihr beide euch so nahe steht."
"Das tun wir doch gar nicht. Nur weil Gordon mich bei sich hat unterkommen lassen, mit mir getanzt hat, mich eingeladne hat, oder auch-"
"Gordon?", unterbricht sie mich erneut. Sie hat seinen Namen so quietschend hoch ausgesprochen, dass ich ein wenig zurück geschreckt bin. "Ist das sein Name?"
"Kann sein..." Ich glaube nicht, dass ich diese Information weiter geben sollte, aber sein Name ist so drin in meinem Kopf und außerdem ist es nur Judith.
"Okay, pass auf!", beginnt sie erneut zusprechen, wobei sie allerdings einen strengeren Ton einschlägt, "Ich kann verstehen, dass du Angst hast. Die Vergleiche mit Katharina sind da, das kannst du nicht ändern, aber was du ändern kannst, ist wie es ausgeht. Das heißt nicht, dass du jetzt eine große Heldin spielen sollst oder sonstiges, aber tue das, was für dich als richtig erscheint."
Ihre Augen schauen meine durchdringend an und ihr Griff um meine Hand ist fester geworden.
"Ich weiß nicht, was bei euch beiden passiert ist und ich weiß auch nicht genau, was bei ihm und Katharina passiert ist, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit dir irgendein Spielchen spielt. Er hätte dazu keinen Grund. Trotzdem würde ich dir aber auch nicht raten ihm in die offenen Arme zu laufen. Er ist immer noch der Meister, aber so schlecht scheint er ja nicht zu sein. Tue das, was du für richtig hältst."
Ich sauge jedes Wort von ihr aufmerksam auf, doch irgendwie sind mir ihre Worte in eine andere Richtung abgeschweift, als ich eigentlich wollte.
"Aber ich möchte doch gar nicht von ihm, geschweige denn überhaupt etwas mit ihm zutun haben.", erwidere ich.
Judith lächelt und klopft mit ihrer freien Hand sachte auf meine Hand, die sie bereits festhält.
"Ich würde dir so gerne jedes Mal einen Spiegel vor dein Gesicht halten, wenn du von ihm redest."
Fragwürdig ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. Einen Spiegel? Vor mein Gesicht? Was?
"Maddy?", ruft auf einmal eine leise Stimme aus der hinteren Ecke. Ich schaue in die Richtung und blicke in flehende Augen.
"Es ist gleich Schlafenszeit für ihn, also geh' lieber jetzt zu ihm hin.", sagt Judith und ich gebe ihr ein dankbares nicken, ehe ich auch schon aufstehe und zu Moritz gehe.
Ich knie mich neben den kleinen Jungen und sehe staunend auf sein Spielzeug.
"Sind die Sachen neu?", frage ich neugierig und zeige auf zwei Spielautos, sowie 4 Playmobil Figuren.
"Ja, ein Mann hat letztens Spielzeug an alle Kinder verteilt.", erzählt er freudig mit einem strahlen in den Augen.
"Was für ein Mann?"
Moritz zuckt mit seinen Schultern. "Er hat eine Sonnenbrille getragen. Nimmst du die Figuren? Die sollen jetzt alle schlafen gehen in dem Haus.", bestimmt er und überreicht mir die Figuren.
Mit der größten Freude spiele ich mit Moritz, während ich gar nicht weiter über diesen Mann nachdenken muss. In Mountry gibt es nur einen Offiziersmann mit einer Sonnenbrille, der auch noch nett genug ist, um Kindern Spielzeuge zu schenken. Genauso gut weiß ich, dass er diese Aktion niemals hätte alleine Planen können.
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Heyyyy
Dieses Kapitel ist länger geworden als ich gedacht habe, aber ich hoffe es passt euch trotzdem.
Meint ihr Maddys Angst ist berechtigt? Hat Judith ihr gut zugesprochen?
Adios amigos
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